Redebeitrag von Violetta Bock für den Ostermarsch Kassel am 2. April 2018

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Danke für die Gelegenheit heute hier zu sprechen. Seit Jahren versammeln wir uns an diesem Tag gegen Krieg und Aufrüstung. Doch wir stehen hier nicht aus Tradition. Sondern weil die aktuelle Lage uns tausend Gründe dafür liefert.

Allein wenn, wir auf die letzte Woche zurückblicken: Der Krieg Erdogans mit deutschen Panzern in Afrin, die Eskalation zwischen dem Westen und Russland, die Hunderte Verletzten und Toten im Gaza Streifen beim Marsch der Rückkehr. Diese Welt ist weit davon entfernt eine friedliche zu sein. Unsere Zukunft erfordert eine lebendige Friedensbewegung!

Ich bin gebeten worden zum Thema Flüchtlinge zu sprechen. Ich selbst musste nie fliehen.

Ich habe das Privileg hier heute ohne Furcht zu sprechen und kann nur erahnen, was Flucht bedeutet. Ich denke dabei etwa an die Geschichte des jungen Afghanen, der letztes Jahr hier oben stand. Er beschrieb, wie es ist, seine Heimat Afghanistan zu verlassen und wie froh er war, hier angekommen zu sein. Seit zwei Jahren hier, und doch nicht angekommen. Ohne Sicherheit und Perspektive, ob er hier bleiben kann, konfrontiert mit tausenden Erwartungen der sogenannten Integration.

Ich denke an die Demonstration der Oromo aus Äthiopien, fast jeder wird zurückgeschickt in ein Land, mit dem Deutschland rege Handel betreibt, obwohl gefoltert und jede Opposition niedergeschlagen wird. Ich denke an Menschen aus dem Iran, Marokko, Kosovo..

Ich denke auch an die Somalis in Kassel. Viele von ihnen sind zum Teil vor 20 Jahren geflohen, haben hier ihr Zuhause gefunden, arbeiten und gründeten Familien, aber ihre Geschichte verfolgt sie nach wie vor, weil sie bis heute um die Einbürgerung kämpfen müssen. Sie arbeiten hier, aber haben nicht das Recht zu wählen.

65 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. 65 Millionen! Die wenigsten machen sich auf den Weg nach Europa, und noch viel weniger kommen hier an.

Die Herrschenden sprechen viel von Frieden. Seehofer bezeichnet es als ein Kernthema, dem er sich widmen will. Der soziale Frieden muss gewahrt bleiben. Was soll das bedeuten? Und was tun sie dafür?

Sie verschicken Panzer, sie zahlen Geld an Erdogan, sie führen Krieg aus „humanitären Gründen“, stocken den Rüstungsetat auf, sie bauen Zäune, schicken Frontex, bauen Abschiebeknäste. Sie schließen Freihandelsabkommen ab und führen neokoloniale Politik fort und zerstören Lebensgrundlagen in anderen Ländern.

Hier weiten sie dann den Niedriglohsektor, Flexibilisierung und Arbeitsverdichtung aus für die „Wettbewerbsfähigkeit“. Sie benutzen die Situation der geflüchteten Menschen, indem sie rechter Hetze den Boden bereiten, sie betreiben oder ihr entgegen kommen. sie lenken ab von der eigenen verfehlten Politik. Sie versuchen uns zu spalten. Mit dieser Politik liefern sie die Fluchtursachen.

Es ist der Drang im kapitalistischen System zur Expansion, zur Kontrolle von Rohstoffen und Märkten, zum Verkauf von Panzern, der jeden überrollt, der im Weg steht. Und sei es der eigene Planet. Die Klimakatastrophe wird dafür sorgen, dass weitere Menschen gezwungen werden sich auf die Suche zu machen, um neue Wurzeln zu schlagen. Das ist absehbar, das wissen alle.

Was meinen sie also, wenn sie vom sozialen Frieden sprechen? Sozialer Frieden heißt für sie, dass wir nicht gegen sie rebellieren, uns auflehnen sondern ruhig an ihren schmutzigen Geschäften teilhaben und gegeneinander wenden. Das - ist nicht der Frieden, den wir wollen. Denn Frieden für die Herrschenden heißt Krieg für uns. Wir wollen Frieden für alle!

Sie sprechen viel von Sicherheit. Und was tun sie dafür? Sie weiten die Überwachung aus und wollen Gefährder auf Verdacht einsperren. Für unsere Sicherheit? Das ist nicht unsere Sicherheit. Das ist Sicherheit für die herrschenden Verhältnisse und gegen diese „Sicherheitspolitik“ wenden wir uns.

Und diese Maßnahmen werden ergriffen, weil sie trotz der Rekordgewinne der DAX-Konzerne sehen, dass die Widersprüche offener zu Tage treten. Je instabiler es wird, desto mehr reagieren sie mit Versuchen der Kontrolle und der Repression. Sie verstecken Menschen auf der Flucht in Abschiebeknästen, vor den Toren der Türkei und den Außengrenzen Europas in Libyen, Italien und Griechenland. Doch wir sehen es, wir vergessen nicht.

Und mit jeder Kamera, die sie anbringen, mit jedem Menschen, den sie krank machen, den sie ertrinken lassen, fällt das Antlitz der hochgelobten europäischen Werte, mit jeder neuen Statistik, jedem mutigen Journalisten, der das Ausmaß enthüllt, zeigt sich die Heuchelei der Mächtigen. Mit jedem neuen Rüstungsatlas, der offenbart, wie Waffen und Panzer von deutschem Boden Kriege in anderen Ländern befeuern, wandelt sich der Konsens zum System in Kritik. Aus dieser Kritik Widerstand zu schmieden ist unsere tägliche Aufgabe.

Wir befinden uns in einer historisch entscheidenden Zeit. Und es ist niemand da, der uns retten wird. Das müssen wir selbst tun. Das Pendel kann weiter nach rechts schwingen, der AfD und den Hetzern den Boden weiter bereiten, den Spahns, den Maas und Trumps, die nichts als Verachtung für uns übrig haben oder denen wir im besten Fall egal sind. Aber das ist keine Selbstverständlichkeit!

Das Pendel der Geschichte kann auch umschlagen und eine neue Zeit einleiten, in der die Kräfte für eine solidarische und widerständige Gesellschaft Land gewinnen. Es liegt an uns in die Geschichte einzugreifen und wir sind dabei nicht allein. Wir sind Teil der Bewegung der Schülerinnen in den USA, die gegen die Waffenindustrie kämpfen, der Pflegerinnen und Pfleger, die in den Krankenhäusern für Entlastung und Gesundheit kämpfen, die Streikenden und protestierenden Studierenden in Frankreich, die gerade Universitäten besetzen, der tausenden Ehrenamtlichen, die sich in Kirchen, Nachbarschaftsvereinen, Gewerkschaften in der Flüchtlingshilfe engagieren, der sechs gewaltfreien jungen Aktivistinnen, die vor anderthalb Jahren die Start- und Landebahn des Atomwaffenstürtzpunktes Büchel in der Eiffel besetzt haben und demnächst vor Gericht stehen wegen angeblichem Hausfriedensbruch.

Uns alle eint, dass dieses System uns von verschiedenen Seiten angreift und wir das nicht hinnehmen wollen.

Deswegen flüchten wir uns nicht in Ausreden, dass wir die vielen nicht erreichen, dass die Medien zu stark sind, bleiben wir stehen und blicken mutig nach vorn. Es ist unsere Aufgabe den richtigen Weg zu finden um Leute anzusprechen und für eine solidarische Gesellschaft zu gewinnen. Wir gehen raus, wenden uns an jene, die noch unentschieden sind. Wir arbeiten daran überall präsent sein, denn wir wissen dass es anders geht. Unsere Aufgabe besteht darin, Menschen zu ermutigen sich nicht mit den Verhältnissen abzufinden, die verschiedenen Kämpfe zusammen zu führen. Denn die Zukunft ist noch nicht geschrieben.

Dies erfordert auch Mut. Wenn ihr zweifelt oder zögert, denkt an jene, die sich auf den Weg gemacht haben, teils tausende Kilometer überwinden und deren Antrieb die Hoffnung auf ein besseres Leben ist. Denkt an die Erfolge, die errungen wurden, wie das Frauenwahlrecht vor 100 Jahren.

Für uns ist vieles einfacher als in anderen Gegenden dieser Welt, doch auch hier macht die Repression nicht halt, wächst und macht vielen Angst. Ein jüngstes Beispiel betrifft die Solidaritätskundgebungen mit Afrin und gegen den Einmarsch der Türkei. Besucher der Kundgebung wurden zum Teil Tage danach von der Polizei angehalten und Personalien aufgenommen, weil sie eine Fahne der YPG gehalten haben sollen. Das ist Einschüchterung und dagegen wenden wir uns. Wir sehen nicht weg, wenn irgendwo Unrecht passiert!

Unsere Waffe ist die Solidarität, denn wir sind die Vielen, und wenn wir uns nicht spalten lassen, sind wir Millionen Menschen gegen Wenige mit Millionen.

Und immer wieder werden wir zusammenkommen, sei es am 6.April zum Gedenken der NSU Morde, sei es am 1. Mai, sei es am 29.September, wenn die nächste antirassistische Parade in Hamburg unter dem Motto We’ll come united Menschen aus Flüchtlingsselbstorganisationen, Betrieben und Universitäten zusammen bringt. Am 28. Oktober wird in Hessen der Landtag gewählt, auch diese Zeit müssen wir nutzen, um die Stimme zu erheben gegen die AfD und die unsoziale Politik der anderen Parteien.

Keine Kriege mehr auf unsere Kosten!

Kein Leben mehr für ihre Profite!

 

Violetta Bock ist Stadtverordneten der Fraktion Kasseler Linke.