Redebeitrag von Hartmut Bohrer für den Ostermarsch Mainz-Wiesbaden in Wiesbaden am 31. März 2018

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,

willkommen in der Stadt des europäischen Hauptquartiers der US-Armee. Von der Bedeutung her und von der Zahl der stationierten Militärangehörigen, für das Militär direkt tätigen Zivilpersonen sowie den Familienangehörigen der "Community", in den letzten Jahren mit insgesamt 16.000 bis 19.000 Personen, ist es der wichtigste Standort der US-Armee in Deutschland und in Europa.

Ich wurde als langjähriger Wiesbadener Stadtverordneter und Ortsbeiratsmitglied in Mainz-Kastel gebeten, zu diesem Standort ein paar Informationen zu geben, was ich hiermit gerne tue. Alle diese Informationen sind keine Geheimnisse oder Spekulationen, sondern sind in seriösen, frei zugänglichen Quellen nachlesbar - so zum Beispiel im kürzlich veröffentlichten "Rüstungsatlas Hessen" der LINKEN-Fraktion im Hessischen Landtag. Ich habe einige Exemplare dabei und kann an Interessierte gerne ein Exemplar abgeben.

Schon unmittelbar nach Beendigung des II. Weltkriegs wurde der Flugplatz In Wiesbaden-Erbenheim Stützpunkt des US-amerikanischen Militärs. In Heidelberg wurde das europäische Hauptquartier der US-Armee stationiert, das In den 90er-Jahren ausgebaut werden sollte, aber in Heidelberg auf Widerstand stieß. Wiesbaden kam als neuer Standort ins Gespräch. Die CDU-geführte hessische Landesregierung machte sich dafür stark und eine Mehrheit in der Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung aus CDU, FDP und GRÜNEN, abgesehen von einer einzigen GRÜNEN Abweichlerin, begrüßten in namentlicher Abstimmung am 15. März 2007 die geplante Verlegung des europäischen   Hauptquartiers der US-Armee nach Wiesbaden. Der Umzug zog sich einige Jahre hin, weil in Wiesbaden - bisher überwiegend landwirtschaftlich genutzte - Flächen für das Militär bereitgestellt und neue Bauten errichtet werden sollten - darunter auch ein Gebäude für über 100 Millionen $ für geheimdienstliche Aktivitäten.

Damit sind wir bei der Funktion dieses "Headquarters", dessen Zentrum das "Clay-Kaserne" genannte Areal am Militärflugplatz Erbenheim ist. Von hier aus werden über 30.000 Heeressoldatinnen und -soldaten in Europa befehligt, vor allem in Deutschland, Italien, Großbritannien, den Benelux-Ländern und im Kosovo in Kriegseinsätzen und in Kriegsmanövern an der russischen Grenze. Diese Führungs- und Kommandozentrale im Hauptquartier, die seit rund 5 Jahren in Betrieb ist, hat alleine rund 1200 "Arbeitsplätze". Die Operationszentrale ist mit rund 300 Personen ständig besetzt.

Neben dieser Befehlszentrale gibt es den Führungsstab und eine der ihm unterstellten Einheiten, die die Aufgabe hat, die Kommunikation zwischen den Truppenteilen, Datenübertragung und Datensicherheit in den Einsatzgebieten zu gewährleisten.

Ebenfalls im Wiesbadener Hauptquartier wurde in den letzten Jahren nun eine Zentrale für die militärisch-geheimdienstlichen Operationen geschaffen, die im Wesentlichen bislang im so genannten "Dagger-Komplex" am Stadtrand von Darmstadt-Griesheim und in Mainz-Kastel auf dem ehem. "AFEX-Gelände", im Militärjargon "Kastel Storage Station" genannt, untergebracht waren.

 Das über 235.000 m2 große, im Zentrum von Kastel liegende Gelände "Kastel Storage Station" hatte in der Vergangenheit Schlagzeilen gemacht durch ein illegales Chemikaliensondermülldepot und großflächige Kontamination von Boden und Grundwasser, durch ein Mitte der 50er Jahre vom TÜV kontrolliertes, aber nicht genehmigtes Treibstofflager, aus dem mehrfach große Mengen von Treibstoff ausliefen und in die Kanalisation bis hin zum Hauptklärwerk gelangten, und eine illegale, hoch Schadstoffe emittierende Filmverbrennungsanlage, deren Betrieb im Digitalzeitalter überflüssig wurde.

Das 2015 fertig gestellte "Consolidated Intelligence Center", abgekürzt "CIC", soll - laut FAZ vom 30.7.2015 - "zum zentralen Stützpunkt für die NSA in Europa" werden. Der SPIEGEL hatte auf Grundlage der Snowdon-Dokumente berichtet, dass sich in Mainz-Kastel das zentrale Kommunikationszentrum der NSA für Europa, Asien und Afrika befindet, das künftig in das Militärgelände am Flugplatz Erbenheim integriert werde. Alleine im so genannten "Dagger-Komplex" waren im Jahre 2011 240 Personen beschäftigt. Aus einem NSA-Bericht geht hervor, dass der US-Präsident regelmäßig zwei Mal wöchentlich mit "Erkenntnissen" der dort Tätigen versorgt werde.

In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass zuvor in Erbenheim stationiertes Militär überführt wurde, im irakischen Abu Ghraib Folterpraktiken an irakischen Gefangenen verübt zu haben. Bilder hiervon gingen seinerzeit um die Welt und der US-amerikanische Dokumentarfilm "Standing Operating Procedure" von Errol Morris sorgte für eine nachhaltige weltweite Thematisierung.

 Das europäische Hauptquartier der US-Armee und die NSA-Zentrale in der Doppelmetropole Mainz-Wiesbaden mit einer halben Million Menschen ist relativ selten Thema in den Medien. Die von hier aus geführten Kriege scheinen weit weg und die Konflikte der USA und westeuropäischer Länder mit den Atommächten Russland und Nordkorea interessieren manche Zeitgenossen nur wenig. Sollten sie aber. Denn im Zeitalter von Interkontinalraketen, Aufrüstung und Eskalation militärischer und politischer Konfrontation wäre im Falle des Einsatzes von Atomwaffen das europäische Hauptquartier der US-Armee in dieser Stadt voraussichtlich eines der ersten Ziele.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

 

Hartmut Bohrer ist Stadtverordneter und Fraktionsvorsitzender der Wiesbadener Rathausfraktion LINKE&PIRATEN, Ortsbeiratsmitglied Mainz-Kastel, Fraktion AUF Kastel, stellv. Ortsbeiratsvorsitzender.