Redebeitrag für den Ostermarsch in Frankfurt am 10. April 2023

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Zuhörende,

vielen Dank für die Einladung und die Gelegenheit, an dieser Kundgebung mitwirken zu dürfen.

In ihrem Lied mit dem Titel „All Nations rise (Alle Nationen erheben sich)“ singt die indigene Musikerin und Akademikerin Lyla June Johnston:

„Indigene Völker

Macht Euer Licht an - wir sind gleich.

Ich erinnere mich an die Tage,

als unsere Gebete illegal waren.

Ich erinnere mich an die Tage,

als es tödlich war, Indigene zu sein (…)

(…) Es wird gesagt, dass die Geschichte von den Sieger:innen geschrieben wird.

Aber wie kann es einen Sieger/eine Siegerin geben, wenn der Krieg noch nicht vorbei ist?

Die Schlacht hat gerade erst begonnen.

Und der Schöpfer schickt seine allerbesten Krieger:innen.

Und dieses Mal sind es nicht mehr Indigene gegen Cowboys.

Diesmal sind es all die schönen Teile der Menschheit

gemeinsam auf der gleichen Seite.

Und wir kämpfen, um unsere Angst zu ersetzen - durch Liebe.

Und dieses Mal werden uns Kugeln, Pfeile und Kanonenkugeln nicht retten

Die einzigen Waffen, die uns in diesem Kampf helfen werden

sind die Waffen der Wahrheit, des Glaubens und des Mitgefühls.“

Ich wünsche mir, Lyla June hätte Recht: Die Menschheit, in ihrer Vielfalt, stünde zusammen und würde alle ihr zur Verfügung stehenden intellektuellen, moralischen und spirituellen Ressourcen mobilisieren, um der größten Bedrohung für unseren Planeten entgegenzuwirken: dem Klimawandel, der die Lebensgrundlagen für zukünftige Generationen und in vielen Weltregionen schon für jetzige Generationen vernichtet. Stattdessen stehen wir da und beobachten, wie diese Mutter aller Bedrohungen in den Hintergrund gerät. Stattdessen sind wir seit dem Beginn des russischen Aggressionskrieges gegen die Ukraine damit beschäftigt, eine vermeintliche Normalität wieder herzustellen, die angeblich durch diesen Krieg gestört worden sei.

Aber eine Normalität gab es vor diesem Krieg nicht.

Es gibt keine Normalität in einer Welt voller Ungleichheiten zwischen den Ländern und innerhalb der Länder.

Es gibt keine Normalität in einer Welt, in der jedes Jahr tausende Tier- und Pflanzenarten verschwinden.

Es gibt keine Normalität in einer Welt, in der für Waffen mehr ausgegeben wird als zur Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele der UN, denen sich alle Mitgliedstaaten, einschließlich der großen Industriestaaten verpflichtet haben.

Es gibt keine Normalität in einer Welt, in der der Regenwald in Südamerika abgeholzt wird, um Soja zu produzieren, das u.a. in der Massentierhaltung in der EU landet, deren Überschüsse dann kleine Produzent:innen in verschiedenen afrikanischen Ländern aus ihren eigenen Märkten verdrängen.

Es gibt keine Normalität in einer Welt, in der mehrere Tonnen Erden abgetragen werden, um ein paar Kilogramm Platin in Südafrika oder Kobalt im Kongo zu gewinnen, um Mobilitäts- und Energiewende im Westen zu verwirklichen, wobei die Wende auf den Rücken der Menschen geschieht, die selbst nichts zu wenden haben und von Wertschöpfungsketten ausgeschlossen bleiben. Sie werden in Nachhaltigkeitsnarrative eingewickelt, die nur dazu dienen, die Lebensstandards in Industrienationen auf Kosten von Menschen und Umwelt in anderen Teilen der Welt zu stabilisieren und legitimieren.

Es gibt keine Normalität in einer Welt, in der die Finanzströme in die falsche Richtung stattfinden, und zwar von den vermeintlich armen Ländern in die vermeintlich reichen Länder, und zwar durch illegale Kapitalabflüsse und ein auf die Interessen der Gläubiger des Globalen Nordens allein zugeschnittenes Schuldenmanagement.

Es gibt keine Normalität in einer Welt, in der Dürren und Überschwemmungen tagtäglich Lebensgrundlagen zerstören, hauptsächlich in den Regionen, in denen die Menschen am wenigsten zum Klimawandel beitragen.

Dass der Aggressionskrieg Russlands gegen die Ukraine uns als Kollektiv einen Zustand anstreben lässt, der bereits vor diesem Krieg so krisenhaft war, zeigt, wie zukunftsgefährdend Krieg ist. Dies verpflichtet uns, diesem Krieg so schnell wie möglich einem Ende zu setzen. Jeder Krieg, auch dieser, verursacht nicht nur mehr Leid, sondern verschiebt auch die Wahrnehmungen und die Prioritäten. Er spaltet und lässt die gemeinsamen Fronten bröckeln. All dies wissen wir nicht erst seit dem 24. Februar 2022.

In den letzten Jahren gab es viele andere Kriege, die uns diese traurige Wirklichkeit vor Augen hätten führen müssen: Libyen, Sri Lanka, Syrien, Irak, Jemen, Afghanistan, Kolumbien, Mali und die Sahelregion, Mosambik, Südsudan, DR Kongo. Einige dieser Kriege haben fast genau die gleichen Erklärungsmuster wie die russische Aggression gegen den ukrainischen Nachbarn. Die Demokratische Republik Kongo ist ein gutes Beispiel. Putin bezieht sich auf „Russischsprachige“, um seine Intervention zu rechtfertigen. Paul Kagame, der Präsident Rwandas, instrumentalisiert im Ostkongo so genannte „Rwandophonen“, um Territorien und wertvolle Ressourcen wie Coltan und Gold zu kontrollieren. Die von ihm bewaffneten und kontrollierten Gruppen beherrschen den Zugang zu und die erste Stufe des Handels mit wertvollen mineralischen Ressourcen, die letztendlich Einzug in unsere Handys, Computer, Batterien, Playstations und Satellitenfernsehgeräte finden.

Dass solche Kriege wie im Ostkongo hier kaum wahrgenommen werden, zeigt die Doppelstandards, mit denen wir gleiche Wirklichkeiten messen. Und die Erwartungshaltung westlicher Entscheidungsträger:innen gegenüber ihren Kolleg:innen aus anderen Teilen der Welt im Blick auf die russische Aggression gegen die Ukraine, zeigt, wie sehr wir uns noch als das Zentrum der Welt betrachten. Wir haben versagt im Blick darauf, ungeachtet der Regionen, wo Kriege ausbrechen und ungeachtet derer, die sie verursachen, die gleiche Verurteilung und vor allem das gleiche Mitgefühl zu zeigen, was sich wiederum im unterschiedlichen Umgang mit Geflüchteten zeigt.

Versagt haben wir auch im Blick darauf, aus unserer eigenen Geschichte, die sehr stark von Gewalt geprägt ist, Mechanismen ziviler Konfliktbearbeitung zu entwickeln, die ermöglichen würden, in Kooperation mit anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen weltweit, entscheidend zu intervenieren, bevor die Eskalation der Gewalt in dem Konflikt die Verhandlungen zu komplex macht. Was hatten wir zu Beginn des aktuellen Krieges Russlands gegen die Ukraine an Instrumenten ziviler Konfliktbearbeitung zu bieten? Die Aufgabe der Entwicklung solcher Instrumente in transnationalen Netzwerken müssen wir uns vornehmen und die Politik in die Pflicht nehmen, die erforderliche langfristige Arbeit dazu als Alternative zur Militarisierung in der Zukunft zu fördern.

Dies ist umso wichtiger, als es uns seit dem 24. Februar 2022 mit der Aggression eines Mitglieds des Sicherheitsrates gegen seinen Nachbarn wieder vor Augen geführt wurde, wie innerhalb der Länder partikulare Gruppen es immer wieder schaffen, ganze Institutionen, wie Parlamente, die Check and Balance leisten sollten, in abgründige Ideen einzuwickeln. Was wir mit Putin in der Ukraine erleben, haben wir mit Busch im Irak, Sarkozy in Libyen, Saudi-Arabien und der Iran im Jemen und Paul Kagame im Kongo schon mal erlebt. Dass dieses Muster immer wieder zurückkehrt, ist Warnung genug. Angesichts dessen ist es dringender denn je, die Arbeit an effektiven Mechanismen ziviler Konfliktbearbeitung in transnationalen Netzwerken zu intensivieren, die im Angesicht des Versagens staatlicher Institutionen von „Check and Balance“ Auswege bieten können. Darüber hinaus ist auf institutioneller Ebene eine Verstärkung des multilateralen Rahmens genauso dringend.  Dazu gehört eine grundlegende Reform der UN, damit der Sicherheitsrat von der Konfrontationslogik seiner aktuellen Konstellation befreit werden kann. Zur Beendigung des russischen Aggressionskriegs wie zu allen anderen Aggressionen können wir nur beitragen, indem wir die Aggressionsmächte mit Namen benennen und Solidarität mit den Opfern zeigen. Zu den Grundprinzipien unseres gemeinsamen Lebens gehört es, die völkerrechtlich anerkannten Grenzen zu respektieren. Aber uns ist es auch bewusst, dass der nationalstaatliche Rahmen nicht geeignet ist, sich den zentralen Herausforderungen der Menschheit konsequent zu stellen. Aber wenn wir daran arbeiten wollen, die nationalstaatlichen Grenzziehungen zu überwinden, dann nur durch gemeinsam definierte politische, soziale und ökonomische Integrations- und Kooperationsprozesse und nicht durch Kriege zur Wiedererweckung ausgestorbener Imperien oder zur Gründung neuer Imperien.

 

Dr. Boniface Mabanza Bambu aktiv bei KSA.