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Redebeitrag für die Hiroshima / Nagasaki-Gedenkveranstaltung am 6. August 2024 in Mainz
- Es gilt das gesprochene Wort –
Liebe Mitstreitende, liebe Mainzerinnen und Mainzer!
Heute treffen wir uns hier zu einer Gedenkveranstaltung, 79 Jahre nach dem doppelten Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki durch die US-Armee 1945. Ein Gedenken mit Anklängen an japanische Trauerrituale; deswegen treffen wir uns nachher bei dem Altar gegenüber.
Es soll aber auch ein Nachdenken sein über die Ursachen dieser Katastrophe und unsere politischen und persönlichen Konsequenzen. Was ist am 6. und 9. August eigentlich passiert? Die USA setzen die in der Menschheitsgeschichte bisher größten Massenvernichtungswaffen ein – perverserweise „Little Boy“, also „kleiner Junge“ genannt. Die USA alleine? Das Uran dazu stammte aus Belgisch-Kongo, ein Teil der chemischen, physikalischen und technischen Grundlagen von deutschen Forschenden, alle aus ehemaligen oder damaligen Kolonialstaaten...
Der zweite Weltkrieg war im Westen bereits seit drei Monaten beendet. Was sollte das also? Die verlogene Antwort der US-Armee lautete: Nur so könne der Krieg dort abgekürzt werden, keine „normale“ Invasion mit dem Tod vieler US-Soldaten und japanischer Zivilpersonen sei mehr nötig. Tatsache ist aber: 80.000 Tote sofort, mit den Todesfällen durch Spätfolgen ca. 160 000!
Vorher war schon ein Verhandlungsfrieden mit Japan versucht worden mit Hilfe der UdSSR bis zum 6. August, aber leider vergeblich. Aber auch nach den Atombombenabwürfen verweigerte der japanische Kaiser immer noch die Kapitulationserklärung; es gab noch nicht mal eine Krisensitzung des japanischen Kriegsrats – schließlich waren ja auch schon vorher 60 Städte heftig bombardiert worden… Der Kaiser unterschrieb die Kapitulation erst am 15. August, und zwar nach der Kriegserklärung der UdSSR!
Tatsächlich waren die Abwürfe der US-Atombomben eine Kampfansage an Moskau: „Wir haben die besseren Massenvernichtungswaffen! “ Der japanische Überfall auf Pearl Harbour, mit dem das US-Militär den Atomangriff auf Hiroshima und Nagasaki begründete als „gerechte Antwort“, lag immerhin schon vier Jahre zurück! Und auch bis heute gibt es kein entschuldigendes Wort aus den USA!
Nun zu dem Opfern: einschränkend muss zu den oft genannten Zahlen gesagt werden, dass sie nur mit großer Vorsicht zu werten sind. Die wissenschaftlichen Untersuchungen dazu begannen nämlich erst nach fünf Jahren: So wurden die dann bereits Gestorbenen nicht mit einbezogen, viele Geschädigte waren auch weggezogen, der radioaktive „Fall-out“ außerhalb von Hiroshima und Nagasaki, auch die Ausbreitung der Neutronenstrahlung. Tatsächlich untersucht wurden schließlich „nur“ ca. 20.000 Überlebende, „Hibakusha“ genannt. Sowohl die USA als auch der japanische Staat ließen diese Mängel aber gerne durchgehen, weil sie so (ja!) Kosten sparen konnten. Für die Versorgung anerkannter Opfer und wegen ihres guten Rufs.
Die Opfer wurden in Japan diskriminiert und ausgegrenzt – wie übrigens auch nach Fukushima: “so eine verstrahlte, genetisch gestörte Person heiratet man doch nicht …“). Welche medizinischen Schäden traten denn nun bei den Opfern auf? Missbildungen an diversen Organsystemen, bei den Nachkommen über mehrere Generationen, gut- und bösartige Neubildungen an Magen, Darm, Galle, Nieren, Blase, Schilddrüsen (vor allem bei Kindern), in der Lunge, bei der Blutbildung, im Immunsystem und den Lymphknoten sowie den Eierstöcken, Frühgeburten, hohe Säuglingssterblichkeit, DANN-Schäden und der Haut.
In den ersten Stunden und Tagen nach dem Abwurf der Bomben schmolz den Opfern die Haut vom Leib… Ihr kennt alle die furchtbaren, unvergesslichen Bilder… Alles, alles war verseucht: die Straßen, Trümmer, Wasser, Luft, Erde, Pflanzen und Tiere, das Essen. Nicht umsonst hat die IPPNW später ihre Hauptbotschaften genannt: „Wir werden euch nicht helfen können“, „die Lebenden werden die Toten beneiden“ und „das Uran soll in der Erde bleiben“ – hier also militärisch und zivil gedacht. Und: eine Anerkennung als Geschädigte gab es erst ab 1957, also zwölf Jahre später; sehr viele Klagen wurden auch abgewiesen, vor allem von Opfern mit psychischen und psychosomatischen Erkrankungen, Müdigkeit, Schwindel, Krämpfen, dort „Bura-Bura“ genannt, die Opfer „Genbaku“. Dazu kamen massive soziale Folgen: Obdachlosigkeit, zerrissene Familien , Infektionskrankheiten durch mangelnde Hygiene und Unmöglichkeit von Behandlung und Vorbeugung, insbesondere Impfungen.
Dies ist mir immer besonders aufgefallen, weil auch mein Bruder am Ende des zweiten Weltkriegs an Diphtherie starb, weil er keine Impfungen erhalten konnte, weil meine Mutter fünfmal ausgebombt war, obwohl es eine Diphtherieimpfung schon seit den dreißiger Jahren gab. Er steckte auch noch meine Mutter an, die nur überlebte, weil die englische Besatzungsarmee sie zwei Wochen lang künstlich beatmete.
Objektiv war die Abgrenzung der strahlenbedingten medizinischen Folgen schwierig wegen der sonstigen Kriegseinwirkungen. So viel erst mal zur medizinischen Einordnung, weitere Fragen könnt ihr mir später stellen.
Und die Lehren aus dieser menschengemachten Katastrophe?
- die USA haben heute allein in Europa auf fünf Militärstützpunkten ca. 100 Atomwaffen gelagert
- und weltweit ca. 3.700 nukleare Sprengköpfe „in Reserve“, von denen jeder eine zehn – bis dreißigmal größere Sprengkraft hat als die in Hiroshima undNagasaki.
- die Kosten in neun Atomwaffenstaaten betrugen 2023 über 90 Milliarden Dollar
- die Atomuhr tickt immer lauter, die Vorwarnzeiten bei einem bewussten oder auch versehentlichen Abschuss werden immer kürzer, heute ist die Gefahr einer atomaren Verwüstung der ganzen Welt größer denn je!
Und wir hier? Lasst uns weiter die Vorbeugungs- und Abschreckungslügen aufdecken: in der Öffentlichkeit wie heute hier, in unseren Friedensorganisationen, in unseren Parteien und im Familien- und Freundeskreis, mit Demos wie zum Beispiel am 1. September und in Nörvenich am Samstag, dem 12. Oktober um 12 Uhr. Den Bundestag und die Bundesregierung auffordern, endlich den weltweiten Antiatomverträgen beizutreten, sie konsequent einzuhalten, keine Atomwaffen und entsprechende Trägerraketen u.ä. in Deutschland zu stationieren.
Versuchen wir anzuknüpfen an die Erfolge der Antiatombewegung der achtziger Jahre! Wir – die IPPNW – haben dafür 1985 den Friedensnobelpreis erhalten für unseren Anteil daran. Wir wollen auch ganz klein, ganz aktuell, hier vor Ort in Mainz, unseren Anteil leisten, zum Beispiel gegen die unsägliche Werbung auf Mainzer Bussen und Straßenbahnen für Ausbildungen beim Militär zum Beispiel als Bombenflieger* (m,w,d) in Büchel. Bitte macht ihr alle weiterhin mit und bringt noch mehr Leute dazu mit!
Erstmal danke ich euch für euer Kommen und euer teils jahrzehntelanges Engagement.
Danke!
Dr. Ute Wellstein ist aktiv bei der IPPNW in Mainz.