Redebeitrag von Martina Renner (MdB Die Linke) für den Ostermarsch Thüringen in Jena am 15. April 2017

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

- Sperrfrist: 15.04., Redebeginn ca. 11 Uhr –

 

Liebe Engagierte für Frieden und Abrüstung,

jede und jeder Einzelne von Ihnen und Euch, die heute in Jena auf die Straße für Frieden und Abrüstung gehen, zählt. Doch warum sind wir so wenige? Warum sind so viele andere Menschen so ungerührt – trotz tausender Toter, die bei der Flucht übers Mittelmeer ertrinken, trotz der Toten von Giftgasangriffen und Bombardements in Syrien, im Jemen – um nur zwei Beispiele zu nennen? Offenbar lassen sich viele Menschen von nichts mehr bewegen, anrühren oder berühren.

Ich bin inzwischen der Überzeugung: Wenn die Friedensbewegung als politische Kraft und ernstzunehmende Bewegung zurückkehren möchte, dann muss sie aufhören über Krieg, Rüstung und Militarismus als geostrategisches Spiel der Weltmächte zu sprechen. Die bipolare Welt der 1980er ist Geschichte. Es geht nicht mehr gegen einen einzigen Kriegsherrn, gegen ein System, gegen eine Macht. Wenn wir in die Region von Libyen bis Jemen schauen, so muss doch allen klar sein: Eine emanzipative und konsequente Friedensbewegung muss allen imperialen Bestrebungen - der USA unter Donald Trump, von Russland unter Vladimir Putin und der Türkei unter Recep Tayyib Erdogan - entgegentreten. Wir müssen die Menschenwürde und die Freiheit auch gegen den Islamischen Staat ebenso wie gegen das Regime von Bashar al Assad verteidigen. Wir schlagen uns nicht auf die Seite eines Kombattanten, sondern unser Fokus sind die Opfer, die Verfolgten, die Entrechteten. Unsere Bündnispartner sind Deserteure, Dissidenten, FreiheitskämpferInnen in Rojava, Whistleblower, MenschenrechtsaktivistInnen, FluchthelferInnen.

Lasst uns Fragen stellen und ernsthaft diskutieren: Mit wem wollen wir gemeinsam kämpfen? An wessen Seite stellen wir uns? Das können doch keine Staaten sein, schon gar keine autoritären Staaten und Präsidenten.

Wir sollten zurück an den Anfang jeder Antikriegs-Bewegung. Das Erste, was geschehen muss ist: Das Morden und Sterben zu beenden. Lasst uns den Fokus verändern. Wir können Friedenskonferenzen fordern, über die Rolle der UN streiten, die Frage nach dem Cui bono stellen. Schauen wir auf den Kriegsplatz im Nahen und Mittleren Osten. Deutschland profitiert von diesen Kriegen. Rüstungsexporte von mehr als 2,7 Milliarden Euro lieferte zuletzt die BRD in die Länder des arabischen Krisengürtels. Waffen, die an die kurdischen Peshmerga geliefert wurden, landeten beim IS, Rheinmetall will einen riesen Panzerdeal mit der Türkei abschließen. Panzer für den Despoten Erdogan. Panzer, die gegen die kurdische Bevölkerung eingesetzt werden; wie schon einmal in den 90ern. Gerngesehene Kunden sind z.B. auch die Folter-Staaten Katar und Saudi-Arabien. Deutschland ist so Teil eines globalen Angriffs auf die Menschenrechte.

Die Anti-Atom-Bewegung hat irgendwann erkannt: Will ich, dass die AKWs stillgelegt werden, so muss ich deren Logistik stören. Deshalb haben wir uns bei Castor-Transporten quer gestellt und die Kosten für die Energie-Multis hochgetrieben. Wo ist die Achilles-Ferse im Krieg? In der Verfügbarkeit von Waffen und Munition. Wir rufen: „Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt“ Dieser Slogan ist richtiger denn je. Wollen wir als Friedensbewegung Erfolg haben, dann müssen wir diese Parole übersetzen. Wer sind die Profiteure, wie sind die Lieferwege, wer trägt politisch Verantwortung? Und dann den Weg zum Ausstieg beschreiben. Kämpferisch und konstruktiv. Vor den Rüstungskonzernen demonstrieren, die Versammlungen der Aktionäre stören, das Verladen von Waffen blockieren. Und unseren Gestaltungsanspruch deutlich machen. Wie könnte Konversion mit den Beschäftigten und nicht gegen diese funktionieren? Was muss sich gesetzlich ändern, welche Fördermittel bräuchte es?

Lasst uns hier in Jena, hier in Thüringen Teil dieses Prozesses sein. Das Land verdient über seine Aktien, die es am Konzern Jenoptik hält am Krieg. Das ist richtig. Aber was machen wir mit dieser Feststellung? Ohne einen breiten gesellschaftlichen Dialog unter Einschluss aller Beteiligter, insbesondere derjenigen, die um ihre Arbeitsplätze bangen, wird es nicht gehen. Wir brauchen die Gewerkschaften und wir brauchen Expertise.

Wir müssen das Feld der Auseinandersetzung weit aufstoßen. In Zeiten, in denen die Bundeswehr zum Cyber-War rüstet, geht es nicht mehr nur um Panzer und Haubitzen. Es geht um Schadsoftware, Trojaner, Überwachungstechnik. Unser Begriff von Waffen muss sich ändern. Unser Begriff von Krieg vielleicht auch. Auch der Krieg gegen die Armen, die Verzweifelten, die Flüchtlinge, wie er mit deutscher Hilfe rund und auf dem Mittelmeer stattfindet, ist ein Krieg. Die Friedensbewegung muss auch eine Flüchtlings-Solidaritäts-Bewegung sein. Wir dulden unter uns keine Rassisten und niemanden, der oder die Grenzen und Mauern bauen wollen. Wir sind Teil einer Gegenerzählung zu Donald Trump, Marine Le Pen, Victor Orban und Frauke Petry. Eine friedlichere Welt kann nur in Solidarität und Freiheit erwachsen. Das ist die Auseinandersetzung und Herausforderung unserer Zeit und sie ist nicht einfach. Wir haben keine Gewissheit, wie sie ausgeht, aber wir werden uns ihr stellen.

 

Martina Renner ist Bundestagsabgeordnete für die Partei Die Linke.