Redebeitrag für die Antikriegstagsveranstaltung am 1. September 2021 in Heidelberg

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Nach wie vor ist der Antikriegstag, an dem weltweit an den Beginn des verheerendsten Krieges der Geschichte erinnert wird, für uns ein besonderer Tag der Mahnung. Er erinnert Jahr für Jahr daran, dass Deutschland angesichts der vom deutschen Faschismus begangenen Menschheitsverbrechen besondere Verantwortung für den Frieden trägt, insbesondere auch gegenüber Russland, das zusammen mit den anderen Ländern der ehem. Sowjetunion die meisten Opfer erleiden musste. Aktuell spielt diese Verantwortung jedoch in der deutschen Politik offensichtlich keine Rolle. Ganz im Gegenteil. Berlin beteiligt sich am aggressiven Kurs der USA und der NATO gegenüber Russland und schickt sogar größere Bundeswehrkontingente zu Großmanöver in den Osten, bis nahe an die russische Grenze.

[76 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieg sind wir von einer Weltordnung, die Frieden schaffen und sichern kann, weit entfernt und entfernen uns aktuell immer weiter. So erleben wir aktuell massive Rückschritte in Bezug auf Abrüstung, Entspannung und internationale Zusammenarbeit. Gleichzeitig klettern die Rüstungsausgaben Deutschlands und seiner NATO-Partner auf Rekordhöhen, dasselbe gilt für den Umfang von Rüstungsexporten.]

Bald nach den Wahlen sollen Rüstungsprojekte auf den Weg gebracht werden, die in den kommenden Jahren zig Milliarden Euro verschlingen werden, darunter die Beschaffung neuer Atombomber für die nukleare Teilhabe und ein neues Luftangriffssystem aus Kampfjets und Drohnenschwärmen.

Dies ist absolut unverantwortlich. Zum einen heizt die Hochrüstung die Spannungen in der Welt weiter an und zum anderen werden so immense Gelder und Forschungsressourcen verschwendet, die dringend für die Bewältigung der großen Menschheitsprobleme benötigt werden, für den Kampf gegen Hunger und Armut, für eine bessere Gesundheitsversorgung und für Klima- und Umweltschutz.

Mit ihrer neuen „NATO 2030“-Strategie treibt das westliche Militärbündnis seine Entwicklung zu einer Interventionsallianz weiter voran. Offen geht sie damit auf Konfrontationskurs gegen Russland und China. Die riesigen Manöver an den russischen Grenzen und im indopazifischen Raum unterstreichen diesen aggressiven Kurs. [Gleichzeitig modernisieren die Atommächte ihrer nuklearen Waffenarsenale und hält Berlin an der nuklearen Teilhabe fest.]

Diese unverantwortliche und gefährliche Politik muss beendet werden! Erteilen wir bei der Wahl, allen Parteien, die diese Politik mittragen, eine Absage. Unterstützen wir die Kräfte, die für Abrüstung und Entspannung stehen! Für den Frieden, für das Klima, für die Menschen!

Eine besondere Bedrohung geht von den Atomwaffen aus Wer gegen sie und die dt. Teilhabe daran demonstrieren will, kann dies am Sonntag in Büchel im Rahmen einer großen bundesweiten Aktion tun. Es gibt Mitfahrgelegenheiten aus HD. Näheres am Infotisch.

Aktuell haben die Ereignisse, nach langer Zeit, Afghanistan wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Die Bilanz des 20jährigen Krieges der USA und seiner NATO-Verbündeten in diesem Land untermauert unsere Kritik an der NATO-Interventionspolitik auf drastische Weise.

Wenn nun die Gründe des Scheiterns erörtert werden, wird unterstellt, dass die „Afghanistan-Mission“ ein an sich gutes Vorhaben mit vernünftigen Zielen gewesen sei. [Tatsächlich war der Krieg eine völkerrechtswidrige Aggression gegen einen Staat, der keinen anderen angegriffen hat.] Demokratie und Menschenrechte standen, wenn man genauer hinsieht, nie im Vordergrund. Tatsächlich ging es wie immer um Machtpolitik, Einflusssphären und Ressourcen, um die Etablierung eines prowestlichen Regimes an den Grenzen von Russland und China.

Und es war von Anfang an absehbar, dass er das ohnehin geschundene Land weiter ins Elend stürzen und unzählige Opfer fordern wird. Wie man leicht nachlesen kann, bewahrheiteten sich die von Experten und auch der Friedensbewegung 2001 vorgebrachten ernsten Warnungen nicht nur, es kam sogar noch viel schlimmer.

Wenn nun in den Medien die Schrecken einer erneuten Talibanherrschaft hervorgehoben werden, sodass viele bereits die NATO wieder ins Land zurückwünschen, so werden die Schrecken von 20 Jahre Krieg und Besatzung sowie eines Marionettenregimes aus korrupten Warlords ignoriert. Natürlich ist es schwer erträglich, Menschen in Gefahr zu wissen, vor allem für hier lebende Afghaninnen und Afghanen. Doch militärische Gewalt bietet, wie die Erfahrungen in Afghanistan und anderswo zeigen, keinen gangbaren Ausweg.

Krieg löst keine Probleme. Krieg verschärft die Konflikte. Krieg ist Terror. Auch der Krieg gegen Terror ist Terror und sorgt für seine Verbreitung. So hat sich die Zahl militanter, al Qaida-naher, dschihadistischer Organisationen und Kämpfer seit der Invasion Afghanistans geradezu vervielfacht. Auch in afghanischen Gebieten operiert, mittlerweile der „Islamische Staat“, wie uns vor wenigen Tagen drastisch vor Augen geführt wurde.

Dem „Costs of War Project“ an der Boston University zufolge wurden in Afghanistan mindesten 165.000 Menschen direkt durch Kriegshandlungen getötet, über 47.000 davon Zivilisten. Dies sind jedoch nur die gemeldeten und registrierten Toten. Die Autorinnen gehen aber von einem Vielfachen an unerkannten und indirekten Opfern aus. Nach einer Studie der IPPNW [auf Basis repräsentativer Mortalitätsstudien in anderen Ländern] ist die tatsächliche Zahl von Opfern in der Regel fünf bis achtmal so hoch wie die registrierten. Wir müssen daher davon ausgehen, dass insges. über 800.000 Afghaninnen und Afghanen in Folge des Krieges gestorbenen sind, 40.000 pro Jahr. Hinzu

Der Überfall auf Afghanistan vor 20 Jahren, war bekanntlich der Auftakt zu einer ganzen Reihe weitere Kriege und Interventionen, die der Westen nach dem 11.9.2001 führte, neben Irak, Pakistan und Jemen ab 2011 auch gegen Libyen und in Syrien. Schätzungen von „Costs of War“ zufolge kann die Gesamtzahl der Opfer aller dieser Kriege bereits Ende 2019 drei Mio. überstiegen haben. Noch viel, viel mehr Menschen wurden durch sie zur Flucht gezwungen.

Obwohl die humanitären Kosten der angeblich „humanitären Interventionen“ mit Bodentruppen, Luftschlägen oder Vergeltungsangriffe horrend sind und nirgends Stabilität oder gar Fortschritt brachten, laufen weiterhin ähnlich ausgerichtete Einsätze der Bundeswehr und der Verbündeten, etwa in Mali. Sie müssen umgehend beendet und damit auch die dadurch bedingten Fluchtursachen beseitigt werden.

[Leider setzt die USA ihre fürchterliche Politik selbst in Afghanistan fort. Es waren die US-Truppen, denen der jüngste Anschlag des afghanischen IS am Kabuler Flughafen galt, er riss jedoch Dutzende Zivilisten mit in den Tod. Der von US-Präsident Biden angeordnete Racheakt lag moralisch auf derselben Stufe und folgte der bisherigen verheerenden Logik. Die Vergeltungsschläge gegen von US-Geheimdiensten zum Abschuss freigegebene vorgebliche Kämpfer forderten wie immer auch viele zivile Opfer. Beim Drohnenangriff in Kabul sind laut UNICEF-Vertreter auch mindestens sieben Kinder getötet worden. Auf diese Weise wurden vermutlich neue rachsüchtige Kämpfer unter ihren Angehörigen für radikale, anti-westlichen Organisationen rekrutiert.]

Wir protestieren gegen den kriminell unverantwortlichen Umgang mit den afghanischen Zivilangestellten deutscher Einrichtungen. Allem Anschein nach wollten sich die Verantwortlichen in Berlin durch langes Zögern, sie zügig und unbürokratisch nach Deutschland zu holen, der unerwünschten moralischen Verpflichtung gegenüber dem Großteil ihrer „Ortskräfte“ weitgehend entledigen.

Der neue Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan ist jedoch keine Wiedergutmachung, sondern setzt dem ganzen noch die Krone auf. Evakuierungsflüge waren von Anfang an auf die Duldung der Taliban angewiesen, ohne sie hätte in den letzten Tagen kein einziges Flugzeug in Kabul starten können. Es war daher klar, dass weitere Flüge nur über Verhandlungen mit den Taliban möglich sind. Erneute Kampfeinsätze deutscher Truppen hingegen bergen die gro0e Gefahr den Krieg wieder aufflammen zu lassen.

Wir fordern natürlich, dass die Bundesregierung alles unternimmt, allen die es wollen, die Ausreise nach Deutschland zu ermöglichen, jedoch nicht durch den Einsatz von Militär, sondern völkerrechtskonform auf zivilem Weg über Verhandlungen mit den Taliban, über die UNO und den Roten Halbmond.

Vor allem fordern wir Unterstützung für die gesamte afghanische Bevölkerung. 20 Jahre lang wurde die Besatzung auch damit gerechtfertigt, das Land wieder aufzubauen und zu entwickeln. Tatsächlich haben sich die Lebensverhältnisse der Bevölkerung unter der Besatzung aber sogar verschlechtert. Die Armut ist mittlerweile größer als zuvor. Hilfsorganisationen zufolge sind 13 Millionen Afghanen und Afghaninnen akut von Hunger bedroht.

Deutschland und die übrigen NATO-Staaten stehen in der Verantwortung, ausreichende finanzielle und materielle Mittel für einen Wiederaufbau Afghanistans zur Verfügung zu stellen ‒ aber ohne erneute Bevormundung. Wir fordern auch angemessene Entschädigungen für die angerichteten Schäden an die Opfer und ihre Angehörigen zu zahlen.

Für alle, die selbst helfen wollen liegen am Infotisch Informationen über einige Hilfsorganisation in Afghanistan bereit.

Vielen Dank.

 

Joachim Guilliard ist aktiv beim Heidelberger Friedensbündnis.