Redebeitrag für den Ostermarsch Marburg am 10. April 2023

 

- Sperrfrist: 10. April 2023, Redebeginn: ca. 11 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Friedensfreundinnen und -freunde,

ich bin Cecilia von der SDAJ Marburg und begrüße euch hier beim Ostermarsch, bei dem wir gemeinsam für Abrüstung und Frieden kämpfen – ein unverzichtbarer Kampf angesichts dessen, dass wir in einer Zeit des Krieges leben, in einer Zeit, in der sich die weltpolitische Lage immer mehr zuspitzt. Verhandeln statt Schießen! Den Ukraine-Krieg beenden! Waffenstillstand jetzt! Das sind die zentralen Forderungen, für die wir nicht nur heute einstehen.

In meiner Rede will ich ein konkretes Thema behandeln: den Militarismus nach innen. Karl Liebknecht hat es nicht nur aufgeschrieben, er musst es am eigenen Leib erfahren: Militarismus ist nicht nur eine Waffe gegen den äußeren Feind, sondern ebenso eine Waffe gegen die rechtlose Klasse, eine Waffe gegen die Jugend, Arbeiter und Armen. Krieg nach außen bedeutet immer auch Krieg nach innen; wird die Außenpolitik militarisiert, dann wird immer auch die Innenpolitik militarisiert. Das äußert sich aktuell in einer großen Rechtsentwicklung, in einer Kombination von aggressiver Großmachtpropaganda, beispielloser Aufrüstung und ökonomischer Krise. „Rechtsentwicklung“, das meint alle Prozesse, die das Land objektiv nach rechts zurückverschieben, also hinter schon gegebene Möglichkeiten für die Verwirklichung von Frieden und sozialem Fortschritt. Ich will versuchen, diese Rechtsentwicklung im Folgenden an vier Tendenzen greifbar zu machen.

Erstens: Gleichsetzung von Links und Rechts.

In der Debatte um den Ukraine-Krieg und die immer umfassendere Kriegsbeteiligung Deutschlands ist viel von einer Gefahr von „Rechts“ die Rede. „Rechts“, damit diffamieren Politiker, Journalisten und – wie auch bei unserem Marburger Ostermarsch – Teile der Linken jetzt gerne Anti-Kriegs-Proteste und überhaupt alle Äußerungen, die nicht auf Regierungs- bzw. NATO-Linie sind.

Sie werben für volle Loyalität mit dem eigenen imperialistischen Block, weil der Russe, der Feind, aus ihrer Sicht noch viel gefährlicher, böser, inhumaner sei als unsere eigenen Herren. Folglich müssten wir unseren eigenen Verbrechern Rückendeckung für den siegreichen Kampf gegen den Feind geben, darin gipfelt die Gleichsetzung von Links und Rechts. Aber einen Siegfrieden der Ukraine zu unterstützen, damit ukrainische statt russischer Oligarchen Mariupol beherrschen und deutsche und US-amerikanische statt russischer Konzerne die Ukraine unter sich aufteilen – das ist sicherlich keine Friedensposition. Und dass der deutsche Imperialismus dem russischen in Sachen Aggressivität, Grausamkeit und Skrupellosigkeit in keiner Weise nachsteht, das kann nach zwei von Deutschland begonnenen Welt- und zig kleineren Kriegen jeder wissen.

Die Gleichsetzung von Links und Rechts fördert letztlich Prozesse der Entsolidarisierung, die dem Staat sicherlich nützlich sein werden, wenn er irgendwann wieder härter gegen die Friedensbewegung vorgehen will. Diese Gleichsetzung propagiert den Krieg und treibt die Rechtsentwicklung.

Zweitens: Auftrieb für Geschichtsrevisionisten.

Bewusst werden in der Debatte um den Krieg Begriffe wie „Vernichtungskrieg“ verwendet, Putin wird mit Hitler gleichgesetzt wie der Krieg in der Ukraine mit dem Krieg der deutschen Faschisten im Osten. Sascha Lobo, Anton Hofreiter und Bodo Ramelow zum Beispiel vertreiben solche geschichtsrevisionistischen Legenden. Die Funktion dieser Legenden ist letztlich die Rehabilitierung des deutschen Imperialismus durch einige politisch-ideologische „Korrekturen“ des Geschichtsbewusstseins. Die Expansionsstrategien Deutschlands aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg hätten nichts miteinander zu tun, und erst recht nichts zu tun hätten sie mit den deutschen Kriegen der jüngsten Vergangenheit und Gegenwart, das ist der Inhalt dieser Legenden. Hat man alle inhaltlichen Kontinuitäten zerrissen und verborgen, dann ist der deutsche Imperialismus rehabilitiert für einen neuerlichen Griff zur Weltmacht. Kein Wunder ist es dann, dass diejenigen, die sich völlig loyal gegenüber dem Kriegskurs der eigenen Regierung verhalten, die ideologische Begleitmusik zum Krieg – es gehe um die Verteidigung von Werten, Menschrechten, Freiheit und Demokratie – zur Hauptsache verklären. Die ökonomischen und geopolitischen Interessen Deutschlands und des NATO-Blocks werden völlig verschleiert. Jeder, der auch nur leise nach den wirklichen Kriegsgründen des Westens fragt, wird wahlweise als Putinversteher, Lumpenpazifist, Verschwörungstheoretiker oder Nazi diffamiert, es muss ja Ruhe herrschen an der Heimatfront, dafür sorgen die neuen Chauvinisten.

Drittes: Rückkehr des deutschen Militarismus.

Eine neue Wehrhaftigkeit im Denken soll etabliert werden, meint Baerbock. Psychische Bereitschaft zum Kampf und Wille zum tapferen Dienst seinen der Schlüssel zum Erfolg der Bundeswehr, meinen Generäle. Auch Diskussionen um die Wehrpflicht werden jetzt ausgegraben. Das Soldatentum wird heute wieder heroisiert, ein neuer Kriegsgeist wird beschworen. Ausgeblendet werden alle Verbrechen des Militarismus – Zwangsrekrutierung, Misshandlung von Soldaten und Deserteuren, Töten und Sterben kommen in diesen Erzählungen nicht vor. Diese Propagandaoffensive richtet sich vor allem gegen die junge Generation, denn: Wer die Jugend hat, hat die Armee. Und wer die Jugend hat, hat auch die Zukunft. Das wissen aber nicht nur die Militaristen, das wissen auch wir Antimilitaristen, und umso erfreulicher ist es, dass sich hier heute auch einige junge Leute versammelt haben.

Zum neuen alten deutschen Militarismus gehört auch die Lüge von der kaputtgesparten Bundeswehr. Selten wurde die deutsche Bevölkerung so schamlos belogen. Über Nacht wurden 100 Milliarden Euro Kriegskredite beschlossen. 12 Milliarden Euro zusätzlich für Waffenlieferungen an die Ukraine beschloss der Haushaltsausschuss letzte Woche. Und im nächsten Jahr soll der Rüstungshaushalt um weitere 10 Milliarden Euro steigen, damit die BRD das NATO-2-Prozent Ziel zügig erreicht. Hier zeigt sich der Militarismus auch als wirtschaftliches Bleigewicht. Der Einfluss des Rüstungskapitals wächst ständig, die wichtigsten Produktions- und Forschungszweige sind längst auf Rüstung ausgerichtet. Hundertaussende Arbeiter sind der nützlichen Produktion und kulturellen Arbeit dauerhaft entzogen. Die BRD ist im Zuge des Ukraine-Krieges zum fünftgrößten Rüstungsexporteur der Welt geworden und macht sich auf, zur drittgrößten Militärmacht der Welt aufzusteigen. Medien, Politiker und Teile der Linken erweisen sich hierfür als zuverlässige Handlanger.

Viertens: Schwächung der fortschrittlichen Kräfte, Stärkung der Reaktion.

Die Stärkung des Militarismus geht früher oder später immer mit dem Abbau sozialer und demokratischer Rechte einher, und sie geht immer zulasten der Jugend, Arbeiter und Armen. Denn die Kriegskosten werden auf die Schultern derjenigen abgewälzt, die am schwächsten sind. Sie werden auf die Schultern derjenigen abgewälzt, zu deren Unterdrückung und Peinigung sich der Militarismus überhaupt erst aufstellt. „Nicht genug, dass man die Söhne des Volks selbst zu Henkern des Volkes macht“, sagt Karl Liebknecht, „man presst den Sold dieser Henker aus dem Schweiß und Blut des Volkes“.

So hat die Regierung in Dänemark unter Protest der Gewerkschaften beschlossen, einen Feiertag zu opfern, um die Hochrüstung zu finanzieren. Ein hoher Bundeswehfunktionär forderte das sogleich auch für Deutschland und konkretisierte den Vorschlag: Opfern solle man in Deutschland den 1. Mai. Kriegsminister Boris Pistorius machten sich angesichts der Tarifrunde im Öffentlichen Dienst Sorgen über zu hohe Tarifabschlüsse, weil diese den Spielraum für Investitionen in die Bundeswehr schmälern könnten. Selbstverständlich eignet sich das Militär bestens zum Streikbrechen, ebenso wirksam kann es gegen Proteste aller Art vorgehen, diese Möglichkeiten halten sich die Militaristen immer offen. Militarismus ist ganz offenbar eine Waffe zur Schwächung der Arbeiterbewegung.

Der Wirtschaftskrieg des Westens bedeutet eine systematische Verarmung der Bevölkerung auch in unserem Land. Der Militarismus hemmt den sozialen Fortschritt nicht nur, er ist sein Totengräber. Die Inflationsrate explodiert, massive Preiserhöhungen gibt es besonders bei Energie und Lebensmitteln. Für Jugend, Arbeiter und Arme wird das Leben massiv verteuert, der Lebensstandard massiv abgesenkt – der Wirtschaftskrieg gegen Russland ist längst zum sozialen Krieg gegen die eigene Bevölkerung geworden. Für Bildung, Ausbildung, Arbeit, Soziales, Wissenschaft, Kultur lässt die Gefräßigkeit des Militarismus nichts übrig. Die Mittel für die Aufrüstung werden durch verschärften Sozialabbau und Erhöhung von Massensteuern beschaffen. Auch hier erweisen sich Medien, Politiker und Teile der Linken als beste Handlanger der Militaristen, wenn sie die Bevölkerung angesichts der horrenden Kriegskosten einerseits und der angeblich zu verteidigenden Werte andererseits zu Bescheidenheit, Verzicht, Opferbereitschaft, Selbstlosigkeit mahnen – das ergibt die ideale ideologische Rechtfertigung für eine Krisenbewältigungspolitik, die sich ausschließlich am Interesse des Anstiegs der Rüstungsproduktion und der Profite orientiert.

Wer Waffenlieferungen, Sanktionen und ständige Erhöhung der Militärausgaben unterstützt, stärkt die Reaktion im eigenen Land, stärkt eine Politik des Reformverzichts, eine Politik der Sparmaßnahmen, eine Politik der beispiellosen Aufrüstung. Wer für weitere Hochrüstung und Militarisierung eintritt, tritt ein für die Ausdehnung der Macht des eigenen imperialistischen Blocks, tritt ein für die nächsten Angriffskriege der eigenen imperialistischen Verbrecher irgendwo anders auf der Welt.

Wir haben gesehen: Der Militarismus wird mehr und mehr zur Achse, um die sich unser politisches, soziales und wirtschaftliches Leben mehr und mehr dreht. Wir erleben eine massive Rechtsentwicklung in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, wir erleben Reaktion auf ganzer Linie.

Inwieweit sich diese Rechtstendenzen festsetzen können, ist aber nicht ausgemacht. Das hängt wesentlich von der Frage ab, ob es gelingt, die Kämpfe gegen soziale Not mit den Kämpfen für Abrüstung und Frieden zu verbinden – in der Sache ist das schon ein unteilbarer Kampf, nämlich der Kampf gegen den Militarismus.

Jedenfalls ist die Stunde gekommen zu handeln, gemeinsam zu handeln, trotz unterschiedlicher oder sogar gegensätzlicher Standpunkte in anderen politischen Fragen. Wir sagen es noch einmal, zusammen mit allen aufrichtigen Friedensfreunden: Verhandeln statt Schießen! Den Ukraine-Krieg beenden! Waffenstillstand jetzt!

 

Cecilia Schweizer ist aktiv bei der SDAJ.