Redebeitrag von Murat Cekir für den Ostermarsch OWL/Senne in Bielefeld am 15. April 2017

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

- Sperrfrist: 15.04., Redebeginn ca. 11 Uhr –

 

Nein zu Krieg! Die Waffen nieder!

 

Liebe Freundinnen und Freunde des Friedens!

Erlauben Sie mir mit einem Dank zu beginnen – nicht nur für die Möglichkeit hier reden zu dürfen. Ich möchte jeden Einzelnen von Ihnen danken, weil Sie es sich nicht nehmen lassen, sich für Frieden einzusetzen und Nein sagen gegen Kriege in jedweder Form. Dieses Engagement macht Mut. Lassen Sie sich von der Berichterstattung der Mainstream-Medien nicht beirren, die wieder berichten werden, die Teilnahme an den Ostermärschen sei zurückgegangen. Lassen Sie sich auch nicht von jenen Kriegstreibern entmutigen, die seit Tagen den völkerrechtswidrigen Raketenangriff der USA auf Syrien bejubeln und noch mehr fordern. Auch wenn der Gasangriff in Syrien, ein Kriegsverbrechen in aller Schärfe zu verurteilen ist, ändert das nichts an der Tatsache, dass der Angriff der USA ein krimineller Akt ist. Glauben Sie nicht den Aussagen, die Weltöffentlichkeit würde diese Bombardierung gutheißen. Selbst nach jahrelanger Dauerpropaganda ist es den Rüstungsprofiteuren und ihren politischen Vertretern nicht gelungen, die überwiegende Mehrheit in unserem Land von dem Unfug zu überzeugen, die Bundesrepublik müsste am Hindukusch verteidigt werden. Den Kriegstreibern ist es immer noch nicht gelungen, die Bevölkerung umzustimmen, wieder in Reih und Glied mitzumarschieren. Über 70 Prozent der Menschen in unserem Land wollen keine Kriege und wir, die wieder an Ostertagen auf die Straßen gehen, sind ihr Sprachrohr. Die Ostermärsche sind die Stimme des Friedens. Von ganzen Herzen danke ich Ihnen daher, weil Sie ihren Beitrag leisten, damit die Stimme des Friedens nicht verstummt.

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

wir bleiben dabei: Krieg schafft keinen Frieden. Mehr Waffen und mehr Militär verschärfen die weltweiten politischen Probleme und humanitäre Katastrophen. Kriege, angeheizt mit Waffen aus deutscher Produktion treiben Millionen in die Flucht, verursachen Armut und Elend, zerstören die Umwelt. Die Folgen der Kriege, der ökonomischen und politischen Instabilitäten sind verheerend – nicht nur in den Krisenregionen. Auch in Europa werden wir davon betroffen: immer mehr Menschen verlieren ihre Existenzgrundlage, die gesellschaftliche Spaltung vertieft sich und bereitet so den Nährboden für reaktionäre Lösungsmuster. Die verantwortliche Politik facht dieses Feuer weiter an. Während immer breitere Bevölkerungsteile unter der unsozialen Kürzungspolitik zu leiden haben, wird gleichzeitig immer mehr Geld in Rüstungsprojekte und Militarisierung gepumpt.

Die Begründung dafür hören und lesen wir jeden Tag in den Medien: Wie der alte, so auch der neue Bundespräsident, die Bundesregierung und die politische Mehrheit im Deutschen Bundestag werden nicht müde uns zu erklären, dass »Deutschland Verantwortung für die Welt« übernehmen müsse. So wird aus der Phrase »Mehr Macht, mehr Verantwortung« ganz konkret:

  • Ein neuer Rekord der deutschen Rüstungsexporte
  • Ein Aufrüstungsprogramm von 130 Milliarden Euro bis 2030
  • Die Verdoppelung des Rüstungshaushaltes auf 70 Milliarden Euro im nächsten Jahrzehnt
  • Die Stationierung der Bundeswehr an der Grenze zu Russland
  • Die Aufstellung einer schnellen Eingreiftruppe für Osteuropa, deren »Speerspitze« die Bundeswehr übernehmen soll
  • Kriegsbeteiligung im Irak und in Syrien
  • Aufbau einer EU-Armee
  • Ausweitung der Auslandseinsätze der Bundeswehr u. v. a.m.

Wenn wir das alles kritisieren, wird uns entgegnet: »Wir müssen uns aber vor dem Terror schützen«. Nun, auch wir wissen, dass die Welt unsicherer geworden ist. Auch wir sind bestürzt über die feigen Terroranschläge der letzten Zeit. Alleine in diesem Jahr fanden 26 Terroranschläge statt, denen hunderte von Menschen zum Opfer gefallen sind. Ohne Frage: die letzten Anschläge zeigen, dass der Krieg längst in Europa angekommen ist – denn nichts anderes ist der Terror.

Aber unabhängig davon, wer diese Anschläge ausübt, stellt sich die Frage, was die wahren Ursachen des Terrors sind. Darauf sagen wir: wer das Völkerrecht beugt, wer seit Jahrzehnten weltweit Kriege um Öl und Gas führt; wer jihadistische Terroristen, die in Syrien oder im Irak Zivilisten töten, »Rebellen« nennt, trägt Mitverantwortung, wenn eben diese »Rebellen« ihren Terror nach Europa tragen. Wer aus reinem Profitinteresse Staaten wie Saudi Arabien oder Katar, die überall jihadistische Terrorbanden finanziell und logistisch unterstützen, Waffen verkauft und deren Politik verharmlost, zu ihren Kriegen – wie in Jemen – schweigt, ist für den Terror mitverantwortlich. Es steht fest: wer Waffen exportiert und Kriege anzettelt, wird unweigerlich Terror importieren. Denn Krieg ist Terror und Terror ist Krieg – hier und überall und immer gegen die Bevölkerung.

 

Freundinnen und Freunde!

Der sogenannte »Krieg gegen den Terror«, an dem auch Deutschland beteiligt ist, hat bisher mehr als 1,5 Millionen Menschenleben gefordert. Den Terror kann man nicht mit mehr Terror bekämpfen. Deshalb müssen wir laut Nein sagen: Nein zu Krieg, zu Rüstungsexporten und zu politischem Säbelrasseln! Die Waffen nieder! Deshalb müssen wir der Militarisierung Europas und der NATO ein klares Nein entgegenstellen. Denn NATO ist und war nie Teil der Lösung, sondern immer des Problems.

Anstatt sich aufzulösen, hat die NATO ihre Maske vom Verteidigungspakt abgelegt und sich zu einem aggressiven Kriegsbündnis entwickelt. Die NATO führt und zettelt völkerrechtswidrige Kriege an, steht überall dort, wo sie nicht hingehört und ist Verantwortlich für weltweite Aufrüstung und Konfrontation. Erinnern wir uns: Der Zerschlagung Jugoslawiens und den Angriffskriegen gegen Irak und Afghanistan folgte 2011 der Überfall auf Libyen. Damit begann eine weitere Kriegsrunde – insbesondere im Nahen und Mittlerem Osten. Seit dem versuchen NATO-Staaten und deren Verbündete den syrischen Staat zu zerschlagen. Die sogenannte »Anti-IS-Koalition« sollte uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass es NATO-Staaten und despotische NATO-Verbündete selbst waren, die den sogenannten »IS« und andere Terrorbanden mit Waffenlieferungen und militärischer Ausbildung aufgebaut haben.

Gerade der NATO-Staat Türkei versucht mit aller Macht das Assad-Regime zu stürzen und Autonomiebegehren der syrischen Völker zu verhindern. Dabei ist ihr jedes Mittel recht. Es bewahrheitet sich wieder: Im Krieg stirbt zuerst die Wahrheit. Man will uns weiß machen, dass die Türkei gegen den »IS« vorgehe. Doch Erdogan und seine Regierung instrumentalisieren die Gewalt in Syrien für ihren schmutzigen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung. Mehr noch: inzwischen haben die Herrschenden in der Türkei der gesamten Bevölkerung den Krieg erklärt.

Staatlicher Terror, Repressalien, Verhaftungswellen, Willkürjustiz, extralegale Hinrichtungen, Verhinderung der Presse- und Meinungsfreiheit begleiten Erdogans »totalen Krieg«. Abgeordnete, kommunale Mandatsträger*innen, kritische Journalist*innen und Wissenschaftler*innen sind in Haft und oppositionelle Medien zerschlagen. In dieser Situation wird am morgigen Sonntag das Verfassungsreferendum stattfinden. Unter den Verhältnissen des fortwährenden Ausnahmezustandes und eines faktischen Unrechtsstaats findet eine Abstimmung statt, die den Weg zur Installation einer Diktatur ebnen soll.

NATO-Staaten, vor allem die USA und Deutschland nehmen das Treiben des türkischen Staates hin. Zur Wahrung ihrer geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen unterstützen sie die türkischen Kriegstreiber. Gerade die Bundesregierung setzt mit der weiteren Kriminalisierung kurdischer Organisationen, Betätigungsverboten und Verhaftungen die AKP-Politik gegen die linke Opposition in Deutschland eins zu eins um. Wir sollten uns von der veröffentlichten Kritik deutscher Politik an Erdogan nicht täuschen lassen: denn die gemeinsamen Interessen überwiegen weiter. Die Zusammenarbeit zwischen deutscher und türkischer Regierung gedeiht prächtig, der »Flüchtlingsdeal« steht und deutsche Rüstungskonzerne können weiterhin über die Türkei die Rüstungsexportrichtlinien umgehen. Es hat nicht nur den Anschein, dass von der Bundesregierung an der südöstlichen Flanke Europas nicht eine demokratische Türkei, deren Regierung sich an Frieden und sozialer Gerechtigkeit orientiert, Grundrechte achtet und neoliberale Diktate wie militaristische Strategien hinterfragt, sondern eine Diktatur, die gewillt ist, politische und ökonomische Erwartungen deutscher Konzerne zu erfüllen, als ein viel »besserer« Partner angesehen wird – egal, ob daran Menschen zugrunde gehen oder nicht.

 

Freundinnen und Freunde!

Diese Politik, die Interventionskriege, die Militarisierung aller Lebensbereiche stehen in einem, unmittelbaren Zusammenhang mit Wirtschaftsinteressen und den globalen Durchsetzungsversuchen eines autoritären Neoliberalismus. Diese aber stehen im krassen Widerspruch zu den Lebensinteressen der Menschheit. Freier Zugang zu Rohstoffen und Energiequellen, der Ausbau von Freihandelszonen, die Beschäftigung zu Billigstlöhnen und die Dominanz des Westens bedeuten für Konzerne und Kapitaleignern mehr Profit und mehr Reichtum. Was aber einer Minderheit Reichtum verspricht, bedeutet für Milliarden ein Leben unter der Armuts- und Hungergrenze. Es bedeutet Krieg, Folter, Hunger, Vertreibung und den Tod. Ohne völkerrechtswidrige Kriege, ohne das Anheizen von Konflikten, ohne Raubbau an der Natur und ohne Ausbeutung kann eine solche Weltordnung nicht aufrechterhalten werden.

Deshalb werden ethnische und religiöse Konflikte geschürt, das Völkerrecht verletzt, jihadistische Terrorbanden und despotische Regime unterstützt. Deshalb die Rüstungsexporte und Auslandseinsätze. Deshalb wird die Konfrontation gegen Russland fortgesetzt, Strategien für die »Erlangung von nuklearen und konventionellen Fähigkeiten« entwickelt und ein Krieg in Europa einkalkuliert. Und deshalb wird in der Pazifik-Region das Säbelrasseln fortgeführt.

Angesichts dieser NATO-Aggression können die Phrasen von »Sicherheit«, »Krieg gegen den Terror« oder »Interventionen zur Wahrung von Menschenrechten« nur als reine Kriegspropaganda klassifiziert werden. Und es ist ein nicht mehr zu überbietender Zynismus, wenn diese Politik durch Sammelabschiebungen von Asylbewerbern in Bundeswehr-Kriegsgebiete wie Afghanistan und Forderungen nach noch mehr Abschottung auf die Spitze getrieben wird. Keine Frage, liebe Freundinnen und Freunde, NATO, Kriege, Auslandseinsätze, Militarisierung, Rüstungsexporte und Abschottung sind nicht in unserem Interesse. Aber Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Frieden sind es. Doch ohne Einsatz, ohne das Engagement für den Frieden und ohne ein klares Nein sind sie es nicht zu bekommen. Erinnern wir uns an die Worte Wolfgang Borcherts. 1947 schrieb er:

 

»Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen - sondern Stahlhelme und Maschinengewehre, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!

Du. Forscher im Laboratorium. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst einen neuen Tod erfinden gegen das alte Leben, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!

Du. Pfarrer auf der Kanzel. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst den Mord segnen und den Krieg heilig sprechen, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!

Du. Pilot auf dem Flugfeld. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Bomben und Phosphor über die Städte tragen, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!

Du. Mutter in der Normandie und Mutter in der Ukraine, du, Mutter in Frisko und London, du, am Hoangho und am Mississippi, du, Mutter in Neapel und Hamburg und Kairo und Oslo - Mütter in allen Erdteilen, Mütter in der Welt, wenn sie morgen befehlen, ihr sollt Kinder gebären, Krankenschwestern für Kriegslazarette und neue Soldaten für neue Schlachten, Mütter in der Welt, dann gibt es nur eins: Sagt NEIN! Mütter, sagt NEIN!«

 

Eben deshalb gilt es heute mehr denn je: Dieses Land braucht mehr Widerstand. Gegen Kriege, Kriegsvorbereitungen und Rüstungsexporte! Gegen die NATO, die nukleare Komplizenschaft mit den USA und gegen Auslandseinsätze! Für Solidarität mit den Geflüchteten, für soziale Gerechtigkeit, Gleichheit, Demokratie und für Frieden. Es lohnt sich allemal dafür zu kämpfen!

Dafür, dass Sie es heute tun und hier stehen, danke ich Ihnen von Herzen. Uns allen friedliche Ostertage!

 

Murat Çakır ist Publizist und Politiker und arbeitet für die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Hessen.