BRD ohne Armee

Kampagne zur Abschaffung der Bundeswehr

von Christine Schweitzer
Schwerpunkt
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Am Wochenende vom 25./26. November 1989 wurde in der Schweiz eine Volksabstimmung über die Abschaffung der Schweizer Armee abgehalten. 69,18% beteiligten sich, und 35,6% der Abstimmenden sprachen sich für die Abschaffung der Armee aus (1.052.442 Ja gegen 1.904.476 Nein). Initiiert hatte die Abstimmung die Gruppe „Für eine Schweiz ohne Armee“ (GSoA), die auch danach weiterarbeitete und noch mehrere weitere militärkritische Abstimmungen auf den Weg brachte.

Die Arbeit der GSoA wurde in Westdeutschland zum Vorbild für eine Kampagne „Bundesrepublik ohne Armee – BoA“. (1) Den Anstoß gab wohl ein Artikel des inzwischen verstorbenen Friedensforschers Ekkehart Krippendorff in der Zeitschrift der GSoA, in dem er sich im Ausblick wünschte, dass die Bundesrepublik sich an der Schweiz ein Vorbild nehme. Dies griffen zwei Friedensaktivisten, Paul Russmann von Ohne Rüstung Leben und Ulrich Stadtmann, damals Mitglied der „Aktionsgruppe Soziale Verteidigung Marburg“, auf und schlugen in der Graswurzelrevolution vom März 1989 vor, dass der gerade gegründete Bund für Soziale Verteidigung (BSV) eine Kampagne „BoA 2000“ starten solle. Dort wurde dann eine Arbeitsgruppe gegründet, die im Laufe des Jahres einen Kampagnenplan entwickelte. Am 22. November wurde gemeinsam mit der GSoA in Basel eine Aktion durchgeführt und vier Tage später das – damals in Bonn ansässige – Verteidigungsministerium symbolisch geschlossen. Am selben Wochenende erschien sowohl in der taz wie in der Frankfurter Rundschau ein Aufruf zur Abschaffung der Bundeswehr.

In der Folgezeit schlossen sich viele Friedensorganisationen der Kampagnenidee an; ein offenes Bündnis, nicht länger allein vom BSV getragen, entstand, das vielfältige Aktivitäten entfaltete. (2) Aber die politischen Realitäten überholten die Initiative schnell – der zweite Golfkrieg, mit dem der Irak aus dem 1990 okkupierten Kuwait vertrieben wurde, und dann die Kriege in dem Land, das schnell zum „ehemaligen Jugoslawien“ wurde, verschafften dem west- bzw. dann bald gesamtdeutschen Militär neue Existenzgründe. Radikale Pazifist*innen wandten sich zunehmend mehr dem Feld der gewaltfreien Intervention in Konflikte zu. Die Kampagne schlief langsam – ohne wohl je formal beendet worden zu sein - ein. Einige Gruppen sind aber dabei geblieben, besonders einige Gruppen der DFG-VK. Sie erhalten den heute scheinbar so utopischen Gedanken, ob man sich nicht ein Land ohne Militär vorstellen könnte, weiter am Leben.

Länder ohne Militär
War die Idee eines Deutschlands ohne Armee wirklich so utopisch? Es gibt ja etliche Länder, die kein eigenes Militär vorhalten. (3) Das bekannteste ist vielleicht Costa Rica, aber auch in Europa haben wir mit Island, Liechtenstein, dem Vatikan und Andorra vier Staaten, die keine eigene Armee haben. Allerdings gilt für all diese Länder: Sie sind klein, haben keinen weltpolitischen „Gestaltungsanspruch“ und können sich darauf verlassen, dass militärisch starke Nachbarländer (Frankreich, Italien) oder Bündnisse (wie die NATO, deren Mitglied Island ist) ihre „Verteidigung“ übernehmen würden.

Ebenso gab es eine Kampagne zur Abschaffung des Militärs nicht nur in Deutschland. Im Friedensforum 4/1989 wird z.B. von der Totalverweigererinitiative in Spanien berichtet, die sich für ein Spanien ohne Armee einsetzte.

BoA - nur eine Utopie?
Der erste Aufruf zur Kampagne hätte – mit vielleicht kleinen Modifikationen – auch heute geschrieben werden können. Ein paar Zitate: „Moderne Industriegesellschaften sind nur um den Preis ihrer totalen Zerstörung militärisch zu verteidigen. In einem Industrieland mit Großstädten, Atomkraftwerken und chemischen Anlagen bedrohen selbst ‚konventionelle‘ Waffen in sogenannten ‚Friedenszeiten‘ das Leben Vieler. … Dem illusionären machtorientierten Sicherheitsdenken wollen wir nicht länger Geld, Rohstoffe und Arbeitskraft opfern. Bundesdeutsche Rüstungsgüter werden in Kriegen und Bürgerkriegen in aller Welt eingesetzt. … Militär als Drohpotential dient direkt der Sicherung der wirtschaftlichen Macht der Industrienationen und damit dem Erhalt der gegenwärtigen internationalen Ausbeutungsverhältnisse. Die Entmilitarisierung eines der mächtigsten Industriestaaten wie der Bundesrepublik ist ein Schritt hin zur Entstehung einer gerechten Weltwirtschaft. … Eine humane Gesellschaft beruht auf der ausnahmslosen Achtung vor dem Leben und der Würde aller Menschen; sie lebt von der Selbstverantwortlichkeit, dem Gerechtigkeitssinn und der Zivilcourage der Einzelnen; ihre Stärke zeigt sich in der Fähigkeit zu gewaltlosen Konfliktlösungen.“ (4)

Das Fenster, das sich mit der – heute muss man leider sagen: scheinbaren – Auflösung des Ost-West-Konflikts um 1989 öffnete, konnte die Kampagne nicht nutzen. Es gab eine Zeit, in der das Militär große Mühe hatte, seine Existenz zu rechtfertigen – manche Veröffentlichungen aus den Verteidigungsministerien lasen sich zeitweilig wie Multiple Choice Aufgaben. Doch letztlich waren seine Interessen, das Interesse der Rüstungsindustrie und die von wohl so vielen Menschen empfundene Undenkbarkeit eines Lebens ohne den Schutz von Waffen stärker. Heute haben wir eine mehrfache Legitimierung der Bundeswehr: Schutz vor einer Bedrohung durch Russland (China, …), Schutz vor Terrorismus (Krieg gegen den Terror), Schutz von freien Handelswegen etc. (s. Weißbuch), die Doktrin der Schutzverantwortung („Man muss doch was tun, wenn …“) und die Bündnistreue in NATO und EU. Ein Teil dieser Legitimationen kann aufgebrochen werden, indem man gewaltfreie Alternativen benennt, wie es auch schon die BoA-Kampagne tat. Ein anderer Teil könnte wohl nur überwunden werden, wenn Menschen es endlich satt bekommen, dass Milliarden ihrer Steuergelder verschossen, verbrannt und in unsinnige und gefährliche Tätigkeiten gepumpt werden.

(Otmar Steinbicker) 1988/89 – am Ende des Kalten Kriegs – gab es auch in der Bundeswehr und in der DDR-Führung die Erkenntnis, dass auch ein großer, weiträumig geführter konventioneller Krieg nicht mehr gewinnbar sei, sondern die Existenz der europäischen Zivilisation gefährden würde. Hüben wie drüben dachte man nicht soweit, die Armeen völlig abzuschaffen, es gab jedoch ernsthafte Überlegungen und gemeinsame Gespräche unter Fachleuten, ob eine „strukturelle Nichtangriffsfähigkeit“ auf beiden Seiten hergestellt werden könnte. Damit war gemeint, dass die Armeen von ihrer gesamten Ausrüstung her nur noch zu Verteidigungs- und nicht mehr zu Angriffshandlungen fähig sein sollten und so keine Gefahr mehr für die jeweils andere Seite darstellen konnten. Nach dem Ende der DDR und der Wiedervereinigung wurden diese Überlegungen nicht mehr weitergeführt.

Andreas Buro berichtete, dass er damals als Vertreter der Aktion BoA von der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg zu einem Vortrag eingeladen wurde und ein teils fachlich interessiertes, teils sehr skeptisches Publikum vorfand.

Anmerkungen
1 Uli Stadtmann (1990) Kampagne BoA: Für eine BRD ohne Armee, in: Bund für Soziale Verteidigung Jahrbuch 1990, S. 77-79
2 Siehe zum Beispiel: https://www.friedenskooperative.de/friedensforum/artikel/brd-ohne-armee-...
3 Eine Liste findet sich bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Staaten_ohne_Milit%C3%A4r.  Ein erster Aufruf zur Kampagne: Für eine BRD ohne Armee, in: Friedensforum 2/1990, https://www.friedenskooperative.de/friedensforum/artikel/fuer-eine-brd-o...

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.