Denkmal der ersten Petersberger Konferenz
Denkmal der ersten Petersberger Konferenz
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In diesem Abschnitt geht es um die verschiedenen internationalen Afghanistan-Konferenzen, in denen der zivile Aufbau von internationaler Seite vorbereitet wurde, um die - geringen - Bemühungen um Demobilisierung, Entwaffnung und Reintegration von Kämpfern und schließlich um die offizielle, staatliche und multilaterale Entwicklungszusammenarbeit.

Internationale Afghanistan-Konferenzen und Verhandlungen

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Nach dem Sieg der Verbündeten über das Talibanregime wurden die Vereinten Nationen eingeschaltet mit dem Auftrag, einen Plan zum Wiederaufbau vorzulegen.  Auf dem Petersberg in Bonn fand dann im Dezember 2001 eine internationale Tagung statt, die sich mit der Zukunft Afghanistans befasste. Wir dokumentieren hier eine Zusammenfassung aus Wikipedia zur ersten Petersberger Afghanistankonferenz, die eigentlich alle wesentlichen Fakten enthält:
(Quelle: https://dewiki.de/Lexikon/Petersberg-Prozess, CC-BY-SA 3.0 Unported; die Links wurden entfernt.)

Die erste Petersberger Afghanistankonferenz (Wikipedia)

Grundlage der ersten Petersberger Afghanistan-Konferenz war ein Fünf-Punkte-Plan für die politische Übergangsphase in Afghanistan, den der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für Afghanistan, Lakhdar Brahimi, am 13. November 2001 dem UN-Sicherheitsrat vorlegt und den dieser am 14. November mit der Resolution 1378 bestätigte:

  1. Die Vereinten Nationen rufen mit Zustimmung der Nordallianz eine internationale Konferenz ein, auf der die verschiedenen Volksgruppen Afghanistans vertreten sind. Auch die von Iran und Pakistan unterstützten Kräfte sollen dort repräsentiert sein.
  2. Die Konferenz wählt einen provisorischen Rat. Ihm steht eine afghanische Persönlichkeit vor, die als „Symbol der Nationalen Einheit anerkannt ist und um die sich alle ethnischen, religiösen und regionalen Gruppen sammeln können“.
  3. Der Rat schlägt eine Übergangsregierung für zwei Jahre vor, an der alle bedeutenden Volks- und Interessengruppen beteiligt sind.
  4. Eine Versammlung aller Stammesführer, die so genannte Loya Dschirga, setzt die Übergangsregierung ein und beauftragt sie, eine demokratische Verfassung zu entwerfen. Zudem soll die Regierung den Weg für die ersten freien Wahlen seit 1973 ebnen.
  5. Eine zweite Loya Dschirga setzt die Verfassung in Kraft und ernennt eine dauerhafte Regierung für Afghanistan.

Die Konferenz war ursprünglich am 24. November 2001 in Berlin geplant, wurde jedoch aus Sicherheitsgründen auf den Petersberg bei Bonn verlegt. Sie begann am 27. November 2001, das Abschlussprotokoll wurde am 5. Dezember 2001 unterzeichnet.

Konferenzteilnehmer

Auf der Konferenz waren die folgenden vier Gruppen vertreten:

  • Die Nordallianz stellte elf Delegierte, ihr Verhandlungsführer war der Tadschike Junus Kanuni. Die Allianz war seit dem Sturz der Taliban durch die US-geführte internationale Koalition, deren Bodentruppen sie faktisch stellte, de facto Machthaber in Afghanistan, bei der Verteilung der Machtpositionen fiel ihr daher eine Schlüsselrolle zu. Sie nahm für sich in Anspruch, Tadschiken, Hazara und Usbeken in Afghanistan zu repräsentieren.
  • Die paschtunisch geprägte Rom-Gruppe konstituierte sich im Wesentlichen aus Exilafghanen um den ehemaligen afghanischen König Mohammed Zahir, auf dessen Aufenthaltsort im Exil sich der Name Rom-Gruppe bezieht. Sie stellte ebenfalls elf Delegierte. Obwohl die als prowestlich eingeschätzte Rom-Gruppe bei der Neuverteilung der Macht in Afghanistan nur eine Zuschauerrolle im Exil einnahm, galt sie neben der Nordallianz als gewichtigste Fraktion der Konferenz.
  • Die durch fünf Delegierte vertretene Peschawar-Gruppe war ein breites Bündnis meist traditioneller Paschtunen und unterstützte auch eine Einbindung gemäßigter Taliban in eine neue Regierung. Die von Pakistan gestützte Gruppe wurde geleitet von Sayed Hamed Gailani.
  • Die ebenfalls durch fünf Delegierte vertretene Zypern-Gruppe spielte auf der Konferenz lediglich eine Randrolle. Sie war wie die Rom-Gruppe durch Exilpolitiker geprägt, dominierend waren Hazara mit Verbindungen in den Iran. Ihr Name leitete sich wie bei der Peschawar-Gruppe aus dem ersten Verhandlungsort ab. Der Delegationsführer Humajun Dscharir ist der Schwiegersohn von Gulbuddin Hekmatyār.

Bei der Konferenz nicht anwesend waren der Präsident der Nordallianz Burhānuddin Rabbāni, die in ihren Einflussgebieten mächtigen Warlords Abdul Raschid Dostum und Ismail Khan sowie offizielle Vertreter der Taliban.

Inhalt des Petersberger Abkommens

Die Teilnehmer der Konferenz einigten sich in ihrem Abschlussdokument auf einen Stufenplan und folgten damit in den Grundzügen dem Fünf-Punkte-Plan der Vereinten Nationen:

  • Machtübergabe an eine Interimsverwaltung am 22. Dezember 2001
  • Vorübergehende Stationierung einer einem Mandat der Vereinten Nationen unterstellten internationalen Truppe, um die Sicherheit der Interimsverwaltung zu gewährleisten
  • Konstituierung einer außerordentlichen Loya Dschirga, die über eine Übergangsverwaltung entscheidet, spätestens sechs Monate nach der Einsetzung der Interimsverwaltung, die damit erlischt
  • Konstituierung einer verfassunggebenden Loya Dschirga spätestens 18 Monate nach dem Zusammentreten der außerordentlichen Loya Dschirga
  • Demokratische Wahlen spätestens zwei Jahre nach dem Zusammentreten der außerordentlichen Loya Dschirga, um eine in vollem Umfang repräsentative Regierung zu wählen

Das Amt des Vorsitzenden der Interimsverwaltung ging an den Paschtunen Hamid Karzai. Der von vielen Beobachtern als Favorit eingeschätzte noch amtierende Präsident Rabbani beteiligte sich nicht an der neuen Regierung. Die Nordallianz konnte Schlüsselpositionen im Kabinett für sich gewinnen: Außenminister wurde Abdullah Abdullah, das Innenressort übernahm Delegationsleiter Junus Ghanuni, der neue Verteidigungsminister hieß Mohammed Fahim, ein politischer Ziehsohns Ahmad Schah Massouds. Neben der Nordallianz wurde das Kabinett hauptsächlich mit Vertretern der Rom-Gruppe besetzt. Der Fortschritt des Demokratisierungsprozesses sollte auf weiteren Afghanistan-Konferenzen beurteilt werden.

Umsetzung des Petersberger Abkommens

Infolge des Abkommens erteilte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit der Resolution 1386 das Mandat für eine Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe für Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) und setzte damit die Bestimmung des Petersberger Abkommens um.

Die internationale Gemeinschaft wollte eine friedliche Entwicklung neben der Stationierung militärischer Kräfte in Afghanistan auch durch andere Hilfestellungen absichern. Am 21./22. Januar 2002 tagte in Tokio eine Geberkonferenz für Afghanistan, die insgesamt Wiederaufbauhilfen für Afghanistan in Höhe von 4,5 Milliarden US-Dollar zusagte.

Am 12. Juni 2002 wurde eine außerordentliche landesweite Loya Dschirga einberufen, der etwa 1.500 Delegierte beiwohnten. Sie tagte bis zum 19. Juni 2002 und bestimmte eine Übergangsverwaltung inklusive einer Übergangsregierung, der wie zuvor Hamid Karzai als Übergangspräsident vorstand. Die Übergangsverwaltung löste die bisherige Interimsverwaltung ab.

Wiederum auf dem Petersberg bei Bonn fand am 2. Dezember 2002 eine zweite Afghanistan-Konferenz statt, auf der weiter über den Wiederaufbau des Landes beraten wurde. Dort wurden Festlegungen zur Struktur und Größe der zu schaffenden afghanischen Armee getroffen.

Ende 2003 wurde eine verfassungsgebende Loya Dschirga einberufen, die die neue afghanische Verfassung im Januar 2004 ratifizierte. Afghanistan wurde eine Islamische Republik mit einem zentralisierten Präsidialsystem und einem Zwei-Kammern-Parlament. Die am 9. Oktober 2004 stattgefundenen Präsidentschaftswahlen bestätigten Karzai als nunmehr demokratisch legitimierten Präsidenten. Er konnte 55,4 % der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen, es folgten Junus Kanuni mit 16,3 %, Mohammed Mohiqiq mit 11,6 % sowie Abdul Raschid Dostum mit 10 % Stimmanteil. Die übrigen Kandidaten blieben unter der 10 %-Marke.

Den Abschluss des im Petersberger Abkommen vorgesehenen Demokratisierungsprozesses markierten die Parlaments- und Provinzratswahlen am 18. September 2005, aus denen sich das erste frei gewählte afghanische Parlament seit 1973 konstituierte. Diese Wahlen sollten gemäß dem Zeitplan des Petersberger Abkommens spätestens im Juni 2004 stattfinden, mussten aber aufgrund von Verzögerungen bei der Wahlregistrierung mehrmals verschoben werden.

Auf der internationalen Afghanistan-Konferenz in London wurde 2006 dann der erfolgreiche Abschluss des Petersberg-Prozesses festgestellt. Mit der Verabschiedung von Afghanistan Compact wurde ein Rahmen für die nächste Stufe internationaler Zusammenarbeit geschaffen. Er konzentriert sich im Kern auf die Unterstützung der Übernahme der eigenen Verantwortung im Lande durch die inzwischen demokratisch legitimierte afghanische Regierung.

Soweit Wikipedia.

 

Die späteren internationalen Konferenzen

Danach gab es noch eine Reihe weiterer internationaler Afghanistankonferenzen: in Berlin 2004, London 2006, Den Haag 2009, London und Kabul 2010 und Bonn 2011. Sie setzten die Debatten der ersten Konferenz fort und befassten sich mit den Wahlen und dem Staatsaufbau ebenso wie mit der Sicherheitslage.

Die neue afghanische Regierung war stets mit dabei, den Großteil der Verhandler aber waren Vertreter*innen internationaler Organisationen und vieler Einzelstaaten.

Darüber hinaus gab es Konferenzen in etwas anderer Zusammensetzung, zumeist regionalerer Art, in Moskau (2009), Ankara (2011) und Tokio (2012, dort ging es vor allem um Hilfe für Afghanistan), Kabul 2012 (und wahrscheinlich an weiteren Orten; die recherchierte Liste dürfte unvollständig sein). Berichte und Einschätzungen können in der Materialsammlung eingesehen werden.

2014 ging es dann, u.a. in bilateralen Gesprächen zwischen den USA und der Regierung in Kabul, um die Frage, wie es nach dem angekündigten Truppenabzug Ende 2014 weitergehen sollte.

Mit viel Druck wurde schließlich erreicht, dass die afghanische Regierung die Besatzer einlud, mit Truppen im Land zu bleiben. „Resolute Support“ wurde geboren. Danach wurde verhandelt, vor allem zwischen den USA und den Taliban (s. Kapitel zu Konfliktbearbeitung).

Eine neue internationale Konferenz der Art, wie es sie vor 2015 gegeben hatte, fand dann Ende Oktober 2021 in Teheran statt, in der man sich über die Konsequenzen der erneuten Machtergreifung der Taliban unterhielt.

 

Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration von Kämpfern

Hier geht es zur (spärlichen) Literatur. (Kämpferinnen gab es in Afghanistan praktisch nicht, soweit man weiß, weshalb hier die männliche Form "Kämpfer" gewählt wurde.)

Zu Friedensprozessen gehört normalerweise das, was im Englischen mit der Abkürzung „DDR“ bezeichnet wird, die Entwaffnung (disarmament), Demobilisierung und Reintegration der Kämpfer(innen). In Afghanistan gab es einen solchen Prozess nur sehr partiell und in Ansätzen. Von UNDP (United Nations Development Program) koordiniert, soll es bis 2005 erfolgreich einen Großteil der „offiziell registrierten“ Milizen aufgelöst haben, aber nicht alle: die tadschikischen Milizen in Kabul und im Pandschab gaben ihre Waffen genauso wenig ab wie die vielen „inoffiziellen“ Milizen.

Die Independent National Reconciliation Commission rief in den Folgejahren die Taliban auf, auch ihre Waffen abzugeben. Allerdings, wie dieser Artikel von 2010 beschreibt, wurde dieser Versöhnungsprozess nicht von den Besatzungsmächten unterstützt, die weiter mutmaßliche Mitglieder der Taliban verfolgten und töteten.

2020, als Ende September die Finanzierung der Afghan Local Police auslief, wurden diese Einheiten, die Zehntausende Mitglieder hatten, demobilisiert. (Ein Plan, sie 2021 wiederzubeleben, wurde durch die Machtergreifung der Taliban gestoppt.)

 

Offizielle Entwicklungszusammenarbeit

Hier geht es zur Literatursammlung.

Eine Gesamtsumme aller nicht-militärischen Hilfe, die zwischen 2002 und 2021 an Afghanistan geleistet wurde, ist schwierig zu recherchieren, da Dutzende von Ländern entsprechende Programme  hatten und auch die Zahlen für einzelne Länder widersprüchlich sind. Manchmal werden z.B. Mittel für den Polizeiaufbau mit eingerechnet, bei anderen wieder herausgerechnet. Einige übergreifende Statistiken (wie die von der Weltbank) gehen nur bis 2019. Meistens werden auch nur die staatlichen Mittel und nicht die Mittel, die von privaten Organisationen (Kirchen z.B.) durch Spenden oder aus eigenen Mitteln aufgebracht wurden, mitgerechnet.

Trotzdem hier ein paar Zahlen aus verschiedenen Quellen:

  • Die Weltbank hat Zahlen bis inklusive 2019 veröffentlicht. Ihr zufolge hatte Afghanistan netto 4,284,419.92 (in Tausendern, also rund 4,285 Billionen) USD an Hilfe erhalten (in dieser Summe sind Zahlen von vor 2001 mit enthalten).
  • Die USA haben, wie schon unter oben  festgehalten, zwischen 2001 und 2021 ca. 130 bis 150 Milliarden Dollar ausgegeben.
  • Großbritannien kam auf rund 3,5 Milliarden Pfund seit 2001, rund 4,1 Milliarden Euro.
  • Das deutsche Entwicklungsministerium (BMZ) hat zwischen 2005 und 2019 5,5 Milliarden Euro bezahlt. Die Gesamtsumme der humanitären Hilfe aus dem Haushalt des Auswärtigen Amts von 2001 bis 2021 belief sich auf rund 451,4 Millionen Euro.
  • Und noch eine Zahl, leider schon einige Jahre alt: Deutschland leistete zwischen 2002 und 2015 insgesamt 4,3 Milliarden US-Dollar Entwicklungshilfe an Afghanistan, die EU 3,3 Milliarden. Die Mittel flossen in verschiedene Maßnahmen, von Infrastruktur (Wasser, Straßen) über den Bau von Schulen bis hin zu einkommensgenerierenden Projekten.
  • Das BMZ hat 2020 ein Papier veröffentlicht, das 148 Evaluationen der internationalen Entwicklungshilfe zwischen 2008 und 2018 sich anschaute und Folgerungen daraus zog.
  • Das Ergebnis war sehr kritisch. Zu der Kritik gehörten fehlende Effektivität der Maßnahmen, mangelhafte Berücksichtigung der Situation vor Ort, zu ehrgeizige Programme und manchmal mehr Geld als die Partner vor Ort absorbieren konnten, Maßnahmen, die Schaden anrichteten und Konflikt anheizten und auch Mängel bei den Evaluationsinstrumentarien.
  • Vor allem seit 2009/2010 häuften sich in den Medien kolportierte Vorwürfe der Korruption, auch von „Geisterschulen“ oder „Geisterhospitälern“, d.h. Bauvorhaben, die abgerechnet wurden, aber in Realität nicht existierten.
  • Die hier zu Korruption gesammelten Artikel mögen als Beispiele für viele Berichte über Korruption dienen, die im Netz zu finden sind. Transparency International reihte Afghanistan in seinen jährlichen Indices stets weit unten, zeitweilig sogar am Ende seiner Liste ein.
  • Der öffentliche Haushalt Afghanistans in diesen Jahren, der ungefähr 20 Milliarden USD betrug, war völlig von der internationalen Hilfe abhängig. (Siehe Kapitel zur Situation im Land.)

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