Redebeitrag für die Antikriegstagsveranstaltung am 1. September 2022 in Berlin

 

- Es gilt das gesprochene Wort! -

 

Liebe Friedensfreundinnen, liebe Friedensfreunde,

seit 1993 hat das Bundesverteidigungsministerium hier neben der Hardthöhe in Bonn seinen zweiten Dienstsitz. Hier verrichten 2.500 Soldatinnen und Soldaten ihren Dienst.

Einen geschichtsträchtigeren Ort für die verheerende deutsche Militärgeschichte als hier finden wir in Deutschland kaum. Hier im Bendlerblock hatte Großadmiral Tirpitz vor und während des ersten Weltkriegs seinen Sitz. Ohne seine Anstrengungen, die Kaiserliche Marine zu einem Angriffskrieg aufzurüsten, gäbe es keinen Ersten Weltkrieg. Und hier saß während des Zweiten Weltkriegs die oberste Heeresleistung. Ohne sie wäre der Zweite Weltkrieg undenkbar. Hier wurden deutsche Weltmachtträume auf Kosten von 10 Millionen beziehungsweise 70 Millionen getöteten Menschen geplant und von hier aus kommandiert. In beiden Weltkriegen war Russland beziehungsweise die Sowjetunion der Gegner. Und heute?

Wieder Weltmachtträume?

Es gibt Indizien dafür, das anzunehmen. Kanzler Scholz und die Ampel-Koalition haben ihr Füllhorn über die Bundeswehr ausgeschüttet. 100 Milliarden Euro für neue Waffen, im Grundgesetz verankert, sollen dazu dienen, gigantische Rüstungsvorhaben über viele Jahre abzusichern und dazu beitragen, dass dauerhaft zwei Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung ins Militär fließt. Das bedeutet einen gewaltigen Anstieg der Ausgaben. Konkret: in den Jahren seit 2014 war der Anstieg pro Jahr im Durchschnitt 7,5 Prozent, von jetzt auf 2023 wird der Anstieg doppelt so hoch sein: 15 Prozent. Und in realen Zahlen: In diesem Jahr sind es 55,6 Milliarden, im nächsten 64 Milliarden Euro. Damit sind die zwei Prozent noch nicht erreicht, sondern erst 1,6 Prozent. Die Zwei Prozent sollen im Durchschnitt von fünf Jahren erreicht werden. Da man in diesem Jahr und im nächsten unter den zwei Prozent bleibt, muss man in den Jahren ab danach mehr als zwei Prozent ausgeben. Das bedeutet, dass von 2023 auf 2024 mit einem Plus von 50 Prozent zu rechnen ist. Meine Prognose: Die deutschen Militärausgaben explodieren und durchbrechen die 100 Milliarden Euro-Grenze in zwei oder drei Jahren.

Diese Ausgabenhöhe würde sich entsprechend des Bruttoinlandsprodukts bis 2030 und weit darüber hinaus fortsetzen.

Finanziert werden sollen damit gewaltige Rüstungsprojekte, die schon seit Jahren aufgelegt sind, für die es bisher nur keine Finanzierung gab. Als Argument gilt der Ukraine-Krieg, aber dafür sind die Projekte gar nicht gedacht.

Mit dieser Ausgabenhöhe wird ein langfristiger Plan verfolgt, die Bundeswehr zur größten konventionellen Militärmacht in Europa zu machen. Die Verdopplung ihrer konventionellen Schlagkraft soll nicht erst in 10 Jahren erreicht werden, sondern schon in fünf Jahren.

Dazu kommen noch 35 Tarnkappenbomber F-35 für die Nukleare Teilhabe der NATO, die in den USA gekauft werden, deren US-Wasserstoffbomben speziell gegen verbunkerte Ziele in Russland eingesetzt werden können, sowie 15 Eurofighter zur Ausschaltung der russischen Flugabwehr. Macht etwa 14 Milliarden Euro.

Die für Deutschland kostspieligsten Projekte aber sind FCAS und MGCS. FCAS ist das Luftkampfsystem der Zukunft mit Kampfdrohnen wie den Eurodrohnen und Drohnenschwärmen, wobei Künstliche Intelligenz im Zentrum steht. Ein Riesengeschäft für Airbus, die das gemeinsam mit Dassault bis 2040 entwickeln sollen.

FCAS übertrifft an Gigantomanie alles. Mit 100 Milliarden Euro Entwicklungskosten und einem Umsatz von 500 Milliarden Euro wird es fünfmal gigantischer als das bisher größte europäische Projekt Eurofighter. Mit FCAS soll die EU unabhängig von den USA eine strategische Autonomie erringen. Ziel ist es, eine globale Luftüberlegenheit zu schaffen. Scholz verfolgt FCAS ebenso mit höchster Priorität, das hat er in seiner Zeitenwende-Rede gesagt, wie das ebenfalls deutsch-französische Panzerprojekt MGCS. Hier will man unter deutscher Führung eine neue Generation von Kampfpanzern bis 2035 entwickeln, mit dem dank des Einsatzes von Hochgeschwindigkeitswaffen und Robotik jede Panzerschlacht gewonnen werden soll.

Wieder Weltmachtträume? Man hält es kaum für möglich, aber die Welt sollte aufhorchen. In letzter Zeit wurden vor allem führende Stimmen aus der SPD lauter, die von der EU eine „geopolitische Bedeutung“ einfordern, wie der SPD-Vorsitzende Klingbeil, aber auch Scholz forderte, die Reihen zum Aufbau einer europäischen Verteidigung bei technologischer Souveränität zu schließen.

Zitat Klingbeil: „Deutschland muss den Anspruch einer Führungsmacht haben.“ Die SPD-geführte Bundesregierung formuliert nichts weniger als den Anspruch, die EU mit Deutschland an der Spitze zu einer militärischen Weltmacht ausbauen zu wollen. Leider hat’s bisher kaum jemand gemerkt. Sorgen wir mit dafür, dass diese Machenschaften bekannt werden. Nur so kann man sie noch verhindern.

 

Lühr Henken, ist Ko-Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag (www.friedensratschlag.de), Herausgeber der Kasseler Schriften zur Friedenspolitik (https://jenior.de/produkt-kategorie/kasseler-schriften-zur-friedenspolitik/ ) und arbeitet mit in der Berliner Friedenskoordination (http://www.frikoberlin.de)