Redebeitrag von Otmar Steinbicker (aixpaix.de) für den Ostermarsch Kaiserslautern am 15. April 2017

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

- Sperrfrist: 15.04., Redebeginn: ca. 10 Uhr -

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

wir schauen in diesen Stunden mit Bangen in Richtung auf die koreanische Halbinsel. Noch nie seit der Kubakrise 1962 waren wir so nah an einem ersten Einsatz von Atomwaffen seit den Bombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945. Vorgestern am Gründonnerstag testete die US-Armee den Einsatz ihrer größten nichtatomaren Bombe in Afghanistan. Dieser Test muss im Zusammenhang mit der Zuspitzung der Krise um Nordkorea gesehen werden.

In dieser Situation ist es gut und notwendig, dass wir hier zusammenstehen und unsere Stimme erheben gegen den Krieg.

Wir haben erst vor wenigen Tagen eine neuerliche Verschärfung des Syrienkrieges erlebt. Am 4. April wurden in der Provinz Idlib bei einem Giftgasangriff erneut mehr als 80 Menschen bestialisch getötet. Die Verantwortlichen gehören vor den Internationalen Strafgerichtshof, der ihre Schuld festzustellen und das Strafmaß festzulegen hat. Das gebietet das Völkerrecht und das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Wenn sich jetzt mehrere Tatverdächtige, die syrische Regierung und die Rebellen, die den Terrororganisationen Al Kaida oder IS nahestehen, sich gegenseitig der Tat bezichtigen, dann muss die UNO Kontrolleure nach Syrien schicken, die vor Ort ermitteln, wer für das schreckliche Verbrechen verantwortlich ist, damit die Richtigen zur Rechenschaft gezogen werden. Zu bombardieren, ohne zu fragen, wie US-Präsident Trump es tat, ist ein Bruch des Völkerrechts. Und die Bundesregierung, die dem Beifall zollt, weiß das. So wie sie handelt, trägt sie ihren Teil zur weltweiten Eskalation bei. Ihr Beifall bestärkt Trump in seinem Handeln. Das gilt auch für sein Handeln in Richtung Nordkorea. Auch das weiß die Bundesregierung und sie muss sich ihrer Verantwortung in Zeiten der Eskalationen bewusst sein.

Syrien und die koreanische Halbinsel brauchen dringend Frieden. Aber Militär kann keinen Frieden schaffen. Militär kann Friedhöfe schaffen für die Opfer militärischer Gewalt. Frieden, das ist eine politische Lösung der Versöhnung mit der die Überlebenden militärischer Gewalt nach einem Krieg weiterleben können müssen. Eine solche politische Lösung der Versöhnung kann nicht mit militärischer Gewalt erzwungen werden. Dass eine  solche politische Lösung der Versöhnung in Syrien nach sechs Jahren blutigem Bürgerkrieg und vielfältigen, teils wechselnden Fronten nicht einfach zu erreichen ist, sollte verständlich sein. Notwendig ist sie dennoch. Solange es diese Lösung nicht gibt, solange wird es weiterhin sinnloses Morden geben.

Wenn Friedensbewegung angesichts der Brutalität des Krieges in Syrien aktiv werden will, dann kann sie sich nur im Sinne einer solchen politischen Lösung der Versöhnung engagieren und nicht, in dem sie sich auf die Seite einer der Kriegsparteien schlägt. Die Kampagne MACHT FRIEDEN hat am Mittwoch eine Petition unter der Überschrift „NEIN zum Bundeswehreinsatz in Syrien – JA zu zivilen Lösungen“ zur Unterzeichnung vorgelegt. Dieser Ansatz geht in die richtige Richtung.

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

wer in Kaiserslautern beim Ostermarsch spricht, darf zu Ramstein nicht schweigen. Die Ramstein Air Base ist schließlich das Hauptquartier der United States Air Forces in Europe, der United States Air Forces Africa sowie das Hauptquartier des Allied Air Command Ramstein. Von hier aus werden die Drohnen-Anschläge in Afghanistan, Pakistan, Irak, Somalia und dem Jemen koordiniert. Sie wissen all das und nicht wenige von Ihnen haben bereits gegen diese Air Base protestiert und demonstriert, als es noch keine Drohnen gab. Auch wenn die terroristischen Drohnen-Anschläge besonders spektakulär und verurteilenswert sind, so ist die Ramstein Air Base doch mehr als nur die Steuerungsbasis für die Drohnen.

Von Ramstein aus, das ging bereits vor fünf Jahren durch die Presse, wird der geplante Raketenschild der Nato gesteuert werden. Raketenabwehr, das klingt ja defensiv, hört sich nach Verteidigung und nicht nach Angriff an, mögen damals viele gedacht haben. Also in diesem Fall kein Grund zur Besorgnis?

Vielleicht werden sich einige von Ihnen, die schon an den Ostermärschen der frühen 1980er Jahre teilgenommen haben, erinnern, dass im Sommer 1980 in der führenden außenpolitischen Fachzeitschrift der USA „Foreign Policy“ ein Aufsatz erschien unter dem Titel „Victory is possible“ – Sieg ist möglich. Gemeint war ein Sieg im Atomkrieg.

Lassen Sie mich ein par Sätze aus der deutschen Übersetzung dieses Aufsatzes vorlesen:

„Wenn die atomare Macht der USA dazu dienen soll, den außenpolitischen Zielen der USA zu dienen, dann müssen die Vereinigten Staaten in der Lage sein, rational Atomkrieg zu führen.“

„Die Vereinigten Staaten sollten planen, die Sowjetunion zu besiegen und dies zu einem Preis, der eine Erholung der USA erlauben würde. Washington sollte Kriegsziele festlegen, die letztendlich die Zerstörung der politischen Macht der Sowjets und das Entstehen einer Welt-Nachkriegsordnung, die den westlichen Wert-Vorstellungen entspricht, in Betracht ziehen.“

„Eine Kombination von offensivem Entwaffnungsschlag, Zivilschutz und einem Abwehrsystem gegen ballistische Raketen bzw. Luftabwehr müssten die US-Verluste so niedrig halten, dass ein nationales Überleben und Wiederaufbau möglich sind.“

Lassen Sie mich hinzufügen, dass die Autoren dieses Aufsatzes die Zahl von 20 Millionen toten Amerikanern in einem solchen Atomkrieg für akzeptabel hielten.

Gibt es solche Überlegungen heute noch oder wieder in den USA oder sind das Horrorszenarien aus dem Geschichtsbuch, ebenso Vergangenheit sind wie die einstmals starke Sowjetunion? Eine solche Frage ist nicht einfach zu beantworten.

2012 sagte mir der Friedensforscher Giorgio Francescini von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) auf meine Frage nach den Zielen der aktuellen Atomwaffenmodernisierung, für die Präsident Trump jetzt weitere 1 Billionen Dollar ausgeben will: Die künftigen zielgenaueren US-Atomraketen mit einer höheren Reichweite und einer höheren Zuverlässigkeitsrate seien in Kombination mit einem wirksamen Raketenabwehrsystem für einen Erstschlag geeignet. Sie hätten „eine weit über neunzigprozentige Chance, die russischen und chinesischen Nuklearstreitkräfte in einem Erstschlag zu vernichten, ohne dabei selbst nennenswerten Schaden zu nehmen.“

Es gibt ihn also wohl noch immer, diesen illusionären Traum von einem „Sieg im Atomkrieg“ und wenn es ihn gibt, dann wäre die von Ramstein ausgehende Steuerung der NATO-Raketenabwehr ein nicht unwesentliches Element seiner Realisierung.

Mit einer Neuauflage von atomaren Erstschlagstrategien dürfte auch die Neuauflage der Stationierung von Mittelstreckenraketen mit entsprechend geringer Vorwarnzeit verbunden sein. Es sei „womöglich nur eine Frage der Zeit, bis erste Stimmen nahelegen, den INF (Intermediate Range Nuclear Forces)-Vertrag aufzukündigen und landgestützte nukleare Mittelstreckenraketen in Europa zu stationieren“, warnte im September 2016 die Studie „Amerikanische Russland-Politik und europäische Sicherheitsordnung“ der Stiftung Wissenschaft und Politik. Knapp einen Monat später erschien am 19.10.2016 in der „New York Times“ ein langer Bericht mit Vorwürfen US-amerikanischer Militärs, wonach Russland den INF-Vertrag verletze. Der Tenor dieses Artikels bestand allerdings nicht darin, Russland zur Einhaltung des Vertrages zu ermahnen, sondern eigene Rüstungsprojekte zu rechtfertigen.

Erinnern wir uns: Mit dem vor 30 Jahren im Dezember unterzeichneten INF-Vertrag wurde erstmals eine ganze Waffenkategorie, die landgestützten atomaren Mittelstreckenwaffen zwischen 500 und 5000 Kilometer Reichweite, verboten und schließlich verschrottet. Damit war ein hochgefährliches Element der Atomkriegsgefahr gebannt. Dass dieser Vertrag möglich wurde, daran hatten auch wir als Friedensbewegung unseren Anteil. Das war auch unser Erfolg!

Bedenken wir: Die Beziehungen zwischen den USA und Russland haben sich seit den 1990er Jahren massiv verschlechtert. Dabei ging gegenseitiges Vertrauen verloren, das über Jahrzehnte mühsam aufgebaut wurde. Wichtige Rüstungsbegrenzungs- und Abrüstungsverträge die als Konsequenz aus der Kubakrise 1962, als die Welt nur knapp einem Atomkrieg entkam, vereinbart wurden, wurden inzwischen gekündigt.

Hier müssen wir die Bundesregierung drängen, auf die USA und Russland einzuwirken, damit die Regierungen beider Staaten wieder auf Transparenz, Rüstungskontrolle und Berechenbarkeit setzen. Mit realen oder als Bedrohungsszenarien wahrgenommenen Atomkriegsplänen und -szenarien und dazu geeigneten Waffen lässt sich keine Sicherheit schaffen. Damit lassen sich allenfalls Rechtfertigungen für neue gefährliche Aufrüstungsprogramme zusammenbasteln.

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

wir stehen heute, ob wir das wollen oder nicht, vor einer Neuauflage der Atomkriegsdebatte der frühen 1980er Jahre.

Damals hatten wir eine starke Friedensbewegung und wir brauchen für diese Debatte erneut eine starke Friedensbewegung. In den 1980er Jahren bestand die Stärke der Friedensbewegung nicht nur darin, dass Hunderttausende auf die Straße gingen, sondern vor allem darin, dass die Friedensbewegung mit ihren Argumenten überzeugen konnte. Dazu gehörten Glaubwürdigkeit und Sachkenntnis. Dazu gehörten damals auch neue, buntere Formen des Auftretens.

Wenn wir heute über eine Stärkung der Friedensbewegung nachdenken, dann sollten wir uns daran erinnern. Eine Friedensbewegung, die rechtsextreme Aktivisten in ihre Reihen aufnimmt, wäre nicht glaubwürdig. Da, wo das ab 2014 ansatzweise geschah, hat das der Friedensbewegung massiv geschadet.

Und über neue Formen des Auftretens müssen wir auch nachdenken. Junge Menschen kommunizieren heute anders als wir in unserer Jugend in den 1980er Jahren. Wenn wir sie erreichen wollen, dann müssen wir auch in der Lage sein, sie anzusprechen.

1983 erreichte die Friedensbewegung Erstaunliches: Auch in der Bundeswehr setzte erkennbar Nachdenken ein. Als sichtbares Zeichen gründete sich der Arbeitskreis „Darmstädter Signal“, in dem Offiziere ihre Sorgen und ihre Ablehnung der damaligen Atomwaffenstationierung zum Ausdruck brachten. Am Monatsanfang diskutierten diese kritischen Soldaten vom „Darmstädter Signal“ über die Gefahren der derzeitigen Atomwaffenmodernisierungen in den USA und Russland. Sie gehören mit ihrem Fachwissen dieses Mal zu den Vorreitern in der beginnenden Debatte. Ich gehöre als Pazifist zum Förderkreis des „Darmstädter Signal“ und darf Sie herzlich grüßen.

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

wir haben zu tun, packen wir es an!

 

Otmar Steinbicker ist ehem. Vorsitzender des Aachener Friedenspreis, heute Herausgeber des Friedensmagazins "aixpaix.de" und regelmäßiger Kolumnist in den "Aachener Nachrichten".