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ungehaltener Redebeitrag für den geplanten Ostermarsch in Büchel am 13. April 2020
Atomkrieg aus Versehen
Liebe Friedensfreundinnen und -freunde,
in der Vergangenheit hatten wir bereits mehrmals großes Glück, dass es nicht zu einem Atomkrieg aus Versehen gekommen ist. Dieses Risiko besteht auch heute noch und es wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten steigen. Das Risiko eines Atomkriegs aus Versehen geht vor allem von Frühwarnsystemen aus. Diese basieren auf Sensoren, sehr komplexen Computersystemen und Netzwerken zur Vorhersage und Bewertung von möglichen Angriffen durch Atomraketen. Dabei kann es zu Fehlalarmen kommen, die ganz unterschiedliche Ursachen haben können. In Friedenszeiten und Phasen politischer Entspannung sind die Risiken sehr gering, dass die Bewertung einer Alarmmeldung zu einem atomaren Angriff führt. In solchen Situationen werden im Zweifelsfall Fehlalarme angenommen. Die Situation kann sich drastisch ändern, wenn politische Krisensituationen vorliegen, eventuell mit gegenseitigen Drohungen oder wenn in zeitlichem Zusammenhang mit einem Fehlalarm weitere Ereignisse eintreten (z.B. Flugzeugabsturz, Cyberangriff). In solchen Fällen wird versucht, diese Ereignisse in Zusammenhang mit der Alarmmeldung zu setzen, was zu fatalen falschen Entscheidungen führen könnte. Der Abschuss aus Versehen eines ukrainischen Verkehrsflugzeugs im Iran hat gezeigt, was in einer Krisensituation passieren kann. Es wurde mit Krieg oder Angriff gerechnet, deshalb schien ein Angriff plausibel. Auch in Frühwarnsystemen für Atomraketen kann die Bewertung einer Alarmmeldung davon abhängen, ob aufgrund der aktuellen politischen Lage ein Angriff als plausibel erscheint.
Das Atomkriegsrisiko wird steigen
Nach dem Ende des INF-Vertrages hat ein neues Wettrüsten begonnen. Neuartige Waffensysteme, wie Hyperschallraketen werden die Vorwarnzeiten deutlich reduzieren. Der Klimawandel wird vermutlich dazu führen, dass verschiedene Regionen unbewohnbar werden und damit vermehrt Klimaflüchtlinge verursachen. Dadurch wird es in Zukunft häufiger politische Krisen und Konflikte geben, als Folge werden Raketenangriffsmeldungen deutlich gefährlicher. Cyberattacken können gefährliche und unkalkulierbare Wechselwirkungen mit Frühwarnsystemen sowie den Nuklearstreitkräften erzeugen und damit das Risiko eines Atomkriegs aus Versehen erheblich erhöhen. Über www.atomkriegausversehen.de finden Sie detaillierte Beschreibungen dieser Zusammenhänge.
KI ist keine Lösung
Manche Menschen (auch Politiker) glauben, dass mit Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) die Fehler in Frühwarnsystemen reduziert werden können. Begründet wird dies mit einem Vergleich zum autonomen Fahren, denn hierbei werden auf Dauer weniger Unfälle erwartet. Wichtiger Unterschied: Frühwarnsysteme sind nicht unter realistischen Bedingungen testbar und die Menge an Lerndaten als Grundlage wird relativ gering bleiben. Des Weiteren gilt: Die Daten, die den Entscheidungen in Frühwarnsystemen zu Grunde liegen sind unsicher, vage und unvollständig. Deshalb gilt grundsätzlich, dass Schlüsse falsch sein können, egal, ob diese von einem Menschen oder einer Maschine gezogen werden.
Bei den immer kürzer werdenden Vorwarnzeiten in Frühwarnsystemen kommt ein Mensch vielleicht zu dem Schluss, dass die Zeit für eine Prüfung nicht reicht und dass er sich deshalb sicherheitshalber für „Fehlalarm“ entscheidet. Für eine Maschine reicht die Zeit, auch für eine falsche Entscheidung. Der Ansatz, dass die Maschine nur vorbereitet und letztendlich ein Mensch entscheidet, nutzt wenig, denn der Mensch hat keine Chance einen Entscheidungsvorschlag der Maschine in der Kürze der Zeit zu prüfen. Ihm bleibt nur zu glauben, was die Maschine liefert. Deshalb kann es für ihn schwer sein, sich einem Entscheidungsvorschlag der Maschine zu widersetzen.
Bisher ist bei Entscheidungen des Menschen auch der politische Kontext wichtig. Wenn die politische Weltlage von einer Maschine nicht berücksichtigt wird, wird jeder Fehlalarm gefährlich, auch in Friedenszeiten. Falls die Maschine auch den politischen Kontext berücksichtigen soll, benötigt sie Informationen, die hochgradig unsicher, vage und unvollständig sind. Diese können also auch wieder zu falschen Annahmen und Schlüssen führen.
In unserer Technikwelt haben wir uns daran gewöhnt, dass durch falsche Entscheidungen oder technisches Versagen Unfälle passieren, die Menschenleben kosten, wie z.B. Verkehrsunfälle und Flugzeugabstürze. Es darf aber nicht sein, dass von der Entscheidung eines einzelnen Menschen oder einer Maschine das Überleben der gesamten Menschheit abhängt. Deshalb ist der Ansatz Frühwarnsysteme zu verwenden, um frühzeitig Atomangriffe zu erkennen und eventuell einen Gegenangriff zu starten, bevor die gegnerischen Raketen einschlagen, grundsätzlich untragbar, unabhängig davon, ob letztendlich Menschen oder Maschinen entscheiden.
Unser Protest ist wichtig!
Analog zu Unfällen in technischen Systemen kann ein Atomkrieg aus Versehen jederzeit ohne Vorwarnung durch eine unvorhergesehene Ereigniskette ausbrechen, die in der Kürze der Zeit nicht beherrschbar ist. Eine Koexistenz von Atomwaffen und Menschen wird auf Dauer kaum möglich sein. Die Abschaffung aller Atomwaffen ist zwar unser Ziel, dies wird vermutlich aber nicht sehr schnell erreichbar sein. Deshalb ist es auch jetzt wichtig, die Risiken eines Atomkriegs aus Versehen zu verringern. Hierzu kann es sehr wichtig sein, dass zwischen den Atommächten Maßnahmen und Vereinbarungen getroffen werden, damit es in einer Krisensituation Kommunikationswege gibt, um einen Krieg aus Versehen zu verhindern. Vertrauen und Vereinbarungen zur Kommunikation in Konfliktsituationen zwischen potentiellen Kriegsparteien sind heute vermutlich schlechter, als in Zeiten des Kalten Krieges. Aktionen der Friedensbewegung könnten das Problembewusstsein bei Politikern und Militärs stärken und für Druck sorgen, Maßnahmen zu ergreifen, damit es in Krisensituationen Kommunikationsmöglichkeiten gibt, die einen Atomkrieg verhindern. Wenn unsere Aktionen einen Beitrag zu diesem Ziel liefern, sind wir erfolgreich, obwohl dies nie messbar und feststellbar sein wird.
Die Wichtigkeit funktionierender Kommunikationswege zeigt auch der versehentliche Abschuss einer ukrainischen Verkehrsmaschine im Januar dieses Jahres im Iran. Der Befehlshabende hätte das Einverständnis seines Vorgesetzten einholen müssen. Eine solche Kommunikation kam aber in der verfügbaren Zeit nicht zu Stande.
Friedensaktionen im Internet
In der Friedensbewegung gibt es viele beachtenswerte Aktionen, wie z.B. der ICAN-Städte-Appell. Die Wirksamkeit des ICAN-Städte-Appells könnte erhöht werden, wenn sich diese Städte auf ihrer Startseite auch dazu bekennen würden, z.B. mit einem Link zu ICAN. Der ICAN-Städte-Appell könnte auch zu einem allgemeinen ICAN-Appell erweitert werden. Jeder, der eine eigene Webseite hat, auch jede Institution, jeder Verein, jedes Unternehmen könnte auf der Startseite direkt sichtbar den ICAN-Appell unterstützen und einen Link zu ICAN oder einer anderen Organisation setzen (z.B. atomwaffenfrei.de oder atomwaffen-out.de). Wenn Vereins- und Firmenchefs einfach so auf Ihrer Homepage Links zu umstrittenen Unternehmen wie Facebook, Twitter, Instagram setzen können, sollte dies erst recht auch zu ICAN möglich sein (siehe auch akav.de/was-kann-ich-tun). Neben jedem Facebook-Logo auf einer Internetseite könnte auch ein ICAN-Logo stehen.
Friedensorganisationen sind im Internet bereits sehr präsent. Sie liefern umfangreiche Informationen und weisen eindringlich auf die Gefahren hin. Die Wirksamkeit dieser Seiten könnte deutlich erhöht werden, wenn es auch von beliebigen anderen Seiten (Städten, bekannten Persönlichkeiten, großen Vereinen und Unternehmen) Links auf die Seiten der Friedenbewegung gäbe. Wir sollten es versuchen.
Vielen Dank!
Karl Hans Bläsius ist Professor an der Hochschule Trier.
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