Redebeitrag für den Ostermarschauftakt in Frankfurt-Eckenheim am 10. April 2023

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

Wir sind heute Morgen mit unserem Marsch gestartet an dem amerikanischen Konsulat in Frankfurt-Eckenheim. Dort haben wir unsere Kritik an der us-amerikanisch dominierten westlichen Kriegs- und Sicherheitspolitik formuliert. Auf dem Weg zum Römer, dem Platz in Frankfurt der öffentlichen demokratischen Debatte, unterbrechen wir unseren Ostermarsch hier in Nähe des russischen Konsulates. Hier spreche ich für pax christi, für Christ*innen in der Friedensbewegung:

Als Menschheit insgesamt stehen wir an einem sehr kritischen Punkt – der jede Person vor die Frage stellt: Möchte ich Teil des Problems oder Teil von konstruktiven Lösungen sein angesichts von Herausforderungen, die sich gerade hoch vor der Menschheit aufgetürmt haben?

Ich bin überzeugt, dass wir mehr aus der Geschichte lernen können als die Erkenntnis, dass wir nichts aus der Geschichte lernen.

„Nie wieder Krieg, Nie wieder Faschismus“, - das war lange Zeit breiter Konsens nicht nur der Friedensbewegung, sondern auch der Zivilgesellschaft in Deutschland insgesamt.

Dieser Grundsatz gilt für mich als Pazifisten weiter und heisst aktuell umgesetzt: universalistisch, internationalistisch und sozialökologisch -- pazifistisch denken und handeln!

Dies bedeutet auch: ein klares Nein zu nationalistischen und rechtspopulistischen Akteuren in der Friedensbewegung, ein klares Hab-Acht in der Solidaritätsarbeit vor und mit nationalistisch enggeführten und militärisch fixierten Ukrainer*innen, ein Hab-Acht vor national-(Bindestrich) - sozialistischen und fundamental antiamerikanisch eingestellten Prophetinnen wie Sarah Wagenknecht und Alice Schwarzer.

Was wir aktuell brauchen, ist ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel – weg von bisheriger militär- und machtfixierter Sicherheitslogik, die Sicherheit ausschließlich nur für sich fordert – hin zu einer gewaltfrei aufgespannten Friedenslogik, die alle Folgen eigenen Handels auch für die jeweilige Gegenseite und die der Erde mitbedenkt, die universalistisch, global und ökologisch aufgestellt ist --- gerade mit Blick auf unsere multiple Krisen, insbesondere die galoppierende Klimakatastrophe.

Vor drei Tagen, am Karfreitag haben hier im Oeder Weg, vor dem russischen Konsulat, Ukrainer*innen symbolische Gräber errichtet, vier Särge aufgestellt, die an anonyme, im Krieg getötete ukrainische Familien erinnern sollen. Ich erwähne dies, weil das unschuldige Leid des ukrainischen Volkes Tag für Tag fortwährt.

Warum?

Die russische Föderation hat am 24.2.2022 einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine gestartet. Russland trägt die Verantwortung für diesen Krieg, für die gewaltsamen Exzesse zum Beispiel in Butscha.

Es ist nicht gelungen – nach Ende der Ost-West-Konfrontation – eine tragfähige europäische Friedensordnung inklusive Russlands aufzubauen.

Zur NATO-Osterweiterung: Die Amerikaner tragen die Verantwortung dafür, dass Russlands Sicherheitsinteressen gegen alle Absprachen systematisch verletzt wurden, indem Truppen und Raketen in der Nähe der russischen Grenze stationiert wurden. Selbst Papst Franziskus sprach vom „Bellen der NATO vor den Toren Russlands“.

Die Fassadendemokratie der russischen Föderation wurde in den vergangenen 30 Jahren zusehends zu einer autoritären Präsidial-Autokratie, eine gewaltvolle Diktatur -- mit wachsendem Gewaltpotential nach Innen wie Aussen. Putin stellt Russland gerne als Opfer westlicher Machenschaften dar. Aber Russland ist zweitgrößte Atommacht und auch potenter Akteur mit imperialen Machtansprüchen. Putin ist zudem der Chef eines Oligarchen-Kapitalismus in Russland. Dessen Profiteure, die russische Millionärselite kreuzen mit ihren Yachten durch die Weltmeere und füllen die westlichen Tourismustempel.

Ja, auch Biden präsentiert einen Oligarchen-Kapitalismus, wenn auch unter anderen, etwas demokratischen Bedingungen. Und die Amerikaner „verteidigten ihre Sicherheitsinteressen“ seit 1991 mit 251 Militärinterventionen auf der ganzen Welt.

Doch versucht der Oligarchen-Kapitalismus Putins ganz Osteuropa und Mittelasien in seiner Kontrolle zu halten bzw. zu bringen – gerade auch mit militärischen Mitteln. Statt an einer wirklichen Friedensmacht Europa zu bauen, verfolgte Russland seine regionalen imperialen Interessen von Anbeginn, seit 1991; Russlands Militär agierte und agiert immer wieder in Osteuropa und Mittelasien:

Tschetschenien, Georgien, Transnistrien, Inguschetien, Dagestan, Südossetien, Berg-Karabach, Kasachstan, Annexion der Krim, Unterstützung prorussischer Kräfte in Ostukraine und seit dem 24.2.22 mit dem Eroberungs- und Angriffskrieg auf die Ukraine. (keine 251 aber 11 größere imperial gesteuerte Militäreinsätze, neben Syrien und kleineren Operationen in Afrika)

Russland ist imperiale Macht in Osteuropa und Mittelasien, die mit militärischer Gewalt seine Herrschaft zu sichern sucht. So auch jetzt in der Ukraine!

In unserem Ostermarsch-Aufruf fordern wir:

Frieden muss verhandelt werden!

Drum sage ich von diesem Ort aus mit klarer Adresse an Moskau:

In Hörweite zum russischen Konsulat hier in Frankfurt rufe ich den verantwortlichen Kriegsherren und Kriegstreiber Wladimir Putin auf:

Wladimir Putin; stoppen Sie das Morden! Beenden Sie den Krieg gegen die Ukraine! Setzen Sie eine sofortige Waffenruhe in der Ukraine um!

Denn der springende Punkt bleibt:

Die Weigerung Russlands, seine Aggression zu beenden, die Truppen zurückzuziehen und das Recht der Ukraine auf territoriale Unversehrtheit anzuerkennen, bildet bis heute die Klippe für einen fairen Verhandlungsprozess. Genau dies musste der frühere italienische Ministerpräsident Mario Draghi bei seiner Friedensinitiative im Mai 2022 feststellen. Er erklärte danach, Gespräche mit Putin seien „Zeitverschwendung“, weil die russische Führung nicht von ihrer Position abrücke, dass die Krim und der Donbass nicht Teil der Ukraine seien. Die Formel des Kreml lautet seitdem: Friedensverhandlungen Ja, aber zu unseren Bedingungen. Und: von der Ergebnissen unserer sogenannten Militäroperation, der Annexion nämlich, rücken wir nicht ab.

Ein Waffenstillstand, Verhandlungen, eine Friedensperspektive, die nicht die Grundlage des Völkerrechtes achtet und stattdessen das Recht des Stärkeren bestätigt, lädt zu weiteren Angriffskriegen ein. Ohne die eindeutige Bereitschaft Moskaus, die Truppen zurückzuziehen und die Annexionen zu widerrufen, wird es schwierig bis unmöglich zu einem ausgehandelten Frieden zu kommen.

Appelle zu bedingungslosen Friedensverhandlungen, inkl. einseitiger Vorleistungen des Westens, wie sie Sarah Wagenknecht formuliert, unterschätzen völlig die aggressive Seite Russlands und gründen in einer Fehleinschätzung der westlichen Politik. Kritik an den USA ist wichtig; Antiamerikanismus macht aber blind für mögliche friedliche Entwicklungen.

Wir brauchen dringend mehr Diplomatie, hier und jetzt - aber eine nachhaltige, die die Notwendigkeit der Abschreckung nicht leugnet, wie zuletzt von Jürgen Habermas zu Recht angemahnt.

Und: Russland zu dämonisieren ist falsch!

Russland ist mehr als Putin!

Auch in Russland gab und gibt es zivilen Widerstand gegen den Krieg. Bekannt geworden ist die Nachrichtensprecherin Marina Owsjannikowa, die ein Plakat in die Kamera des russischen Fernsehsenders hielt: „Kein Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen. Russen gegen Krieg“.

Hochverrat - so lautet der Vorwurf, den Abgeordnete des Rates des Bezirks Smolninskoje im Zentrum von St. Petersburg gegen Wladimir Putin erhoben. Sie stimmten am 7. September 2022 dafür, eine Petition an die Staatsduma der Russischen Föderation zu richten.

Sie enthält die Aufforderung, den russischen Präsidenten des Amtes zu entheben - wegen seines militärischen Vorgehens gegen die Ukraine, das in Russland nicht als Krieg, sondern nur als "militärische Spezialoperation" bezeichnet werden darf.

In 2022 sind mehr als 750.000 Menschen aus Russland geflüchtet. Die Kreativsten und produktivsten Russen und Russinnen verlassen das Land. Unter ihnen geschätzt etwa 145 000 wehrdienstpflichtige Männer, die sich so dem Krieg entzogen haben.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte den Asyl-Antrag eines russischen Kriegsdienstverweigerers im Januar 2023 ab.

Begründung: Eine allgemeine Mobilmachung in Russland sei nicht zu erwarten.
Diese Praxis gilt es zu ändern – und russischen ebenso wie ukrainischen Kriegsdienstverweigerern in Deutschland Asyl zu gewähren.

Hier ist das Zögern zu beenden und Deutschland muss solidarisch werden!

Ich schliesse mich den klaren Forderungen der Kampagne: „Stoppt das Töten in der Ukraine“ an:

  • diplomatische Initiativen durch die deutsche Bundesregierung, die EU, die Vereinten Nationen, die OSZE und andere
  • einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen unter Einbeziehung aller relevanten Akteur*innen
  • den Rückzug des russischen Militärs aus der Ukraine
  • alles zu tun, um einen Atomkrieg zu verhindern und den UN-Atomwaffenverbotsvertrag voranzutreiben sowie
  • den Ausstieg aus fossilen Energieträgern, um keine weitere Finanzierung des Krieges zu ermöglichen und die Klimakatastrophe abzuwenden.

„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, lautet ein berühmter Gedanke von Friedrich Hölderlin. Diese Rettende wächst aber nicht von selbst. Es braucht unsere Köpfe, unsere Herzen und unsere Hände.

Arbeiten wir weiterhin mit großer Ausdauer daran, Kriege zu beenden – abzurüsten statt aufzurüsten – und sowohl für aktuell bedrohte Menschen im globalen Süden wie auch künftige Generationen weltweit unseren gemeinsamen Planten Erde bewohnbar zu erhalten.

Wir mögen als Einzelne nicht die Macht haben, den Krieg beenden zu können, doch wir können darauf verzichten zu Kriegern zu werden. Statt selbst aggressiv zu werden, Hass zu streuen, können wir in unserer Haltung weiterhin friedfertig sein und Mitgefühl entfalten.

Bleiben wir auf dem Weg der Gewaltfreiheit, was heißt: bewahren wir ein offenes mitfühlendes Herz und einen freundlichen Blick auf die Geflüchteten, - auf unsere Mitmenschen.

Ich danke Euch fürs Zuhören.

 

Thomas Wagner ist aktiv bei Pax Christi.