Redebeitrag Von Alex Rosen (IPPNW) für den Ostermarsch Berlin am 15. April 2017

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

wir sehen in diesen Tagen sehr besorgt auf die koreanische Halbinsel, denn dort stehen sich derzeit zwei Atommächte gegenüber. Auf der einen Seite das kleine, diktatorische Nordkorea mit seinen Atomwaffen, auf der anderen Seite die atomare Supermacht USA, die ihren Flugzeugträger auffahren lässt und mit Präventivschlägen gegen das nordkoreanische Regime droht. Der Grund, weshalb uns allen dieser Konflikt so nah geht und so besorgt macht, ist der, dass diese Staaten Atomwaffen besitzen. Und wir wissen, Krieg an sich ist schlimm genug, aber ein Krieg zwischen Ländern, die Atomwaffen besitzen, ist etwas, das wir uns gar nicht vorstellen können und wollen.

Wir haben alle die Bilder von Hiroshima und Nagasaki im Kopf. Aber was wir uns nicht vorstellen können, ist das, was passiert, wenn tatsächlich ein Krieg mit Atomwaffen von zwei Seiten geführt wird. Und das ist es, was den Konflikt in Syrien, an dem sich Atomwaffenstaaten wie USA, Israel, Russland, Großbritannien und Frankreich beteiligen, was den Konflikt zwischen Indien und Pakistan, beide sind Atomwaffen-Staaten, und was den Konflikt zwischen Nord- und Südkorea so besorgniserregend macht. Und auch in der Ukraine stehen sich zwei Atommächte gegenüber, nämlich Russland und die NATO.

Wenn man sich die Kriege oder die Konfliktsituationen anschaut, z.B. zwischen Indien und Pakistan, dann ist es so, dass in einem atomar geführten Krieg nicht nur die Menschen unmittelbar betroffen werden, die in den Städten leben, die von Atomwaffen getroffen werden. Man schätzt, dass ein regional geführter Atomkrieg zwischen Indien und Pakistan innerhalb von Tagen 20 bis 30 Millionen Menschenleben fordern würde. Aber die bittere Wahrheit ist, auch wir hier in Europa, die Menschen  in Afrika, in Süd- und Nordamerika und Asien, auch die werden betroffen. Denn was wir mittlerweile wissen ist, dass ein atomar geführter Krieg zu weltweiten Klimaveränderungen führen würde. Die Menge an Schutt und Asche, die durch die ungeheuren Zerstörungen eines Atomkriegs in die Atmosphäre gedrückt würde, im Falle Indien-Pakistans schätzungsweise über 5 Mio t Schutt und Asche, würde das Licht der Sonne auf viele Jahre hin verdunkeln. Die Durchschnittstemperatur weltweit würde um mehr als 1,5 ° abfallen und damit einhergehend gäbe es Ernteausfälle in nicht nachvollziehbarer Größe. Das würde bedeuten, die Lebensmittelpreise würden steigen, Konflikte um Ressourcen werden verschärft, die ohnehin von Hungersnot bedrohten 1 Milliarden Menschen würden den Hungerstod sterben, und eine weitere 1 Milliarde Menschen werden akut vom Hungerstod bedroht.

Und dass ist der Grund, weshalb alle Menschen weltweit, ob sie in Bolivien oder Ghana leben, in Deutschland oder Südkorea, sich Sorgen machen müssen, um einen mit Atomwaffen geführten Krieg. Denn die Konsequenzen werden nicht nur von der Bevölkerung in den betroffenen Ländern gespürt werden sondern weltweit. Bei einem Krieg zwischen Indien und Pakistan, bei einem Krieg auf der koreanischen Halbinsel, würden Milliarden von Menschen im Falle eines nuklearen Winters den Hungerstod ausgesetzt. Das würde Konflikte verschärfen und die Weltordnung, so wie wir sie kennen, zerstören.

Und das ist der Grund, weshalb sich eine große Mehrheit der Staatengemeinschaft, 134 Länder in den Vereinten Nation, seit einigen Jahren dafür einsetzt, dass diese schlimmste Form der Waffe, die schrecklichste Massenvernichtungswaffe, die der Mensch je geschaffen hat, die Atomwaffe, endlich völkerrechtlich geächtet wird. Denn das ist die Lücke im Völkerrecht, die wir noch haben.

Biologische Waffen und chemische Waffen, auch wenn sie noch eingesetzt werden, wie wir vor kurzem gesehen haben, werden völkerrechtlich von der Weltgemeinschaft geächtet. Aber die Atomwaffen, die schrecklichste aller Massenvernichtungswaffen bislang nicht. Um diese rechtliche Lücke zu schließen, haben sich 134 Staaten zusammengetan, und jetzt im März vor wenigen Wochen in New York die erste weltweite Konferenz von Staaten zur völkerrechtlichen Ächtung von Atomwaffen einberufen. Und im Juni dieses Jahres wird die Folgekonferenz stattfinden, auf der ein Papier vorgelegt wird, in dem völkerrechtlich geklärt werden soll, wie man Atomwaffen ächten ,stigmatisieren und verbieten kann.

Dadurch wird noch keine einzige Atomwaffe abgeschafft werden, aber es wird den moralischen Druck auf die Länder mit Atomwaffen und solche Länder, die Atomwaffen entwickeln wollen erhöhen.

Wir sind großer Hoffnung, dass die völkerrechtliche Ächtung der Atomwaffen der nächste Schritt ist auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt. Doch nun kommt der Skandal. Und das ist der Grund, weshalb wir alle hier eine Verantwortung haben. Die deutsche Bundesregierung boykottiert diese Verhandlungen. Kanzlerin Merkel und der damalige Außenminister Steinmeier haben erklärt, dass sie die Bemühungen um Ächtung von Atomwaffen für nicht zielführend halten. Warum? Man solle lieber mit den Atomwaffen-Staaten gemeinsam eine Lösung finden. Das klingt schön, hat aber bisher noch nie geklappt.

Die Sklaverei wurde auch nicht abgeschaffte, weil sich die Sklaven haltenden Länder auf eine Regelung eingelassen haben, sondern weil die Mehrheit der Staaten weltweit Nein gesagt hat. Wir fangen auch nicht an, Mörder einzuladen, um mit ihnen zu diskutieren, wie das Strafrecht verschärft werden kann. Wenn etwas laut Völkerrecht illegal ist, und Atomwaffen sind laut Völkerrecht illegal, denn sie unterscheiden nicht zwischen Kombattanten , kriegführenden Soldaten und der Zivilbevölkerung, müssen sie völkerrechtlich geächtet werden. Und jeder Staat, der Atomwaffen besitzt, der mit dem Einsatz von Atomwaffen droht und damit am Massenmord an einer unschuldigen Zivilbevölkerung, muss nach dem Völkerrecht zur Rechenschaft gezogen werden. Und da kann sich auch die Bundesregierung nicht dagegen stellen.

Wir haben ein Wahljahr. Und das ist eine Möglichkeit, unsere gewählten Repräsentanten und diejenigen, die es werden wollen, auf ihre Verantwortung hinzuweisen, Es wird von der Bundesregierung in letzter Zeit sehr häufig von Verantwortung gesprochen, die Deutschland wieder mehr in der Welt übernehmen soll. Wir alle wissen, wie kritisch diese Aussagen zu werten sind. Aber es stimmt. Deutschland hat eine Verantwortung in der Welt. Und zwar eine einzigartige. Denn wir haben Europa und die Welt zweimal im letzten Jahrhundert mit Krieg überzogen. Wir haben eine Verantwortung, dass so ein Krieg nie wieder passiert. Und wir haben eine Verantwortung, mit dazu beizutragen, dass Atomwaffen geächtet werden. Und dieser Verantwortung müssen wir uns bewusst sein, muss unseren gewählten Repräsentanten bewusst gemacht werden.

Deshalb ruf ich heute alle auf, in diesem Wahljahr bis September, im Wahlkampf die Chance zu nutzen, die Delegierten und die Kandidaten für die Bundestagswahl in den lokalen Organisationen, vor Ort, bei Bürgertreffen anzusprechen und zu fragen, wie sie sich verhalten werden, wenn im Juni der Ächtungsvertrag zur Unterschrift bereitliegt. Wie werden sie den Druck auf diese und die zukünftige Regierung vergrößern, damit sich Deutschland an der Ächtung von Atomwaffen konstruktiv beteiligt, dass Deutschland die Ächtung von Atomwaffen nicht länger blockiert und boykottiert, sondern beitritt und weltweit engagiert mit dafür kämpft, dass diese Waffen verschwinden.

Deswegen meine Bitte an Euch alle hier, die ihr so zahlreich trotz des Regens gekommen seid, setzt Euch ein in diesem Jahr für die Ächtung der Atomwaffen ein, unterstützt uns und unsere Kampagne „Deutschland wählt atomwaffenfrei“, setzt Euch ein für den Abzug der 20 verbliebenen US-Atomwaffen in Büchel, setzt euch ein für ein Europa frei von atomarer Bedrohung und setzt euch ein für eine Welt, in der A-Waffen endlich geächtet und abgeschafft werden.

(Transcript des frei gehaltenen Redetextes)

 

Dr. Alexander Rosen ist Kinderarzt und stellv. Vorstandsmitglied der deutschen Sektion von IPPNW (Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs - Ärzte in sozialer Verantwortung) und lebt in Berlin