Redebeitrag von Eugen Drewermann für den Ostermarsch Berlin am 31. März 2018

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde des Friedens,

es gibt keinen Tag, an dem es geeigneter wäre, über den Sieg des Lebens über den Tod, also auch vom Sieg des Friedens über den Krieg zu reden, als an diesem Tag vor Ostern. Wir sind heute hierhergekommen, um zu demonstrieren für den Frieden und zu protestieren gegen den Krieg.
Im Jahre 1779 gab es einen protestantischen Pfarrer in Hamburg: ein Christ, ein Dichter, ein verantwortlicher Mensch, Matthias Claudius, der ein Kriegslied schrieb, das naturgemäß sein mußte ein Anti-Kriegs-Lied und hineingemeißelt ist in die Geschichte. Mit Worten, die unvergeßlich sind, weil sie – solange Krieg wütet – recht behalten im Kampf gegen die Unmenschlichkeit. Eine Mahnung für alle Ex-Pastöre, die Bundespräsidenten wurden und uns erklärten, daß wir nicht bereit sind, genü­gend Verantwortung im (für) Tod und im Morden zu führen (üben) auf den Schlachtfeldern der Welt.
Ein Menetekel auch für Pastorentöchter, die immer noch dabei sind zu glauben, daß wir an der Seite der Vereinigten Staaten von Amerika dem Frieden günstig wären.
Matthias Claudius schrieb in Worten der Verzweiflung, der Klage und der Anklage, der Frage und Infragestellung, leidenschaftlich, hilflos, wütend, emphatisch, also auszusprechen:

's ist Krieg! 's ist Krieg! O Gottes Engel wehre,
Und rede du darein!
's ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blaß,
Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?

Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,
Verstümmelt und halb tot
Im Staub sich vor mir wälzten, und mir fluchten
In ihrer Todesnot?

Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,
So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Wehklagten über mich?

Wenn Hunger, böse Seuch' und ihre Nöten
Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammelten, und mir zu Ehren krähten
Von einer Leich herab?

Was hülf mir Kron' und Land und Gold und Ehre?
Die könnten mich nicht freun!
's ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

Alles, was nötig ist zu sagen, steht in diesem Gedicht, in diesem Aufschrei, in diesem Mahnruf. Einfach, indem Matthias Claudius die Verantwortung für den verorteten Krieg in seine persönliche Entscheidung nimmt. Kein Einzelner, solange er nachdenkt, solange er Mensch bleibt, solange er mitfühlt, kann Ja sagen zum Krieg. Man tut aber so, wie wären wir unter Befehl, unter Staatsauftrag etwas ganz anderes als persönlich lebende Menschen. Also muß man sich vorstellen, was Krieg ist. Frau von der Leyen, das werden Sie nicht hinkriegen mit Ihren Propaganda-Offizieren in unseren Schulen, so zu tun, wie wenn der Krieg eine ganz normale, zivile Angelegenheit wäre, sozusagen eine hygienische Maßnahme zur Organisation einer gesunden Geschichte. Krieg ist das Grauen. Und dagegen protestieren wir. Wir wollen auch nicht immer wieder hören, dass (zu) später(n) gesagt wird: Das konnten wir ja nicht wissen, wenn unsere Soldaten posttraumatisch mit Stress-Disorder nach Hause kommen, psychiatrisch behandlungsbedürftig. Dann erklärt man: Wir haben das ja nicht kommen sehen, wir wußten es ja nicht. Ja, wann wußten wir denn, daß Krieg ist in Afghanistan? Seit 17 Jahren wird gemordet in Afghanistan, und wir hätten es nicht gewußt? Wir hätten nicht begriffen, was Herr Klein gemacht hat, als 120 Afghanen in einer Nacht ermordet wurden, mit Napalm, auf Befehl? Wir hätten nicht gewußt, was Krieg bedeutet? Claudius weist darauf hin, was man den anderen angetan hat. Und man könnte es sich vorstellen, was es bedeutet, mitten in einer Welt der anonymisierten Morde. Der Zynismus ist so weit, daß wir beim body counting wie an einer Jagdstrecke über Hasen und Fasane die Erschlagenen und Ermordeten zählen, zum Triumph des Militärs. Eine Ehrenstatistik: wieviele Einheiten haben wieviele Menschen erlegt und erledigt? Und noch viel zynischer: in 10.000 km Entfernung, ohne daß wir es zu sehen bekommen, mordet die CIA, von Langley befohlen über das deutsche Ramstein, weltweit gezielt, als wäre (gäbe) es eine Erlaubnis, Menschen zu töten auf Verdacht hin, ohne Gerichtsbeschluß, ohne Schuldbeweis, unter Inkaufnahme beliebig vieler ziviler Opfer. Und wir, die Deutschen, sind dabei unter einer Bundesregierung, die erklärt, davon nicht wirklich etwas zu wissen: „Vom deutschen Boden geht kein Krieg aus!“

Es könnte ja sein, daß unser eigenes Gefühl, unterdrückt und diffamiert und mit den Füßen getreten, unser Unbewußtes menschlicher ist und uns die Alpträume beschert, die uns die Zeitungen am Tage aus dem Bewußtsein reden wollen. Es ist möglich, daß wir eine Humanität haben, die uns alle miteinander verbindet. Und die lassen wir uns nicht nehmen, deshalb stehen wir heute hier. Und was ist mit den sogenannten Soldaten, die wir in die Kriege schicken? Zum ersten Mal haben wir wirklich wieder Berufs-Killer, die morden, um dafür bezahlt zu werden. Frau von der Leyen kriegt es fertig, bei ihrem Traditionsbefehl zu erklären daß wir, wörtlich: „unendlich stolz sind (stolz sind, stolz sind!) auf 60 Jahre Bundeswehr“. Ich sage: wir schämen uns für die gesamte militarisierte Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland in all der Zeit. Die Bundeswehr wurde aufgebaut aus den Rekrutierkräften der alten Nazi-Armee. Das läßt sich nicht leugnen bloß, indem man jetzt Kasernen umbenennt. Als wäre Tobias Langenstein ein Held als Feldjäger, weil: er fiel in Afghanistan. Wieso ist man ein Held, wenn man in einem Humvee in eine Sprengfalle fährt? Wenn man auf eine Mine tritt? Wenn irgendwo vor dem Kasernenhof ein PKW explodiert? Keiner der Soldaten will sterben. Ganz im Gegenteil: man hat ihm beigebracht, daß er schneller morden muß als sein potentieller Gegner, daß er beim Blick in das Weiße des Auges des Feindes möglichst schnell durchziehen muß, denn nur dann ist er tapfer, legt Ehre ein und erhält sich sein Leben im Dienst für Volk und Vaterland. Das ist ihm beigebracht, aber nicht zu sterben. Das Problem, Frau von der Leyen, ist, daß die Soldaten töten müssen. Daß sie sterben müssen, ist unser aller Schicksal, aber die Frage ist, wie. Ob wir vorher noch wer weiß wieviele in den Abgrund morden müssen, ehe wir selber in den Tod gehen, oder ob wir es lernen, menschlich zu leben, Hand in Hand, bis es mit uns allesamt zuende geht in einen neuen Ostermorgen. Das bleibt die Frage. Aber nicht, wie man Menschen trainiert, die Sterblichkeit von anderen zu nutzen, um ihnen selbst noch auf den Kopf zu treten für den Überlebensvorteil von ein paar beliebigen Minuten.
Was ist, wenn auch darin Claudius vollkommen recht hat? Da sind Menschen, die einmal glücklich waren, ehe der Krieg über sie hinging. Das allerdings sehen wir nun jeden Tag. Im Irak 1991: Einmarsch der Amerikaner unter Bush, dem Älteren. Unbekannt, wieviele Hunderttausend Menschen(opfer) – 700.000, 800.000 Menschen? Die uranabgereicherten Bomben im Süden liegen da noch heute, krebserregend, nie entsorgt. Aber nicht genug: danach Embargopolitik. Acht Jahre später fragt man die Außenministerin der Vereinigten Staaten Madeleine Albright, ob ihr der Tod von etwa 500.000 Kindern die Embargopolitik wert sei. Und wenn Sie wissen wollen, was für Leute uns regieren, müssen Sie die Antwort hören: „Yes, Sir!“ Ein halbe Million Kinder nur zum Rechthaben, um die Füße weiter in ein zerbombtes Land zu setzen. Das Morden: kalt, berechnet, das vor Augen, wenn tausend, tausend Väter, Männer, Bräute einfach krepieren sollen im Elend, das man möchte, um ein Land zu besetzen, in dem man Bodenschätze vermutet, die die eigene Macht erhöhen könnten.

Was auf Erden sollte man Verbrechen nennen, wenn nicht diese Art von Politik? 1991 hatten die Neokonservativen den Plan eines neuen, amerikanischen Jahrhunderts. 2006 veröffentlichen sie die Pläne für eine neue Ordnung im Mittleren Osten. Das ist das Konzept eines Krieges nach dem anderen. 2001 der Einmarsch in Afghanistan, 2003 die Fortsetzung des Krieges im Irak. Frau Merkel hatte nötig, nach Washington zu fahren und zu erklären, daß unter ihrer Regierung Deutschland mit dabei wäre. Heute darf das niemand mehr sagen, aber genau so war es. Und die Tendenz ist nach wie vor dieselbe: wir müssen an der Seite der Vereinigten Staaten von Amerika stehen. Allein die Aufrüstungsspirale ist ein endloses Elend: 60 Millionen Verhungerter jedes Jahr sind die Folge der Tatsache, daß wir für Rüstungsmittel jede Art von Geld einsetzen, für die Bekämpfung der Kriegsursachen in den sozialen Spannungen, in der Verelendung ganzer Generationen absolut zu wenig oder gar nichts. Im Gegenteil: wir sind dabei, die Entwicklungshilfe inzwischen an den Militärhaushalt zu koppeln. Und wenn wir denn schon so etwas täten wie Entwicklungshilfe leisten, würde es Prämien (ver)geben an die Regime, die uns treu sind bei der Durchsetzung unserer Interessen. Das ist nicht Hilfe, das ist Wirtschaftsdiktatur und ein weiterer Beitrag zur Verelendung.

Und was wäre, die Vision von Claudius träte ein, man fluchte uns allein der Folgen wegen, die der Krieg hat: als erstes frisst er Zivilisten, Frauen, Kinder, Wehrlose, Hunger und Elend? Was ist im Osten von Damaskus? Was ist im Raum von Afrin? Was seit Jahren in Libyen, im Irak, was in Mali? Und überall dort stehen deutsche Soldaten. Und was tun sie dort? Angeblich unsere Sicherheit bereiten. Keiner dieser Staaten hat uns jemals angegriffen. Wir aber in neokolonialer Fortsetzung müssen unbedingt gegenwärtig sein, um mit Herrn Schroeder zu sprechen, „unsere Werte durchzusetzen“. „Unsere Werte“ haben nichts zu tun mit christlich-jüdischen Traditionen, einzig mit einer Maximierung ökonomischer Interessen. Das sind die einzigen Werte, woran „wir“ wirklich glauben: Ausbeutung und Rendite. Jeder Krieg desavouiert deswegen seine eigenen Ziele, selbst wenn sie propagandistisch noch so moralisch hoch verordnet würden. Claudius zählt sie auf und wir können sie 1:1 aktualisieren:
„Kronen“ – heißt auf Deutsch weltweite Hegemonialansprüche. Deshalb unterhalten die Vereinigten Staaten von Amerika 600 militärische Posten im Ausland. Deswegen stehen sie auf deutschem Boden in Ramstein auf der größten Militärbasis außerhalb des Gebietes der USA. Deshalb betreiben sie eine Eindämmungspolitik im Pazifik gegenüber China. Deswegen sitzt die NATO in Mittelasien. Kirgistan, Kasachstan, Usbekistan, überall am Südrand, wo die Sowjetunion sich zurückgezogen hat. Eben deswegen steht die NATO im Baltikum und stationiert Raketen gegen Russland. Eben deswegen hat man gerade beschlossen, wie (als) lebten wir noch in den Tagen Hitlers, die Autobahnen, die Brücken, die Züge gen Osten flott zu machen, um das Aufmarschtempo gegen den Feind Russland zu beschleunigen. Und in Ulm soll das Zentrum für den Wahnsinn sein. Und wir sollten dagegen nicht protestieren, wie uns das beigebracht wird? Wie sollten wir eine Wurst nach der andern fressen, möglichst blutig? Wir haben keine Lust, uns derart betrügen zu lassen, uns in dieselben Fehler hineinzuversetzen, die bei den Faschisten bereits das Programm waren. Da nutzt nichts, daß wir eine Kaserne umbenennen. Die ganze Geisteshaltung müsste umbenannt werden und dann brauchten wir keine Bundeswehr mehr.

Was hinter dem Hegemonialanspruch steht, kann man simpel erkennen an der Tatsache, daß 1989 der Wunsch und die Bitte von Michail Gorbatschow, abzurüsten vom Ural bis zum Atlantik, damit beantwortet wurde, daß die NATO zwar Bestand hat, aber nicht einen Zentimeter nach Norden oder nach Osten oder nach Süden vorrücken würde. Genau das Gegenteil tut sie: Ostausdehnung der NATO, Südausdehnung der NATO, Georgien inzwischen ein Teil möglicherweise der NATO, die Ukraine, beinahe dabei, zur NATO zu gehören. Und vor allem: die Aussicht, die sogenannte Erstschlagkapazität im Atomkrieg sich zu sichern. Eine amerikanische Lieblingsidee: Wir können mit Atomraketen Moskau, Petersburg, Archangelsk, was auch immer, pulverisieren ohne, daß wir fürchten müssen, einen Gegenschlag zu erleiden. Deswegen brauchen „wir“ Raketen im Baltikum, in Litauen, in Polen und wo auch immer. Plötzlich würden Atomkriege führbar, eine furchtbare Gefahr. Und im Hintergrund haben wir Atomwaffen der Vereinigten Staaten von Amerika in Büchel und wir werden sie verdammterweise offenbar nicht los, weil die uns Regierenden es nicht wollen, weil Frau Merkel es nicht zuläßt. Lange genug war der Plan von Westerwelle, als er Außenminister war, die Atomraketen und die Atombomben von Büchel abzuziehen. Frau Merkel war dagegen. Herr Scholz konnte, als er Bundespräsident zu werden hoffte, aus einer verfehlten Kanzlerschaft in Aussicht stellen, er sei der Mann, der dafür sorgen würde, die Atomwaffen aus Büchel zu entfernen. In der GroKo kein Wort davon. Und wieder lügt die SPD, wenn sie so tut, als wäre sie friedensfähig. Sie macht so weiter im Schlimmsten, wie gehabt. Wenn „Kron‘“ bedeutet: der Griff nach der Weltmacht, dann ist Amerika heute schon der ungekrönte König. „America first“ ist nicht eine Idee von Donald Rumsfeld (Trump), es ist so alt wie daß es die vereinigten Staaten von Amerika gibt. Ein wahnsinniger Nationalismus, der sich einbildet, mit messianischen Ideen die ganze Welt beglücken zu können. „American Way of Life“, das ist Peace, das ist Freedom, es ist was sie wollen… Es ist genau das Gegenteil. Es ist der Zugriff des Kapitals zur Verelendung der Weltbevölkerung.

„Was hülf mir Land?“ sagt Matthias Claudius. Und wir sehen vor uns den Zugriff auf die Ressourcen. Warum sind Deutsche in Afghanistan? Einmal, weil man dort die Türe zwischen China und Indien mitten in Asien als strategisches Classis beherrschen kann. Und zum anderen, weil da Bodenschätze aller Art liegen. Warum will Macron quer durch Afrika im alten Kolonial-Einfluß-Gebiet der Franzosen einen Sperriegel, militärisch bewacht, legen? Eben: der Bodenschätze wegen! Warum ist der Kongo, einer der reichsten Orte der Welt, bettelarm? Weil zum Beispiel in ihren eigenen Handys für die Akkus Coltan gebraucht wird, und das lagert zu 90% im Kongo. Was wir haben wollen, brauchen wir, und also steht es uns zu. Und die da wohnen, haben ja keine Ahnung, die können es nicht nutzen. Uns steht es zu und wir nehmen es uns, das ist Kapitalismus, das bedeutet Krieg, das ist inhuman.

„Was hülf mir Land“, fragt Claudius, und fährt noch fort: „und Gold?“ Augenblicklich denken wir an die Selbstbereicherung des Kapitalismus, in der Ausbeutung von Menschen und Natur, in dem Ruin der Pflanzen und der Tiere an unserer Seite, der riesigen Verelendung, der Armutswelle. Und was passiert, wenn aus den zerbombten Städten die Flüchtlinge irgendwo kommen werden? Dann haben wir in Europa „ein Migrationsproblem“ und wir haben über Frontex abgeschottet im Mittelmeer jetzt im Sommer wieder zu erwarten, dass sich ein Massengrab dort bildet mit Tausenden Ertrunkenen. Das alles sehen wir, wissen wir und machen so weiter. Im Gegenteil: Wir müssen die Südgrenze Europas in jeder Form: elektronisch, juristisch, militärisch weiter absichern. Keiner soll nach Deutschland kommen. Und inzwischen haben wir „Abschiebe-Ankerzentren“ unter unserem neuen Innenminister. Die erste Maßnahme: Wie wird man Menschen im Elend los? Herr Seehofer, ist das die christliche Kultur, von der Sie reden? Ich nenne es die Barbarei eines Christentums, das sich niemals selbst verstanden hat, sondern pervertiert hat, seit den Tagen Konstantins des Großen im 4. Jahrhundert.

Was also folgt daraus? Mindestens Viererlei:
Das Erste ist: Wir müssen raus aus der NATO. Sie war niemals eine Verteidigungsarmee. Allein die Untergrundarmee Gladio zeigt, mit welcher Besessenheit man jede Machergreifung oder demokratische Übergangsform von Links-Regierungen in Europa mit Mord und Terror zu verhindern wußte. Aber jetzt: 1989, wo niemand uns bedroht, müssen wir ein neues Kriegsziel finden, und das heißt Russland. Russland ist unser „Angreifer“. Russland gibt ungefähr 80 Milliarden für Rüstung aus, die Vereinigten Staaten von Amerika aber über 700 Milliarden, plus mehr als 300 Milliarden der NATO. Mehr als eine Billion und den ganzen Rest der Welt an Rüstungskosten versammelt der Westen, aber wir müssen uns fürchten vor Russland. Erwähnt wurden bereits die 27 Millionen Sowjetbürger im sogenannten 2. Weltkrieg. Was wäre wiedergutzumachen an Russland? Es hat die Deutschen nie angegriffen, wir im 20. Jahrhundert gleich zwei Mal. Ein Volk, von dessen Dichtern wir tief erfüllt sein könnten. Leute, die den Frieden wollten, wie Nikolai Tolstoi, der den Staat bekämpfte, weil er die Organisation geordneten Mordens und Tötens, die das Militär ist. Ein solcher Staat wird niemals menschlich, wird niemals christlich, er wird von Menschen und Christen abzulehnen sein. So etwas steht um 1900 bei Leo Tolstoi, einem Russen.

Was wäre zu lernen? Wenn wir begreifen, wie Claudius es sagt, daß Freund wie Feind gemeinsam sich im Grab versammeln und die ganzen Gegensätze fallen fort? Wir sind nur Menschen, gemeinsam unterwegs. Aber Putin soll schuld sein an allem. Selbst wenn er an der Ermordung von Skripal die Hände im Spiel hätte, müsste es bewiesen werden. Vor jedem Gericht müsste die Schuld erwiesen werden. Stattdessen erklärt Frau Merkel, Russland arbeitet bei der Aufklärung nicht mit. Es verdreht jeden vernünftigen Rechtsstandpunkt. Aber es endet mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen, mit der Verweigerung des Gesprächs.
Und schon sind wir beim nächsten Problem: Jahrzehntelang hat man sich geweigert, mit Nordkorea zu reden. Jetzt, wo sie Atombomben haben, sind sie plötzlich „gesprächsfähig“ für die Vereinigten Staaten von Amerika. In welch einem Wahnsinn leben wir? Wir müssen maximal morden können, damit man mit uns redet? Ist das die Bedingung des Gesprächs? Für Nordkorea scheinbar. Alljährlich die Manöver an der Küste, permanente Bedrohung. Aber was erwartet man? Wir in Deutschland haben die Friedensbewegung merkwürdig gespalten. Vor dem Großen Krieg besteht Angst wie in der Zeit des Kalten Krieges. Und dann strömen viele, aus Angst vor atomaren Auseinandersetzungen, der Friedensbewegung zu. Das ist verständlich, aber nur zum Teil. Die Kehrseite derselben Logik ist, daß wir die Kriege wollen auf niederem Niveau, in Gestalt der Anti-Terror-Kriege. Da sehen wir niemanden, den wir töten, da sind wir minimal bedroht, vielleicht infolge dessen, was wir in all den Staaten anrichten, die dann einzelne Selbstmord-Attentäter in europäische Länder schicken.
Aber da haben wir ein Sicherheitskonzept der permanenten Überwachung, der Machtausdehnung des Staates ins Unendliche, der Dauerbeobachtung, der Disziplinierung und der Kasernierung der gesamten Bevölkerung. Und da ist die Friedensbewegung relativ hilflos, weil der Faktor der Angst genau diese Politik vorantreibt.

Also lassen Sie uns sagen: Wir brauchen überhaupt keine Angst, wir brauchen ein bisschen Mut, uns zu verweigern dem Wahn und Ja zu sagen zum Frieden.

Ein Zweites ist schon klar geworden: Raus aus Ramstein mit den Amerikanern! Was maßt ein moderner Staat sich an, wenn er erklärt, Souverän über Leben und Tod zu sein? Das hat man den Willkür-Despoten im Absolutismus womöglich zugebilligt. Dann, zehn Jahre nach dem Gedicht von Claudius, hat man in der französischen Revolution das Volk zum Souverän gemacht. Also fähig, über Leben und Tod zu entscheiden. Wenn das nicht durchgeht aus rechtlichen und humanitären Gründen, wie wir zumindest in der Strafjustiz inzwischen glauben, dann hat und darf es keinen Krieg mehr geben, denn Krieg ist nichts weiter als die ausgedehnte, ins Internationale übertragene Todesstrafe, und kein Staat der Welt ist der Souverän über Leben und Tod. Schluss mit dem befohlenen Morden.

Und natürlich raus aus Büchel. Was legitimiert Atomwaffen? Nach 1945 dachte man, daß die Abwürfe auf Hiroshima und Nagasaki für die ganze Menschheit von solch einem Schrecken seien, daß Wiederholung gar nicht zu denken wäre. Die Amerikaner schickten anschließend Kamera-Teams in die zerbombten Straßen von Hiroshima um aufzunehmen, in welcher Effizienz die Druckwelle, die Brandwelle zerstörerisch war, um beim nächsten Schlag es effizienter gestalten zu können. Beim Zünden der ersten Wasserstoffbombe 1952 nahm man 40.000 Wirbeltiere mit, nur um zu erproben, wie sie die Ohren zerfetzen, wie sie die Haut zerstrahlen, in wieviel Generationen Mißbildungen zu erwarten stehen, um es dann anzuwenden auf die Menschen. Nie gab es vor dem Grauen ein Halten, außer wir bekämen Claudiussche Alpträume, wenn die Geister wiederkommen und sie mahnen uns, den Rest der Menschlichkeit zu engagieren, Schluss zu machen mit den Atomwaffen. Sie sind nicht besser in den Händen von Amerikanern, von Israelis, von Franzosen, von Briten, von Pakistanis, von Indern. Überall gehören sie bekämpft, nicht allein im Iran, wo sie gar nicht existieren.

Was würde Gottes Engel heute sagen, redete er drein? Er würde sagen: Redet endlich miteinander. Nicht die Waffen, nicht die Signale der Bedrohung auf dem Niveau der Tierpsychologie, einzig Worte gehören Euch als Menschen und machen uns zu Menschen. Und redet miteinander nicht im Aufzwingen Eurer eigenen Interessen, die Ihr dem Anderen diktieren wollt. Redet im Respekt vor der Angst und den Interessen Eures Partners. Fangt an, Euch zu verständigen. Nur die menschliche Rede kann dem Frieden dienen und die Gewalt ersetzen. Deswegen glauben wir einen Tag vor Ostern, wider alle Zeitungslektüre, an den Sieg des Lebens über den Tod und des Friedens über den Krieg. Der Friede ist unsere Zukunft, die Bewahrung der Menschlichkeit, das Gegenteil schafft nicht Sicherheit, sondern ein für alle Mal den Absturz in die Barbarei. Das, was die produzieren, indem sie sagen: „Für eure Sicherheit tun wir das“ erreichen genau das Gegenteil, indem sie ihre alten Machtspiele weitertreiben. Und das Raubtiermaul der Waffenindustrie ist so groß und sein Magen unersättlich, da geht noch vieles hinein. Menschen da hinein zu werfen wie in einen Höllenrachen, sollte den Regierenden nicht länger offenstehen. Es hat Immanuel Kant vollkommen recht: Der erste Schritt zum Frieden ist die Abrüstung. Das ist geschrieben vor fast 300 Jahren, und es ist so modern, wie es geblieben ist in all der Zeit. Wie die Welt anders sein könnte, war zu beobachten einen kleinen Moment lang 2005 in Königsberg, Kaliningrad. Vor der Universität steht das Denkmal Immanuel Kants, gestiftet von Marion von Dönhoff. Gleich gegenüber haben wir die letzten Reste des Bunkers des Gefechts der großdeutschen Wehrmacht im Kampf gegen die Rote Armee, heute ein Museum, wo sie die letzten Befehle, die Kapitulationsangebote und deren Widerspruch, auf Deutsch und Russisch hören können. Und da nun, 300 Meter weiter auf den Stufen der Universität von Kaliningrad, stehen nebeneinander Herr Schroeder und Putin. Das war möglich zu denken vor ganzen 13 Jahren. Und dann hat es drei Jahre gedauert, bis Putin warnte in München: vor dem Rückfall in den Kalten Krieg. Und die deutsche Presse schrieb „Putin: Kalter Krieg!“, als wäre er es, der ihn gewünscht hätte. Die NATO braucht den Kalten Krieg, den heißen Krieg, sie ist der Krieg.

Und deshalb noch einmal als Zusammenfassung am Ostervormittag von allem: Raus aus der NATO, raus aus Büchel, raus aus Ramstein, raus aus dem Militarismus!

Dankeschön!

 

Eugen Drewermann ist Theologe und lebt in Paderborn.

Hinweis: Transkription des frei gehaltenen Beitrages von Eugen Drewermann nach einer Tonbandaufnahme.