Bundesweiter Aktionstag der Friedensbewegung am 1. Oktober 2022 in Köln

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Ich weiß nicht, wie es euch am vierundzwanzigsten Februar gegangen ist, als die ersten Bilder im Fernsehen kamen, wo man sah, wie Putin zum zweiten Mal völkerrechtswidrig in die Ukraine  einmarschiert ist. Oder seine jungen Soldaten, die er dort verbrennen lässt. Ich jedenfalls war einen Tag lang ziemlich niedergeschlagen. War damit alle Versöhnungsarbeit der letzten Jahre - ich war häufig in Belarus, einmal der Ukraine, im Baltikum - Wandel durch Handel, Entspannungspolitik erledigt - so wie es die alten Gegner sagen? Haben diejenigen Recht behalten, die mir im Baltikum immer sagten, wir brauchen mehr Truppen Präsenz der NATO dort, Putin versteht nur die Gewalt-Sprache und die Sprache von Härte und Widerstand?

Ich jedenfalls war einen Tag lang niedergeschlagen und weiß jetzt umso stärker: Nein! Es ist genau der richtige Weg, weiter miteinander zu reden, Versöhnungspolitik und Entspannungspolitik zu machen! Der militärische Weg ist der falsche! Die Entspannungspolitik der siebziger Jahre hat überhaupt dazu geführt, dass wir in einem freien und bislang überwiegend friedlichen Europa haben leben können. Und die Entspannungspolitik der siebziger Jahre ist nicht in einem Sofa-Umfeld entstanden, sondern es gab kurz zuvor die Kuba-Krise und den Einmarsch der roten Armee in die Tschechoslowakei, wie sich vielleicht die Älteren erinnern werden. Es war ein Kampf in einer Situation, in der die Welt nicht entspannt war und trotzdem gab es den Mut, mit denen zu reden, mit denen man nicht reden wollte und mit denen zu verhandeln mit dem man eigentlich nicht verhandeln wollte. Und ich finde das hat geklappt und es ist die einzige Alternative für uns.

Natürlich hat die Ukraine das Recht sich zu verteidigen. Und ich will das nicht anders behaupten, dass ich nicht weiß, was ich an ihrer Stelle machen würde oder wenn ich dort wäre. Ich wüsste allerdings eins: Meine Tochter und meine Söhne würde ich irgendwie ins Ausland schicken und nicht in den Krieg. Das weiß ich zumindest als ehemaliger Wehrpflichtiger, dass das alles kein Spaß ist. Und leider wird seit dem vierundzwanzigsten Februar in Deutschland in den Talk-Shows, in den Medien, in Politik und Gesellschaft fast nur darüber geredet, welche militärische Antwort es geben muss. Welche schweren Waffen geliefert werden müssen und wie man möglichst den Frieden oder unsere Werte in der Ukraine möglichst bis zum letzten Ukrainer verteidigt. Ich halte diese Diskussion für höchst schwierig.

Wir können nicht für die Ukraine reden, sondern wir müssen überlegen, was das für Deutschland und für uns bedeutet. Und ich bin in Teilen entsetzt und erstaunt, wie ehemalige Kriegsdienstverweigerer in Talkshows über Waffensysteme reden können und nicht die Opfer tatsächlichen im Blick haben, die sie bedeuten und eigentlich hätte das Teil ihrer Kriegsdienstverweigerung sein müssen, sich in eine solche Situation zu versetzen.

Ich bestreite nicht die Hoffnung der Befürworter, dass der Einsatz weiterer schwerer Waffen irgendwann diesen Krieg beenden wird. Ich bin mir nicht sicher, ob das gelingen wird, ich bin mir aber ziemlich sicher, es wird noch lange dauern und es wird jeden Tag mehr Zerstörung und Opfer bedeuten und ich bin eigentlich entsetzt, dass immer weniger Menschen begreifen, was es heißt, wenn man einen Menschen verliert, seinen Vater seinen Sohn, seine Mutter oder seine Tochter - durch Krieg, durch Kampf und durch Terror. Und deswegen bin ich sehr überzeugt, dass an der Stelle von Waffenlieferungen auch endlich wieder Diplomatie zählen muss. Und wer in den
Talkshows oder sonst irgendwo dieses Thema aufbringt wird ja fast an dem Rand gedrängt. Deshalb haben wir diesen Aufruf, den ich fast für zu weich fand, gemacht, dass Diplomatie jetzt wieder nötig ist.

Natürlich sind alle für das Ende der Kämpfe und für den Waffenstillstand. Aber zur Wahrheit gehört, dass es keine Verhandlung geben kann, wenn Bedingungen gestellt werden. Ich sehe nicht, dass auch der Einsatz schwerer Waffen dazu führen wird, dass die Ukraine die Russen von ihrem Territorium verscheuchen wird. Ich sehe auch nicht, dass Russland diesen Krieg gewinnen kann, jedenfalls nicht ohne weiter zu eskalieren oder massenhaft Menschen zu zerstören. Und deswegen können Gespräche nur stattfinden und Diplomatie nur stattfinden, wenn man nicht mit Vorbedingungen in die Gespräche geht, wo es um Territorium oder Grenzen geht und das ist seit der Annektion vor einigen Tagen schwieriger geworden. Sondern: Ich verhandele mit einem Feind und ich muss ohne Vorbedingungen verhandeln. Sonst funktioniert Diplomatie nicht und sonst wird es keinen sofortigen Waffenstillstand geben.

Ich merke, dass in der Gesellschaft die Menschen mehr werden, die das kritisch sehen. Ich stelle fest, dass meine Eltern, die Krieg erlebt haben, das überhaupt nicht mittragen können, was gerade passieren kann. Und ich stelle auch fest, dass diejenigen die mal was mit Bundeswehr oder Wehrpflicht zu tun hatten, da auch sehr skeptisch sind. Mein Problem sind eher diejenigen, die offenbar nicht mehr begreifen was Krieg denn bedeuten kann. Und deswegen müssen wir unsere Stimmen erheben und eine Friedenslogik der Kriegslogik zusammen gegenüberstellen. Entspannung ist notwendig, Diplomatie unverzichtbar. Die Waffen müssen schweigen – jetzt.

Vielen Dank!

 

Rebe Röspel ist ehem. Mitglied des Deutschen Bundestages für die SPD.