Redebeitrag von Christof Ostheimer (Friedensforum Neumünster) für den Ostermarsch Kiel am 15. April 2017

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Die Ostsee muss ein Meer des Friedens sein!

 

Liebe Freundinnen und Freunde, 

Als junger Mann hatte ich einen großen Reisewunsch; einmal mit meiner Ente die Ostsee zu umrunden und dabei all diese verschiedenen Länder und ihre Bewohner kennen zu lernen. Damals, das war in den 80ern, hätte ich zwei NATO-Länder, fünf Länder des Warschauer Pakts und zwei bündnisfreie Anrainerstaaten durchfahren. Es wären sicherlich viele und schwierige Formalitäten zu erledigen gewesen; heute ginge das wohl viel einfacher.

Das „mare balticum“ ist inzwischen zu einem – aus Sicht des Westens – „NATO- Binnengewässer“ geworden, nachdem die DDR 1990, Polen 1999 und die drei baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland 2004 auf die Seite des transatlantischen Militärbündnisses gewechselt sind. Die ehemals neutralen Staaten Schweden und Finnland diskutieren inzwischen intensiv über einen NATO-Beitritt, nachdem sie über „StratCom“, „NATO-Partnership for Peace“und „host Nation Support Agreement“ bereits seit einigen Jahren in die Strukturen der NATO eingebunden wurden. Auf die Bevölkerung der beiden Länder regnet seit vielen Jahren ein wahres Trommelfeuer von Bedrohungsphantasien und Warnungen hernieder vor den angeblich aggressiven Absichten Russlands, des einzig verbliebenen Ostseeanrainers, der nicht der NATO angehört. Wir erinnern uns lebhaft an die angeblich russischen U-Boote, die 2014 durch die schwedischen Gewässer geisterten, die aber, wie zwei Jahre später zugegeben werden musste, aus dem eigenen Stall kamen. Da hatten sie ihre Wirkung auf die Meinung der Schweden allerdings längst getan! Gesteuert wird diese Propagandaschlacht inzwischen von einer weiteren NATO-Einrichtung, vom „Strategic Communications Centre of Excellence“ mit Sitz in Riga, dem alle nordeuropäischen Staaten beigetreten sind.

Nach entsprechenden Beschlüssen der NATO-Ratstagungen in Wales und Warschau wurden inzwischen in Polen, in Lettland, in Estland und in Litauen jeweils sog. „Battle-Groups“ der NATO stationiert unter der jeweiligen Führung von USA, Kanada, Großbritannien und ... Deutschland! Vielleicht erinnert ihr euch an einen Cartoon (Klaus Stuttman), der vor Monaten in einigen Zeitungen abgedruckt wurde. Ein Bundeswehrsoldat schaut aus der Luke seines Leopard-Panzers vor dem russischen Grenzzaun („Russische Westgrenze“) und sagt zu seinem Kumpel: „Wenn das doch mein Opa noch hätte erleben können!“.

Am 4. März dann fand ich dann unseren „frischgebackenen“ Außenminister Sigfried Gabriel im Hamburger Abendblatt anlässlich seines Antrittsbesuchs im Litauischen Rukla mit dem Spruch zitiert: „Als ich Ende der 70er-Jahre als Zeitsoldat gedient habe, hätte ich nie gedacht, dass die Bundeswehr einmal“ (.... wieder mit Panzern an der russischen Westgrenze stehen würde ....) – nein, das hat er natürlich nicht gesagt, sondern: „hätte ich nie gedacht, dass die Bundeswehr einmal an einem multinationalen Verband teilnimmt – und schon gar nicht, dass sie den Kommandeur stellt“. Aus diesem Satz kann man sehr viel herauslesen, vor allem hinsichtlich der militärischen Rolle, in der sich das wieder erstarkte Deutschland als europäische Führungsmacht seit einigen Jahren zu sehen hat, so jedenfalls der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014.

Nachzulesen ist dies in dem seiner Aussage zugrunde liegenden Strategiepapier „Neue Macht Neue Verantwortung“ der Stiftung Wissenschaft und Politik oder auch im aktuellen Weißbuch der Bundeswehr. „Unsere Anwesenheit im Baltikum ist ein Zeichen: der Preis für eine mögliche Aggression (Russlands) soll nach oben gedrückt werden, lässt Gabriel den Presseoffizier in Rukla ausführen. „Vergrößerte Vorwärts-Präsenz“ (Enhanced Forward Presence“) laute die Mission.

Im Sommer 2016 fand in der südöstlichen Ostsee direkt vor dem Hafen von Kaliningrad das kombinierte See- und Landstreitkräftemanöver „Baltop 16“ mit 6000 Soldaten, 45 Kriegsschiffen und 60 Flugzeugen statt, einige Tage danach – in direktem zeitlichen Zusammenhang mit der Warschauer NATO-Ratstagung – ein noch größeres Manöver mit 31.000 Soldaten namens „Anakonda“. Nicht nur dieser Manövername dürfte den Russen deutlich gemacht haben, wie ihre Einkreisung durch die NATO allmählich zum „Würgegriff“ wird.

Als im Zuge von „Perestroika und Glasnost“ die deutsche Wiedervereinigung auf friedlichem Wege möglich wurde, versprachen die Westmächte den Russen, auf eine Ausdehnung der NATO in Richtung Osten zu verzichten. Michael Gorbatschow wird nicht müde, dies immer wieder zu bezeugen, auch Hans-Dietrich Genscher hat es bestätigt – niemand hat ihnen je widersprochen. Aber gebrochen wurde dieses Versprechen, und zwar mehrfach und immer wieder - bis zum heutigen Tag (Montenegro!). Man mag zum heutigen russischen Gesellschaftssystem und zum derzeitigen russischen Präsidenten stehen wie man will - die durch diese Einkreisung und Zurückdrängung hervorgerufenen Gefühle von Enttäuschung, Verletzung und Bedrohung in der russischen Bevölkerung sind real nachvollziehbar. Verantwortliche Politik kann dies nicht unbeachtet lassen, muss durch Vertrauen schaffende Maßnahmen, durch ernsthafte Kooperation das entstandene Misstrauen gegenüber Deutschland und seinen europäischen Verbündeten wieder abbauen.

Was wir jedoch in den letzten Monaten erleben, ist nicht das Verständnis für die russischen Ängste sondern für die der polnischen und der baltischen Regierungen bzw. eines größeren Teils der Bevölkerung in diesen Ländern. Mit deren Ängsten wird die Stationierung der „Battle Groups“ an der russischen Westgrenze, werden die Manöver dort und in der Ostsee begründet. Auf Grund ihrer Geschichte hätten die Balten und Polen begründete Ängste vor ihren russischen Nachbarn, davor, dass es ihnen ähnlich ergehen könnte, wie den Menschen auf der Krim bzw. in der Ukraine.

  • Gibt es denn überhaupt eine reale gesellschaftliche Situation in diesen Ländern, die der in der Ukraine des Jahres 2014 vergleichbar ist?
  • Gibt es eine enge wirtschaftliche Verflechtung mit Russland, deren Auflösung gegen russische Interessen verstoßen könnte? > Nein, gibt es nicht. Litauen, Lettland und Estland sind bereits seit 2004 als EU-Mitglieder Teil des westlichen Marktsystems.
  • Gibt es russische militärische Einrichtungen in Polen und den Baltischen Staaten, die für die Russen, z.B. als Zugang zur Ostsee bzw. zum Atlantik unverzichtbar sind? > Nein, gibt es nicht. Sie haben ihren Zugang zur Ostsee bzw. entsprechende Militärhäfen in St. Petersburg und in Kaliningrad.
  • Gibt es eine bedeutende russische Minderheit in den baltischen Staaten, die sich diskriminiert und unterdrückt fühlen könnte und aus diesem Grunde den „großen russischen Bruder“ um Hilfe bitten könnte? > Ja, die gibt es tatsächlich, und hier scheint auch „der Hase im Pfeffer“ zu liegen, wenn man nach aktuellen realen Ursachen für die vorhandenen Ängste sucht!

Schauen wir einmal genauer hin:

34% der Esten gehören der russisch-sprachigen Minderheit an, 30% der Letten und 8% der Litauer!

Geht es ihnen gut, hatten sie Teil am wirtschaftlichen Aufschwung der „Baltischen Tigerstaaten“? Sind sie integriert, haben sie die gleichen Rechte und Möglichkeiten wie die jeweilige Bevölkerungsmehrheit?

Nach den mir vorliegenden Informationen ist dies nicht der Fall.

(Ich stütze mich dabei u.a. auf ein Forschungsprojekt des Instituts ICOLAIR von RA Dr. Rolf Geffken sowie die Ausführungen des „Minderheiten-Experten“ Jan Diedrichsen in den Zeitungsausgaben des shz-Verlags vom 26.08.2015.)

Demnach gibt es in Lettland das Problem der 280.000 sog.„Nichtbürger“, die seit Jahrzehnten keine gültigen Papiere haben, und denen Einbürgerungstests abverlangt werden, die von vielen, v.a. älteren Menschen als demütigend empfunden werden. 14% der Letten gelten also als „staatenlos“ und verfügen deshalb nicht über die üblichen Bürgerrechte!

In allen drei baltischen Staaten gibt es keine politischen Vertretungsmöglichkeiten für die russisch-sprachige Minderheit, keinen „Minderheitenschutz“, wie wir ihn z.B. für unsere dänische Minderheit in Schleswig-Holstein kennen.

Von größter Bedeutung ist das Fehlen von eigenen russisch-sprachigen Medien, also Radio- und Fernsehprogrammen sowie Zeitungen, was zur Folge hat, dass die russische Minderheit auf die Medien des Nachbarlandes Russland angewiesen ist. Wir kennen dieses Problem aus unserem eigenen Land, wo Millionen türkische Migranten ausschließlich türkische – inzwischen absolut Erdogan-treue – Medien nutzen, um sich ihre Meinung zu bilden, was vermutlich nicht gerade ihr Integration in Deutschland fördern dürfte.

Mehrmals bereits wurden die EU-Länder Estland und Lettland sowohl vom UN-Sonderberichterstatter für Rassismus als auch von der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit, ebenso auch von der EU ermahnt, „die Bedingungen der russisch-sprachigen Minderheit zu verbessern“ und die EU-Richtlinie über Rassengleichheit in nationales Recht umzusetzen. Doch es tut sich wenig.

Wenn es nicht dazu kommen soll, dass sich die russische Minderheit im Baltikum gegen ihre eigenen Staaten und stattdessen an den russischen Nachbarn wendet, also die berühmt/berüchtigte „Hilfe vom großen Bruder“ erbittet, müssen die vorhandenen Konfliktlinien bearbeitet, muss der Diskriminierung der russischen Minderheit ein Ende gesetzt werden. Dazu braucht es jedoch weder Soldaten der anderen NATO-Staaten noch die modernsten Waffensysteme aus westlicher Produktion. Dazu braucht es das Hilfsangebot staatlicher und zivilgesellschaftlicher Organisationen der EU-Partner an die Balten, ihre Erfahrungen des Minderheitenschutzes und der Integration ethnischer Minderheiten weiterzugeben und so zur Lösung des Konflikts in den Baltischen Staaten beizutragen. Dies muss unbedingt unter Einbeziehung des russischen Nachbarlandes geschehen, damit es im weiteren Verlauf erst gar nicht zu einem zwischenstaatlichen Konflikt zwischen Russland und seinen westlichen Nachbarn kommen kann!

Ich stelle mir also einen Bundespräsidenten Steinmeyer vor mit seinen langjährigen außenpolitischen Erfahrungen, einen zukünftigen Bundeskanzler Schulz mit seinen europapolitischen Erfahrungen, genauso aber auch eine Bundeskanzlerin Merkel und einen Außenminister Gabriel, die mit solchen Hilfsangeboten an ihre östlichen Partner herantreten.

Und ich stelle mir eine zukünftige Landesregierung in Schleswig-Holstein vor, die sich als „Küstenland“ dafür einsetzt, dass die Ostsee ein „Meer des Friedens“ bleibt bzw. wird.

Im gegenwärtigen Landtagswahlkampf stelle ich gemeinsam mit euch Ostermarschierern hier in Kiel die Forderung auf:

Von Schleswig-Holstein darf kein Krieg ausgehen!

d.h.

  • Der Export von Rüstungsgütern aus Schleswig-Holstein, seien es U-Boote und Panzerteile aus Kiel oder Handfeuerwaffen aus Eckernförde muss beendet werden. Die Produktion muss umgestellt werden auf zivile, auf nachhaltige Güter!
  • Statt eines Ausbaues der Bundeswehrstandorte in den Fördestädten und im Landesinneren müssen die entsprechenden Liegenschaften einer strukturell sinnvollen und ökologisch verträglichen Nutzung zugeführt werden. 
  • Insbesondere ist zu verhindern, dass im Fliegerhorst Schleswig-Jagel bewaffnete Kampfdrohnen „stationiert“ bzw. von dort aus gesteuert werden. Auch die Ausbildung von Tornado-Piloten  für sog. „Aufklärungsflüge“ in den Kriegsgebieten des Nahen Ostens ist abzulehnen. (Wozu diese „Aufklärung“ führt, wurde gerade erst durch die Bombardierung einer syrischen Schule durch den US-Bündnispartner deutlich, bei der mind. 33 Zivilisten ihr Leben verloren haben sollen.)
  • Schließlich sind die Großmanöver „Red Griffin/Colibri50“, die von 9. bis 18. Mai in Schleswig-Holstein stattfinden sollen, abzulehnen. Die geplanten Luftlandeübungen der „Division schnelle Kräfte“, an der insgesamt 3500 Soldaten, davon 600 Fallschirmjäger beteiligt sein sollen, können nur als Vorbereitung eines Angriffskrieges gewertet werden. Dafür darf Schleswig-Holstein keinen Raum bieten!

Keine Wahlkampfveranstaltung zu den Landtags- und den Bundestagswahlen, in denen wir die Parteien und ihre Kandidat*innen nicht mit unseren Forderungen konfrontieren!

 

Dr. Christof Ostheimer ist aktive beim Friedensforum Neumünster.