200 Milliarden und mehr jährlich fürs Militär? Nicht mit mir!
Ich protestiere gegen die geplante massive Aufrüstung Deutschlands!
Redebeitrag für die Hiroshima / Nagasaki-Gedenkveranstaltung am 6. August 2024 in Bonn
- Sperrfrist: 6.8., Redebeginn: 18 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort –
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
bei der Vorbereitung der heutigen Veranstaltung riet man mir, doch den Text meines Beitrags vom letzten Jahr zu nehmen, da sich ja im Prinzip an der politischen Situation nichts geändert hätte. So verlockend dieser Vorschlag auch war, gibt es doch eine Menge Neues – und Altes – zu bedenken, viel zu viel, wie ich feststellen musste. Mit großem Pomp wurde in diesem Jahr an 75 Jahre Grundgesetz erinnert, wobei der Grundgesetz-Auftrag, sich aktiv für Frieden einzusetzen, verschwiegen wurde.
Ein anderes Jubiläum wurde – und ich denke, das ist kein Zufall – in diesem Jahr nicht erwähnt: 1999 führte die NATO unter aktiver Beteiligung der Bundeswehr einen 78 Tage dauernden Angriffskrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, wobei vor allem massive Bombenangriffe auf die zivile Infrastruktur wie Brücken, Elektrizitätswerke, Krankenhäuser, Schulen usw., ganz besonders aber auf Chemiewerke mit dem Ziel der Freisetzung toxischer Stoffe geflogen wurden. Hier – und eben nicht heute – hat die Zeitenwende stattgefunden, von der heute so oft die Rede ist, als die NATO endgültig ihren Charakter als Verteidigungsbündnis aufgegeben hat und mit der Osterweiterung begonnen hat.
Es gibt aber noch mehr, an das erinnert werden sollte. 1972 setzte die Regierung Brandt gegen heftigen Widerstand aus Washington ihre Ostpolitik der Versöhnung mit Polen und der Sowjetunion durch, woraus schließlich 1975 mit der Schlussakte von Helsinki für die 35 Teilnehmerstaaten „vertrauensbildende Maßnahmen und Aspekte der Sicherheit und Abrüstung … Zusammenarbeit in den Bereichen der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Technik sowie der Umwelt …“1 vereinbart wurden. Die in diesen Jahren aufgebrachten diplomatischen Kraftakte waren beispiellos und sorgten für lange Zeit für ein friedliches Zusammenleben in Europa, bis zum Angriff der NATO auf Jugoslawien.
Es ist heute viel von Verantwortung der Politik die Rede. Eine verantwortliche Politik heute würde aber hinsichtlich des Krieges in der Ukraine genau solche diplomatischen Kraftakte erfordern, um zu einer friedlichen Lösung des Konfliktes unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten zu kommen. Moral hilft hier nicht, wir haben nur einen Planeten! Das ist das Kerngeschäft der Diplomatie, für das die Außenministerin zuständig wäre. Stattdessen werden immer neue Waffen mit immer größeren Eskalationsstufen gefordert, meistens im Orwellschen Neusprech als „Friedenspolitik“ dargestellt. Das ist eine Bankrotterklärung der Politik. Und mir ist absolut unverständlich, wie man die positiven Ergebnisse der Brandtschen Ostpolitik heute als verfehlte Politik darstellen kann.
An dieser Stelle möchte ich noch an ein weiteres Jubiläum erinnern. Vor 45 Jahres sorgte der NATO-Doppelbeschluss für die Aufstellung der
Pershing-II Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik Deutschland für Protest von hunderttausenden Menschen in Bonn in den Folgejahren in Friedensdemonstrationen. Am Rande der letzten NATO-Gipfelkonferenz vor wenigen Wochen haben die USA nun ein neues einseitiges Eskalationsprogramm angekündigt – geplant im Übrigen schon 2021!2 –: es sollen wiederum Mittelstreckenraketen – diesmal vom Typ Tomahawk – in Deutschland aufgestellt werden, dazu ballistische Raketen vom Typ SM-6 sowie weitreichende Hyperschallraketen. Und anders als 1979 gibt es kein Verhandlungsangebot! Und Bundeskanzler Scholz nickt dieses Aufrüstungsprogramm auch gegen Kritik aus den eigenen Reihen ab.
Diese enorme Aufrüstung, an der sich die Bundesrepublik massiv beteiligt, bedient einzig und allein die Interessen des militärisch-industriellen Komplexes, also die Profitgier der Rüstungsindustrie, die damit nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen geht, sondern auch durch enorme Mengen an CO2 und Schadstoffen aller Art die Klimakatastrophe befeuert.
Wie so viele Erkenntnisse aus der Geschichte ist auch die ausdrückliche Warnung von US-Präsident Eisenhower in Vergessenheit geraten, „der in seiner Abschiedsrede vom 17. Januar 1961 ausdrücklich vor den Verflechtungen und Einflüssen des militärisch-industriellen Komplexes ... warnte“3.
Worum es bei dieser Aufrüstung geht, hat auch der kürzlich im Alter von 88 Jahren verstorbene Schauspieler Donald Sutherland in seinem Appell an die jungen Zuschauer auf den Punkt gebracht: „Sie sollten erkennen, dass der Mythos des Krieges zur Rettung der Demokratie für König und Vaterland oder im Namen Gottes nur Schwachsinn ist. Krieg ist nur für den Profit.“4
Es wird immer mit dem Begriff der atomaren Abschreckung versucht, die Bevölkerung zu beruhigen. Aber machen wir uns nichts vor: die Stationierungsorte der amerikanischen Atomwaffen in Europa sind im Falle eines Atomkrieges bevorzugte Ziele für massive Atomwaffenangriffe. Von Mitteleuropa bliebe dann – und das ist die wahre Bedeutung der atomaren Teilhabe – nur noch eine rauchende Trümmerwüste übrig.
Deshalb bekräftigen wir unsere Forderungen an Bundestag und Bundesregierung:
- setzt endlich den Beschluss zum Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland um;
- nehmt endlich den Atomwaffensperrvertrag ernst und tretet dem Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen bei.
- keine neuen Mittelstreckenraketen in Deutschland!
Vielen Dank.
Robert Nicoll ist aktiv bei der Friedensinitiative (Bonn-)Beuel.
Anmerkungen:
- (1) https://www.humanrights.ch/de/ipf/grundlagen/durchsetzungsmechanismen/os...
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(2) https://natwiss.de/keine-mittelstreckenraketen-eskalationsspirale-jetzt-...
- (3) https://de.wikipedia.org/wiki/Militärisch-industrieller_Komplex
- (4) https://www.zdf.de/nachrichten-sendungen/heute-19-uhr/donald-sutherland-...