Redebeitrag für die Antikriegstagsveranstaltung am 1. September 2021 in Benningen

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,

ich bedanke mich ganz herzlich heute an diesem besonderen Denkmal in Benningen reden zu dürfen. „Nie wieder Krieg“ lautet die Inschrift. Ein mehr als passender Ort für diesen Tag.

Am 1. September 1939 entfesselte NaziDeutschland den zweiten Weltkrieg, der sechs Jahre später mit Millionen Toten endete und traumatischen Auswirkungen bis heute nach sich zieht. Jeder einzelnen Person dieses Grauens, getötet, verstümmelt, gefoltert, traumatisiert gilt es, kurz innezuhalten. Ihr Schicksal ist unser Antrieb. Wie alle Opfer von Krieg, Hass und Gewalt der Menschheitsgeschichte. Würden wir die Geschichte dieser Menschen und ihren Hinterbliebenen aufmerksam lauschen, wären wir wahlweise beschämt, sprachlos oder verstört. Und gleichzeitig müssten wir die ganze Wut aus uns herausschreien, was Menschen angetan wurden. Aus Macht, Geldgier, Größenwahn, Verachtung und Verblendung. Und dem Glauben, mit Militär, Rüstung und Krieg würde sich irgendein Problem lösen lassen. Weit mehr als 100 Antikriegsaktionen und Veranstaltungen finden im Umfeld des heutigen Tages bundesweit statt. Neben der Erinnerung gilt der Blick der gefährlichen weltpolitischen Lage, in der wir uns heute befinden. Gleichzeitig wird dadurch sowohl die Unzufriedenheit der Menschen mit den derzeitigen Kriegen und militärisch ausgetragenen Konflikten deutlich als auch der Wunsch, sich stärker wie bisher für Frieden und Abrüstung zu engagieren. 20 Jahre Krieg in Afghanistan. Ein Desaster. Das jahrelange Morden in Syrien. Nicht beendet. Viele Millionen Menschen sind weltweit Opfer von Kriegen und Bürgerkriegen, von politischer, ethnischer und religiöser Verfolgung und suchen Schutz in anderen Regionen ihres Heimatlandes, in Nachbar- oder auch in Industrieländern. Die sogenannte Doomsday clock wurde 2021 auf 100 Sekunden vor Zwölf gestellt, u.a. aufgrund der milliardenschweren Aufrüstungspläne mit Atomwaffen, der Klimakrise und besorgniserregender Entwicklungen in Demokratien. Die Bundesregierungen und der Bundestag tragen Verantwortung bzw. Mitschuld an dieser Entwicklung: Deutschland steht auf dem siebten Platz der Länder mit den größten Rüstungsausgaben und ist einer der größten Waffenlieferanten. Unter den Top-Ten-Staaten weist der deutsche Verteidigungshaushalt mit einem Plus von über fünf Prozent die größten Zuwachsraten auf. Für das laufende Jahr liegt er bei knapp 47 Milliarden Euro.

Und wenn es nach der scheidenden Bundeskanzlerin ginge, sollte Deutschland bis 2030 die NATO-Zielvorgabe erfüllen und zwei Prozent des BIP für Verteidigung ausgeben. Dies entspräche einer weiteren Erhöhung des Wehretats um mehr als 20 Mrd. Euro. Leider steht sie damit nicht allein. Mit der neuen „NATO 2030“-Strategie soll der Weg in zu einer Interventionsallianz für Militäreinsätze außerhalb des Bündnisgebiets bereitet werden. Durch eine Stärkung der nuklearen Abschreckung und durch Pläne für eine stärkere militärische Präsenz im indopazifischen Raum setzt die NATO gezielt auf Konfrontation gegenüber Russland und China. Wo ist der Aufschrei der Bundesregierung gegen diese Politik, die zunehmend stärker auf militärische Intervention und auf Aufrüstung statt auf friedliche Lösung internationaler Konflikte setzt? Haben nicht gerade die letzten Wochen in Afghanistan deutlich gemacht, dass diese militärische Machtpolitik gescheitert ist. Und gegen das Friedensgebot des Grundgesetzes verstößt, welches Frieden als zentrale Lehre aus dem am 1. September 1939 begonnen deutschen Angriffskrieg festschreibt. Werfen wir einen kurzen etwas anderen Blick in die Geschichte. Vor 150 Jahren endete der deutsch-französische Krieg in einer Zeit ständiger kriegerischer Auseinandersetzungen in Mitteleuropa. 1889 veröffentlichte Bertha von Suttner ihren Roman „Die Waffen nieder“. Eine Sensation. Eine Frau, die einen beachtlichen Kontrapunkt setzt zu den damals offensichtlich selbstverständlichen Mechanismen, den Wahn des Militarismus immer neu an die Kinder weiterzugeben. Dagegen stellt sie ungeschönt den Wahnsinn des Krieges dar. Drei Jahre später wurde sie Mitgründerin der Deutschen Friedensgesellschaft. In der Folge motivierte sie Alfred Nobel, den gleichnamigen Friedenspreis zu initiieren, den sie als erste Frau 1905 selbst erhielt. Sie warnte wie viele ihrer pazifistischen Zeitgenossen vor einem großen Krieg, denn sie mit Ihrem Tod im Frühsommer 1914 nicht mehr erleben musste. Einer ihrer Mitstreiter war der Vizepräsident der Deutschen Friedensgesellschaft und Stuttgarter Pfarrer Otto Umfrid, der durch seine 1897 in Münsingen gehaltene Rede „Die Friedensbewegung – eine weltbewegende Frage“ einen Verweis der Kirchenleitung erhielt. Seine Kritiker bezeichneten ihn als „Friedenshetzer“. Was ihn nicht aufhielt, etliche Dutzend Vorträge zu halten und in Württemberg viele Ortsgruppen zu gründen. Ein Visionär, der die soziale Frage mit der Friedensfrage verband und den Bertha von Suttner 1914 für den Friedensnobelpreis vorschlug. Beide waren mit ihren Ideen der internationalen Rechtsstaatlichkeit Vorreiter für den Völkerbund und später die UNO.

Gerade einmal 21 Jahre nach dem großen ersten Krieg folgte der zweite Weltkrieg. Deutschland war innerhalb von 75 Jahren Mittelpunkt dreier fürchterlicher Gemetzel.

Nach dem Horror des zweiten Weltkriegs sowie den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki war die Losung klar: „Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg! Nie wieder Hiroshima und Nagasaki.“

Wenige Monate später erfolgte die Gründung der UNO.

Mit einer klaren in der Präambel niedergeschriebenen Überzeugung:

„Wir, die Völker der Vereinten Nationen – fest entschlossen, künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat, unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen, ob groß oder klein, erneut zu bekräftigen, Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können, den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit zu fördern“

Ende Zitat Präambel.

Ausgelöst von immer wieder neu aufflammenden Protesten konnten in den vergangenen 76 Jahren eine Vielzahl von Abrüstungs- und Rüstungskontrollverträgen beschlossen werden. Zuletzt trat im Januar 2021 der von ICAN und vielen Partnern wie der DFG-VK erkämpfte Atomwaffenverbotsvertrag in Kraft. Die Erbfeindschaft zu Frankreich wich einer großen Freundschaft.

Wir sind noch lange nicht soweit um allen Menschen ein Leben in Würde, ohne Krieg, Hass und Gewalt zu ermöglichen. Wir leben in einer extrem angespannten und gefährlichen Zeit, wie die doomsday clock uns Jahr für Jahr versinnbildlicht.

Doch das Engagement vieler Millionen Menschen hat auch zu vielen Erfolgen und Errungenschaften geführt. Allen voran in den 80er Jahren gegen die Nachrüstung und für das Ende des Kalten Krieges.

Damit zukünftig Kriege wie in Jugoslawien, Afghanistan oder Syrien verhindert werden brauchen wir einen Paradigmenwechsel. Für Frieden und den Erhalt unserer Lebensgrundlagen. So will ich uns auf eine Zeitreise mitnehmen und unseren Geist schärfen für all das was möglich ist.

Wir schreiben das Jahr 2045. Unendliche Freude. Die Atommächte verkünden bei der Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag in New York feierlich, ihre letzten jeweils 10 Atomsprengköpfe in ihrem Besitz im Laufe des Jahres zu verschrotten. Das Ende des Atomzeitalters ist endgültig eingeläutet. Mit dabei: ein paar Veteranen der internationalen Friedensbewegung, die bereits über 50 Jahre auf diesen Schritt hingearbeitet haben.

Seit dem UN Beschluss zum Verbot von Atomwaffen und dem Friedensnobelpreis für ICAN hatte es weltweit eine nicht aufzuhaltende Dynamik gegeben.

Nur wenige Jahre zuvor hat Deutschland in Kooperation mit anderen Ländern komplett umgestellt auf eine nachhaltige zivile Sicherheitspolitik.

Vorausgegangen war ab 2020 die einschneidende Erkenntnis in allen Teilen der beteiligten Gesellschaften, dass die weltweiten ökologischen, politischen und sozialen Herausforderungen und Konflikte sich mit militärischen Mitteln nicht nachhaltig lösen ließen. Es setzte sich endlich durch, dass wir die Achtung von Mensch und Natur ins Zentrum allen Tuns stellen. Die aktive Gewaltfreiheit begann sich immer stärker durchzusetzen, auch in der Schule.

Gestärkt u.a. durch das 1978 von Ulli Thiel geschaffene Motto „Frieden schaffen ohne Waffen.“

Damit einher gingen unter anderem die endgültige Abschaltung aller Atomkraftwerke in Deutschland Anfang der 20er Jahre, der endgültige Verzicht auf fossile Energieträger zur Energiegewinnung 2030, eine 100% erneuerbare Energieversorgung bis 2035, eine massive Kehrtwende der Landwirtschaft hin zu mehr Regionalität und Biolandbau sowie eine Verkehrswende, die immer mehr auf lange, umweltfeindliche Transportwege verzichtet. Die Bildungskampagne „Sicherheit neu denken“ mit vielen Organisationen der Zivilgesellschaft konnte immer mehr Menschen in Deutschland davon überzeugen, dass wir einen Umstieg von militärischer zu ziviler Sicherheitspolitik in jeder Form benötigen würden.

Aus wenigen Aktiven und etlichen Sensibilisierten in der Friedensbewegung wurde eine starke gemeinsame Bewegung für notwendige Veränderungen auf allen Ebenen, zusammen mit der Klimaschutz- und Ökologiebewegung, den vielen Engagierten im Bereich der Demokratie, der Einen Welt, den Gewerkschaften und Kirchen. National wie international. Für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung.

Für die Priorisierung und damit auch finanziellen Stärkung der Gesundheits- Sozial- und Umweltprogramme sowie dem Ausbau nachhaltiger, digitaler Bildung. Bei gleichzeitiger Reduzierung der Militärausgaben.

Endlich wurden die Zusammenhänge von Klima und Krieg fundamental und dauerhaft miteinander verwoben. Die Erkenntnis setzte sich durch, dass Europas Aufgabe und Chance es sei, die Struktur und Kultur ziviler, gemeinsamer Sicherheitspolitik in die globalen Beziehungen zu tragen.

Die notwendigen Schritte und Etappen auf dem Weg zu einer Gesellschaft, die auf Gewaltprävention und Kooperation setzt, wurden klar skizziert:

  • 1. Entwicklung einer starken Demokratie, die Krisen zivilisiert bewältigt,
  • 2. ökologisch, sozial und wirtschaftlich gerechte Außenbeziehungen,
  • 3. Förderung nachhaltiger Entwicklung der EU-Anrainerstaaten,
  • 4. Investitionen in eine starke UNO und OSZE-Präsenz statt in die Bundeswehr,
  • 5. Konversion von Bundeswehr und Rüstungsindustrie.

Im März 2020 forderte der UN Generalsekretär Gutierrez angesichts des Virus einen weltweiten Waffenstillstand.

Im April 2020 schrieb der ehemalige sowjetische Präsident Gorbatschow eindrucksvoll:

"Was wir jetzt dringend brauchen, ist ein Umdenken des gesamten Sicherheitskonzepts. ... Das übergeordnete Ziel muss die menschliche Sicherheit sein: Bereitstellung von Nahrungsmitteln, Wasser und einer sauberen Umwelt sowie Pflege der Gesundheit der Menschen. Um dies zu erreichen, müssen wir Strategien entwickeln, Vorbereitungen treffen, Reserven planen und schaffen. Aber alle Bemühungen werden scheitern, wenn die Regierungen weiterhin Geld verschwenden, indem sie das Wettrüsten befeuern. Ich werde nie müde zu wiederholen: Wir müssen die Weltpolitik, die internationale Politik und das politische Denken entmilitarisieren.“

Entwicklungen in der Menschheit brauchen ihre Zeit. Es braucht Geduld, Zuversicht, Hoffnung, den unbedingten Glauben und Willen zur Veränderung, Leidenschaft, die ansteckt, und einen langen Atem.

Gemeinsam hat die weltweite Zivilgesellschaft bereits so viel erreicht, trotz aller Rückschläge.

Lasst uns den Fokus auf uns und unsere Kraft, die Ermutigungen und den Glauben richten, was wir mit selbstbewusster Gewaltfreiheit und Vernunft alles erreichen können. Lasst uns an das scheinbare Unmögliche glauben, wie ich es aus Sicht des Jahres 2045 beschrieben habe. Lasst uns bereit stehen, als Mensch und Gemeinschaft dieses scheinbar Unmögliche vorzubereiten und zu leben. Eine Welt ohne Atomwaffen, eine Welt ohne Rüstung und Krieg, eine Welt ohne Ausbeutung von Mensch und Natur ist möglich. Sorgen wir dafür, dass mit der Umschichtung der Gelder weg vom Militär die soziale Schiefläge beseitigt und der Klimakollaps verhindert wird. Gehen wir dafür am 5. September bei der Menschenkette am Atomwaffenlager Büchel und am 24. September beim Klimastreik auf die Straße. Tragen wir jeden Tag aufs Neue dazu bei, dass humanitäre Hilfe Menschen in Not, in Kriegen und gewalttätigen Konflikten erreicht. Stellen wir die Weichen für Abrüstung und Entspannung bei der Bundestagswahl am 26. September!

Danke.

 

Roland Blach ist Geschäftsführer der DFG-VK Baden-Württemberg.