Redebeitrag für den Ostermarsch in Potsdam am 1. April 2023

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

wir leben nicht nur in einer Zeit des Krieges, sondern in einer Zeit, in der sich die weltpolitische Lage immer mehr zuspitzt. Viele denken dabei vor allem an den Stellvertreterkrieg zwischen der NATO und Russland in der Ukraine. Ich will aber aus aktuellem Anlass mit etwas anderem beginnen. Kurz vor ihrer Reise nach China hat EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen vor wenigen Tagen erklärt, die Beziehungen zur Volksrepublik völlig neu ordnen zu wollen. Der Vorwurf an China, das Land trete zunehmend selbstbewusst auf. Als Konsequenz hat sie angekündigt, den Kurs gegenüber China massiv verschärfen zu wollen. Aus Eigeninteresse wird – man muss wahrscheinlich sagen: vorerst – eine Entkopplung von China ausgeschlossen. Aber wie eine Morgenröte kündigt sich ein neuer Wirtschaftskrieg am Horizont an. Ein Wirtschaftskrieg, der zwar mit zivilen Mitteln geführt werden soll, der aber auch auf gewaltsame Ziele gerichtet ist. Die aufstrebende Macht China soll von der EU und ihren Mitgliedstaaten herausgefordert werden. Auch militärisch.

Man möchte den von der Leyens dieser Welt zurufen: „Wie irre ist das denn?!“ Eines aber ist sicher, dass diese Konfrontationspolitik die Wolken über dem Weltenhimmel weiter verdüstern wird.

Fast scheint es, als würden die von der Leyens zurückkehren wollen, in eine Zeit, wo von Europa die Welt kommandiert wurde und niemand in den Kolonien es auch nur wagen würde, selbstbewusst aufzutreten. Doch diese Zeit ist vorbei. Nichts wird sie widerbringen und so gleicht man einem Zauberlehrling, der in der Absicht, das Unabänderliche zu verhindern, dieses immer schneller voranbringt.

Wie bei einem Herr-Hund-Verhältnis muss man konstatieren, dass dieses Europa mit Deutschland im Zentrum sich wie ein Hund an der Leine seines Herrn stark fühlt, weil es den Herrn immer hinter sich weiß. Die USA aber haben ihre eigenen Interessen und sie sind bereit, da sie keine Alliierten, sondern nur Vasallen kennen, Europa, allen voran Deutschland, ins Feuer zu schicken.

Wir haben es gerade in Deutschland mittlerweile mit einer regelrechten Kompradoren-Bourgeoisie und ihrer politischen Vertretung zu tun, die sich vor allem an den Vorgaben aus Washington orientiert – mit fatalen Konsequenzen für Frieden und Sicherheit in unserem Land.

Ich will hier drei Beispiele geben, wie die Politik der Bundesregierung ganz massiv die Sicherheit, auch die soziale Sicherheit der Bevölkerung gefährdet.

Erstens: Auf Drängen der USA hat die Bundesregierung nunmehr Leopard-Kampfpanzer an die Ukraine geliefert. Die USA hingegen haben erklärt, dass die zugesagte Lieferung ihrer Abrams-Panzer jetzt nicht realisierbar wäre. Mit der angeblichen US-deutschen Koppelung der Panzer-Lieferungen versuchte Bundeskanzler Olaf Scholz die Öffentlichkeit hinters Licht zu führen. So sollten Vorwürfe entkräftet werden, die Bundesregierung ließe sich von den USA ins Feuer schicken, da am Ende allein die Deutschen schwere Panzer lieferten. Aber genau so ist es gekommen. Und ich muss euch sagen, ich finde das unerträglich. Wer deutsche Kampfpanzer für einen Krieg gegen Russland liefern lässt, der riskiert willentlich eine direkte deutsche Kriegsbeteiligung. Diese Rüstungslieferungen von heute sind die Kriegskredite von gestern. Sie nutzen allein Kriegstreibern und Rüstungsschmieden. Und es ist die Aufgabe der Friedensbewegung diesen Kriegstreibern in den Arm zu fallen.

Und liebe Freundinnen und Freunde, ich will hier offen sprechen: Oftmals wird versucht, genau von denjenigen, die ihren Frieden mit der deutschen Rüstungsindustrie gemacht haben und selbst Waffenlieferungen in Kriegsgebiete fordern, die Friedensbewegung zu diffamieren. Obwohl es eine ganz klare Ansage gibt, dass Rechtsextreme unerwünscht sind, wird versucht, Friedensdemonstrationen entsprechend zu denunzieren. Das ist unerträglich und kann nur als Teil einer wachsenden Kriegspropaganda gewertet werden. Wir aber dürfen uns nicht dumm machen lassen, von derlei durchsichtigen Versuchen, wie wir es auch gegen die Friedenskundgebung von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer erlebt haben. Wir stehen hier gegen Nationalismus und neuen Militarismus. Für uns gilt der Schwur von Buchenwald „Nie wieder Faschismus – Nie wieder Krieg".

Aber das muss ich jetzt einmal in Richtung antideutscher Splittergruppen sagen, die sich antifaschistisch dünken: Nach zwei verlorenen Weltkriegen kann sich in Deutschland niemals jemand überzeugend Antifaschist nennen, der jetzt für den Krieg und Waffenlieferungen trommelt. Das schließt sich einfach aus. Es ist erschreckend, aber nicht überraschend, dass sich die Kriegspropaganda solcher Gruppen bedient.

Zweitens: Wer sich die Enthüllungen des US-Starjournalisten Seymour Hersh zu den Terroranschlägen auf die Nordstream-Pipelines anschaut, der kann nicht umhin, zu erkennen, dass es bei der Bundesregierung extrem wenig Aufklärungsinteresse zu dieser mutwilligen Zerstörung der europäischen und deutschen Energie-Infrastruktur gibt. Das verwundert umso mehr, als es eine detaillierte Widerlegung Hershs nicht gibt, der in US-Präsident Joe Biden den Drahtzieher der Terroranschläge sieht. Und Hersh hat ja sogar noch einmal nachgelegt und Kanzler Scholz angesichts seiner Mitwisserschaft, was die Anschlagsverantwortlichen betrifft, des Hochverrats bezichtigt. Angela Merkel hat einmal gesagt, als bekannt wurde, dass der US-Geheimdienst NSA sich auf ihr Handy schaltete, „Abhören unter Freunden, das geht gar nicht“. Wir aber sagen hier: Terroranschläge unter Freunden, das geht erst recht nicht. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich der Einrichtung einer internationalen Untersuchungskommission zur Aufklärung der Terroranschläge nicht weiter zu verweigern. Diese furchtbare Vasallentreue zu den USA muss endlich gekündigt werden.

Drittens: Der Westen führt einen massiven Wirtschaftskrieg gegen Russland. Dieser Wirtschaftskrieg wird in Folge der Preiserhöhungen und der explodierenden Inflation gerade in der EU und Deutschland zu einem regelrechten Bumerang. Während die USA und ihre Fracking-Konzerne profitieren, verbucht die Bevölkerung in Deutschland den größten Reallohnverlust in der Geschichte der Bundesrepublik. Der Wirtschaftskrieg gegen Russland ist zum sozialen Krieg gegen die eigene Bevölkerung mutiert. Und der Ruf nach verschärften Wirtschaftssanktionen ist nichts als der Ruf, den sozialen Krieg gegen die eigene Bevölkerung zu verstärken. Und ich frage euch: Was ist der Hintergrund? Entweder man ist völlig hirnverbrannt und denkt, indem man sich selbst versenkt, schadet man jemand anderen oder aber der Schaden ist einem völlig egal, weil man zuvörderst die Interessen der US-Konzerne und die geopolitischen Vorgaben der USA bedient. In beiden Fällen ist es fatal.

Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist ein Völkerrechtsbruch. Die Wahrheit aber ist und ohne die Wahrheit wird es keinen Frieden geben, dass diesem Völkerrechtsbruch der Völkerrechtsbruch des Westens vorausging. Kanzlerin Merkel hat im Herbst vergangenen Jahres selbst erklärt, dass das Abkommen von Minsk immer nur den Zweck hatte, die Ukraine militärisch aufzurüsten. An eine wirkliche Umsetzung gerade auch der Autonomie für den Donbass war offenbar nie gedacht.

Und wir erinnern daran, dass die USA die Erweiterung der NATO trotz aller gegebenen Versprechen nach dem Kalten Krieg immer weiter vorangetrieben haben. Und mit dem Risiko einer Raketenstationierung unmittelbar an den Grenzen Russland wurde eine rote Linie überschritten. Etwas, was man umgekehrt in Kuba unter der Drohung eines Atomkrieges verhindert hatte. Sicher, ein Völkerrechtsbruch kann einen anderen nicht rechtfertigen, aber umso mehr muss jetzt alles getan werden, damit es einen sofortigen unkonditionierten Waffenstillstand gibt und Verhandlungen, die der Westen vor einem Jahr torpedierte, wieder aufgenommen werden.

Und es ist verheerend, dass die USA-Administration und diese völlig unfähige, aber kreuzgefährliche deutsche Außenministerin in ihrem Schlepptau sich nicht nur jeder diplomatischen Lösung verweigern, sondern wie im Falle der Friedensinitiative Chinas jede diplomatische Lösung auch noch zu hintertreiben versuchen. Am besten wäre wohl, das Auswärtige Amt würde sich in Kriegsministerium umbenennen. Das wäre ehrlicher, denn mit Diplomatie will man ja rein gar nichts zu tun haben.

Und wenn man sich umhört in der Welt, dann merkt man, dass immer mehr Leute im globalen Süden die Nase voll haben, von dieser Mischung aus Kriegstreiberei, moralischer Belehrung und Fortsetzung einer neokolonialen Ausbeutung. Das ist die eigentliche Zeitenwende, die den Abstieg des Westens beschleunigen wird. Immer mehr Länder beschließen, ihren Handel nicht mehr in Dollar abzuwickeln, damit aber gerät das Hegemoniemodell der USA in eine existentielle Krise. Und auch deshalb brauchen wir statt Nibelungentreue zu einer absteigenden Weltmacht den Kampf um die demokratische Souveränität, den Kampf um Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit.

Die Bedingung dafür ist demokratische Souveränität, der Abzug der US-Truppen aus Deutschland nach 78 Jahren, die am besten gleich ihre Atomwaffen mitnehmen sollen.

Aber es geht nicht nur um Europa. Es muss uns auch um die internationale Solidarität gehen. Um die Solidarität gegen den Neokolonialismus. Ich möchte euch zum Abschluss hier von meinen Begegnungen auf der Insel Mauritius berichten.

Besonders bewegend dort war das Treffen mit dem Vorsitzenden der Vereinigung der deportierten Bewohner der Chagos-Inseln. Die Chagos-Inseln sind ein Archipel nördlich von Mauritius im Indischen Ozean. Bevor Mauritius von Großbritannien 1968 in die Unabhängigkeit entlassen wurde, waren die Chagos-Inseln abgetrennt worden, denn die USA hatten dort einen wichtigen Militärstützpunkt errichtet, den sie sich von London verpachten ließen.

Der illegal errichtete US-Militärstützpunkt Diego Garcia wurde von für die Kriege in Afghanistan und im Irak genutzt und diente als CIA-Folterstätte im sogenannten Krieg gegen den Terror.

Um allen Forderungen nach einer Dekolonisierung einen Riegel vorzuschieben, wurden alle Bewohner der Chagos-Inseln in einem verbrecherischen Akt gegen die Menschlichkeit auf Verlangen der USA verschleppt und weggebracht. Sie wurden behandelt wie ein Stück Holz, um auf immer jede Forderung nach einer Dekolonisierung zu unterbinden. Bis heute ist der deportierten Bevölkerung der von US-Truppen besetzten Chagos-Inseln verboten, zurückzukehren. Dieser Mann nun fragte mich in unserem Gespräch: "Warum sind selbst die Friedhöfe für die Hunde der US-Soldaten in meiner Heimat gepflegt, aber ich darf nicht einmal die verfallenden Gräber meiner Vorfahren besuchen?"

Der Kampf um Frieden und die internationale Solidarität sind nur zwei Seiten ein- und derselben Medaille. Deshalb sagen wir Nein zum Wirtschaftskrieg, Nein zu Waffenlieferungen, Ja zu sofortigem Waffenstillstand und Verhandlungen. Hoch die internationale Solidarität.

Vielen Dank.

 

Sevim Dagdelen ist Bundestagsabgeordneten  für die Partei Die Linke.