Redebeitrag für den Ostermarsch in Kiel am 8. April 2023

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Es mangelt nicht an Befürchtungen und Ängsten, dass das russische Militär in diesem Krieg zu Atomwaffen greifen könnte.

An Versuchen diese Spekulationen rational zu unterfüttern fehlt es auch nicht. Sie gehen von verschiedenen Annahmen aus, die selbst bereits Spekulationen sind. Diese Spekulationen klingen eher wie Kriegspropaganda und Angstmache, als wie seriöse Analysen. Z. B.: die regelmäßigen mehr oder weniger deutlichen Hinweise Putins, er habe ja auch noch Atomwaffen. Westliche Analysten schwadronieren, dass der Einsatz von russischen taktischen Atomwaffen einer russischen Selbstzerstörung gleichkäme, aber in einem Akt der Verzweiflung durchaus denkbar sei. Es wird über atomare Demonstrationsschläge über dem Schwarzen Meer spekuliert oder gegen militärische Einrichtungen in der Ukraine und vieles mehr.

Die Vereinigten Staaten haben öffentlich mitgeteilt, dass sie Vergeltung üben würden, wenn Russland in der Ukraine Atomwaffen einsetzen würde. Und sie warnen Russland vor den katastrophalen Folgen, die in einem strategischen nuklearen Schlagabtausch enden könnten.

Ich habe den Eindruck jede Seite, Russland wie die NATO, benutzt die atomare Drohung, um in erster Linie Angst zu verbreiten. Von beiden Seiten wird das Thema Atomwaffen benutzt, um ihre jeweilige Kriegspropaganda bei uns unterzubringen: Russland möchte auf die Gefährlichkeit der westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine hinweisen, die NATO auf die Skrupellosigkeit und Unberechenbarkeit von Putin.

Letztendlich gilt jedoch: Obwohl der Einsatz russischer Atomwaffen in diesem Krieg denkbar ist, können wir nicht genau bestimmen, wie wahrscheinlich ein solcher Einsatz ist. Wir wissen auch nicht, ob die USA tatsächlich für die Verteidigung der Ukraine das Risiko eingehen würden, sich selbst einem russischen Atomschlag auszusetzen.

Wir können nur sagen, dass das Risiko eines Nukleareinsatzes viel größer ist, als in Friedenszeiten. Und wir können mit Bestimmtheit sagen, dass die dadurch angerichteten Zerstörungen von Menschenleben und Infrastruktur alle Vorstellungen übertreffen würden. Wir IPPNW-Ärzte müssen feststellen, angesichts des Zerstörungspotentials von
Atomexplosionen ist effektive medizinische Hilfe nicht möglich.

Wir können aber auch mit Bestimmtheit sagen: das Risiko eines Nukleareinsatzes würde sich durch einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen schlagartig verringern. Deshalb fordern wir von unserer Bundesregierung sich energisch für eine diplomatische Lösung des Ukraine-Krieges einzusetzen und keine Waffen in die Ukraine zu liefern, die das Sterben und die Zerstörungen dort nur verlängern. Welchen Sinn soll ein Krieg haben, der das fortwährend zerstört, was erhalten werden soll? Selbstverständlich hat die Ukraine das Recht sich bewaffnet zu verteidigen. Das bedeutet jedoch nicht, dass Deutschland ebenfalls de facto zur Kriegspartei werden muss. Das bedeutet auch nicht, dass wir Verantwortung für das tausendfache Töten mittragen müssen.

Die meisten Menschen ahnen, welche ungeheuren Verwüstungen und welches Elend ein Einsatz von Atomwaffen anrichten würde. Sie nehmen an, dass kein verantwortungsvoller politischer Führer, der im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist, einen Atomkrieg auslösen würde. Wahnsinn wird hierzulande meist Putin zugeschrieben. Vom Wahnsinn der westlichen Führungsmacht ist selten die Rede. In den USA träumen viele Politiker und Militärfachleute davon einen Atomkrieg führbar und gewinnbar zu machen. Dazu dient auch die gegenwärtige Umrüstung ihrer Atomwaffen, die in Büchel in der Eifel lagern. Und was viele nicht wissen: diese Atombomben sollen von deutschen Piloten ins russische Ziel getragen werden.

In den Köpfen vieler Menschen ist ein Atomkrieg nur eine sehr entfernte Möglichkeit – die Folge eines technischen Versagens, der Machtergreifung eines Wahnsinnigen, wo man sowieso nichts machen kann, oder wenn der Atomkrieg stattfände, dann sei ja doch alles im Griff. Dennoch ist eine untergründige Furcht immer da, die aber schnell verdrängt wird. Hinzu kommt ein allgemeines Ohnmachtsgefühl: ich kann da nichts ändern.

Solche Haltungen behindern erheblich den Versuch, den notwendigen politischen Druck für ein Atomwaffenverbot herzustellen. Wenn die Menschen einen Atomkrieg für unwahrscheinlich halten oder ihn gar als für kontrollierbar ansehen und sich selbst für ohnmächtig halten - warum sollten sie dann gemeinsame Aktionen für notwendig erachten, die eine Veränderung in dieser Frage zu erzwingen versuchen? Und wenn die politischen Führer der festen Überzeugung sind, dass die atomare Abschreckung den Frieden aufrechterhält, warum sollten sie dann andere Maßnahmen zur Friedenssicherung ergreifen?

Trotz Atomwaffen ist die Welt nicht sicherer geworden und sie haben kein Land abgehalten einen Krieg zu beginnen oder fortzuführen. Auch hat die Existenz von Atomwaffen nicht verhindert, dass russische Soldaten in die Ukraine einmarschiert sind und der Krieg durch die Lieferung von immer mehr Waffen weiter eskaliert. Zurecht fürchten viele in Europa deshalb eine Eskalation zu einem Atomkrieg.

Wie gesagt wissen wir nicht, wie wahrscheinlich der Einsatz von russischen Atomwaffen in der Ukraine ist, und welche Eskalationsstufen dann durchlaufen werden.

Was wir aber sehr genau wissen ist folgendes:

Solange es Atomwaffen gibt, ist deren beabsichtigte oder unbeabsichtigte Anwendung, von welcher Seite auch immer, nicht ausgeschlossen. Solange es Atomwaffen gibt müssen wir uns für deren Abschaffung einsetzen.

Die Älteren von uns haben in den 1980er und 90er Jahren erlebt, dass eine atomare Rüstungskontrolle und atomare Abrüstung möglich sind - und das mitten im kalten Krieg. Inzwischen sind fast alle Vereinbarungen aufgekündigt worden, die meisten auf Betreiben der USA.

Und wir haben erlebt, dass 122 Länder dieser Erde daran interessiert sind konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um Atomwaffen zu ächten und abzuschaffen. Deshalb haben sie einen Atomwaffenverbotsvertrag auf  den Weg gebracht.

Am 21. Januar 2021 trat der Vertrag der UNO in Kraft und wurde Teil des humanitären Kriegsvölkerrechtes. Dieser Vertrag verbietet Produktion, Lagerung, Stationierung und Transfer von Atomwaffen. Inzwischen ist dieser Vertrag von 68 Staaten ratifiziert worden. Leider nicht von Deutschland, was dringend notwendig wäre, im Hinblick auf unser aller Sicherheit. Ihr könnt an allen 10 Fingern abzählen, wie wahrscheinlich im Falle eines atomaren Schlagabtausches zwischen der NATO und Russland die Zerstörung des hiesigen Atomwaffenlagers in Büchel und von Befehlszentralen, wie z. B. in Rammstein sein werden.

Wir, die Friedensbewegung in Schleswig-Holstein, haben versucht den letzten Landtag dazu zu bewegen, dass er der Bundesregierung empfiehlt , dem Atomwaffenverbotsvertrag beizutreten. Bisher leider vergeblich.

Der Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag wäre ein wichtiger Beitrag für eine Friedensordnung in Europa.

Ja, wir wünschen uns für Europa eine Friedensordnung, in der kein Land in Europa sich vor seinen Nachbarn fürchten muss.

 

Siegfried Lauinger tätig bei IPPNW Kiel: Die Gefahr eines Atomkrieges wächst.