Redebeitrag von Jost-Hinrich Eschenburg für den Ostermarsch Augsburg am 31. März 2018

 

- Sperrfrist: Redebeginn 31.03.2018, ca. 12 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

“Was ihr wollt, dass euch die Leute tun, das tut ihnen!”

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!
“Si vis pacem, para bellum”, “Wenn du Frieden willst, so rüste zum Krieg”. Eine sinngemäßere Übersetzung dieser “Erkenntnis” der Spätantike müsste so lauten: “Wenn du willst, dass du deine Ziele durchsetzen kannst und keiner die Macht hat, dich daran zu hindern – einen solchen Zustand nennst du ‘Frieden’ – dann führe diesen Zustand herbei, indem du dich bis an die Zähne bewaffnest!”

Diese Ansicht hat sich seither nicht wesentlich verändert; sie ist das geheime Glaubensbekenntnis der internationalen Politik. Sie beruht auf der Erkenntnis, dass es außer uns selbst keinen auf der Welt gibt, der unsere potentiellen Gegner daran hindern könnte,unseren Plänen gewaltsam in die Quere zu kommen, unsere Lebensadern abzuschneiden, im Extremfall sogar militärisch anzugreifen. Deshalb müssen wir Bündnisse schließen wie die NATO und höchstmöglich gerüstet sein, um auf alle Fälle vorbereitet zu sein. Da wir zukünftige Möglichkeiten nicht eingrenzen können, gibt es auch keine Grenze des Strebens nach Rüstung, es ist im wahren Wortsinn “maßlos”, ein Moloch, vergleichbar dem Streben der Finanzmärkte nach immer mehr Geld. Und wenn schon so viel Geld dafür investiert wurde, dann kann man die militärischen Kapazitäten ja auch dann nutzen, wenn keine unmittelbare Gefahr besteht. “Wir machen es, weil wir es können”, soll Blair zum Angriff auf den Irak 2003 gesagt haben.

Es gibt nur eine Schwachstelle: das Wörtchen “wir”. Wer sind “wir”? Wir Deutschen? Wir Europäer? Wir Mitglieder der “westlichen Wertegemeinschaft”? Wie immer dieses “wir” definiert wird: Es nimmt eine Abgrenzung vor. Im Gegensatz zum “wir” stehen die “anderen”, die eben nicht zu dieser Gemeinschaft gehören, meist wegen der zufälligen Lage ihres Geburtsortes. Aber wir hier auf diesem Platz ertragen diese Abgrenzung nicht. Viele von uns sind Humanisten, die sich in erster Linie als Menschen empfinden, unabhängig von der Geographie ihres Geburtsorts; manche von uns glauben an Gott als den Schöpfer und Bewahrer allen Lebens, den Allerbarmer, Vater und Mutter aller Menschen, aller Lebewesen. Wie können wir da einen solchen Unterschied anerkennen?

Aber da kommt ein weiteres starkes Argument zu Hilfe: “Wir” sind die “Guten”! Wir haben die Moral auf unserer Seite, die ja etwas Universelles ist, was alleMenschen verbindet, die “anderen” dagegen stehen außerhalb jeder Moral, sie sind die “Bösen”. Für besonders drastische Beispiele ist immer die BILD-Zeitung gut: Laut einer Umfrage sollen mehr Deutsche Angst vor Trump als vor Putin haben. Der Bildredakteur Franz Josef Wagner schreibt dazu am 18.3. auf bild.de: “Sind wir Deutschen verrückt? Putin bombt, stiehlt die Krim, verbündet sich mit dem Massenmörder Assad. Eigentlich ist Putin ein Satansbraten, der Luzifer, das böseste Gespenst. Aber wir Deutschen haben mehr Angst vor Trump.” Auch der Westen bombt, versucht, die ganze Ukraine zu vereinnahmen, bekämpft Assad mit Hilfe von Terroristen der “Freien Syrischen Armee” und des IS und unterstützt Saudi-Arabien dabei, den Jemen auszuhungern; die Panzer und Kriegsschiffe dafür liefert Deutschland. Aber der “Böse” ist Putin. Das Rezept ist denkbar einfach: Man lässt von der Wahrheit diejenige Hälfte weg, die die eigenen Leute nicht gut aussehen lässt;was übrig bleibt, ist die “veröffentlichte Wahrheit”, und der Sieger darf seine Version in die Geschichtsbücher schreiben. Das funktioniert bestens, weil die Mächtigen weitgehend die Verfügung über die Informationsquellen besitzen, trotz Internet. Die jüngste Kampagne zu den Giftmorden in Salisbury, bei der Politiker aus unbewiesenen Vermutungen und Behauptungen weitreichende Schlüsse ziehen, die von den Medien aufgegriffen und verstärkt werden, ist ein gutes Beispiel. Nur selten gelingt einem andersartigen Beitrag ein kleiner Durchbruch, wie dem Buch “Eiszeit” von Frau Krone-Schmalz: “Wie Russland dämonisiert wird und warum das so gefährlich ist”, so heißt es im Untertitel. Darin wird u.a. gezeigt, wie Putin ein Jahrzehnt lang versuchte, mit dem Westen ins Reine zu kommen, und betrogen wurde.

Dies alles ist steinalt: Verschleierung von blankem Egoismus durch Moral. Schon Machiavelli hat darüber im 16. Jahrhundert nachgedacht und kommt zu dem Schluss, dass es so sein muss: Der Politiker kann und darf nicht ethisch gut handeln, “insofern der Mensch, der in allen Stücken zum Guten sich bekennen wollte, unter so vielen, die nicht gut sind, zu Grunde gehen muss. Es ist daher einem Fürsten, der sich behaupten will, nötig, dass er lerne, nicht gut sein zu können ...” Die moderne Version dieses Arguments ist eine Form der Verantwortungsethik, die Gutes mit schlimmen Mitteln bewirken zu können meint. Um Japan 1945 zur bedingungslosen Aufgabe zu zwingen, wurden in Hiroshima und Nagasaki 230 Tausend Menschen ermordet. Bis heute wird dieses Verbrechen von der US-Regierung gerechtfertigt.

Machiavelli beschreibt alles nur aus der Sicht des Herrschers. Das ist kurz gegriffen, denn die Bosheit steht auch möglichen Gegnern als Waffe zur Verfügung. Sie führt zu einem Wettlauf der Gemeinheit und zum gemeinsamen Untergang.

Wir, die wir hier stehen, werden dieses tödliche “Spiel” der Politiker von Druck und Gewalt nicht mitspielen. Wie unser früherer Mitbürger Bert Brecht sagte: “In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen.” Die Alternative, für die wir stehen, ist ebenfalls sehr alt: “Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu”, oder positiv gewendet: “Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun, das tut ihnen auch” (Mt. 7,12). Seitdem dieses Wort Jesu in der Welt ist, wird versucht, es zu entschärfen und auf den persönlichen, den mitmenschlichen Bereich einzuschränken, wo es keine Gefahr darstellt f¨ur die Pl¨ane der Mächtigen. Sie haben weiterhin die volle Unterstützung der Gläubigen, die auf beiden Seiten der Front zu ihrem jeweiligen Stammesgott um den Sieg beten. Aber Christen und Muslime bekennen gemeinsam: “Gott ist größer”.

Was bedeutet dieses Wort, auf die Politik von Staaten und anderen Gemeinschaften angewandt? Es bedeutet zum Beispiel, dass wir uns auch in die Rolle des anderen, des möglichen Gegners hineinversetzen müssen, nicht, um seine Pl¨ane besser vereiteln zu können, sondern um auch ihm Leben und Überleben zu ermöglichen. Lassen Sie uns dies einen Moment lang im Fall des Konflikts mit Russland bedenken.

Ob der russische Präsident Putin heißt oder anders: Er ist der Vertreter eines Landes, dem wir Respekt schulden. Das Land hat Interessen und Probleme wie jedes Land, und diese müssen wir verstehen, weil wir mit diesem großen Nachbarn der EU in Frieden leben müssen. Zu den Problemen geh¨ort, dass die NATO seit 1990 ungeheuer erfolgreich war: Alle Warschauer Pakt-Staaten und drei ehemalige Sowjetrepubliken sind heute Mitglieder von EU und NATO. Auch die Ukraine sollte der EU angeschlossen werden, das hat sie auseinandergerissen. Neue Raketen werden in Polen und Tschechien installiert, rund um die russische Föderation sind NATO-Truppen stationiert. Insgesamt gibt die NATO 14-mal mehr Geld für Rüstung aus als Russland! Diese “Erfolge” sind aus russischer Sicht eine Bedrohung, auf die das Land reagieren muss. Das rüde Vorgehen gegen die Ukraine ist eine solche Reaktion. Die Krim ist mehrheitlich russisch-sprachig, und dort ist die russische Schwarzmeerflotte stationiert. Wir können nur froh sein, dass mit Putin jedenfalls kein Psychopath die Macht in Russland innehat, sondern ein erfahrener und überlegter Politiker.

Wir können heute ein kleines Zeichen setzen. Nach dem Willen der NATO sollen die Rüstungsausgaben jedes Mitglieds auf 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes gesteigert werden. Allein für Deutschland w¨are das eine Erhöhung der Rüstungsausgaben von 40 auf 60 Milliarden Euro, während Russland etwa 70 Milliarden ausgibt. Wir lehnen diese Erhöhung ab, nicht nur, weil dieses Geld an anderem Ort fehlen würde, sondern vor allem, weil es die Welt unsicherer macht statt sicherer, weil es das bestehende Ungleichgewicht zwischen Russland und der NATO noch einmal drastisch vergrößert und entsprechende Reaktionen heraufbeschwört. Bitte helft mit, laut “Nein” zu sagen, indem ihr die Unterschriftenlisten von pax christi, DFG-VK und anderen Friedensgruppen unterschreibt und weiterverteilt. Vielen Dank!
 

Jost-Hinrich Eschenburg ist Professor an der Universität Augsburg.