Redebeitrag für den Ostermarsch Giessen am 8. April 2023

 

- Sperrfrist: 8. April 2023, Redebeginn: 11 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

Ich bin dankbar in einem Land aufgewachsen zu sein, in dem kein Krieg herrscht, in dem der Zugang zu sauberem Wasser Normalität ist. Ich bin dankbar, dass ich nie Opfer von Verfolgung oder Vertreibung wurde und, dass weibliche Genitalverstümmelung hier zu Recht als schwere Menschenrechtsverletzung geächtet und verboten ist. Ich bin froh, dass ich nicht schon als Kind in einer Spinnerei, Färberei oder Näherei arbeiten musste, um zum Familieneinkommen beizutragen und in diesem Zusammenhang auch, dass ich eine Schule besuchen durfte und die Möglichkeit habe zu studieren.

Doch wir wissen alle, dass diese Dinge, die manchen selbstverständlich erscheinen, für viele Menschen eben nicht selbstverständlich sind. Und wir müssen uns immer wieder klar machen, dass diese Selbstverständlichkeiten über Generationen hinweg erkämpft werden mussten. Im Jahr 2021 herrschten laut der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung der Universität Hamburg weltweit 28 Kriege und bewaffnete Konflikte. Die UN schätzt, dass im Jahr 2030 1,6 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser haben werden. Nach Schätzungen von UNICEF, dem Kinderhilfswerk der UN, sind weltweit über 200 Millionen Frauen und Mädchen von weiblicher Genitalverstümmelung betroffen und Millionen weitere davon bedroht. 160 Millionen Kinder sind von Kinderarbeit betroffen und sorgen für günstige Produkte, wie Kleidung, Smartphones oder E-Autos, für die Befriedigung der kapitalistischen Gier der westlichen Welt. Die meisten von ihnen werden nie eine Schule besuchen und nie dem Teufelskreis von Armut und Ausbeutung entkommen.

Wen kann es angesichts dieser Bedingungen wundern, dass Menschen ihr Heimatland verlassen und fliehen? Sie fliehen vor Krieg und Gewalt, Menschenrechtsverletzungen, Hunger. Die UN schreibt dazu Zitat: „Niemand verlässt freiwillig seine Heimat, sein Dorf und seine Wohnung – ohne etwas mitzunehmen und ohne Abschied. Wenn ihr Leben in Gefahr ist, flüchten die Menschen überstürzt und haben meist keine Möglichkeit, Habseligkeiten, Geld oder wichtige Ausweispapiere mitzunehmen.“ Zitat-Ende.

Einige dieser Menschen kommen auch nach Europa. Zumindest versuchen sie es. Viele von den Menschen, die beispielsweise aus Nigeria fliehen, werden entweder in der Wüste verdursten oder im Mittelmeer ertrinken. Bei „Erfolg“ landen sie in einem der griechischen Flüchtlingslager. Dieses Wort allein spiegelt schon die unmenschlichen Bedingungen wider, unter denen die Menschen, auch Kinder, dort teilweise jahrelang leben müssen.

Auch hier in Deutschland spitzt sich die Lage in vielen Kommunen zu. Es fehlt an Wohnraum, angemessenen Integrationskursen und psychologischer Betreuung. Gleichzeitig gibt es weiterhin das Feindbild des „Geflüchteten“, der für den Wohlstandsverlust mitverantwortlich sei und dem sozialen Frieden schaden würde. Probleme, die in Deutschland bestehen, wie Wohnungsmangel, unterfinanzierte Schulen, fehlende Kita-Plätze, eine nicht ausgebaute Infrastruktur, werden den Menschen angerechnet, die selbst vor Krieg und Verfolgung fliehen. Besonders schlimm finde ich aber Neonazi-Aufmärsche, die gerade nicht die Sorgen und Ängste von Anwohnern vertreten, sondern vielmehr diese Angst für ihre fremdenfeindlich und rassistisch motivierten Forderungen, wie „Alle Ausländer raus!“ nutzen.

„Stoppt die Aufnahme von Flüchtlingen. Wir können nicht die ganze Welt retten.“, stand auf dem Schild einer älteren Demonstrantin. Damit hat sie vermutlich Recht, die ganze Welt retten können wir nicht. Aber wir, beziehungsweise die deutsche Regierung, kann einiges tun, um die Welt besser zu machen. Deshalb fordert DIE LINKE. und auch ich, die Bekämpfung von Fluchtursachen und nicht von Geflüchteten, eine gerechte Entwicklungszusammenarbeit und faire Handelsbedingungen. Wir brauchen soziale Sicherheit für alle und gut ausgestatte Kommunen statt Konkurrenz um Arbeitsplätze, Wohnungen und Bildung. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit müssen Konzerne und Superreiche dafür stärker besteuert und die Wirtschaft am Gemeinwohl ausgerichtet werden.

Danke für eure Aufmerksamkeit und hoch die internationale Solidarität!

 

Lara Herrlich ist aktiv bei der Partei Die Linke in Giessen.