Redebeitrag von Murat Cakir für den Ostermarsch Ostwestfalen-Lippe in Bielefeld am 31. März 2018

 

- Sperrfrist, 31.03.2018, Redebeginn, ca 13 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Abrüstung und Frieden ist das Gebot der Stunde. Krieg tötet!

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

wie in den vergangenen Jahren gehen an diesen Ostertagen wieder tausende Menschen auf die Straße, um für Abrüstung und Frieden, für Demokratie und soziale Gerechtigkeit ihre Stimme zu erheben. Trotz des vom völkisch-nationalistischem Geschwätz vergifteten gesellschaftlichen Klimas; trotz der tiefer werdenden Spaltung unserer Gesellschaft und trotz der unseligen Ignoranz der verantwortlichen Politik gegenüber friedenspolitischen Forderungen lassen sie es sich nicht nehmen, sich Kriegen, Gewalt und Unterdrückung auf der gesamten Welt entgegenzustellen. Es mag sein, dass einige Medien, die zum Sprachrohr von Profitinteressen geworden sind, wieder versuchen werden, die Ostermärsche und die Friedensbewegung als »Ewiggestrige Friedensapostel« zu diskreditieren. Es mag auch sein, dass jene großen Politiker, die im Dienste der Rüstungskonzerne und Kriegsprofiteure stehen, über uns kleine Leute die Nase rümpfen werden. Denen sagen wir: Ja, wir mögen nur wenige sein. Doch selbst diese wenigen Menschen an den Ostertagen reichen aus, als Sandkörner in den Zahnrädern der Kriegsmaschinerie den Kriegstreibern die Osterruhe zu rauben. Ja, wir mögen nur kleine Leute sein, die sich anschicken gegen die Mächtigen dieser Erde aufzubegehren. Gegen jene wirtschaftlichen, politischen und militärischen Mächte, die für ihre Herrschaft vor Kriegen, Militarisierung, Ausbeutung und Raubbau an der Natur nicht zurückschrecken; denen außer dem Profit nichts heilig ist. Sie mögen die Macht haben; sie mögen über die größte Propagandamaschinerie, die der Kapitalismus je entwickelt hat, über Armeen und Staatsapparate verfügen. Wir dagegen haben nur die moralische Kraft des Glaubens an den Frieden, an die soziale Gerechtigkeit und an die Demokratisierung, die uns ermutigt, gegen Gewalt und Krieg, gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung aufzustehen und laut »Nein!« zu sagen. Diese Kraft reicht aus, um - wie Rosa Luxemburg sie mal nannte – die »getreuen Regierungsmamelucken«, die Kriegsgewinnler und Militaristen in Uniformen oder in Nadelstreifenanzügen nervös zu machen. Denn wir handeln in dem Bewusstsein, dass die überwiegende Mehrheit unserer Gesellschaft gegen Aufrüstung und Kriegseinsätze ist. Und wir wissen, dass unser beharrlicher Einsatz für Frieden, den Mächtigen Angst einflößt. Denn, nicht nur wir, auch sie kennen das berühmte afrikanische Sprichwort, in der es heißt: »Wenn viele kleine Leute, an vielen kleinen Orten, viele kleine Dinge tun, dann können sie das Gesicht der Welt verändern«. Das ist es, was uns Mut macht – Die Welt verändern zu können. Und genau das ist der Grund, warum wir kleine Leute den Mächtigen soviel Angst einjagen. Daher will ich es nicht versäumen jeden Einzelnen von Ihnen meinen Dank auszusprechen. Danke, weil Sie Ihren Beitrag heute leisten, damit die Stimme des Friedens und der Vernunft nicht verstummt. Danke, weil Ihr Engagement uns ermutigt, gemeinsam den Kriegstreibern die Stirn zu bieten.

 

Liebe Friedensfreundinnen und –freunde!

Wir sind mitnichten Friedensapostel, die in ihren warmen Stuben, fernab von den Kriegsgebieten, hier in der privilegierten Region der Welt als Gutmenschen über Friedenszeiten und Harmonie sinnieren. Nein. Als Friedensbewegte geht es uns darum, in dem größten Interessenskonflikt der Menschheit Partei zu ergreifen. Wir ergreifen Partei zugunsten jener Menschen, für die die völkerrechtswidrigen Interventionskriege, die allesamt zur Wahrung von wirtschaftlichen Interessen einer Minderheit geführt werden, verheerende Folgen haben. Wir ergreifen Partei für die Hunderttausenden Tote, unzähligen Verletzte und Millionen Flüchtlinge, die Opfer einer perversen Politik geworden sind – Einer Politik, die für die weltweite Kontrolle der Handelswege, für die Sicherung von Märkten, Ressourcen und Einflussgebieten über Leichen geht. Und nicht zuletzt ergreifen wir Partei für unsere ureigenen Interessen, weil wir wissen, dass die Beugung des internationalen Rechts, die Militarisierung der Politik und Rüstungsexporte im engen Zusammenhang mit dem neoliberalen Umbau Europas sowie dem Abbau sozialer wie demokratischer Rechte stehen. Deshalb gehen wir auf die Straße, deshalb erheben wir unsre Stimme, deshalb sagen wir laut Nein zu einer solchen Politik!

Und wir bleiben dabei: Abrüstung und Frieden ist das Gebot der Stunde – Krieg tötet, Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit! Mit Krieg ist kein Frieden zu schaffen. Im Gegenteil: mit mehr Waffen und mehr Militär werden weltweite politische Probleme, ökonomische Krisen und humanitäre Katastrophen verschärft. Auch hier in Europa sind wir von deren Folgen betroffen: in einem reichsten Länder der Welt verlieren immer mehr Menschen ihre Existenzgrundlage. Kinderarmut und Altersarmut wachsen stetig. Während immer mehr Geld in Rüstungsprojekte und Militarisierung gepumpt werden, leiden immer breitere Bevölkerungsteile unter der unsozialen Kürzungspolitik. Dadurch, aber auch durch das wahltaktische Schüren von Ängsten vertieft sich die gesellschaftliche Spaltung, was den Nährboden für reaktionäre, rassistische Parteien ausmacht. Obwohl die weltweiten Spannungen es erfordern, dass eine Politik der Entspannung und Abrüstung die einzige Orientierung sein muss, gießt auch die neue Bundesregierung immer mehr Benzin ins Feuer. Anstatt den in der UNO vorliegenden Vertrag für ein allgemeines Verbot der Atomwaffen zu unterschreiben, sich für den sofortigen Abzug aller Atomwaffen aus Europa einzusetzen und die dringend notwendigen Investitionen in den Bereichen Gesundheit, Wohnen, Bildung, Kultur und Infrastruktur vorzunehmen, wird im aktuellen Koalitionsvertrag die Verdoppelung der Rüstungsausgaben angestrebt. Mehr noch: die Bundesregierung ist die schärfste Verfechterin des Ziels, dass alle NATO-Mitgliedsstaaten ihren Verteidigungshaushalt auf 2-Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöhen sollen.

 

Freundinnen und Freunde!

Wie kann angesichts dieser Realität Jemanden widersprochen werden, der sagt: »Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt«? Wie sollen wir auf die Kinder von Afrin reagieren, die aus ihrer Heimat flüchten mussten, weil die Türkei in einem völkerrechtswidrigen Akt, mit deutschen Leopard-Panzern und der politischen Rückendeckung der Bundesregierung in Nordsyrien einmarschiert ist? Was sollen wir den kurdischen und türkischen Demonstranten antworten, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ausüben wollen aber von der deutschen Polizei und der deutschen Justiz mit verfassungsrechtlich unhaltbaren Verboten drangsaliert, kriminalisiert und stigmatisiert werden? Sollen wir ihnen sagen: schaut zu, dass ihr deutsche Kapitalinteressen schützt, dann bekommt ihr auch vom deutschen Außenminister Tee serviert? Und wie in Gottes Namen sollen wir in die Gesichter der Jemeniten schauen, die tagtäglich von den saudischen Despoten, die unsere Regierung als gute Kunden und strategische Partner betrachtet, bombardiert werden?

Im Grunde genommen sind das Fragen, die nicht von uns, sondern von den Regierenden beantwortet werden müssen. Ähnliches dürften sich die Freund*innen von dem Netzwerk Friedenskooperative gedacht haben. In einer Musterrede zum Ostermarsch stellen sie folgende Fragen: »Wie kommt deutsche Politik immer wieder darauf, dass es gut, dass es sinnvoll, dass es friedensfördernd wäre, in einen kriegerischen Konflikt noch mehr Soldaten, noch mehr Waffen, Tornados und militärisches Know-How zu schicken? Wie kommt deutsche Politik immer wieder darauf, dass es friedensfördernd wäre, unterschiedlichste Konfliktparteien militärisch auszubilden? Viel zu oft haben wir in den vergangenen Konflikten erlebt, dass am Ende wieder deutsche Waffen gegen deutsche Waffen kämpfen. Dass am Ende wieder die von uns ausgebildeten Konfliktparteien gegeneinander kämpfen. Wieso lernen wir nicht daraus?«.

Nun, wir, die friedensbewegten Menschen haben daraus gelernt – deshalb sind wir ja heute hier. Die eigentliche Frage ist, warum die Regierenden daraus nichts lernen wollen? Sind sie zu dumm? Werden sie vielleicht durch falsche Beratung fehlgeleitet? Weder noch! Wenn die Bundesregierung und die derzeitige politische Mehrheit im Deutschen Bundestag danach streben, Rüstungsexporte zum strategischen Mittel der Außenpolitik zu machen und verfassungsrechtliche Grundsätze, wie den Verbot von Waffenlieferungen in Krisengebiete auszuhöhlen, dann deshalb, weil das die fatale Konsequenz der Rüstungsproduktion und der Perfektionierung der militärischen Gewalt ist. Wenn sie danach trachten, die Bundeswehr zu einer globalen Interventionsarmee zu transformieren, die ggf. im Innern eingesetzt werden kann, Kriegseinsätze im Ausland auszuweiten und mit der politischen, wirtschaftlichen, militärischen Unterstützung von despotischen Regimen weiterzumachen, dann deshalb, weil im Deutschen Bundestag nicht die Interessen der Bevölkerungsmehrheit, sondern die wirtschaftlichen Interessen von Banken und Konzernen die Oberhand haben. Wie wäre es sonst zu erklären, dass für das neue Aufrüstungsprogramm über 130 Milliarden Euro ausgegeben werden sollen, obwohl wir mitten in Europa von, uns partnerschaftlich verbundenen Nachbarländern umgeben sind? Wie ist es sonst zu erklären, dass der Rüstungshaushalt auf 70 Milliarden Euro verdoppelt werden soll, während für dringende soziale Aufgaben, für die Daseinsvorsorge, Kinderbetreuung, Alterssicherung, für Bildung, bezahlbarem Wohnraum, Gesundheit, kommunale Infrastruktur und den ökologischen Umbau immer weniger öffentliche Mittel zur Verfügung stehen? Und wie sonst ist es zu erklären, während die Militarisierung der Außenpolitik und die Aushöhlung der Demokratie Hand in Hand gehen, die Zeche die Bevölkerung zahlen muss, aber für Konzerne und Kapitaleigner immer mehr Subventionen und Steuergeschenke bereit gestellt werden?

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Gerade in dem aktuellen Syrienkonflikt erleben wir, wie die neue Bundesregierung dort weitermacht, wo die alte aufhörte: Krokodilstränen fließen lassen und zynische Doppelzüngigkeit! Während die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung öffentlich den Einmarsch der Türkei in Afrin als »inakzeptabel« verurteilte, genehmigte ihre Regierung zur gleichen Zeit weitere Waffenlieferungen an den türkischen Aggressor. Im gleichen Atemzug wird die gleiche Repressionspolitik der AKP-Diktatur gegen kurdische und türkische Opposition in Deutschland eins zu eins umgesetzt. Wer so widersprüchlich handelt, muss sich den Vorwurf der Mittäterschaft und Beihilfe zum Angriffskrieg gefallen lassen. Diese Politik ist mehr als verantwortungslos. Damit verletzt die Bundesregierung das internationale Völkerrecht und tritt das Bonner Grundgesetz mit Füßen, zu dessen Schutz sie verpflichtet wurde.

Genauso verantwortungslos und wider aller Vernunft handelt die Bundesregierung, in dem sie die Konfrontationspolitik gegen die Russische Föderation anheizt. Die bedauerlichen Ereignisse um einen Doppelagenten werden dazu genutzt, um aggressive Handlungen gegen Russland und für deren Einkreisung durch die NATO zu rechtfertigen. Es ist skandalös, wenn Bundeswirtschaftsminister Altmeier davon spricht, dass »jedermann akzeptieren müsse«, dass Deutschland die »moralische Führungsrolle bei den Maßnahmen gegen Russland übernommen« habe. Wieder einmal wird die Mär vom »strategischen Feind« und einer »Bedrohung ohne Grenzen« heruntergeleiert. Diese Stimmungsmache erinnert fatal an die Zeiten des Kalten Krieges.

Wenn NATO nach Osten marschiert, in Polen und den baltischen Staaten neue NATO-Stützpunkte aufbaut, permanente Kriegsmanöver an der russischen Grenze durchführt, mit Raketenabwehrschirm, neuen Militärbasen im Hinterland und Battle-Troops, darunter deutsche Truppen, eine Bedrohungssituation eskalieren lässt, dann ist das nicht nur politisches Säbelrasseln, sondern eine verantwortungslose Politik, die den Frieden in Europa in akute Gefahr bringt. Wenn eben einer solchen aggressiven, militaristischen Drohpolitik unsere Regierung folgt, dann sind wir verpflichtet, ihr Einhalt zu gebieten. Krieg und kriegerische Politik ist Unrecht. Und wir dürfen nicht zulassen, dass Unrecht zur Recht wird.

 

Liebe Friedensfreund*innen und Freunde,

vor genau 60 Jahren begannen die ersten Ostermärsche. In Großbritannien hatte der erste Ostermarsch das Ziel, »den totalen Verzicht auf Atomkriege und auf seine Waffen als einen ersten Schritt zur Abrüstung durch Großbritannien und alle anderen Länder zu erreichen«. Seither ist unsere Welt nicht sicherer Geworden – Im Gegenteil, eine atomwaffenfreie und friedliche Welt als Ziel scheint derzeit ferner denn je zu sein.

Wenn es eine wichtige Lehre aus 60 Jahren Ostermärsche zu ziehen ist, dann die, dass es ein hoffnungsloses Unterfangen ist, die verantwortliche Politik allein durch Appelle an Vernunft und Gewissen zu einem Politikwechsel zu bewegen. Deshalb müssen wir unser Nein zum Krieg lauter, deutlicher und vielfältiger formulieren, den Druck der Straße erhöhen. Es wird sich auf jeden Fall lohnen.

Lassen wir uns von Lügen, Mythen und sonstigen Suggestionen nicht einlullen. Heute gilt es zu sagen: Nein! Nein zur Umwandlung der Bundeswehr in eine Interventionsarmee. Nein zum Kauf und Einsatz von Kampf-Drohnen. Nein zu Auslandseinsätzen, zu Rüstungsexporten und Rüstungszusammenarbeit mit Despoten. Nein zum Krieg und Nein zur NATO!

 

Aber liebe Freundinnen und Freunde,

wir sind keine bloßen Neinsager. Unser Nein ist ein deutliches Ja für den Frieden und für den Abzug aller Bundeswehrsoldaten aus Afghanistan und wo sie noch überall sind. Es ist ein Ja für eine Welt ohne Atomwaffen. Ein Ja für Völkerverständigung, Solidarität, für Entspannungspolitik, Demokratie und soziale Gerechtigkeit in allen Ecken der Welt. Es ist ein Ja für eine andere, von Kriegen, Unterdrückung und Ausbeutung befreite Welt!

Dieses Ja wird unser Werk sein und es ist dieses Ja, die uns kleine Menschen so mächtig gegen die Mächtigen der Welt macht. In diesem Sinne, uns allen frohe und friedliches Ostertage!

 

Murat Cakir ist Mitarbeitder Rosa-Luxembzrg Stiftung in Hessen.