Ein US-Offizier zeigt afghanischen Soldaten ein Gewehr.
Ein US-Offizier zeigt afghanischen Soldaten ein Gewehr.
Foto: US Army , CC BY 2.0

Hier geht es zu den Akronymen.

In diesem Kapitel werden die Akteure des Krieges und wichtige Aspekte, die direkt mit dem Militäreinsatz zu tun haben, abgehandelt. Die Anstrengungen zum Staatsaufbau, soweit sie nicht ausschließlich das afghanische Militär und die Polizei betreffen, finden sich in dem Abschnitt zur Situation im Land.

Folgende Themen werden hier angeschnitten:

 

In der Zeitschiene wird der Ablauf des Krieges nachgezeichnet, hier nur nochmal die wichtigsten Daten: Einen Tag nach dem Terroranschlag vom 11. September (Literatursammlung hier) beschließt die NATO den Bündnisfall. Ab dem 26. September bereiten der CIA und britische Geheimdienstler den Angriff vor (Überlegungen dazu gab es schon ab Sommer 2001, s. Literatur hier), der dann am 7. Oktober in Zusammenwirken mit der afghanischen „Nordallianz“ und anderen sog. Warlords erfolgt. Ab Ende 2001 wird dann neben der fortdauernden, sich auch auf andere Länder erstreckenden „Operation Enduring Freedom“ die International Security Assistance Force (ISAF)-gebildet, die ab 2003 von der NATO geführt wird. Nach anfänglichen militärischen Erfolgen verschlechtert sich in den Folgejahren die Situation wieder und die Taliban beginnen zu Erstarken. Trotzdem wird ab ca. 2010 das Ende der ISAF diskutiert und Ende 2014 vollzogen. Ihre Nachfolgemission „Resolute Support“ soll vorgeblich lediglich der Ausbildung afghanischer Kräfte dienen. Nach einer Vereinbarung zwischen den USA und den Taliban von 2020 ziehen zum Ende August 2021 alle internationalen Truppen ab; die Taliban kontrollieren wieder das Land.

Umfassende Literatur zu den einzelnen Phasen des Krieges findet sich hier.

 

War der Krieg schon vor 2001 geplant?

Die USA wurden 2001 von Präsident Bush regiert; der 2021 verstorbene Colin Powell war der Außenminister. Die Bekämpfung von Terrorismus vor allem von Seiten Al Kaidas stand schon vor dem 11. September auf der Agenda, spätestens seit den Anschlägen auf das World Trade Center 1993 und die Anschläge auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam 1998, zu denen sich Al Kaida bekannte. Schon Ende 2000 verlangte Washington von den Taliban die Auslieferung Bin Ladens.

Aus dem Jahr 2000 stammt ein Papier des neokonservativen Think Tanks „Project for the New American Century“, das an mehrere führende Politiker der USA jener Zeit (u.a. Dick Cheney und Donald Rumsfeld) gerichtet war.  Es empfahl den USA, militärische Kontrolle über die Golfregion zu erwerben. Syrien und Iran wurden neben Nordkorea namentlich erwähnt. Im Sommer 2001, also schon Monate vor dem 11. September, scheinen in den USA Pläne für einen Angriff auf Afghanistan und weitere Staaten der Region (Irak) geschmiedet worden zu sein.

Der Guardian schrieb 2003:

Ähnliche Beweise gibt es in Bezug auf Afghanistan. Die BBC berichtete (18. September 2001), dass Niaz Niak, ein ehemaliger pakistanischer Außenminister, bei einem Treffen in Berlin Mitte Juli 2001 von hochrangigen amerikanischen Beamten darüber informiert wurde, dass „eine Militäraktion gegen Afghanistan bis Mitte Oktober durchgeführt werden würde". Bis Juli 2001 sah die US-Regierung im Taliban-Regime eine Quelle der Stabilität in Zentralasien, die den Bau von Kohlenwasserstoff-Pipelines von den Öl- und Gasfeldern in Turkmenistan, Usbekistan und Kasachstan über Afghanistan und Pakistan bis zum Indischen Ozean ermöglichen würde. Angesichts der Weigerung der Taliban, die Bedingungen der USA zu akzeptieren, sagten die US-Vertreter ihnen: „Entweder ihr nehmt unser Angebot eines Goldteppichs an, oder wir begraben euch unter einem Bombenteppich" (Inter Press Service, 15. November 2001).  (Übersetzung CS)

Die Begründung für den Angriff nach dem 11. September war dann der „Krieg gegen den Terror“, den Präsident Bush ausrief und insbesondere die Festsetzung oder Tötung von Bin Laden. Auch wenn in der öffentlichen Rhetorik Ziele wie Demokratisierung, Frauenrechte usw. ebenso auftauchten wie in z.B. in Deutschland, scheint in den USA diese ursprüngliche Zielsetzung doch mehr verankert geblieben zu sein als auf der anderen Seite des Atlantik, wo man viel lieber von „humanitären“ Zielen sprach.

Eine Beschreibung der Erwägungen innerhalb der US-Regierung und ihre strategische Ausrichtung 2001 findet sich hier.

 

Der 11. September 2001

Quellen zum 11. September sind hier gelistet:
Mit der Freigabe eines Kongress-Berichts 2016 und von CIA-Akten 2021 wurde deutlich, was auch vorher schon vermutet wurde, nämlich dass die Attentäter Unterstützung aus („aus“, nicht notwendigerweise „von“) Saudi-Arabien erhalten hatten, ohne dass das die USA dazu brachte, den Status von Saudi-Arabien als Verbündeten im Nahen und Mittleren Osten in Frage zu stellen.
Um den 11. September ranken auch viele Verschwörungstheorien, die von dem Verdacht reichen, dass die US-Geheimdienste informiert waren und die Anschläge geschehen ließen bis hin dazu, dass es „Insider-Jobs“ gewesen seien und das World Trade Center gesprengt worden sei. Relativ gesichert ist, dass es umfangreiche Hinweise auf bevorstehende Anschläge von Seiten anderer Geheimdienste gab, die in den USA ignoriert wurden.

 

 

Völkerrechtliche Einordnung des Krieges

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Gewöhnlich wird behauptet, dass der UN-Sicherheitsratsbeschluss vom 12. September 2001 (S/RES/1368) den Angriff der USA und der NATO gebilligt habe. Dem widersprechen aber etliche Völkerrechtler*innen. Der Beschluss spricht zwar von einer Bedrohung des Weltfriedens, enthält aber nicht die üblichen Sätze zur Mandatierung eines Angriffs.

Die völkerrechtlichen Grundlagen für die ersten Jahre stellte die Stiftung SWP im Jahr 2006 zusammen:

Norman Paech trug in der Afghanistankonferenz der IPPNW und des Kasseler Friedensratschlags am 31. Oktober 2021 vor, dass zu dem Zeitpunkt der Anschlag als Terrorakt bezeichnet wurde, und nach der UN-Charta ein Terroranschlag keine Begründung für einen militärischen Angriff sei. Deshalb nahmen die USA am 7. Oktober gegenüber den Vereinten Nationen dann auch Bezug auf das Recht auf Selbstverteidigung. Doch auch das war völkerrechtlich doppelt fragwürdig. Zum einen, weil Terroranschläge halt keine Rechtfertigung sind. Zum anderen, weil die UN-Charta festhält, dass das Recht auf Selbstverteidigung nur so lange gilt, bis der UN-Sicherheitsrat geeignete Maßnahmen getroffen hat. Mit dem Beschluss, die ISAF einzurichten, war nach dieser Sichtweise ab Ende 2001 das Recht auf Selbstverteidigung verwirkt.

 

Drohnenkrieg 

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Der Einsatz von bewaffneten Drohnen hat den Afghanistankrieg von seinen ersten Tagen an geprägt. Die erste bewaffnete Drohne überhaupt wurde im Herbst 2001 eingesetzt, um den Talibanführer Mullah Muhammad Omar zu töten. Die vorläufig letzte (bekannte) Drohne der USA wurde während des Abzug der ausländischen Truppen eingesetzt, als die USA in Kabul am 29. August 2021 einen angeblich mit Sprengstoff beladenen LKW  bombardierten, wobei zehn Zivilist*innen, darunter sieben Kinder, getötet wurden. Afghanistan war das erste „Labor“, in dem diese Technologie entwickelt und erprobt wurde.

Bewaffnete Drohnen vom Typ „Reaper“ und „Predator“ wurden von Seiten der USA zum einen als direkte Unterstützung bei Kampfhandlungen besonders im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet eingesetzt, zum anderen im Rahmen des berüchtigten CIA-geführten Programms, bei dem gezielt vermeintliche „Terroristen“ getötet werden sollen. Der Einsatz von Drohnen wurde unter Präsident Obama deutlich gesteigert und insbesondere das CIA-Programm der Tötung von Terroristen ausgebaut. Eine ausführliche, auf geleakten Papieren beruhende Dokumentation ist diese hier von Theintercept.

Sein Nachfolger Trump steigerte die Zahl der Drohnenangriffe und anderer Luftangriffe dann nochmals. Eine Statistik der Opfer aller Luftangriffe zwischen 2016 und 2020 findet sich hier.

Zwischen 2008 und 2014 setzte auch Großbritannien Drohnen zur Unterstützung seiner Bodentruppen ein.

Eine Statistik der Opfer der Drohnenangriffe hat bis Januar 2020 das Bureau of Investigative Journalism geführt. Ihm zufolge gab es zwischen Januar 2004 und Februar 2020 mindestens 13.072 bestätigte Drohnenschläge. Zwischen 4.126-10.076 Menschen wurden dabei getötet, darunter 300-909 Zivilist*innen und 66-184 Kindern.

Zu Angriffen 2020 und 2021 ließen sich keine Zahlen finden; allerdings fuhren die USA die Zahl ihrer Drohnenangriffe im Kontext der Verhandlungen mit den Taliban 2020 zurück.

2020 übergab das Bureau of Investigative Journalism die Dokumentation an die NRO Airwars. Wie die New York Times am 18.12.2021 berichtete, geht Airwars davon aus, dass im sogenannten Krieg gegen den Terror seit 2001 mindestens 22.000 Zivilist*innen bei US-Luftangriffen getötet worden sind, davon mehr als 4800 in Afghanistan.

Airwars wies im Dezember 2021 nach der Auswertung von neu zugänglichen Dokumenten auch nach, dass – entgegen öffentlicher Behauptungen – die USA bis zu ihrem Abzug im August 2021 weiter Luftangriffe ausgeführt haben, fast 800 in 2020 und 2021. (Ob es sich dabei immer um Drohnen handelte, ist nach dem Bericht unklar.)

Es kann davon ausgegangen werden, dass auch nach Abzug der ausländischen Truppen die USA von Nachbarländern aus weiter Drohnen im Rahmen des CIA-Programms in der Region einsetzen wollen; Derzeit ist noch unklar, ob eines der Nachbarländer, in denen die entsprechende Basis aufgebaut werden müsste, dazu die Zustimmung geben wird.

 

Landminen, Streumunition, Phosphorbomben, „Mutter aller Bomben“

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In dem Krieg wurden verschiedene völkerrechtlich fragwürdige Waffentypen eingesetzt.

In der ersten Woche des Angriffs auf Afghanistan haben die USA, so wird geschätzt, 50 CBU-87 Cluster Bomben (Streumunition) abgeworfen. Clusterbomben verteilen sich über einen großen Raum und viele Einzelbomben explodieren nicht.

Es wurde auch Phosphor-Munition eingesetzt durch NATO-Truppen, wie ein Bericht von Human Rights Watch von 2009 dokumentiert.

2017 haben die USA ihre größte konventionelle Waffe, die sog. „Mutter aller Bomben“ in Afghanistan eingesetzt – es handelte sich letztlich um einen Test dieser Waffe. Der Vergleich zu den Atombomben in Hiroshima und Nagasaki liegt nahe. Auch sie wurden weniger eingesetzt wurden, um den Kriegsverlauf zu beeinflussen, sondern um diese neue Waffenform auszuprobieren. Sie enthielt 8000 Kilogramm Sprengstoff und elf Tonnen TNT-Äquivalent. Die Folgen des Abwurfs und die Zahl der Opfer im Osten Afghanistan, der sich angeblich gegen den IS richtete, werden bis heute geheim gehalten (Feroz 2021:102f).

Darüber hinaus waren und sind die Bürger*innen Afghanistans stark gefährdet durch Landminen, Blindgänger und liegengebliebene Waffen. Schon 2001 warnten Menschenrechtler*innen vor Landminen, die u.a. von der Nordallianz in Afghanistan sowie von umliegenden Staaten, darunter auch Russland, an den Grenzen verlegt worden waren. Afghanistan gehört zu den am meisten verminten Ländern der Erde.

 

Opferzahlen

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Die Zahlen der Opfer variieren sehr stark, was die afghanischen Opfer angeht.

Nach Zahlen einer Quelle von 2021 sind 66.000 afghanische Soldaten und Polizist*innen gestorben, über 51.000 Taliban und Mitglieder anderer oppositioneller Gruppen und über 47.000 Zivilist*innen. Der Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) nennt ähnliche Zahlen und sagt, dass die wirklichen Zahlen wahrscheinlich höher liegen dürften.

Andere Quellen setzen besonders die Zahl der getöteten Zivilist*innen deutlich höher an. Edstrom (2020) spricht, allerdings für Irak und Afghanistan zusammengenommen, von 312.000 getöteten Zivilist*innen.

Seit 2015 veröffentlichte die Afghanische Unabhängige Menschenrechtskommission jährlich Zahlen der zivilen Opfer, aufgeschlüsselt nach Geschlecht und wie viele von ihnen Kinder waren. (Siehe AIHRC (2021) in der Quellenübersicht.)

Eine oft zitierte Quelle ist das Cost of War Projekt des Watson Institutes an der Brown University. Seine Zahlen ähneln denen der oben zitierten Quelle. Es schätzt die Zahl der getöteten Zivilist*innen in Afghanistan und Pakistan auf mehr als 71.000 Zivilist*innen.

Auch die UNAMA führte seit 2009 eine Statistik.

Wie viele Menschen an indirekten Kriegsfolgen starben, ist unbekannt. Joachim Guilliard geht von mindestens 800.000 direkten und indirekten Opfern des Krieges aus.

Genaue und vermutlich zuverlässige Ziffern gibt es bezüglich der gefallenen ausländischen Soldat*innen:
Diese Zahlen
nach dieser Quelle hier: USA, bis April 2021: 2.448 Soldat*innen; private Unterauftragnehmer der USA: 3.846, Soldat*innen anderer NATO-Staaten: 1.144, davon 59 deutsche.

 

Flucht und Vertreibung

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Flucht und Vertreibung haben nicht erst 2001 begonnen. Auch schon die früheren Krisen, die sowjetische Besatzung, der Bürgerkrieg und die Talibanherrschaft, führten zu einem massiven Exodus. Nach Zahlen von statista.de waren im Jahr 2020 weltweit ca. 2,59 Millionen afghanische Flüchtlinge im Ausland registriert. 2001 waren es weltweit ca. 3,89 Millionen Geflüchtete. In Deutschland leben fast 300.000 Menschen mit afghanischen Wurzeln. (Zu der Aufnahme und Abschiebung von Geflüchteten in Deutschland siehe das Kapitel „Deutschland“). Die meisten Geflüchteten gingen in die Nachbarländer, z.B. Pakistan und Iran. Mehrmals kam es in den zwanzig Kriegsjahren zu Massenabschiebungen aus diesen Aufnahmeländern. Doch auch Europa begann ab ca. 2015 mit Abschiebungen.

Die Zahl der Menschen, die innerhalb Afghanistans als Vertriebene lebten, schwankte während des Krieges ; eine Gesamtzahl ist deshalb kaum anzugeben. Allein 2011 wurden über 250.000 Betroffene gezählt. Das zuständige afghanische Ministerium sprach 2017 von 550.000. Nur eine kleine Zahl von ihnen konnte eine neue Heimat finden, die meisten verblieben in Lagern, falls sie keine Unterkunft bei Verwandten finden konnten.

 

Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen

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Schwere Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen wurden von allen Seiten in dem Krieg begangen, nicht nur von den Taliban oder anderen Milizen, sondern auch von den alliierten Truppen. Dazu gehörten insbesondere:

Man möge dazu auch das Buch von Feroz (2021) lesen.

 

Ausbildung afghanisches Militär und Polizei

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Nach der Besatzung haben die NATO-Truppen recht rasch damit begonnen, den Aufbau eines afghanischen Militärs und einer afghanischen Polizei zu unterstützen.

Die internationalen Besatzer gingen nach der Einsetzung einer neuen afghanischen Regierung daran, ein dieser Regierung gegenüber loyales Militär und eine nach rechtsstaatlichen Prinzipien operierende Polizei aufzubauen. Die als„Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF)“ beschriebenen Kräfte umfassten ein Heer (Afghanische Nationalarmee), eine kleine Luftwaffe, eine Grenzschutztruppe und verschiedene Polizeikräfte.

Bis 2019 betrug die Zahl für die afghanische Armee und Polizei rund 272.000 Mann (und Frauen bei der Polizei); Ziel waren 352.000.

Eine nationale Polizei hatte es natürlich auch schon vor 2001 gegeben, deren Beamte aber wohl zumeist 2001 ihren Job verloren. (Genau geht das aus den gesichteten Quellen nicht hervor.) Bereits 2003-2004 wurden 35.000 Beamte ausgebildet, aber besonders nach 2007 stellten verschiedene Länder Programme der Polizeiausbildung auf; besonders auch Deutschland, das sich auf den Aufbau einer Polizeiakademie in Kabul fokussierte.

Zusätzlich wurde mit Unterstützung durch die USA und Großbritannien ab 2010 eine sog. „Afghanische Lokale Polizei“ ausgebildet. Diese „Dorfstreitkräfte“ sollten bei sich zuhause verhindern, dass die Taliban ihren Ort übernehmen würden; generelle polizeiliche Sonderrechte hatten sie keine.

Diese Milizen hatten schnell einen schlechten Ruf und wurden beschuldigt, die Spannungen im Land weiter anzuheizen. 2012 schrieb Thomas Ruttig:

„Mitte des Jahres wurde auf gemeinsame Initiative des US-Militärs und des Kabuler Innenministeriums die Zielgröße für die ALP-Rekrutierung von 10 000 auf 30 000 Mann ausgeweitet, und das, obwohl – wie die »Los Angeles Times« schrieb – »das Pentagon und die afghanische Führung besorgt sind, dass solche Dorf- Selbstverteidigungseinheiten sich in kriminelle Banden verwandeln oder zu den Taliban desertieren könnten «. Die ALP soll derzeit etwa 13 000 Mann zählen und operiert in 31 der 34 Provinzen.“

Im September 2020 wurde die Finanzierung der ALP beendet und die Angehörigen demobilisiert. (Ein Plan, sie 2021 wiederzubeleben, wurde durch die Machtergreifung der Taliban gestoppt.)

Das neue afghanische Militär trug den Namen „Afghanische Nationalarmee“ Sie wurde ab 2003 aufgebaut und sollte 2010 70.000 Mann umfassen; stieg aber schon bis 2009 auf 97.000 an. Im Rahmen der sich verschlechternden Sicherheitslage und des Ziels der Alliierten, sich aus den Kampfhandlungen zurückzuziehen, wurde geplant, die Stärke der Armee bis 2015 auf 260.000 zu erhöhen.

Die Polizei hatte in Afghanistan einen schlechten Ruf und galt als korrupt. Eine beträchtliche Zahl von Polizisten lief zu den Taliban oder anderen Aufständischen über; 2011 ist von einem „Schwund“ von 20% die Rede gewesen. Es gab viele Fälle von Menschenrechtsverletzungen und die Ausbildung ließ sehr zu wünschen übrig und die – vor allem von den USA gestellte – Ausrüstung war nicht an die Gegebenheiten des Landes angepasst

Diese Maßnahmen des Aufbaus der Sicherheitskräfte wurden ab ca. 2009/2010 intensiviert, als man sich auf einen möglichen Abzug aus dem Land vorbereitete. Bis 2011 sollte das Militär auf 171.600, die Polizei auf 134.000 Menschen angewachsen sein. Deutschland engagierte sich beim Polizeiaufbau ab 2002 und errichtete eine Polizeiakademie; später stiegen auch die USA in die Polizeiausbildung ein, um diese fit für die Aufstandsbekämpfung zu machen. 2007 gab Deutschland die Verantwortung an die EU-Mission EUPOL-Afghanistan ab. Deutschland betrieb zusätzlich zu EUPOL ein bilaterales Polizeihilfeprojekt, das German Police Project Team Afghanistan (GPPT). Eigene Polizeiausbildungsprogramme unterhielten auch Australien, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada, Neuseeland und die Türkei.

Viele Tausend afghanische Polizist*innen und Soldaten sind in den Jahren ums Leben gekommen, mindestens 66.000 nach einer Statistik.

 

Zusammenarbeit mit Milizen und Warlords

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Wie in anderen Kriegen, stützen sich die USA und ihre Alliierten auf einheimische Milizen zur Verstärkung bzw. auch anstelle eigener Bodentruppen in bestimmten Gebieten Afghanistans. Dies waren vor allem die Kämpfer der sog. „Nordallianz“.

Conrad Schetter schrieb dazu schon 2003:

„Wenngleich es schwer fällt, genaue Zahlenwerte zu ermitteln, so wird doch die Zahl der "hauptberuflichen" Milizionäre auf nicht mehr als 100000 Mann geschätzt. Dagegen liegt die Zahl der "Gelegenheitskämpfer" um einiges höher. Sie beläuft sich auf eine Million. Dies bedeutet, dass einer von fünf erwerbstätigen Männern Milizionär ist. In Afghanistan existieren zudem unterschiedliche Miliztypen, die von gelegentlichen Selbstverteidigungsfronten auf Dorf- oder Stammesebene bis hin zu hoch professionellen Privatarmeen, Gangs, kriminellen Banden und verstreuten militanten Oppositionsgruppen wie den Taliban reichen.“ h

Die „Afghanistan Papers“, Geheimdokumente der US-Regierung, die die Washington Post 2019 veröffentlichte, dokumentieren das Ausmaß der Zusammenarbeit mit diesen Milizen.

 

Zivil-militärische Zusammenarbeit

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Die Informationsstelle Militarisierung hat sich über die Jahre immer wieder mit dem Thema der zivil-militärischen Zusammenarbeit (CIMIC) beschäftigt, so u.a. in 2006 und 2008.

In den ersten Jahren der ISAF ging es vor allem um die Stabilisierung des Landes. Das wichtigste Instrument der ISAF dabei waren die PRTs, die Provincial Reconstruction Teams. Diese sollten aus militärischem und zivilem Personal bestehen – de facto waren es aber manchmal bis zu 100% Soldat*innen, die vor allem „quick impact projects“ implementieren sollten. Die Strategie war, sie von einzelnen Punkten ausgehend über bestimmte Regionen zu verteilen, zu hoffen, dass sich ihr Einfluss dann ausweiten würde, bis die gesamte Region „stabilisiert“ war. Eine gute Zusammenfassung von 2013, die auf Feldforschung beruht, ist diese hier:

In Dänemark erschien schon 2005 eine Studie zu den PRTs.

Die PRTs wurden von Anfang an sowohl in Afghanistan wie von internationalen Hilfsorganisationen kritisiert, die eine Vermengung ihrer Arbeit mit der des Militärs ablehnten, weil es ihre Unabhängigkeit und damit letztlich auch ihre Sicherheit gefährdete.

 

Traumata bei Soldat*innen

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Die Traumata bei der afghanischen Bevölkerung werden im Abschnitt (6) unter „Gesundheit“ mit abgehandelt. Aber auch viele der alliierten Soldat*innen litten und leiden unter posttraumatischen Belastungsstörungen. In Deutschland wurde dieses Problem ca. 2009 erkannt und entsprechende Behandlungsangebote gemacht, allerdings mussten viele Soldat*innen auch darum kämpfen, eine solche Behandlung zu erhalten. Insgesamt wurden im Jahr 2013 noch 602 traumatisierte Soldatinnen und Soldaten psychiatrisch behandelt, 2019 1006 und 2020 1116 Einsatzkräfte.

Für Afghanistan zählte die Bundeswehr 2020 142 Neuerkrankungen; KFOR 26 und „Sonstige“ 47. 2017 lag die Zahl bei 1.900. Und die Dunkelziffer dürfte sehr hoch sein, vermutet der Veteranenverband. Seit 2002 hat die Bundeswehr etwa 120.000 Männer und Frauen an den Hindukusch geschickt, viele von ihnen allerdings mehrfach. Nach Angaben der Bundeswehr sei es allein im Jahr 2017 zu 1.900 Behandlungskontakten von Soldaten mit einer PTBS gekommen

Die Zahl der Selbsttötungen von Soldat*innen, zumindest in den USA, ist ebenfalls extrem hoch; das schon zuvor zitierte „Costs of War“ Projekt spricht von 30.000 US-Soldat*innen, die sich nach 9/11 das Leben genommen haben.

 

Waffen(handel) und Proliferation moderner Waffen

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Nach der Rückeroberung Afghanistans durch die Taliban sind diesen praktisch alle Waffen in die Hände gefallen, mit denen die NATO-Staaten das afghanische Militär ausgerüstet hatte. Dazu gehören minenresistente Fahrzeuge (MRAPs), militärische Geländewagen des Typs „Humvee“, „Black-Hawk“-Helikopter, 20 „Tucano“-Kampfflugzeuge und vieles mehr. Allein zwischen 2013 und 2016 habe die US-Armee den verbündeten afghanischen Streitkräften unter anderem rund 80.000 Fahrzeuge sowie mehr als 600.000 leichte Waffen wie M16- und M4-Gewehre inklusive Munition übergeben.“ Laut Spiegel handelte es sich um Lieferungen und Dienstleistungen im Wert von mehr als 28 Milliarden US-Dollar, darunter Waffen, Munition, Fahrzeuge, Nachtsichtgeräte, Flugzeuge und Überwachungssysteme. Im November führten die Taliban diese in einer Militärparade vor.

Die NATO hatte noch Anfang August 2021 stolz vermeldet, dass sie Gerät im Wert von 70 Millionen USD an das afghanische Militär übergeben habe. Finanziert werde es durch den Afghan National Army Trust Fund, der seit 2007 ca. 3,5 Milliarden USD bekommen habe, von denen 440 Millionen für Ausrüstung bestimmt war.

Nach Zahlen des Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) gaben allein die USA zwischen 2005 und 2021 Militärgerät im Wert von rund 18,6 Milliarden USD an afghanische Sicherheitskräfte.

Auch deutsche Rüstungsgüter im Wert von 419 Millionen Euro gingen über die Jahre nach Afghanistan, davon allerdings nur ein geringer Teil an die afghanischen Streitkräfte. Der Großteil war für Botschaften und die Alliierten bestimmt.

Doch schon von Anfang an gerieten westliche Waffen in die Hände der Taliban. Zwischen 2002 und 2008, so der Report des Bundesrechnungshofs der USA vom Februar 2009, gaben die Vereinigten Staaten rund 16,5 Milliarden Dollar für die afghanischen Sicherheitskräfte aus. Sie lieferten für 120 Millionen Dollar Maschinengewehre, Panzerabwehrraketen und Kleinwaffen. Von denen seien jedoch bis zur Hälfte nicht mehr bei den regulären afghanischen Streitkräften. Es gehe um 87.000 bis 135.000 Waffen.

Auch deutsche Waffen wurden gefunden.

Im Lande selbst wurde ein reger Handel mit Waffen betrieben. An der Grenze zu Tadjikistan entstand ein reger Handel von Waffen aus russischer Herstellung gegen afghanisches Heroin.

Zum Thema Waffenhandel gehört auch, dass die USA nach dem 11. September 2001 ihre Waffenexportregeln lockerten und Waffen an eine Reihe von Verbündeten in der Region lieferten, obwohl diese für die Verletzung von Menschenrechten notorisch waren.

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