Redebeitrag für den Ostermarsch in Heidelberg am 19. April 2025
- Es gilt das gesprochene Wort -
Liebe Freund*innen,
als Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen ist für mich die Grundsatzerklärung der War Resisters International handlungsleitend, in der es heißt: „Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Ich bin daher entschlossen keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung der Kriegsursachen mitzuarbeiten.“
Es freut mich, dass sich hier und an so vielen Orten in Deutschland über die Osterfeiertage wieder Menschen auf die Straße begeben und ein deutliches Zeichen gegen das von Verteidigungsminister Boris Pistorius ausgerufene Ziel der „Kriegstüchtigkeit“, einer seit dem Ende des Kalten Kriegs beispielloser Aufrüstung in Europa und der Militarisierung der Gesellschaft setzen.
Leider mangelt es derzeit wahrlich nicht an Kriegen und Kriegsvorbereitung. Der Fokus soll in dieser Rede aber auf Europas Aufrüstung und die Rückkehr von Mittelstreckenwaffen liegen.
Der russische Krieg gegen die Ukraine hat zu unzähligen Opfern und Leid geführt und tut das auch weiter tagtäglich. Russland hat als Aggressor die Möglichkeit diesen Krieg sofort zu beenden, in dem es das imperialistische Vorhaben aufgibt Grenzen mit Gewalt verschieben zu wollen und seine Truppen zurückzieht. Damit ist wie bereits gehört leider nicht bald zu rechnen.
Seit der russischen Vollinvasion 2022 sehen wir eine enorme Beschleunigung von einem Trend, der sich schon länger beobachten ließ. Deutschland und die anderen Staaten der EU rüsten seit zehn Jahren massiv auf: Lagen die Ausgaben in den EU-Staaten 2014 noch bei 182 Mrd. €, wurden sie für 2024 auf 326 Mrd. € geschätzt. Die EU möchte mit dem Programm ReArm Europe 800 Mrd. € mobilisieren. Mit dieser Aufrüstung verbunden ist der Anspruch Großmachtkonflikte führen und isnb. ökonomische Interessen weltweit militärisch durchsetzen zu können. Dazu wird auch in hochumstrittene Kriegstechnologien, wie in Autonomie in Waffensystemen, investiert. Die Ukraine dient vielen europäischen Rüstungsunternehmen als Testlabor.
Auch in Deutschland sind die Ausgaben fürs Militär trotz der angeblich immer noch blanken Bundeswehr alles andere als stagnierend gewesen: 2014 wurden nach NATO-Kriterien 34,9 Mrd. € ausgegeben. 2024 beliefen sich die Zahlen mit den Ausgaben aus dem Sondervermögen auf 90,6 Mrd. €. Und der Betrag soll weiter in die Höhe gehen. Deshalb haben vor der Konstituierung des neuen Bundestages CDU, CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP auf unbegrenzte Zeit die Schleusen fürs Militär nicht nur geöffnet. Sie haben sie gesprengt!
Fühlt ihr Euch schon sicherer? Unsere Antwort ist ganz klar: NEIN!
Über einem Prozent des BIP werden Ausgaben für das, was der Staat unter Sicherheit versteht, nicht mehr auf die selbstangelegten Fesseln der Schuldenbremse angerechnet. Jene Schuldenbremse, die argumentativ stets dann herhalten durfte und bestimmt auch weiter herhalten darf, um Ausgaben z.B. für Soziales eine Absage zu erteilen.
Zusätzlich wurde ein weiteres Sondervermögen in Höhe von 500 Mrd. € für Investitionen aufgelegt. Ein Großteil davon wird in Straßen, Schienen und stabile Brücken von West nach Ost fließen. Der militärische Nutzen der Investitionen in Infrastruktur wird an erster Stelle stehen.
Dabei ist der Weg zur Globalen Abrüstung dringlicher denn je. Die insb. durch den globalen Norden verursachte Klimakatastrophe stellt die Menschheit vor eine ungeheure Aufgabe. Aufrüstung und Krieg verschlimmert die Lage nur. Die Weltuntergangsuhr des Berichtsblattes der Atomwissenschaftler steht bei 89 Sekunden vor zwölf. Danach stehen wir so nah am Abgrund wie zu keiner Zeit im Kalten Krieg. Das sollte eine deutliche Warnung sein!
Leider ist hier von der kommenden Bundesregierung ohne zivilgesellschaftlichen Druck gar nichts zu erwarten. Nicht, dass die sich noch im Amt befindliche Regierung hier höhere Maßstäbe gesetzt hätte: Statt dem Atomwaffenverbotsvertrag beizutreten, blieb Deutschland dieses Jahr erstmals dem Staatentreffen als Beobachter fern. Über den Austritten Lettlands, Litauens, Estlands, Polens und Finnlands aus dem Abkommen über das Verbot von Antipersonenminen und im Falle Litauens auch aus dem Abkommen zu Streumunition kam keinerlei Kritik, ja es wurde gar Verständnis für diesen Schritt geäußert. Damit verspielt die Bundesregierung jegliche Glaubwürdigkeit, wenn es um die Wahrung des humanitären Völkerrechts geht! Die von Friedrich Merz ausgesprochene Einladung an Benjamin Netanjahu legt zudem noch die Axt an die internationale Strafgerichtsbarkeit.
Der Irrglaube an die Abschreckungslogik ist in den Köpfen der Entscheidungsträger*innen zurück. Besonders deutlich wird das an einem Beispiel, welches mich zum zweiten Teil dieser Rede bringt, die ich in Funktion als Campaigner für „Friedensfähig statt erstschlagfähig. Für ein Europa ohne Mittelstreckenwaffen!“ halten darf.
Im kommenden Jahr sollen in Deutschland Waffen einer Kategorie stationiert werden, die seit 1987 aus den Arsenalen der ehemaligen Sowjetunion und der Vereinigten Staaten von Amerika vollständig verschwunden waren. Die Rede ist von landgestützten Mittelstreckenwaffen. Der INF-Vertrag verbot landgestützte Trägersysteme mit einer Reichweite zwischen 500 km und 5.500 km sowie Startvorrichtungen und die zu ihrer Stationierung notwendige Infrastruktur. Der Vertrag war ein Meilenstein der Abrüstung, der einen Ausweg aus der Unsicherheit der Abschreckungslogik aufzeigte. Sicherheit wurde auf dem Weg der Abrüstung geschaffen.
2019 kündigte der damalige und jetzige US-Präsident Donald Trump den Vertrag nach jahrelangen gegenseitigen Vorwürfen der Vertragsverletzung auf, Wladimir Putin folgte dem unmittelbar. Das Interesse am INF-Vertrag war zu diesem Zeitpunkt längst erloschen. Die im Vertrag vorgesehenen Streitschlichtungsmechanismen wurden zunächst nur zögerlich, später gar nicht mehr genutzt. Gegenseitige Einladungen zur Verifikation, um die Vorwürfe auszuräumen, wurden weder von Russland noch von den USA angenommen.
Die USA haben am 10. Juli 2024 gemeinsam mit der Bundesregierung am Rande des NATO-Gipfels in Washington angekündigt, folgende Mittelstreckenwaffen zu stationieren: Marschflugkörper vom Typ Tomahawk und ballistische Raketen vom Typ SM-6 mit einer Reichweite von jeweils ca. 1.600 km sowie den Hyperschallgleiter Dark Eagle mit einer Reichweite von über 2.700 km. Nukleare Sprengköpfe können derzeit keine der drei Waffen tragen. Sie sind der zweiten Multi-Domain Task Force in Wiesbaden unterstellt und werden voraussichtlich ab 2026 in Grafenwöhr stationiert.
Im Zuge der europäischen Aufrüstung und dem Versuch unabhängiger von den USA zu werden, möchte Deutschland gemeinsam mit europäischen Verbündeten ein eigenes landgestütztes Waffensystem mit einer Reichweite zwischen 1.000 km und 2.000 km entwickeln. Egal von wem die Mittelstreckenwaffen sind, sie machen Europa unsicherer!
Erst vor wenigen Monaten wurde eine solche Waffe in Europa eingesetzt: Am 21. November 2024 feuerte Russland eine Mittelstreckenwaffe auf eine ukrainische Waffenfabrik ab. Russland, das erst wenige Tage zuvor seine Nukleardoktrin überarbeitet und die Einsatzschwelle für Atomwaffen gesenkt hatte, informierte die USA kurz vor dem Start, dass die Rakete keine Atomsprengköpfe trage. Putin erwähnte in seinem Statement zum Einsatz, dass die Rakete – Zitat – „in diesem Fall“ nicht nuklear bestückt war. Eine brandgefährliche Aussage!
Wir wollen deutlich machen: Der Abschreckungswettlauf schafft keine Sicherheit. Landgestützte Mittelstreckenwaffen lassen sich schnell verlegen und abschussbereit machen, sie erreichen ihr Ziel in wenigen Minuten. Von der russischen Exklave Kaliningrad aus kann Russland schon heute mit den dort stationierten Waffen das gesamte Baltikum, Polen und die Strecke bis Berlin abdecken. Mit der im November eingesetzten Oreschnik kann von Russlands Grenzen aus ganz Europa abgedeckt werden. Umgekehrt reicht die Dark Eagle, die von den angekündigten US-Waffen die höchste Reichweite hat, bis weit hinter Moskau.
Fühlt ihr euch schon sicherer? Unsere Antwort ist ganz klar: NEIN!
Deshalb fordern wir:
- Keine neuen landgestützten Mittelstreckenwaffen, nicht in Deutschland, nicht in Russland, nirgendwo in Europa!
- Dialog statt Aufrüstung! Verhandlungen zwischen den USA, Russland und gegebenenfalls weiteren Staaten über einen neuen Mittelstreckenvertrag!
- Nicht Auflösung, sondern Stärkung des Völkerrechts und der Abrüstung!
- Und wir fordern neue Initiativen für eine gemeinsame Sicherheit und Zusammenarbeit!
Das ließe uns Zuversichtlicher in die Zukunft Europas schauen!
Vielen Dank.
Marius Pletsch ist Koordinator der Kampagne gegen Mittelstreckenwaffen.