Redebeitrag von Inga Blum für den Ostermarsch Hamburg am 2. April 2018

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Fast auf den Tag genau heute vor 60 Jahren, vom 04. bis 07. April 1958, fand der erste Ostermarsch der Welt in England statt. Mehrere tausend Menschen marschierten von London zur 83km entfernten Atomwaffenforschungsstation Aldermaston, um gegen nukleare Aufrüstung zu demonstrieren. Der Marsch wurde unterstützt von der kurz zuvor gegründeten Campaign for Nuclear Disarmament. Für die Kampagne wurde das Peace Zeichen entworfen, das wir alle kennen und das zum Symbol für Frieden weltweit wurde. Das Peace Zeichen enthält die Buchstaben N und D aus dem Winkeralphabet. Das Winkeralphabet diente, bevor es Sprechfunk, gab zur optischen Nachrichten-übermittlung zwischen Schiffen. N sieht so aus:  und D sieht so aus: .

Der Kreis drumherum symbolisiert die Welt. Großbritannien war 1952 nach den USA und Russland als drittes Land Atommacht geworden. Heute gibt es ingesamt 9 Atomwaffenstaaten, die zusammen über knapp 15.000 Atomwaffen verfügen, genug um die Erde mehrfach zu zerstören. Über 90% davon befinden sich in den Arsenalen der USA und Russland. Heutige Atomwaffen haben ein Vielfaches der Sprengkraft der Hiroshimabombe. Eine einzige moderne Atomwaffe könnte sofort über eine Million Menschen töten, wenn sie über einer großen Stadt abgeworfen wird. 1800 Atomwaffen sind immer noch auf höchster Alarmstufe und innerhalb von Minuten abschussbereit.

Donald Trump hat kürzlich angekündigt, sein Atomwaffenarsenal zu vergrößern und kleinere, einsatzfähigere Waffen zu bauen, um Russland abzuschrecken.

Russland hat neue Atomwaffen entwickelt, die die amerikanische Raketenabwehr überwinden können sollen. Emmanuel Macron hat gerade angekündigt, die Investitionen in die französischen Nuklearstreitkräfte zu verdoppeln.

Auch alle anderen Atomwaffenstaaten modernisieren zur Zeit ihre Arsenale und die in Büchel in Rheinland Pfalz gelagerten Atomwaffen sollen mit Billigung der Bundes-regierung demnächst durch einsetzbarere Atomwaffen ersetzt werden.

Warum sind wir heute, am 60. Geburtstag des Ostermarsches, in dieser gefährlichen Situation?

Warum gibt es keinen öffentlichen Aufschrei?

Was können wir tun?

Es gibt drei Hauptgründe für das Fortbestehen der Bedrohung durch Atomwaffen:

1. Das Scheitern des Vertrags über die Nichtverbreitung von Atomwaffen

2. Der Glaube an Sicherheit und Stabilität durch Abschreckung

3. Industrie und Finanzinstitute, die Profite mit der Herstellung von Atomwaffen machen.

Der Atomwaffensperrvertrag trat 1970 in Kraft und legt fest, dass die Länder, die damals bereits Atomwaffen hatten, also die USA, Russland, China, England und Frankreich, offizielle Atomwaffenstaaten sind und Atomwaffen besitzen dürfen.

Alle anderen Länder sind als Nicht-Atomwaffenstaaten Mitglied im Vertrag und dürfen unter keinen Umständen Atomwaffen erlangen. Als Entschädigung wird ihnen Hilfe bei der friedlichen Nutzung der Atomenergie zugesichert. Der Vertrag enthält keinerlei zeitliche Befristungen, Kontrollmöglichkeiten oder Sanktionen, um die Abrüstung der Atomwaffen sicherzustellen. Nur die Nicht-Atomwaffenstaaten unterliegen den strengen Kontrollen der IAEA. Er beinhaltet also ein Zwei-Klassen-System, was z.B. von Indien immer als diskriminierend beklagt wurde. Indien hat den Vertrag nie unterzeichnet und hat schließlich sowie auch Israel, Nord-Korea und Pakistan selber Atomwaffen entwickelt. Man kann sich unschwer vorstellen, welche psychologische Dynamik in Ländern, die unter dem Kolonialismus gelitten haben, entstanden ist, als der Atomwaffensperrvertrag den ehemaligen Kolonialherren das Recht auf die zerstörerischsten Waffen der Welt einräumte, während sie selbst davon ausgeschlossen bleiben sollten. Das Testen von Atomwaffen durch Indien, Pakistan und Nordkorea führte dazu, dass schließlich auch konservative Politiker erkannten, dass der Nichtverbreitungsvertrag gescheitert ist, denn: „Solange sich die Mächtigsten Länder der Erde für ihre Sicherheit auf Atomwaffen verlassen, werden andere auch danach streben und die Zahl der Atomwaffenstaaten wird wachsen“

Das wichtigste Hindernis für die atomare Abrüstung ist der Glaube, dass Abschreckung Kriege verhindert und zum Frieden beiträgt. Diejenigen, die schon immer an Atomwaffen geglaubt haben, sagen: „Die Tatsache, dass es seit 70 Jahren keinen Weltkrieg gegeben hat beweist, dass die atomare Abschreckung funktioniert. Das Risiko, dass ein Krieg in einen Atomkrieg eskalieren könnte, ist so groß, dass es keinen Krieg geben kann“. Sie vergessen dabei jedoch, dass die zeitliche Koinzidenz von zwei Ereignissen noch nichts über deren Zusammenhang aussagt. Es gibt keinen Beweis dafür, dass die Existenz von Atomwaffen der Grund für das Ausbleiben eines Krieges ist, sondern das ist nur eine Hypothese. Eine andere Hypothese ist, dass man versucht hat aus der Vergangenheit zu lernen. Eine Tatsache ist hingegen, dass Atomwaffen die Ursache vieler Konflikte sind: Aktuelle Beispiele sind Iran, Kaschmir oder Nordkorea. Eine Tatsache ist auch, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis es zu einem Atomwaffen-einsatz kommt, wenn nicht abgerüstet wird.

Mit der zunehmenden Weiterverbreitung können Atomwaffen an Akteure gelangen, die sich nicht abschrecken lassen, z.B. weil sie kein eigenes Territorium haben. Auch die statistische Häufigkeit von psychischen Erkrankungen in der Gesellschaft, die natürlich auch Politiker betreffen können –siehe z.B. die Alkoholabhängigkeit Nixons oder Jelzins- oder die Möglichkeit eines absichtlichen Einsatzes von Atomwaffen, sind ständige Risiken. In den USA sind derzeit Initiativen auf dem Weg, um die Entscheidungsgewalt des Präsidenten über einen Atomwaffeneinsatz einzuschränken.

Da die Flugzeit der Raketen zwischen den Kontinenten etwa 30 Minuten betrifft und ein Großteil dieser Zeit von den technischen Frühwarnsystemen aufgebraucht wird, bleiben Donald Trump nur ca. 5-10 Minuten, wenn er über einen vermeintlichen Angriff informiert wird, um zu entscheiden, ob er die eigenen Raketen startet, bevor diese zerstört werden und bevor er selber stirbt. Wenige Minuten, um basierend auf komplexen technischen Informationen und unter maximalem Stress eine Entscheidung zu treffen, die über das Überleben der Menschheit entscheiden kann.

Aber auch ohne Angriffswarnung kann Donald Trump eigenmächtig über den Einsatz von Atomwaffen entscheiden, z.B. im „Krieg gegen den Terror“, ohne dass ein Richter, ein Parlament oder ein Minister das Recht hat ihn aufzuhalten. Es gibt zahlreiche gut dokumentierte Beispiele für Fehler in den Frühwarnsystemen und für Beinahe-Unfälle. Der amerikanische Wissenschaftsjournalist Eric Schlosser hat in seinem Buch Command and Control 1.200 Unfälle und Missverständnisse dokumentiert, die beinahe zur Katastrophe geführt hätten. Die Informationen hat er aus erst kürzlich freigegebenen Militärakten, die viele Jahre unter Verschluss gehalten worden waren.

Aufgrund der Neigung der Atomwaffen zur Weiterverbreitung und aufgrund der zahlreichen Risiken für ihren absichtlichen oder unabsichtlichen Einsatz hat Beatrice Fihn, die Generalsekretärin von ICAN, der International Campaign to Abolish Nuclear Weapons, in ihrer Nobelpreisrede im Dezember gesagt: „Die Geschichte der Atomwaffen wird ein Ende haben. Entweder es wird das Ende der Atomwaffen sein oder das Ende von uns. Wir müssen uns entscheiden“

Während der Glaube an das Prinzip der Abschreckung einigermaßen nachvollziehbar ist, fallen mir nur Begriffe aus der Psychopathologie bzw. vor allem das Wort „Potenzgebahren“ ein, um zu begreifen, wie das Wettrüsten derartige Ausmaße annehmen konnte. Auf der Höhe des kalten Krieges gab es über 70.000 Atomwaffen, das entspricht etwa 1-3 Tonnen Sprengstoff für jeden Erdenbürger. Am Rande einer Abrüstungskonferenz habe ich einmal einen amerikanischen Diplomaten gefragt, ob es wirklich strategisch Sinn gemacht hat, dass in den USA und Russland in den 80er Jahren auf jeder Seite 10.000ende Atomwaffen gelagert waren.

Er sagte nein, es habe überhaupt keinen Sinn gemacht. Für „überhaupt keinen Sinn“ geben die Atomwaffenstaaten jährlich etwa 105 Milliarden US Dollar aus, was dem Etat der Vereinten Nationen für 45 Jahre entspricht. Für „überhaupt keinen Sinn“ starben schätzungsweise zwei Millionen Menschen an der durch Atomwaffentests freigesetzten radioaktiven Strahlung. Es machte überhaupt keinen Sinn und trotzdem wird wieder aufgerüstet und wir von der Friedensbewegung sind immer noch die naiven Träumer, während die Männer in Anzügen, die für atomare Abschreckung stehen, als nüchterne Strategen gelten. Die Kategorisierung von Atomwaffengegnern als weltfremd ist übrigens ein weiteres, nicht zu unterschätzendes Hindernis für die Abrüstung. Der Tenor, auch in großen Deutschen Medien, ist häufig: „Eine Atomwaffenfreie Welt ist ein wichtiges und edles Ziel, aber leider müssen wir auch ein bisschen realistisch bleiben“

Besonders perfide ist , dass die irrsinnigen Mengen von Atomwaffen, die es auf der Höhe des kalten Krieges in den USA und in Russland gab, jetzt problemlos abgerüstet werden können, ohne dass sich dadurch an der Bedrohungslage oder am sogenannten strategischen Gleichgewicht etwas verändert. Sowohl die USA als auch Russland haben immer noch genug Atomwaffen, um alles Leben auf der Erde mehrfach zu beenden. Aufgrund des Rüstungswahns von damals können sie sich trotzdem damit brüsten, ihre Abrüstungsverpflichtungen einzuhalten, indem sie veraltete und strategisch überflüssige Waffen abrüsten, während sie gleichzeitig ihre Arsenale modernisieren.

Schließlich möchte ich über etwas sprechen, dass auf ebenso banale wie böse Weise das Wettrüsten antreibt: Geld. Auch heute sind sicher einige unter uns, die Versicherungen oder Geld bei der Allianz oder der Deutschen Bank oder der Commerzbank oder den Volksbanken haben, ohne zu wissen, dass sie damit die atomare Aufrüstung finanzieren. Der Bericht „Don’t bank on the Bomb“, der gerade wieder erschienen ist, macht öffentlich, dass die Deutsche Bank seit 2014 6,62 Milliarden Dollar in Firmen investiert hat, die Atomwaffen produzieren. Die Commerzbank und die Allianz folgen auf Platz 2 und 3, aber auch die Volksbanken sind beteiligt. Susi Snyder, die Herausgeberin des Berichts, wird am 17. Juni am Atomwaffenstützpunkt in Büchel zu uns sprechen und erzählen, wie sie es in den Niederlanden geschafft hat, dass die größte Rentenkasse ihre Investitionen in Atomwaffen gekündigt hat. Ich hoffe, dass wir in Deutschland daran anknüpfen können und eine große und sichtbare Kampagne gegen die Investitionen Deutscher Banken in Atomwaffen durchführen (http://atombombengeschaeft.de).

Ein weiteres Hindernis für die atomare Abrüstung ist das zur Zeit leider nur geringe öffentliche Bewusstsein über Atomwaffen. 1958 protestierten in Hamburg 400.000 Menschen gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr. In den 80er Jahren gingen Hunderttausende auf die Strasse um gegen die Stationierung von Pershing Raketen in Deutschland zu demonstrieren. Heute haben mehr Länder Atomwaffen als damals und überall wird wieder aufgerüstet. Trotzdem sind im November letzten Jahres, mitten in der Krise zwischen den USA und Nordkorea, nur knapp 1.000 Menschen zu einer von ICAN organisierten Demonstration nach Berlin gekommen.

Wie konnte das passieren?

Ich denke in der Gesellschaft ist es ähnlich wie bei jedem Einzelnen von uns: Anspannung kann nicht ewig dauern, irgendwann folgt wieder Entspannung. Nach der ständigen Angst und den großen Demonstrationen kam es schließlich zu den ersten großen Abrüstungsverträgen und zu substantieller Abrüstung. Von über 70.000 Atomwaffen gibt es heute noch knapp 15.000. Es bestand Hoffnung, dass die Abrüstung irgendwann bei null ankommen würde. Viele Menschen waren froh, das Thema erstmal vergessen zu können. Wahrscheinlich spielten auch Verdrängungsmechanismen eine Rolle. Es ist nicht leicht, ständig in dem Bewusstsein zu leben, dass einzelne Männer an jedem Tag und in jedem Moment unser Leben beenden könnten. Auch die Vorstellung der katastrophalen medizinischen Folgen eines Atomwaffeneinsatzes ist kaum auszuhalten. Entspannung und Verdrängung führten dazu, dass immer weniger über Atomwaffen gesprochen wurde und die nächste Generation erfuhr schließlich kaum noch etwas über das Thema. Seit ich 2004 in einem Studierendenworkshop zum ersten Mal etwas über Atomwaffen gelernt habe, versuche ich vor allem die Jüngeren dafür zu sensibilisieren und organisiere regelmäßig Workshops zu Atomwaffen. Meine Erfahrung ist, dass das Interesse zu Beginn häufig nicht sehr groß ist. Wenn ich sage:

„Heute gibt es ingesamt 9 Atomwaffenstaaten, die zusammen über knapp 15.000 Atomwaffen verfügen, genug um die Erde mehrfach zu zerstören. Eine einzige moderne Atomwaffe könnte sofort über eine Million Menschen töten, wenn sie über einer großen Stadt abgeworfen wird. „

Werden viele hellhörig. Die reinen Zahlen oder die alten schwarz-weiss Bilder aus Hiroshima sind jedoch sehr abstrakt. Die Stimmung kippt aber spätestens, wenn ich mir die Stimme der Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki leihe. So wie die von Setsuko Thurlow, die als 13-jähriges Mädchen in Hiroshima in ihrer Schule verschüttet wurde und seitdem gegen Atomwaffen kämpft. Sie hat zusammen mit Beatrice Fihn im Dezember den Nobelpreis für ICAN auch im Namen der in Hiroshima und Nagasaki gestorbenen entgegengenommen. In ihrer Nobelrede hat sie gesagt: „Jeder Einzelne von Ihnen hatte einen Namen. Jeder einzelne von Ihnen wurde von jemandem geliebt“.

„Das Bild, das ich seit über 70 Jahren nicht vergessen kann ist meine Schwester mit ihrem 4-jährigen Sohn. Beide waren so stark verbrannt, dass ich sie nur an einer Haarspange erkannt habe... Ich selbst habe nur überlebt, weil mir jemand zugerufen hat: „Kriech auf das Licht zu so schnell Du kannst“. So bin ich aus den Trümmern der brennenden Schule entkommen. Heute ruft die Überlebende uns zu: „Kriecht auf das Licht zu so schnell ihr könnt!“ Mit dem Licht meint sie den Atomwaffenverbotsvertrag, der unsere letzte Chance sein könnte.

Der Atomwaffenverbotsvertrag wurde letztes Jahr von den Vereinten Nationen beschlossen und geht auf eine Initiative von ICAN zurück. Der Verein, in dem ich Mitglied bin, die Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges, hat 2006 ICAN ins Leben gerufen um neues Bewusstsein über die Gefahren durch Atomwaffen zu schaffen und um der Bewegung ein jüngeres Gesicht zu geben.

Nach einigen Jahren wurde ICAN zur unabhängigen Kampagne. Auf drei von ICAN initiierten Staatenkonferenzen in Oslo, in Nayarit in Mexiko und in Wien wurde die wissenschaftliche Evidenz über die humanitären Folgen von Atomwaffen präsentiert. Immer mehr Staaten erkannten, dass Atomwaffen keine Sicherheit bringen sondern eine Gefahr für unser gemeinsames Überleben darstellen. Sie schlossen sich der humanitären Initiative an, die dazu führte, dass im Juli letzten Jahres 122 Staaten in den UN ein Atomwaffenverbot beschlossen haben. Deutschland boykottierte die Verhandlungen, so wie alle anderen NATO Länder, mit Ausnahme der Niederlande, die jedoch als einziges Land gegen das Atomwaffenverbot stimmten. Das Verbot tritt in Kraft sobald 50 Staaten ratifiziert haben, was für nächstes oder übernächstes Jahr erwartet wird. Der Vertrag beinhaltet ein Verbot jeglicher Aktivitäten, die im Zusammenhang mit Atomwaffen stehen, und sieht Kontrollmechanismen zu seiner Einhaltung vor.

Revolutionär und erstmalig war, dass per Mehrheitsentschluss über Atomwaffen entschieden wurde, ohne dass die Atomwaffenstaaten ein Veto einlegen konnten. Nach Jahren des Stillstandes in der nuklearen Abrüstung wurde beschlossen, nicht länger auf die Atomwaffenstaaten zu warten, sondern sich als Staatengemeinschaft mit dieser größten und akuten Bedrohung für unser aller Leben auseinanderzusetzen.

Die Kritik am Atomwaffenverbotsvertrag, die von der Bundesregierung als Begründung für ihren Boykott genannt wurde, ist, dass es keinen Sinn mache ein Verbot auszuhandeln, wenn die Atomwaffenstaaten sich nicht daran beteiligen.

Dazu lässt sich sagen: Die Geschichte hat gezeigt, dass die moralische Ächtung und das völkerrechtliche Verbot einer Waffenart ihrer Abschaffung vorausgeht. Ähnlich war es bei den Bio- und Chemiwaffen und auch die Kampagne zur Abschaffung von Landminen und Streumunition hat mit den Ländern begonnen, die von den Auswirkungen dieser Waffen am stärksten betroffen waren. Schließlich haben sich mehr und mehr Länder angeschlossen, der moralische Druck auf die Besitzerstaaten wuchs und die konkreten Hürden zur Herstellung dieser Waffen wurde immer höher: Niemand wollte mehr in das schmutzige Geschäft investieren, niemand wollte mehr Teile für die geächteten Waffen produzieren. Auch die Produktion von Atomwaffen wird durch das Atomwaffenverbot schwieriger werden, die Stimmung in den Bevölkerungen wird sich noch stärker gegen Atomwaffen wenden und schließlich wird der politische Preis zu hoch sein.

Für Deutschland, das für sich gerne eine führende Rolle in der Abrüstungsdebatte beansprucht und sich in zahlreichen öffentlichen Erklärungen zum Ziel einer atomwaffenfreien Welt bekannt hat, ist es mehr als peinlich, noch nicht einmal an den Verhandlungen teilgenommen zu haben. Damit hat die Bundesregierung das Bedrohungsempfinden der großen Mehrheit der Staaten der Welt ignoriert und sich der kleinen Elite der Atommächten angeschlossen. Unser damaliger Aussenminister Sigmar Gabriel hat offen zugegeben, dass er aus Sorge vor Russlands Atomwaffen an der nuklearen Teilhabe festhalten will und die Teilnahme an den Verbotsverhandlungen deshalb unehrlich fände.

Heiko Maas hat ICAN immerhin zum Verbotsvertrag und zum Nobelpreis gratuliert und getweetet: „Atomwaffen schaffen keine Sicherheit, sie machen die Welt instabiler und bedrohlicher“ Ich bin gespannt, was er nun als Außenminister daraus macht.

Letzte Woche war ich auf einer öffentlichen Veranstaltung mit Niels Annen, Hamburger SPD Abgeordneter im Bundestag und seit neustem Staatsminister im Auswärtigen Amt. Er sagte er wisse noch nicht, wie sich der Aussenminister zum Atomwaffenverbot positionieren werde. Nach den Atomwaffen in Büchel gefragt blieb er uneindeutig und sagte, die SPD sei für den Abzug aus Büchel, nur leider sei dies aus politischen Gründen nicht möglich. Er betonte, dass es sich um US amerikanische Atomwaffen handele, mit denen Deutschland praktisch überhaupt nichts zu tun habe. Leider blieb mir keine Zeit mehr für eine Erwiderung, sonst hätte ich gesagt, dass die Nukeare Teilhabe eindeutig gegen das Völkerrecht verstößt. In Büchel in Rheinland Pfalz sind im Rahmen der Nuklearen Teilhabe der NATO geschätzte 20 US amerikanische Atomwaffen stationiert. Die Befehlsgewalt liegt bei den Amerikanern. Deutsche Soldaten trainieren jedoch den Einsatz und würden im Kriegsfall die Atomwaffen zum Zielort fliegen. Deutschland verstößt damit also schon jetzt klar gegen die Bestimmungen des Nichtverbreitungs-vertrags und mit dem Inkrafttreten des Verbotsvertrags wird die Völkerrechtswidrigkeit dieser Waffen noch deutlicher. Jede dieser Atomwaffen hat die bis zu 13-fache Sprengkraft der Hiroshima-Bombe (in Hiroshima sind alleine am ersten Tag 45.000 Menschen gestorben). Ab 2020 sollen diese Atombomben gegen lenkbare Waffen mit verstellbarer Sprengkraft ausgetauscht werden, was die Hemmschwelle für ihren Einsatz senkt. Mir ist nicht klar, wie Sigmar Gabriel darauf kommt, diese Massenvernichtungswaffen würden uns vor russischen Atomwaffen schützen, denn genau das Gegenteil ist der Fall. Präsident Putin hat 2015 als Reaktion auf die Aufrüstung in Büchel gesagt, er würde Gegenmaßnahmen ergreifen, um das strategische Gleichgewicht wiederherzustellen. Die Region um Büchel wäre eins der ersten Angriffsziele, um die Atomwaffen unschädlich zu machen. Vor kurzem lief in der ARD eine Dokumentation, die zeigte, dass Deutschland aufgrund seiner Lage zwischen den Blöcken das Schlachtfeld in einem Atomkrieg wäre. Ein amerikanischer Militär hatte im kalten Krieg sogar ein Würfelspiel entwickelt, in dem ein Atomkrieg auf der Landkarte von Hessen ausgewürfelt wurde.

Zum Schluss möchte ich noch 5 Vorschläge machen, was wir zur Abschaffung der Atomwaffen beitragen können.

1.) Wir dürfen uns nicht verunsichern lassen, weil hier heute nicht mehr so viele stehen wie früher. Wir sind eine lebendige Bewegung und Leben verläuft in Wellen. In 60 Jahren Ostermärschen wurde viel erreicht. Das Peace-Zeichen hat sich über die ganze Welt verbreitet. Auf die Proteste der 80er Jahre folgten die ersten großen Abrüstungsverträge. Auf Anspannung folgte Entspannung. Aber die kalten Krieger sind noch nicht in Rente gegangen und werben weiter für Sicherheit durch Angst und Abgrenzung und auch wir sind immer noch da. Der unheimliche Clown ist erschienen als Personifizierung des Rechts des Stärkeren. Er hat viel Unheil gestiftet aber er hat auch für die Wiedergeburt der Frauenbewegung und für den Friedensnobelpreis für ICAN und das Atomwaffenverbot gesorgt. Er bringt Chaos in die alte Sicherheitsarchitektur, das es Deutschland erlauben könnte, endlich seiner historischen Verantwortung gerecht zu werden und in der atomaren Abrüstung voranzugehen. Gerade jetzt zu Ostern, oder für die, die keine christliche Symbolik mögen, gerade jetzt zu Frühlingsbeginn sehen wir, dass es immer wieder einen neuen Anfang gibt, immer wieder eine Geburt. Und wir müssen nicht von vorne anfangen, wir stehen auf starken Schultern: Die großen Erfolge der Friedensbewegung spiegeln sich noch heute in den Umfragen: 71% der Deutschen sind für den Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbot und 85% fordern den Abzug der Atomwaffen aus Büchel.

2.) Wir dürfen uns nicht verunsichern lassen, auch wenn es schwierig erscheint Atomwaffen abzuschaffen. Das Problem wurde von Menschen gemacht, also können wir es auch lösen. Die Hürden auf dem Weg zur Abschaffung von Atomwaffen sind psychologisch. Schon jetzt erkennen mehr und mehr Menschen und Staaten, dass Atomwaffen keine Sicherheit bringen, sondern genau das Gegenteil. Die Abschaffung der Atomwaffen ist, ebenso wie die Abschaffung der Sklaverei oder das Frauenwahlrecht, ein Thema, dass soviel moralische Kraft besitzt, dass es unaufhaltbar ist. Die Menschen und Staaten der Erde werden auf Dauer nicht dulden, dass 9 Staaten sie in Geiselhaft halten und tagtäglich mit Vernichtung bedrohen.
Für alle, die noch nicht dabei sind, ist daher die Frage, wann sie sich auf die richtige Seite der Geschichte stellen. Für uns gilt, dass auch wenn es noch etwas dauern sollte, bis alle Atomwaffen abgeschafft sind, so lohnt sich schon der Weg dahin: Jedes Mal, wenn wir die Abschaffung von Atomwaffen fordern, setzen wir uns für eine Politik ein, die nicht auf Angst und Abgrenzung sondern auf Kooperation und Gleichheit beruht. Die Zivilgesellschaft und die Nicht-Atomwaffenstaaten werden weiter zusammenrücken, die Konzepte für ihre gemeinsame Sicherheit weiterentwickeln und die demokratischen Institutionen stärken. Die Demo-kratisierung der Vereinten Nationen, die bereits Fahrt aufgenommen hat, als die Atomwaffenstaaten das Atomwaffenverbot nicht mehr per Veto blockieren konnten, wird weiter voranschreiten.

3.) Bevor ich gleich endlich zu den konkreten Vorschlägen komme, möchte ich noch anbieten, dass wir in Atomwaffen auch einen Mythos sehen könnten, der uns hilft, uns auf das zu besinnen, worum es geht und was uns miteinander verbindet.
Kate Tempest, eine englische Rapperin und Lyrikerin, schreibt über die Vereinsamung von Menschen in der modernen und kapitalistischen Welt, die neurotisch werden, weil sie nicht mehr durch Mythen miteinander und mit der Ahnenwelt und damit mit der erlebten und nicht bloß von außen gesehenen Natur verbunden sind. Ihrer Ansicht nach fehlen uns Drachen und Sagen. Sie hat vor kurzem zusammen mit dem Künstler Peter Kennard einen Gedichtband gemacht. Peter Kennard hat 1980 das ICAN Symbol entworfen. Es ist das Peace Zeichen, durch das eine Atomrakete zerbrochen ist. Ich habe gerade einer Schlosserei in Altona den Auftrag gegeben, dieses Zeichen aus Schiffsbaustahl herzustellen. Am 17. Juni werde ich damit auf einen Berg namens Büchel reisen, viele Stunden von uns entfernt. Auf dem Berg schläft der Drache, der alles Leben mit seinem Atem zerstören kann... Ich werde das Zeichen vor dem Eingang zu seiner Höhle einbetonieren und alle, die dem Drachen täglich Futter bringen, werden es sehen und sich Gedanken machen... Schließlich wird der Drache immer dünner und schwächer und wird sich in die Lüfte erheben... Die Drachen aus den benachbarten Königreichen werden sich ihm anschließen und gemeinsam werden sie den großen Ozean überqueren...

4.) Nun aber zu den konkreten Vorschlägen: Tragt es weiter, organisiert ICAN Veranstaltungen und vor allem kommt alle zu unserer diesjährigen ICAN Woche in Büchel. Wir müssen Büchel zum Symbol des Widerstandes machen. Mit der großen Mehrheit, die in den Umfragen für den Abzug aus Büchel ist, ist es politisch nicht haltbar, die Atomwaffen weiter dort zu lagern, wenn es uns gelingt mehr Öffentlichkeit zu schaffen. Der Abzug aus Deutschland würde in der NATO sehr viel in Bewegung setzen. Seit einigen Jahren wachsen die Proteste bereits stetig, seid bitte dabei. https://www.ippnw.de/aktiv-werden/termine/ippnw-aktionswoche-in-buechel.html

5.) Verbreitet die ICAN Abgeordnetenerklärung für das Atomwaffenverbot. Die kann man auf der ICAN Seite herunterladen. https://www.icanw.de/aktivitaeten/ican-erklaerung-fuer-abgeordnete/
Damit verpflichten sich Abgeordnete dazu, sich für das Atomwaffenverbot einzusetzen. Die Aktion läuft gut, wir haben nach 2 Monaten bereits viele Unterzeichner. Zur Zeit suchen wir vor allem Unterstützer aus der SPD, weil die Partei in dieser Frage gespalten ist und das Zünglein an der Waage sein könnte. Ich hoffe, dass sich viele der Genossen auf Egon Bahr besinnen, der gesagt hat: »Militärs denken ja, man ist sicher, wenn man stark ist. Nein, man ist sicher, wenn die anderen keine Angst vor einem haben.«

 

Dr. Inga Blum ist aktive bei der IPPNW.