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März 1998


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FriedensForum 2/1998


Kosov@: Und wieder pennt Europa...

Roland Brunner

Im Kosov@ hat die albanische Mehrheit genug vom gewaltfreien Widerstand gegen die serbischen Machthaber. Die serbische Mehrheit in Jugoslawien hat genug vom Widerstand der AlbanerInnen. Und Europa scheint genug von beiden zu haben.

Jahrelang ließ sich die albanische Mehrheit im Kosov@* mit Versprechungen hinhalten: Der gewaltfreie Widerstand unter Führung der Demokratischen Liga des Kosova LDK werde zu einem unabhängigen Staat führen, denn die Welt sei auf der Seite der unterdrückten AlbanerInnen gegen die serbische Herrschaft. Heute gibt der Widerstand seine Gewaltfreiheit auf. Wie konnte es soweit kommen und vor allem: Was ist zu tun, damit im Balkan nicht das nächste Pulverfaß explodiert?

Frustrierte Gewaltfreiheit

Die Machthaber in Belgrad weigern sich standhaft, den Konflikt im Kosov@ als internationale Angelegenheit zu behandeln. Sie halten daran fest, daß der Kosov@ integraler Bestandteil des jugoslawischen Territoriums sei und daß das Problem einzig im albanischen Separatismus liege. Die politische Führung der Kosov@-AlbanerInnen andererseits beharren darauf, eine Lösung des Konflikts sei nur möglich, wenn das Selbstbestimmungsrecht der albanischen Mehrheit anerkannt werde. Sie fordert die Anerkennung des Rechts auf Unabhängigkeit als Vorbedingung für Gespräche. So blockieren sich zwei Maximalpositionen gegenseitig und verhindern einen Dialog, der zu konstruktiven Lösungen führen könnte.

Das Vertrauen in die politische Strategie der LDK und des gewaltfreien Widerstandes schwand während der letzten Jahre ständig. Die herrschende Diskriminierung und die politische Unterdrückung im Kosov@ verschärfte sich. Gleichzeitig behauptete die Führung des Kosov@, man komme mit internationaler Unterstützung der Lösung ständig näher. Aus den Frustrationen nährt sich die Gewaltbereitschaft vor allem bei Jugendlichen und den Schichten der albanischen Bevölkerung, die jede Hoffnung auf eine politische Lösung aufgegeben haben.

 zum AnfangDie Strategie der albanischen Führung, mit gewaltfreiem Widerstand zur staatlichen Unabhängigkeit zu gelangen, hat offensichtlich versagt. Bei den angekündigten Wahlen vom 22. März werden Ibrahim Rugova und seine LDK zeigen müssen, ob sie ihren Kurs noch auf eine klare Mehrheit im Kosov@ abstützen können.

Von der politischen Niederlage der LDK profitiert vor allem die "Befreiungsarmee des Kosova" (Ushtria Climitare es Kosoves, UCK). Mit Anschlägen gegen serbische Polizisten aber auch gegen albanische"Kollaborateure" scheint sie einen Ausweg aus der festgefahrenen Situation und der Passivität der politischen Führung zu bieten. Obwohl die UCK behauptet, Teilgebiete des Kosov@ zu kontrollieren und auch im benachbarten Mazedonien zu agieren, bestehen Zweifel, ob sie mehr ist als ein Instrument des serbischen Geheimdienstes oder von "serbischen Provokateuren", wie Ibrahim Rugova erklärte.

Beantwortet werden die Terroranschläge der UCK von den radikalsten serbischen Nationalisten: Leute wie der Kriegskriminelle Vojislav Seselj drohen offen damit, den Krieg aufzunehmen und das Kosovo-Problem militärisch zu lösen. Die Organisation der Kosovo-Serben "Bozur" ruft an Protestkundgebungen zum "Krieg gegen den albanischen Separatismus und Terrorismus" auf.

Den Krieg verhindern

Der deutsche Außenminister Kinkel erklärte anläßlich einer Bosnien-Konferenz Ende 1997, die heiße Krise im Kosov@ müsse gelöst werden, bevor es zu spät sei. Nur scheint niemand auf dem internationalen Parkett der hohen Diplomatie zu wissen, wie dies geschehen soll, ohne den jugoslawischen Führer zu verärgern. Die Uno-Generalversammlung hat Mitte Dezember 1997 eine Resolution verabschiedet, in der das Belgrader Regime aufgefordert wird, die Unterdrückung und Diskriminierung der AlbanerInnen im Kosov@ zu beenden. Doch die internationale Politik unternimmt keine konkreten Schritte. Auch die Außenminister der Nato-Mitgliedsländer, der OSZE und der Europäischen Union befassen sich regelmäßig mit dem Kosov@, ohne konkretes Handeln zu beschließen. Wie Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre scheint man die Krise solange aussitzen und verpennen zu wollen, bis man nach dem Krieg "Friedenstruppen" schicken kann, um uns weiszumachen, wieviel Frieden man da militärisch gestiftet habe.

Während die internationale Diplomatie den eskalierenden Konflikt mit Erklärungen kommentiert, bleiben konkrete Lösungsvorschläge in den Schubladen liegen. In den letzten zwei Jahren haben bedeutende Treffen stattgefunden, an denen VertreterInnen von Nichtregierungs-Organisationen aus dem Kosov@, aus Jugoslawien und aus anderen Ländern Ansätze gesucht und umfassende Handlungsangebote entwickelt haben:

- 22. Mai 1996: Ein Bericht des US-amerikanischen,
  regierungsunabhängigen Council of International
  Relations gibt konkrete Empfehlungen an die
  US-amerikanische Außenpolitik und an die
  beteiligten Konfliktparteien ab.

- 5. Juni 1996: Die unabhängige kosov@albanische
  Zeitschrift KOHA präsentiert ein Konzept der
  Regionalisierung im Balkan, das von
  HerausgeberInnen des geopolitischen Magazins
  "Limes" erarbeitet wurde. Die Autoren Korinman
  und Carciolo entwickeln ihre Antwort auf den
  Kosov@konflikt anhand des politischen Status der
  deutschsprachigen, aber zu Italien gehörenden
  Region Südtirol. Gefordert wird konsequenter
  internationaler Druck auf alle Beteiligten, um
  diese Regionalisierung durchzusetzen.

- 26. Juni 1996: Ein Projekt der Hellenic Foundation
  for European and Foreign Policy mit Unterstützung
  durch die amerikanische Ford Foundation erscheint
  unter dem Namen "Einen weiteren Balkan-Krieg
  verhindern: Strategie der Konfliktvorsorge im
  Kosova".

- 18. September 1996: KOHA berichtete von einem
  Treffen zwischen Kosov@albanern und Serben in
  Rhodos. Die Konferenz, organisiert von der
  deutschen Bertelsmann-Stiftung, hält fest, daß
  der Kosov@ in einer Situation zwischen Krieg und
  Frieden schwebe, die nicht anhalten könne. Drei
  Arbeitsgruppen bearbeiteten mögliche
  Entwicklungsszenarien und Modelle.

- 2. Oktober 1996: Der Bericht der Nato-Mission
  ("Unfinished Peace") schlägt fünfzig
  militärische, politische und wirtschaftliche
  Maßnahmen vor, um sofort einen internationalen
  Prozeß zur Lösung des Kosov@konfliktes auszulösen.

- 16. Oktober 1996: KOHA veröffentlicht ein
  Interview mit Dana Allin, Vizedirektorin des
  Berliner Aspen-Instituts, das einen Bericht über
  die Lage im Kosov@ verfaßt und Maßnahmen
  vorgeschlagen hat.

- 29. Januar 1997: KOHA-Chefredaktor Veton Surroi
  liefert unter dem Titel "Dialog - Wege aus dem
  Teufelskreis" einen Überblick über die
  Konfliktsituation, die anstehenden Probleme und
  die Schritte, die unternommen werden müssten.

- 7.- 9. April 1997: In New York finden
  Kosov@-Gespräche statt.

- Juni 1997: Veranlaßt vom American Council on
  Foreign Relations kommt es zu Gesprächen zwischen
  der serbischen und der albanischen Seite in Ulcin,
  Montenegro. Mehr als vierzig Intellektuelle und
  Vertreter politischer Parteien und
  Nichtregierungs-Organisationen entwickelten einen
  Aktionsplan.

Sprechen statt schießen

Wenn die internationale Politik glaubt, sie könne das Kosov@problem loswerden, indem man Kosov@albanerInnen ausschafft (= abschiebt), wird sie sich bald vor einen neuen Krieg gestellt sehen. Ein klarer politischer Wille, der sich weder den wirtschaftlichen Interessen noch den diplomatischen Gepflogenheiten unterordnet, muß vorhanden sein, um den Konflikt zivil zu bearbeiten, bevor er in einen Bürgerkrieg abkippt. Positive und negative Sanktionen gegenüber den politischen und gesellschaftlichen Kräften beider Seiten sind notwendig, um die Machthaber von ihrem Maximalismus runterzuholen respektive um die gesellschaftlichen Kräfte zu stärken, die eine Alternative zu den heutigen Machthabern darstellen könnten.

 zum AnfangEs besteht eine unglaublich reiche Vorarbeit, auf die sich konkrete Schritte abstützen könnten. Zu allen politischen Konzepten gibt es sowohl auf serbischer als auch auf kosov@albanischer Seite Leute und Gruppierungen, die bereit sind, miteinander an einer politischen Lösung zu arbeiten und einen Krieg zu verhindern. Oppositionelle Parteien, unabhängige Gewerkschaften, Organisationen der StudentInnen, Bürgerrechts- und Jugendgruppen stehen in ständigem und engem Kontakt und geben den Boden ab, auf dem politische Lösungen gangbar werden. Internationale NGOs wie das Balkan Peace Team BPT begleiten und unterstützen diese Kräfte nach Möglichkeit. Die AktivistInnen des BPT entwickelten eine ausgebaute "grass-roots Shuttle-Diplomatie" zwischen Belgrad und Prishtina: Sie laden VertreterInnen serbischer Organisationen in den Kosov@ ein und organisieren Treffen mit albanischen Kontakten, um gegenseitiges Verständnis und Vertrauen zu fördern. Serbische StudentInnen in Prishtina haben bei einem solchen Treffen festgehalten: "Laßt uns lieber zehn Jahre miteinander reden, als einen Krieg führen."

Vielleicht ist es heute schon wieder zu spät, um mit Reden endlich anzufangen. Eine gewaltfreie Bearbeitung des Konflikts im Kosov@ droht im Sog des doppelten Terrorismus von albanischer "Befreiungsarmee" und serbischer "Staatsmacht" unterzugehen. Zu lange haben die internationalen Machthaber auf ihre diplomatischen Gepflogenheiten des Händeschüttelns mit anderen Machthabern vertraut. Zu lange wurden die Scharfmacher beider Konfliktseiten als Partner für den Frieden akzeptiert und verständigungswillige Kräfte marginalisiert, um einen unhaltbaren Status quo aufrechtzuerhalten. Zu lange lagen wichtige Konzepte regierungsunabhängiger Organisationen in den Schubladen, während die Regierungen weder Einheit noch Willen zum Handeln fanden.

Uns muß es darum gehen, die Schweizer Politik auf den Dialog zu verpflichten. Asyl- und Wirtschaftspolitik müssen strategischen friedenspolitischen Interessen untergeordnet werden, um mit klaren Maßnahmen die zivile Option zu stärken. Wir können einen Beitrag leisten, damit die Schweiz über das Wissen und die Mittel verfügt, mit einem solidarischen Beitrag auf der "Baustelle des Friedens" mitzuarbeiten. "Frieden nicht nur konsumieren, sondern produzieren", lautet ein Bonmot des helvetischen Oberverteidigers. Mit unserer Initiative für einen freiwilligen Zivilen Friedensdienst ZFD schaffen wir qualifizierte Fachleute, um unseren kleinen Beitrag zu dieser großen Aufgabe zu leisten.

 zum Anfang* Der Kosovo (serbisch: Kosovo und Metohija, albanisch Kosova) ist eine Region in der Bundesrepublik Jugoslawien. Die Schreibweise Kosov@ stellt eine neutrale Form dar, um weder den serbischen noch den albanischen Namen verwenden zu müssen, da die Sprachregelung Teil des politischen Streites ist.



Die Schweiz schafft aus

Anfang Dezember 1997 hat die Schweiz begonnen, albanische Asylsuchende aus dem Kosov@ nach Jugoslawien zurückzuschaffen. Am 1. September war ein Abkommen in Kraft getreten, das die Schweizer Regierung mit den Machthabern in Belgrad abgeschlossen hat und mit dem rund 15`000 AlbanerInnen "unter voller Achtung der Menschenrechte und der Würde der rückkehrenden Person" abgeschoben werden sollen. Bis Anfang April will man die ersten 1300 Menschen losgeworden sein.

Vor Jahren ließ die jugoslawische Führung Hunderttausende von Kosov@albanerInnen ausreisen und hoffte, damit auch das Kosov@problem loszuwerden. Die Führung des Kosov@ wollte mit dieser Emigration den sozialen Druck verringern und sich über Emigrantensteuern Finanzquellen erschließen. Der Schweiz waren die Kosov@albaner als billige und willige Arbeitskräfte willkommen. Heute aber ist jedeR zurückkehrende AlbanerIn ein Problem für Jugoslawien und für den Kosov@.

Suzanne Auer, Medienverantwortliche und Kosov@-Spezialistin bei der Schweizerischen Flüchtlingshilfe SFH, kritisiert den Abschiebeentscheid. Es seien viele Fälle dokumentiert, in denen Zurückgeschaffte verhaftet, verhört und misshandelt wurden. Auch Tages-Anzeiger-Redaktor Peter Hug findet am 4. Juli 1997 klare Worte: "Wenn Arnold Koller und Milosevic` Polizeiminister sich die Hände reichen, müssen sämtliche Alarmanlagen läuten. (...) Seit Jahren weiß der Bundesrat, wissen die Regierungen anderer Länder, weiß die Osze, wie es um die Menschenrecht in Kosovo bestellt ist. Doch niemand macht ernsthaft Druck auf Belgrad. Niemand sorgt dafür, daß das serbische Regime endlich die Rechte der albanischen Bevölkerung respektiert. Die Welt schaut weg, und Bern schließt mit den Verantwortlichen in Belgrad ein Abkommen. Der Bundesrat belohnt die Täter und bestraft die Opfer."

Roland Brunner ist Redakteur der Schweizerischen Monatszeitschrift MOMAund lebt in Zürich.

E-Mail:   gsoa@quelle.links.ch
Internet: http://www.gsoa.ch
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