Redebeitrag für den Ostermarsch in Bremerhaven am 8. April 2023

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Friedensfreunde und -freundinnen.

Ich freue mich über alle, die dem Aufruf von „Mut zum Frieden” gefolgt sind und sich hier versammelt haben. Ich heiße Werner Begoihn und werde eine kurze Rede halten. Nach mir und bevor wir uns auf den Weg zum Roten Sand machen, wird Ursel Trescher sprechen.

Im Internet ist folgendes Zitat zu finden, das Agatha Christie zugeschrieben wird: „Wenn du feststellst, dass die Leute dir nicht die Wahrheit sagen, pass auf!“

Nun weiß heute jeder – oder könnte es wissen –, dass der Tonkin-Zwischenfall, mit dem die USA den Vietnamkrieg begründeten, gar nicht stattgefunden hat. Und auch die irakischen Massenvernichtungswaffen, mit denen die USA den Krieg gegen den Irak begründeten, gab es nicht.
Nun stellt sich der Staat, der diese Lügen in die Welt gesetzt hat, als Leuchtturm der Demokratie und der Menschenrechte dar und beansprucht zu beurteilen, was moralisch ist und was nicht.Wer im Sinne des Zitats aufpasst, und sich fragt, was berichtet wird, wie es berichtet wird und auch was in den Massenmedien nicht vorkommt, wird feststellen, dass an vielen Stellen mit zweierlei Maß gemessen wird.

Wer hätte denn schon mal vom völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO auf Jugoslawien gelesen oder gehört oder dass Schröder, Scharping und Fischer, die zur Zeit des Angriffs Kanzler, Verteidigungsminister und Außenminister waren, als Angeklagte vor einem internationalen Gerichtshof gestanden hätten?
Wer hat juristische Bedenken angemeldet, als der Kosovo – vorher Teil Serbiens – eigenständiger Staat wurde? Bei der Krim werden bekanntlich ja nicht nur Bedenken angemeldet, wenn es um die Herauslösung aus der Ukraine geht.
Diese Doppelmoral erkennt man auch daran, dass Saudi-Arabien vom Westen mit den Waffen beliefert wird, mit denen es Krieg im Jemen führt, dass es nicht problematisiert wird, dass der NATO-Partner Türkei seine Staatsmacht auf Teile Syriens ausgedehnt hat, um Krieg gegen die Kurden zu führen oder dass Flüssiggasabkommen mit Katar getroffen werden, das nicht wesentlich demokratischer ist als Russland gemäß gängiger Bewertungssysteme im Internet.
Bei Meldungen, Berichten und Reportagen gelten journalistische Regeln: Berichtet wird nur, wenn es etwas Neues gibt und es braucht mindestens einen neuen Anlass, um auf Hintergründe einzugehen.

Im Falle der Ukraine-Berichterstattung galt diese Regel nach meiner Beobachtung nur eingeschränkt. Ich habe jedenfalls mehr Menschen über ihr Leid klagen sehen als bei allen kriegerischen Auseinandersetzungen nach dem 2. Weltkrieg zusammen. Um nicht als zynisch angesehen zu werden: Diese Menschen leiden wirklich und ich möchte auch nicht den Eindruck erwecken als sei dieser Krieg nicht schrecklich. Trotzdem frage ich mich, was diese Geschichten für Reaktionen auslösen. Bei mitleidigen Menschen wächst die Bereitschaft, Flüchtende aufzunehmen – ein Umstand, den wir in unserem Aufruf ausdrücklich begrüßt haben. Aber werden sich Militärs, soweit sie sich das überhaupt angucken, davon beeindrucken lassen und sofort die Waffen ruhen lassen? Sicher nicht. Sie haben Kriegsziele und beurteilen die Lage nach ihren militärischen Möglichkeiten. Und von denen erfährt man in diesen Geschichten nichts. Im Internet kann man nach Statistiken suchen, die einen militärischen Kräftevergleich erlauben. Danach ist die Ukraine personell und militärtechnisch hoffnungslos unterlegen. Bei dieser Suche stößt man allerdings auch auf Artikel, die schon im April 2022 die russische Armee auf der Verliererstraße sahen. Und es sind solche Artikel, die es als sinnvoll erscheinen lassen, Waffenlieferungen an die Ukraine zu intensivieren und damit den Krieg zu verlängern.

General a. D. Vad, ehemals Militärberater von Frau Merkel, stellte am 25. Februar in seiner Rede auf der Berliner Demonstration fest, dass der Krieg in seiner Abnutzungsphase sei. Dieser zynisch anmutende Begriff meint, dass es militärisch für keine Seite nennenswerte Geländegewinne gibt, trotzdem viel Munition verschossen, viel militärisches Gerät zerstört wird und leider auch viele Soldaten auf beiden Seiten sterben. Nun ist es ja psychologisch verständlich, dass die Menschen, die Putin für einen Verbrecher halten, nicht wollen, dass er mit seinem Krieg durchkommt, wobei es sicher nicht nur sein Krieg ist. In der realen Welt ist es aber so, dass viele Menschen und Staaten mit Dingen durchkommen, von denen wir wünschen, sie würden es nicht. Erinnert sei an die Verbrechen der Kolonialstaaten oder an die Ex-Nazis, die in der jungen Bundesrepublik zum Teil höchste Ämter bekleideten. Wie viele Tote und welches Ausmaß an Zerstörung in der Ukraine ist der vermutlich vergebliche Versuch wert, die russische Führung einer irgendwie gearteten Strafe zuzuführen?

Ein Ende des Krieges schien vor fast einem Jahr in greifbare Nähe gerückt, als dem Vernehmen nach Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland kurz vor dem Abschluss standen. Die Krim wäre bei Russland geblieben und Donezk und Lugansk zu Russland gekommen.

Was die meisten Menschen hierzulande nicht wissen: Von den etwa zwei Millionen Menschen, die auf der Krim leben, sehen sich etwa 60 % als Russen, die gar nicht befreit werden wollen, und nur etwa ein Viertel als Ukrainer. Eine größere Gruppe bilden mit etwa 12 % die Krimtataren.

Auch in Donezk und Lugansk ist der Anteil russischer Menschen hoch. Bei einer Befreiung im ukrainischen Verständnis drohten ihnen nach meiner Einschätzung Unterdrückung oder Vertreibung.

Jedenfalls halte ich es für unterkomplex, wenn die deutsche Außenministerin vorbehaltlos von einer Befreiung der russisch besetzten Gebiete spricht.

In letzter Zeit verweise ich gern auf einen Ausspruch von Egon Bahr vor Heidelberger Schülerinnen und Schülern. Er sagte 2013: „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.”

Es ist unbestreitbar, dass Russland den Krieg begonnen hat, aber es gab und gibt andere, die ihn nutzten, um ihre Interessen voranzutreiben:

Durch den Beschluss der Bundesregierung, sich an den Sanktionen gegen Russland zu beteiligen und den Import russischen Gases einzustellen, sind die Energiepreise explodiert und haben die Inflation befeuert. Nutznießer sind US-Energiekonzerne, die jetzt Flüssiggas absetzen können, was bei niedrigeren Energiepreisen nicht profitabel gewesen wäre. Die hohen Energiepreise belasten die deutsche Wirtschaft schwer mit bisher unabsehbaren Folgen auch für die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft im internationalen Vergleich.

Die Gegner von Nordstream2 haben sich gegen deutsche Absichten durchgesetzt.

Die Rüstungsindustrie profitiert von den Waffenlieferungen in die Ukraine aber auch von Neuanschaffungen der NATO-Partner. Zum Beispiel hat die Bundeswehr F 35-Kampfjets vom US-Hersteller Lockheed Martin geordert und wird dafür rund 10 Milliarden Euro bezahlen müssen. Geliefert werden die Jets wahrscheinlich erst 2029. Sie sollen übrigens Atombomben tragen können.

Rheinmetall ist bereit, seine Produktionskapazitäten für Munition auszuweiten, verlangt dafür aber Abnahmegarantien. Das heißt, um so viel Munition liefern zu können, wie gegenwärtig verschossen wird, müssten größere Anteile des Staatshaushalts in die Rüstungsindustrie fließen. Außerdem wäre die Munition nicht sofort lieferbar, der Ukrainekrieg müsste noch recht lange dauern, damit dieses Manöver überhaupt einen Sinn ergibt.

Massenmedial wird die Existenzberechtigung der NATO nicht mehr in Frage gestellt.

So viel zu Interessen.

Noch ein Wort zu den Gefahren. Möglicherweise gruppieren sich die Staaten anders und es entstehen neue Blöcke und verbunden damit andere Handelsströme. Eine Beschränkung des deutsch-chinesischen Handels hätte gravierende Folgen für Deutschland.

Ich hoffe, es ist deutlich geworden, weshalb immer mehr Waffen den Krieg nicht beenden werden, sondern dass das nur Verhandlungen können.

Bevor ich noch aus unserem Aufruf vortrage, wogegen wir uns wenden und was wir fordern, noch zwei Fragen, bei denen ich mich wundere, dass nur ich sie zu stellen scheine:

Ist es nicht merkwürdig, dass Olaf Scholz, der sich sonst durch Bedächtigkeit auszeichnet und nichts übereilt, bereits drei Tage nach dem russischen Angriff 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr bereitstellen konnte?

Sehe nur ich einen Widerspruch darin, dass man einerseits glaubt, Russland könne von der Ukraine besiegt werden, es andererseits aber für fähig hält, weit ins NATO-Gebiet vorzustoßen?

Ich zitiere aus unserem Aufruf:

Wir wenden uns

  • gegen das 100-Milliarden-Sondervermögen für Anschaffungen der Bundeswehr
  • dagegen, 2% des Bruttoinlandprodukts für Rüstung zu verwenden,
  • gegen Waffenexporte
  • gegen die Stationierung von Atomwaffen in Deutschland und die „atomare Teilhabe”. 

Wir fordern

  • die Gewährung des Asylrechts für Kriegsdienstverweigerer beider Kriegsparteien
  • den Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag der UNO
  • einen Waffenstillstand in der Ukraine und Friedensverhandlungen, die die Intentionen des Vertrags Minsk II berücksichtigen
  • eine gastfreundliche Aufnahme von Menschen aus aller Welt, die vor Krieg und Not fliehen.

 

Werner Begoihn