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vom:
16.02.2000


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Rüstungsexport:

  Hintergrund-Informationen

Rüstungsexporte

Holger H. Mey

Die Lieferung eines deutschen Leopard-Panzers in die Türkei zu Testzwecken hat die Diskussion über Rüstungsexporte erneut entfacht. In Deutschland stets mehr umstritten als in den meisten Partnerländern, stand die Rüstungsexportpolitik Ende des vergangenen Jahres auch auf der Tagesordnung der Bundesregierung. Erwartungsgemäß beschloss sie eine weitere Verschärfung der ohnehin vergleichsweise restriktiv gehandhabten Bestimmungen für die Ausfuhr von Wehrmaterial. Nach einer zunächst wohl auf außenpolitische Kontinuität setzenden Genehmigungspraxis bei Exportanträgen galt es dann, die Realität der Theorie anzugleichen. Der Vorrat an Zugeständnissen der politischen Linken an Realpolitik und Pragmatismus war - über die eigene Haltung im Kosovokonflikt offenkundig selbst erschrocken - inzwischen aufgebraucht; nun galt es, wieder Grundsatztreue zu demonstrieren.

Diese neue/alte Haltung der Regierungsparteien entbehrt keineswegs der inneren Logik. Die Wahrung der Menschenrechte und die Berücksichtigung des Entwicklungsstandes in einem Land - zwei zentrale Veränderungen in den neugefassten Rüstungsexportgrundsätzen - stehen in der Tradition einer primär mit moralischen Argumenten geführten außenpolitischen Diskussion. Die gute Absicht ersetzt jedoch nicht die außenpolitische Analyse und entbindet nicht von der Verpflichtung, über mögliche Folgen dieser Politik vorurteilsfrei nachzudenken.

Im folgenden Beitrag werden die moralische Argumentation für eine äußerst restriktive Rüstungsexportpolitik auf mögliche Einwände hin geprüft, die strategische Zweckmäßigkeit dieses Ansatzes betrachtet sowie auf die Bedeutung von Exporten für die deutsche wehrtechnische Industrie und die europapolitische Dimension dieser Politik hingewiesen.

Rüstungsexporte und Moral

Moral ist das Feld des Absoluten, Politik die Kunst des Möglichen. Moral wird, wenn sie intolerant und rechthaberisch erscheint, auch den angestrebten politischen Zweck nicht erreichen. Politik darf nicht unmoralisch sein, sie sollte stets das Gute anstreben. Dazu muss sie aber ihre eigenen Mittel und Methoden anwenden. Politik muss Kompromisse eingehen können und oftmals von zwei Übeln das kleinere wählen. Mit praktisch jeder politischen Entscheidung sind Zielkonflikte verbunden, so dass der politische Akteur Verantwortung nicht nur für sein Handeln, sondern auch für sein Nicht-Handeln übernehmen muss. Dies bedeutet: Politisch verantwortet werden muss demnach nicht nur der Export von Rüstungsgütern, sondern genauso die Weigerung, wehrtechnische Produkte auszuführen. Hierbei sind auch und insbesondere nichtbeabsichtigte Folgen zu berücksichtigen.

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Unstrittig ist, dass Waffen keinesfalls an Staaten geliefert werden sollten, die Menschenrechte massiv und systematisch verletzen oder offenkundig einen Angriffskrieg planen bzw. diesen bereits führen. Kaum zutreffend dürfte jedoch die Annahme, dass erst die Lieferung von Waffen das Elend des Krieges herbeiführt. Spaten und Buschmesser, Äxte und Keulen reichen, wie die Beispiele "Kambodscha unter Pol Pot" und in jüngerer Zeit "Ruanda" zeigen, zumindest für Massaker im großen Stil aus. Auch verdeutlicht das Beispiel Ruandas, dass Rüstungsniveau und Konfliktwahrscheinlichkeit nicht zwingend miteinander zusammenhängen.

Eine systematische Untersuchung von Rüstungsplafonds in bestimmten Regionen und der Häufigkeit gewaltsamer Auseinandersetzungen würde veranschaulichen, was seit der Zeit des Kalten Krieges vermutet werden durfte: Hochrüstung muss nicht zwangsläufig zu Krieg führen, sondern kann den politischen Wandel auch stabilisieren und dafür sorgen, dass selbst revolutionäre Veränderungen nicht in militärische Konflikte ausarten.

Die Erfahrungen aus der Zeit des Ost-West-Konflikts stellen natürlich kein Rezept für andere Weltregionen dar, zumal entscheidende politische Rahmenbedingungen kaum miteinander vergleichbar sind. Dennoch widerspricht die Vermutung, dass Rüstung Konflikte provoziert, der politischen Erfahrung. Untersuchungen zu amerikanischen Waffenlieferungen haben beispielsweise ergeben, dass durch die USA exportierte Waffen nur in ganz wenigen Fällen zu "Angriffskriegen" genutzt wurden. Formeln wie "Rüstungsexporte gleich Erhöhung der Spannungen oder Förderung von Angriffsabsichten" oder "keine Rüstungsexporte gleich Beitrag zum Frieden" stimmen nur selten, können aber in zahlreichen Szenarien das Gegenteil bewirken.

So kann die Weigerung, einen Bündnispartner oder einen Verteidiger mit Waffensystemen auszurüsten, durchaus dazu führen, dass dieser eine militärische Auseinandersetzung verliert bzw. erhebliche Verluste erleidet. Im Falle einer militärischen Überlegenheit des Angreifers bedeutet ein Waffenembargo nichts anderes als die Parteinahme für den Aggressor. Dem Verteidiger wird sein eigentlich unstrittiges Recht auf Selbstverteidigung verwehrt. Allein die Tatsache, dass dieses Szenario nicht ausgeschlossen werden kann, zeigt, dass eine prinzipielle Verweigerungshaltung moralisch kaum haltbar ist. Rüstungsexporte und Nichtexporte, beides muss politisch verantwortet werden; die Entscheidung ist eine politische Ermessensfrage und nicht in erster Linie eine Frage rigider Moral. Wer unter den Rüstungsexportgegnern ist eigentlich dazu bereit, die politische und moralische Verantwortung für die Toten zu übernehmen, die dadurch zu beklagen sind, dass die Ausfuhr von Waffen verweigert wurde?

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Rüstungsexporte sind auch ein Instrument der Außenpolitik eines Landes. Rüstungsexporte befinden sich damit in einer vergleichbaren Kategorie wie Bündnispolitik. Interventionserfordernisse und Bündnisverpflichtungen werden durch die - politisch wohlüberlegte - Ausfuhr von Waffensystemen entlastet, indem die (Selbst-) Verteidigungsfähigkeit des Partners gestärkt wird. Von politischer Seite in Deutschland wurde im Zusammenhang mit der Diskussion um die Panzerlieferung an die Türkei angemerkt, dass es besser sei, Panzer in die Türkei zu liefern als Wehrpflichtige zu schicken. Diese Aussage verdient Beachtung, da sie auf die Bündnisverpflichtung Deutschlands gegenüber einem Partnerland genauso hinweist wie auf die Möglichkeit des Stabilitätstransfers durch Waffenlieferungen als Maßnahme der Krisenprävention.

Auch das Argument, dass der Entwicklungsstand eines Landes als Kriterium für die Ausfuhr von Rüstungsgütern dienen soll, ist - bei genauerer Betrachtung - ein zweischneidiges Schwert. Nehmen wir an, ein Land unternähme alles, was Deutschland unter dem Gesichtspunkt der Eigenentwicklung für richtig und zweckmäßig für das Land erachtet, und lassen wir Kriterien wie Souveränität und Nichteinmischung beiseite. Das betreffende Land baut also Schulen und Kindergärten, Straßen und Krankenhäuser, um nur einige Beispiele zu nennen, wird jedoch wenig später Opfer einer Aggression und anschließend durch Streitkräfte eines Nachbarlandes besetzt. Die Bereitschaft Deutschlands, diesem Land beizustehen bzw. zur Befreiung dieses Landes in den Krieg zu ziehen, wird sich vermutlich in Grenzen halten. Somit stellt sich die Frage nach der politischen Verantwortung für die Folgen eines sicherlich gutgemeinten Bemühens. Ist nicht ein Land selbst dafür verantwortlich, die eigenen innen- und außenpolitischen Prioritäten zu setzen? Wer kann die Verantwortung von außen dafür übernehmen? Warum sollte Deutschland diesem Land vorenthalten, was man selbst in Anspruch nimmt: das Recht auf Selbstverteidigung? Der oft gehörte Ruf nach den Vereinten Nationen verkennt die politische Realität. Das Eingreifen der Weltorganisation ist umso wahrscheinlicher und auch wirksamer, je mehr es um Hilfe zur Selbsthilfe geht.

Es kann also Situationen geben, in denen nicht die gute entwicklungspolitische Absicht, sondern das regionale Sicherheitsumfeld entscheidend für die Beurteilung einer Maßnahme ist. Und wiederum wird deutlich, dass es politische Ermessensfragen und nicht moralische Prinzipien sind, nach denen politische Entscheidungen getroffen werden müssen.

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Im Zusammenhang mit der Neufassung der Rüstungsexportrichtlinien der Bundesregierung wird auch der Frage nach der Menschenrechtssituation im Zielland ein höherer Stellenwert eingeräumt. Im Rahmen der politischen Diskussion in Deutschland wurde sogar die Auffassung vertreten, dass man der Türkei allein dann keine Panzer verkaufen dürfe, wenn sie die Todesstrafe nicht abschaffe. Auch als entschiedener Gegner der Todesstrafe kommt man nicht um die Feststellung herum, dass dann die Rüstungszusammenarbeit mit den USA aufgekündigt werden müsste - eine geradezu groteske Vorstellung.

Falls die Aufkündigung von Rüstungszusammenarbeit dazu führt, dass sich ein Partnerland wie beispielsweise die Türkei vom Westen abwendet oder antiwestliche Kräfte die Oberhand gewinnen, und falls sich das Land anschließend in eine Richtung entwickelt, in der sich die Menschenrechtslage verschlimmert, dann stellt sich auch hier die Frage zumindest nach der Mitverantwortung. Die enge Zusammenarbeit zwischen Streitkräften unterschiedlicher Nationen, gemeinsame Lehrgänge an Akademien und Ausbildung am gleichen Gerät, all dies ist dazu geeignet, den Wertetransfer zu fördern. Wer Einfluss im eigenen Sinne ausüben will, muss die Gesprächskanäle offen halten. Aufkündigungen von Rüstungszusammenarbeit werden vermutlich vom Partnerland als Affront aufgefasst und kaum dazu führen, dass sich das Land in die "richtige" Richtung entwickelt. Insgesamt muss festgehalten werden, dass moralische Gesichtspunkte bei der Beurteilung von Rüstungsexporten nicht dazu geeignet sind, in den prinzipiellen Kategorien des "Ja oder Nein" diskutiert zu werden. Vielmehr ist ihr Charakter in der praktischen Politik ambivalent. Außerdem sind unbeabsichtigte Folgen im Voraus zu bedenken.

Strategische Bedeutung

So wichtig die Befindlichkeit in Deutschland im Hinblick auf Menschenrechte in anderen Ländern innenpolitisch und subjektiv erscheinen mag, im strategischen Zusammenhang sollten Menschenrechte nur bei massiven und systematischen Verstößen eine Rolle bei Ausfuhrentscheidungen spielen. Entscheidend ist nicht die Absicht, etwas Gutes für die Menschen zu tun, sondern die Fähigkeit, nachhaltig eine Lage herbeizuführen, die im westlichen und im deutschen Interesse ist - und hierzu gehört zweifelsohne auch die Einhaltung von Menschenrechten. Aus übergeordneten strategischen Interessen kann es jedoch gelegentlich erforderlich werden, die Verfolgung von Menschenrecht und entwicklungspolitischen Interessen nicht in den Vordergrund zu stellen. Vielmehr gilt es, die Stabilität einer Region oder eines Landes, die westliche Ausrichtung der Regierung und der Bevölkerung oder schlicht Sicherheitsinteressen oder Interesse an wirtschaftlicher Zusammenarbeit zu berücksichtigen, wohlwissend, dass dies die Chancen für eine Beeinflussung des Landes im eigenen Sinne erhöht.

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Die Bereitschaft, eine strategische Zusammenarbeit zugunsten einer rigoros verfolgten Menschenrechtspolitik zu vernachlässigen, kann zwei Opfer fordern: die strategische Partnerschaft und die Menschenrechte. Natürlich gebietet es die Selbstachtung und die moralische Fundierung eigener Überzeugungen, den Menschenrechten bei der Außenpolitik einen wesentlichen Platz einzuräumen. Jedoch ist es eine Frage der politischen Vernunft und des außenpolitischen Kalküls, sowohl strategische Interessen als auch reale Machtverhältnisse an erste Stelle zu setzen - im Falle des "großen" Russlands, das man nicht isolieren dürfe, fällt diese Einsicht zumeist leichter als bei kleineren Staaten. Ergibt eine nüchterne Interessenabwägung und eine realistische Einschätzung der Machtverhältnisse, dass Stabilität in einer bestimmten Region nur durch eine Stärkung der Verteidigungsfähigkeit eines Bündnispartners gewährleistet werden kann, wäre es fatal, wenn aufgrund von Menschenrechtsüberlegungen die guten Beziehungen zu einem Land und damit der eigene Einfluss auf dessen Politik verspielt würden. Dies wäre nicht zuletzt auch für die Menschenrechte kontraproduktiv.

Industrieinteressen und die europäische Perspektive

Der "Kunde Bundeswehr" ist in der Regel zu klein, um den Erhalt nationaler wehrtechnischer Industriekapazitäten zu sichern. Ohne Rüstungsexporte und Rüstungskooperation werden zahlreiche deutsche Firmen ihre Produktionsstätten ins Ausland verlagern, die entsprechenden Fähigkeiten verkaufen oder schlicht die Fertigungsstraßen schließen. Solange Europa nicht einen einheitlichen Rüstungsmarkt bildet, sind Firmen auf den Export angewiesen. Ohne deutsche Exportbereitschaft, d.h. ohne eine Veränderung der deutschen Ausfuhrpraxis für wehrtechnisches Gerät, wird es jedoch keinen funktionierenden einheitlichen Markt geben. Die Welt, auch die europäische Welt, wird nicht am deutschen Wesen genesen. Deutschland steht mit seiner restriktiven Haltung zum Rüstungsexport gegenüber seinen maßgeblichen Partnern vollkommen isoliert da.

Das Interesse der europäischen Partner an einer deutschen wehrtechnischen Industrie ist allerdings begrenzt. Mit einer Mischung aus Unverständnis und Genugtuung sehen sie mit an, wie sich Deutschland selbst marginalisiert. Einfluss auf eine (restriktive) Definition einer gemeinsamen europäischen Rüstungsexportpolitik wird Deutschland nur haben können, wenn es entsprechende Marktmacht einbringt. Die Partnerländer werden bestenfalls höflich zur Kenntnis nehmen, was Deutschland an moralischen Bedenken hegt, danach richten werden sie sich kaum. Auch wenn es paradox erscheint: Durch die Verweigerungshaltung bei Rüstungsexporten schmälert Deutschland seine Möglichkeiten, die europäische Rüstungsexportpolitik insgesamt im Sinne größerer Zurückhaltung zu beeinflussen. Dies ist auch eine politisch zu verantwortende Folge rigoroser moralischer Politik.

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Zu einem Zeitpunkt, an dem die nationalen Politiken eigentlich überwunden werden sollten, feiern "nationale Sonderwege" fröhliche Urstände. Der Verweis auf den gemeinsamen "Europäischen Verhaltenskodex" bei Rüstungsexporten, auf den auch in den von der Bundesregierung neu verabschiedeten "Grundsätzen" Bezug genommen wird, ändert an diesem Tatbestand nichts. Solange maßgebliche Kräfte in Deutschland unter Verweis auf den "Europäischen Verhaltenskodex" einen Export deutscher Panzer in die Türkei ablehnen, diejenigen Partnerländer Deutschlands, die dem gleichen Kodex unterliegen, jedoch keinerlei Probleme darin sehen, Panzer an die türkische Armee zu liefern, ist es mit der europäischen Gemeinsamkeit noch nicht weit her. Auch das Jonglieren mit Zahlen, denen zufolge die deutschen Rüstungsexporte, denen der Partner angeblich nicht nachstehen, kann nur den Unkundigen beeindrucken.

Statt einer konsequenten Ausrichtung deutscher Wirtschaftskraft, auch auf dem Sektor moderner Bewaffnung für die Streitkräfte, auf die gemeinsame europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie die gemeinsame europäische Rüstungs- und Hochtechnologiebasis werden moralische Rigorismen kultiviert, die der Sache der Menschenrechte und Entwicklung nicht dienen und uns außenpolitisch und wirtschaftlich schaden. Innenpolitische Befindlichkeiten und Parteiprogramme eignen sich nicht als Leitfaden für verantwortungsvolle Außenpolitik eines Staates.


Der Autor ist Direktor des Instituts für Strategische Analysen e.V. in Bonn. Der Artikel ist erschienen in Europäische Sicherheit 2/2000
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