ungehaltener Redebeitrag für den geplanten Ostermarsch in Gummersbach am 11. April 2020

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

COVID 19 oder auch Corona. Ein Virus, das unsere Gesellschaft lahmlegt. der unseren Blick auf Menschen richtet, die verwundbar sind. Risikogruppen. Ausgangs- und Kontaktsperren. Unser Leben wird eingeschränkt. Bedeutende Staatsoberhäupter verkünden den Krieg gegen das Virus, benutzen Vokabular, was wir hier in Europa zum Glück nur noch selten benutzen müssen. Wir leben im Frieden. Die jetzige Situation ist für uns ungewohnt. Sie macht uns vielleicht auch Angst. Aber wir sind sicher. Ältere Menschen, chronisch Kranke, (Kinder) und Menschen mit Behinderungen können wir versuchen zu schützen. Gerade jetzt, in einer Zeit in der wir an die Verwundbarkeit dieser Menschen erinnert werden, sollten wir uns umsehen. Wir müssen versuchen über unsere Situation hinaus zu blicken. Auf verwundbare Menschen in der ganzen Welt. Menschen, die dauerhaft bedroht sind. Von Hunger, Katastrophen, Krieg und Flucht. Wir dürfen diese Menschen nicht vergessen. Die Menschen, die in den Flüchtlingslagern ausharren, die Menschen, denen der Klimawandel das Zuhause nimmt und Kinder, die in ihrem Leben noch nicht einen Tag in Frieden leben konnten, weil in ihrem Heimatland ein Krieg tobt, mit dessen Entstehung sie nicht zu tun haben.

Weltweit gibt es derzeit in mehr als 25 Staaten Kriege oder bewaffnete Konflikte. Ihre Opfer sind heute zumeist Zivilisten. Darunter sind auch Kinder und Jugendliche, denen niemals die Chance gegeben wurde ein Leben außerhalb von Gewalt und Angst zu führen. Getötet werden sie oft durch sogenannte Kleinwaffen, die auch von Deutschland in Konfliktgebiete exportiert werden. Wir profitieren von ihrem Tod. Wir sind es ihnen schuldig, das zu ändern. Wir sind Teil dieses Problems. Wir müssen unseren Teil dazu tun, es zu Lösen. Wie können wir Hoffnung für eine friedliche Welt haben, wenn wir diese Kinder nicht im Blick haben? Save the children zitiert in ihrem Bericht zum Thema Krieg gegen Kinder die 14-jährige Aktivistin für Menschenrechte Purity aus Nigeria, die sagt: 

„Kinder haben nichts mit dem zu tun, was bewaffnete Konflikte verursacht. Dennoch sind wir diejenigen, die am meisten davon betroffen sind: Wir leiden unter Hunger und Krankheiten, wir werden vertrieben, gefoltert, getötet, sexuell missbraucht, der Bildung beraubt, wir werden Opfer von Menschenhandel, von den Eltern getrennt, als Kindersoldaten rekrutiert. Wann wird das Leid der Kinder enden?“

Ihre Worte stehen für die etwa 420 Millionen Kindern die in einem Kriegs- oder Konfliktgebiet leben. Diese Zahl hat sich in den letzten 20 Jahren fast verdoppelt. Ihr Leiden ist nicht temporär. Sie werden mit Hunger, Krankheiten, Angst und traumatischen Ereignissen konfrontiert. Etwa 27 Millionen Kinder können aufgrund bewaffneter Kämpfe nicht zur Schule gehen. Explizite Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser stiegen 2018 in Vergleich zum Vorjahr um 32 Prozent an. In Deutschland ist das unvorstellbar. Wir leben im Frieden. Momentan sind die meisten unserer Schulen wegen CORVID 19 geschlossen, dennoch haben unsere Kinder und Jugendlichen Zugang zu Bildung, zu Informationen und zu einer daraus folgenden Zukunft. Dieses Privileg haben diese Kinder und Jugendlichen nicht. 

Wenn wir wollen, können wir hinsehen. Wir wissen, dass Jungen insgesamt stärker durch Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen rekrutiert, entführt und verstümmelt werden. Mädchen hingegen werden in dem Umfeld viel häufiger vergewaltigt, zur Kinderheirat gezwungen oder waren anderen Formen sexuellen Missbrauchs ausgesetzt. Wir möchten uns Ihre Traumata nicht vor Augen rufen, weil das kaum auszuhalten ist. Aber wenn wir über Krieg und über bewaffnete Konflikte reden, dann sollten wir genau sie vor Augen haben.

Die Auswirkungen kriegerischer Konflikte unter denen sie aufwachsen müssen sind vielschichtig und weitreichend. Direkte körperlichen Wunden durch Schuss- und Explosivwaffen, psychische und psychosoziale Folgen von Gewalt. Eine zerstörte Infrastruktur, soziale Kontakte, die durch Flucht und Vertreibung zerrissen wurden, sowie ein erschwerter Zugang zu humanitären Leistungen auf Grund der Zerstörung grundlegender Dienstleistungs- und Hilfeleistungsstellen. Sie werden ihrer Zukunft, ihrer sozialen Kontakte, ihres Lebens beraubt. Sie erleben Traumata, welche sie nur schwer (vielleicht aber auch nie) verarbeiten können. Während der Kindheit und Jugend treffen diese traumatischen Erfahrungen auf große Verwundbarkeit, auf Grund von noch nicht ausgeprägten Bewältigungs- und Anpassungsfähigkeiten. Die Folgen des Aufwachsens im Krieg sind für die Persönlichkeitsentwicklung, die Gestaltung sozialer Beziehungen oder die Ausdifferenzierung von Bewältigungsfähigkeiten gravierend.

Eine Studie hat herausgefunden, dass etwa ein Fünftel der Menschen in Kriegs- und Konfliktsituationen psychisch erkranken. Das ist dreimal höher als in friedlichen Lebensumständen. Darunter fallen die Familien dieser Kinder aber auch sie selbst. Die psychischen Schäden, die Krieg in den betroffenen Menschen verursacht, sind gravierend, weil sie langfristig wirken, die Weltsicht und das Handeln beeinflussen und sogar an nachfolgende Generationen weitergegeben werden können. Bei einem Begehren nach weltweitem Frieden geht es also auch um ein Begehren nach Hoffnung für die Zukunft. Nicht nur für die Lebenden, sondern auch für Generationen, die erst noch geboren werden und für die wir jetzt schon Verantwortung tragen. 

Wir müssen diese Verantwortung umzusetzen. Gegen Waffenexporte. Für eine humane Flüchtlingspolitik. Für Menschenrechte. Immer und überall.

„Der Friede ist kein Naturprodukt; er wächst aus menschlichem Handeln.“ Gustav Heinemann

Zum Nachlesen:

 

Kim Schröter ist Vorsitzende der Jusos Oberberg.

 

[Archiv der ungehaltene Reden]
[zurück zum virtuell Ostermarsch]