Redebeitrag für den Ostermarsch BaWü in Stuttgart am 19. April 2025

 

- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Mutig – stark – beherzt – den Frieden wagen!

 

Liebe Friedensbewegte, liebe Friedensfreund:innen!

herzlichen Dank für die Einladung zum Ostermarsch 2025 hier in Stuttgart! Als Friedensbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland ist es mir ein großes Anliegen und eine Freude, heute dabei sein zu können! Wir brauchen viele Menschen in unserem Land die gemeinsam für unsere Friedensfähigkeit eintreten und wie wir heute demonstrieren – für die Friedensfähigkeit unseres Landes und unserer Regierung, unserer Gesellschaft und auch eines jeden Einzelnen von uns!

Weil ich hier als Mann der Kirche vor Euch stehe, werde ich aus der christlichen Perspektive etwas dazu sagen, warum es um Friedensfähigkeit und nicht um Kriegstüchtigkeit gehen muss:

In diesem Jahr denken haben wir des 80. Todestages von Dietrich Bonhoeffer gedacht, der 1934 bei einer internationalen ökumensichen Konferenz in Fanoe eine Friedensrede gehalten hat. Dort sagte er:

„Wie wird Friede? Durch ein System von politischen Verträgen? Durch Investierung internationalen Kapitals in den verschiedenen Ländern? d. h. durch die Großbanken, durch das Geld? Oder gar durch eine allseitige friedliche Aufrüstung zum Zweck der Sicherstellung des Friedens? Nein, durch dieses alles aus dem einen Grunde nicht, weil hier überall Friede und Sicherheit verwechselt wird. Es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Weg der Sicherheit. Denn Friede muß gewagt werden, ist das eine große Wagnis, und läßt sich nie und nimmer sichern. Friede ist das Gegenteil von Sicherung. Sicherheiten fordern heißt Mißtrauen haben, und dieses Mißtrauen gebiert wiederum Krieg.“

91 Jahre später stehen wir hier nach einem fürchterlichen 2. Weltkrieg und dann einer neuen Weltordnung, die aus den Erfahrungen der Kriege ein klar pazifistische ist: „Krieg ist verboten, Frieden ist Pflicht der Völker der Erde!“

Dafür lasst uns mutig, stark und beherzt eintreten!

Mutig – stark – beherzt! –  Das ist die Losung des Evangelischen Kirchentags, der in 14 Tagen in Hannover stattfindet. Dieses Mutig – stark – beherzt! erinnert an einen Appell des Apostel Paulus an die frühchristliche Gemeinde in Korinth. Diese Gemeinde hatte Paulus Jahre zuvor gegründet und Menschen aus verschiedenen Kulturen und sozialen Schichten zusammengebracht. Doch es kam zu Spannungen und Konflikten innerhalb der Gemeinde, unter anderem weil die Christinnen und Christen in dieser Zeit bedroht und verfolgt wurden. Zwei Lager hatten sich gebildet, die miteinander in hartem Streit darüber lagen, was in dieser Situation der Bedrohung zu tun sei und an welchen Regeln des Miteinanders man sich orientieren solle. Ihnen ruft Paulus zu: „13Wachet, steht im Glauben, seid mutig und seid stark! 14Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen!“

Die Losung Mutig – stark – beherzt! ist also ursprünglich und in erster Linie eine Friedensbotschaft. Angesichts von Bedrohung und verhärteten Fronten appelliert sie nicht nur an den Mut und die Stärke der Menschen, sondern vor allem an ihr Herz, an ihre Liebe. Alles, was sie mutig und stark tun, soll „in der Liebe“ geschehen. Für „Liebe“ benutzt Paulus das Wort „Agape“. Das meint nicht die Liebe als Gefühl persönlicher Zuneigung, sondern die Liebe als Haltung, die sich auf alle Menschen richtet und die das Gegenüber auch im Streit als ein von Gott geliebter Mensch wahrnimmt. Zu dieser Liebe als Haltung sind wir grundsätzlich deshalb fähig, weil Gott uns allen unterschiedslos seine Liebe schenkt. In unserem Alltag ist diese liebende Haltung eine Herausforderung, ein ‚lebenslanges Übungsfeld‘ (Wolfgang Baur): Jeden Tag aufs Neue müssen wir uns vornehmen, andere Menschen, auch die, die uns Böses antun, als von Gott geliebte Menschen anzusehen. ‚Denn aus einem Grund, den wir vielleicht niemals verstehen werden, liebt Gott auch sie‘. Das heißt nicht, dass wir böses und unrechtes Handeln nicht benennen und anklagen dürfen. Aber wenn es uns gelingt, im anderen immer auch ein Gotteskind zu sehen, dann können wir auf eine gemeinsame Basis vertrauen, die uns den Mut und die Kraft gibt, Gemeinsamkeiten zu sehen, Schritte der Annäherung zu wagen, einen Ausgleich zu suchen, kurz: am Frieden zu arbeiten.

Im Sinne von Paulus muss es also heißen: Mutig – stark – beherzt den Frieden wagen!

So lautet denn auch das Motto unseres Friedensgottesdiensts, den die Evangelische Friedensarbeit gemeinsam mit mir und der Vorsitzenden des Rats der EKD, Bischöfin Kirsten Fehrs, am Kirchentag feiern wird. Dazu lade ich Euch herzlich ein! Ebenso zum Ökumenischen Friedenszentrum, das eine Gruppe von Pfarrer:innen aus Württemberg parallel zum Kirchentag in Hannover organisiert. Auch dort wird es um unsere Friedensfähigkeit gehen. Und das ist wichtig!

Denn auch wir leben heute in Zeiten ernster Bedrohungen, die wir nicht kleinreden können: Allen voran die Klimakrise. Sie destabilisiert ganze Regionen, verschärft Kämpfe um knappe Ressourcen wie Land, Wasser und Nahrung, entfacht neue Krisenherde und treibt Menschen in die Flucht – viele in Richtung Europa. Auch bei uns gefährdet sie Lebensgrundlagen und Eigentum und hat bereits Menschenleben gekostet. Sie ist die „größte Sicherheitsgefahr unserer Zeit“. So das wenig überraschende Fazit der Nationalen interdisziplinären Klima-Risikoeinschätzung, die vom Außen- und Verteidigungsministerium in Auftrag gegeben wurde und erstmals in diesem Februar erschienen ist.

Die zunehmenden Migrationsbewegungen bergen weitere Gefahren. Vor allem für die Flüchtenden selbst, die oft Schaden an Leib und Seele nehmen oder gar ihr Leben verlieren. Doch auch Gesellschaften, die Geflüchtete in großer Zahl aufnehmen, können an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit geraten und politisch instabil werden, wenn die Integration nicht gelingt und Rassismus um sich greift.

Zu diesen Hintergrundkrisen kamen allein in den vergangenen 5 Jahren die Pandemie, der brutale russische Angriffskrieg auf die Ukraine, die Energiekrise, der terroristische Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und der massive Gegenschlag Israels, der zehntausenden Zivilist:innen das Leben gekostet und ganz Gaza zerstört hat. Und dann noch der Machtwechsel in den USA. Mit ihm bricht sich nun auch dort eine brachiale Machtpolitik Bahn, die sich über Recht und regelbasierte Ordnung hinwegsetzt und versucht, wirtschaftliche und geostrategische Interessen in Deals und unter Gewaltandrohung durchzusetzen. Dank Trumps unberechenbarer America first-Politik droht nun ein weltweiter Handelskrieg.

Das sind massive Herausforderungen für die EU und unser Land, die die Menschen verunsichern und ängstigen. Und wie die Gemeinde in Korinth liegen nun auch wir in Politik, Medien und Gesellschaft miteinander in hartem Streit darüber, wie groß die mit ihnen verbundenen Gefahren sind und wie wir angemessen auf sie reagieren. Man denke nur an die unselige Bundestagsdebatte Ende Januar und die kleine Anfrage der Unionsparteien. Hier wurde mit Pauschalverdächtigungen die Spaltung unserer Gesellschaft vorangetrieben und damit den Rechtspopulisten Vorschub geleistet.

Deshalb ist es wichtig, mit unserer Demonstration heute den politisch Verantwortlichen deutlich zu machen, dass es schon richtig ist, sich mutig und stark in der Auseinandersetzung zu zeigen, innenpolitisch wie außenpolitisch. Doch muss das stets „in der Liebe“ geschehen. Das bedeutet zum einen, jede Eskalation zu vermeiden, und zum anderen, kritische Stimmen, die abweichende Positionen vertreten, zuzulassen, anzuhören und wiederum kritisch zu prüfen.

Doch das geschieht gerade in unserer öffentlichen Diskussion über die Bedrohung durch Russland nicht. Sie ist im Gegenteil geprägt von Alarmismus und Worst-Case-Szenarien – „Kriegstüchtigkeit“ gilt als das Gebot der Stunde. Nicht wenige Stimmen aus Politik, Medien und Wissenschaft schüren Angst vor einem russischen Angriff auf die NATO und einem Rückzug der USA aus Europa, um eine massive Aufrüstung durchzusetzen. Das ist aus ihrer Sicht der einzige Weg, sich mutig und stark zu zeigen, um Autokraten von Übergriffen abzuschrecken.

Dagegen stehen einzelne Stimmen namhafter Militärexperten und Politikwissenschaftler, die aber kaum Gehör finden (vgl. Stephan Hensell & Klaus Schlichte im Journal für internationale Politik und Gesellschaft). Diese vermissen gründliche wissenschaftliche und politische Untersuchungen der fraglichen Szenarien ebenso wie eine offene Diskussion darüber, welche konkreten Maßnahmen als Reaktion auf welche Bedrohung überhaupt sinnvoll wären.

Darin liegt eine große Gefahr, denn Alarmismus führt Angst und zu einseitigem Denken, überhasteten Entscheidungen und zerstört die Kreativität für diplomatische Lösungen. Dagegen sollten wir nüchtern differenzieren und immer vom Gegenüber her denken: Wenn es um Landesverteidigung geht, dann müssen wir uns ausrüsten, aber nicht aufrüsten. Es geht darum zu zeigen, wir können uns verteidigen, ein Angriff lohnt sich nicht. Keinesfalls dürfen wir durch Aufrüstung selbst zur Bedrohung werden. Das gefährdet unsere Sicherheit. Auf dieses Sicherheitsdilemma in der internat. Politik hat John Hertz schon 1950 hingewiesen: Was als Verteidigung gedacht ist, wird als Aggression wahrgenommen. Das führt zu kostspieligen Rüstungswettläufen, die letztlich niemandem nützen. Deshalb müssen parallel vertrauensbildende Maßnahmen der Rüstungskontrolle ergriffen werden. Darum ein klares Nein zu alleinigen Idee der Aufrüstung.

Das gilt erst recht für Atomwaffen. Sie finden in der europäischen Verteidigungspolitik wieder zunehmende Akzeptanz. Vereinzelte Stimmen fordern gar eine deutsche Atomwaffe. Auch innerhalb der Ev. Kirche wird der Atompazifismus, der bisher mehrheitlich vertreten wurde, infrage gestellt. Die ökumenische Bewegung und die katholische Kirche, sind in dieser Frage eindeutig. Sie fordern Verhandlungen zur Abrüstung und ein internationales Verbot von Nuklearwaffen. Die Kirchen sollten sich verstärkt für ein „Global Zero“ engagieren, insbesondere im Gedenken an den 80. Jahrestag der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. Darum rufen wir von hier aus die Bundesregierung auf, dem Atomwaffenverbotsvertrag beizutreten!

Auch müssen wir klar machen, dass wir in Europa zusammenstehen. Die europäische Einheit ist für Putin beängstigender als die Waffen.

Bedachtes Kalkulieren gilt ebenso für die Frage der Wiedereinführung des Wehrdiensts. Bevor er wieder eingesetzt wird, ist zu fragen, welche Rolle die Bundeswehr in der Bündnisverteidigung der NATO übernimmt. Schließlich haben die europäischen NATO-Staaten zusammen genommen mehr Soldat:innen als Russland. Wir werden als Kirche die Gewissen der Verweigerer schützen und unsere Kriegsdienstverweigerungsberatung verstärken und ausbauen. KDV ist ein Menschenrecht!

Schließlich darf Sicherheit nicht einseitig militärisch gedacht werden. Immer geht es auch um soziale Sicherheit, die eine Gesellschaft stark und verteidigungsfähig macht. Dazu gehören auch soziale Verteidigung, Förderung von gewaltfreien Instrumenten der Konfliktbearbeitung, Zusammenhalt in der Solidargemeinschaft etc. Die Diakonie und andere soziale Werke weisen eindringlich auf die schon jetzt sichtbaren Folgen und gesellschaftliche Zerreißprobe infolge von Mittelkürzungen hin. Diese dürften sich noch verschärfen, wenn die geplanten massiven Rüstungsausgaben auf Kosten der sozialen und ökologischen Gerechtigkeit gehen.

Deshalb lasst uns wie Paulus mutig und stark die Initiative ergreifen, differente Menschen zusammen- und zum gemeinsamen Feiern, Reden, Singen und Beten bringen und sie daran erinnern, sich in Liebe – mit dem Ziel des Friedens – über das, was in Zeiten der Bedrängnis zu tun und zu lassen ist, zu streiten.

Vielen Dank.

 

Friedrich Kramer ist Landesbischof der Ev. Kirche Mitteldeutschland (EKM) und Friedensbeauftragten des Rates der EKD.