Code Pink Demo 2006.
Code Pink Demo 2006.
Foto: Ben Schumin, CC BY-SA 2.0

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Nach dem Ende von Resolute Support und dem Abzug aller ausländischen Truppen zu Ende August 2021 und der erneuten Machtergreifung der Taliban Mitte August sind auch in Deutschland viele Stimmen laut geworden, die eine umfassende Evaluierung des Gesamteinsatzes in Afghanistan fordern. Solche Forderungen wurden schon seit ca. 2005 immer wieder gestellt, aber, so Winfried Nachtwei in einer Tagung der Evangelischen Akademie Anfang Dezember 2021, genauso rissen die Ausreden nicht ab, sich einer solchen Evaluation zu verweigern.

Auch wenn die Kategorien nicht immer sauber voneinander abzugrenzen sind, wird hier unterschieden zwischen offiziellen Evaluationen aus den Regierungen, Einschätzungen aus dem Militär, unabhängigen wissenschaftlichen Arbeiten und medialen Äußerungen. Die Unterscheidung zwischen den Evaluationen aus den Regierungen und unabhängigen wissenschaftlichen Evaluationen ist der Auftraggeber. Es ist bei Evaluationen üblich, dass der Auftraggeber letztlich entscheidet, was publiziert wird (falls überhaupt) und was internes Papier bleibt. Bei unabhängigen wissenschaftlichen Evaluationen und anderen Arbeiten liegt diese Entscheidung allein bei den Durchführenden der jeweiligen Studie.

 

Offizielle Evaluationen aus den Regierungen

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In Deutschland sind drei Maßnahmen geplant, eine, die noch von der alten Regierung auf die Wege gebracht wurde und zwei, die die Koalitionsparteien der neuen Regierung verabredet haben: Zum einen eine Auswertung der zivilen Maßnahmen, an der drei Ministerien – BMZ, AA und IM, aber nicht das BMVG! – zuarbeiten sollen, zum anderen sollen eine Enquete-Kommission und ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingerichtet werden.

„Wir wollen die Evakuierungsmission des Afghanistan-Einsatzes in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufarbeiten. Zudem wollen wir den Gesamteinsatz in einer Enquete-Kommission mit wissenschaftlicher Expertise evaluieren. Die gewonnenen Erkenntnisse müssen praxisnah und zukunftsgerichtet aufbereitet werden, so dass sie in die Gestaltung zukünftiger deutscher Auslandseinsätze einfließen.“ (Koalitionsvertrag von 2021)

Ob bzw. wie umfänglich auch die Rolle der Bundeswehr aufgearbeitet werden wird, wird sich herausstellen. Zumindest ist von einer Evaluation durch das BMVG nirgends die Rede, sodass der Verdacht nahe liegt, dass die Regierung sich also weiter einer Evaluation ihrer militärischen Beteiligung und zudem auch der zivilmilitärischen Zusammenarbeit, wie sie vor allem in den PRTs praktiziert und lange Zeit als Vorbild gepriesen wurde, verweigert. Allerdings sprach Generalinspekteur Zorn bei dem Großen Zapfenstreich für die deutschen Soldat*innen davon, dass das BMVG den ISAF-Einsatz aufgearbeitet habe. Veröffentlicht ist diese Aufarbeitung nicht.

Der Beirat für Zivile Krisenprävention, der die Bundesregierung beraten soll, hat eine umfassende Evaluierung 2021 angemahnt; ebenso u.a. das Hamburger IFSH und die herausgebenden Institute des jährlichen Friedensgutachtens. Letztere meinten in ihrer Presseerklärung, dass das ‚Scheitern des Afghanistaneinsatzes nicht bedeute, dass auch andere Missionen versagen müssen‘, forderten aber die Formulierung von Exit-Strategien und dass der zivile Sektor nicht über den Ausbau von Polizei und Militär vernachlässigt werden sollte.

Andere Länder haben teilweise recht umfassende Evaluationen oder zumindest Evaluationen der zivilen Komponenten ihres Engagements schon längst durchgeführt: So mehrfach Dänemark (das erste Mal schon 2005, zusammen mit vier weiteren europäischen Ländern, Irland, UK, Niederlande und Schweden) und dann nochmal Dänemark allein in 2012 (der Bericht steht im Netz aber nicht mehr zur Verfügung; ein Teilbericht findet sich hier). 2019 wurde noch eine Metaevaluation veröffentlicht, die verschiedene dänische Evaluierungsberichte auswertete.

Eine umfassende Evaluation, die die zivilen wie die militärischen Teile des Engagements von 2001 bis 2014 umfasst, legte Norwegen 2016 unter dem Titel „A good ally“ vor. Der Titel deutete das zentrale Ergebnis an: Das einheimische und vorrangige Ziel, Bündnistreue zu den USA und zur NATO zu beweisen, erreichte Norwegen, aber um die Erreichung der Ziele in Afghanistan war es schlechter bestellt. Zu verhindern, dass Afghanistan erneut zur Brutstätte internationalen Terrorismus wurde, wurde teilweise erreicht, das dritte Ziel, state building, nicht. Eine Zusammenfassung gibt es auch hier.

In Australien fand eine Debatte um die Rolle des australischen Militärs zwischen 2005 und 2016, d.h. der Special Operations Task Group in Afghanistan, und deren Menschenrechtsverletzungen statt, die zu einem offiziellen Untersuchungsbericht des australischen Verteidigungsministeriums, dem sog. Brereton-Bericht, und weiteren Untersuchungen führte. Und in den USA wurde 2008 mit dem SIGAR, dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction, quasi ein eigener Rechnungshof geschaffen, der die finanzielle Seite der Wiederaufbaumaßnahmen beobachtete und teilweise harsch kritisierte. 2021 veröffentlichte SIGAR eine Beurteilung der 20 Jahre Afghanistanengagement der USA. In seinem Executive Summary heißt es:

While there have been several areas of improvement—most notably in the areas of health care, maternal health, and education—progress has been elusive and the prospects for sustaining this progress are dubious."  (S. IX)

Für Deutschland können die erwähnten Fortschrittsberichte der Bundesregierung benannt werden, wobei diesen natürlich keine wissenschaftliche Evaluation zugrunde lag, sondern sie auf der Basis der Information der Fachministerien zusammengestellt wurden.

Das Deutsche Evaluierungsinstitut der Entwicklungszusammenarbeit (DEval) hat 2014 einen Überblick über vorhandene Evaluationen aus dem Feld des BMZ vorgelegt.

Einschätzungen aus dem Militär

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Es sind, mit Ausnahme der oben genannten umfassenden norwegischen Evaluation und dem australischen Brereton-Bericht keine Evaluationen aus dem Militär der beteiligten Alliierten bekannt. Ob es solche Papiere unter Verschluss gibt, muss dahingestellt bleiben. Was es gibt, sind persönliche Meinungsäußerungen von normalen Soldaten wie von führenden Offizieren und ein paar Papiere, die solch eine Evaluation anfordern, z.B. von Anthony M. Cordesman, dem ehemaligen Vorsitzenden des Center for Strategic and Internatonal Studies (CSIS) aus den USA.

 

Unabhängige wissenschaftliche Evaluationen

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Wirklich umfassende wissenschaftliche Evaluationen, die keine Auftragsevaluationen aus Ministerien waren, ließen sich keine finden, aber es gibt eine Großzahl an Veröffentlichungen zu Afghanistan aus dem Feld der politischen Wissenschaften und der Friedens- und Konfliktforschung. Die hier zusammengestellten Artikel sind nur ein kleinster Bruchteil all dessen, was es gibt, wobei viele wissenschaftliche Magazine nicht im Netz frei zur Verfügung stehen. Wer sich einen Überblick verschaffen möchte, sollte einfach mal einen Katalog einer Universitätsbibliothek aufrufen, z.B. diesen hier von der Uni Hamburg, der fast 32.700 Einträge bei der Suche nach dem Stichwort „Afghanistan“ umfasst

 

Mediale Äußerungen/ Beurteilungen

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Frei zugänglich im Netz sind hingegen unzählige Meinungsäußerungen von Politiker*innen, Journalist*innen (darunter auch vielen Afghanistankenner*innen), Wissenschaftler*innen und natürlich aus der Friedensbewegung zu dem Krieg in Afghanistan. Die meisten von ihnen sprechen – von Anfang an, nicht erst in den letzten Jahren – von einem Scheitern der Alliierten. Dabei werden nicht nur die massiven Probleme beim sog. Staatsaufbau und natürlich die erneute Machergreifung der Taliban hervorgehoben, sondern auch das offizielle primäre Kriegsziel, die Bekämpfung des internationalen Terrorismus.

 

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