Redebeitrag für die Antikriegstagsveranstaltung am 1. September 2023 in Flensburg

 

- Es gilt das gesprochene Wort! -
- Sperrfrist: 1.9.2023, Redebeginn: 17 Uhr -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,
Krieg, dieses unendliche Übel der Menschheit, wurde von unserer Außenministerin vor nicht allzu langer Zeit als unser Zustand gegenüber Russland verkündet. Und die Medien landauf, landab fragten sich, ob sie damit nun Russland den Krieg erklärt habe oder aber ihr einfach nur eine der üblichen Realitätsentgleisungen widerfahren sei. Die erschreckende Antwort lautet aber: Beides ist nicht der Fall, denn diese Äußerung Baerbocks war schlicht ein kurzer, ehrlicher Moment des offenen Einblicks in das Denken und die Sichtweise unserer führenden Politiker: Der Krieg muss gar nicht mehr erklärt werden, denn wir befinden uns in diesem schon seit Jahren.

Während normale Menschen, Krieg aber mit Panzern, Raketen und Toten verbinden, findet aus Sicht der NATO und unserer Politiker der Krieg heutzutage mit Informationen und Medien statt. Am 21. Juni 2021 trafen sich NATO-Generäle und Wissenschaftler, um ein erstes Symposium zur kognitiven Kriegsführung (Cognitive Warfare) abzuhalten. General Autellet stellt bei diesem fest: „Einflussnahme, Soft- und Smart-Power, Desinformation und
Destabilisierung werden zu wesentlichen Bestandteilen der Eroberungs- und Beherrschungsstrategien zwischen Ländern, Organisationen und nichtstaatlichen Akteuren in den internationalen Beziehungen: Eine absichtliche Verwischung von Bezugspunkten und Grenzen, die sich nicht um die Realität schert, setzt sich durch.

Die Beeinflussung und Manipulation der öffentlichen Meinung ist ein vollwertiges Mittel der Mächte, die unsere Demokratien destabilisieren wollen. Der gegenwärtige Kontext der Destabilisierung ist der der "Postwahrheit", der
Infragestellung des Wissens, der Institutionen und der Regierungen, des Wissens und des wissenschaftlichen Ansatzes, bei dem die Fakten weniger zählen als die Emotionen und die Lügen derer, die sie äußern. Diese Mächte (ob staatlich oder nicht) stützen sich auf Technologien, die ihnen mächtige Verbreitungs- und Eindringungsmechanismen an die Hand geben, mit denen sie jeden Einzelnen ins Visier nehmen können, und die ihnen gleichzeitig die Möglichkeit geben, die öffentliche Meinung in großem Umfang und ohne deren Wissen zu beeinflussen und zu manipulieren. ‚Fake News‘, Gerüchte, Mystifikationen und Verschwörungen sind sehr konkrete Beispiele, deren Verbreitung durch soziale Netzwerke vervielfacht wird.“

Das ist nun leider nicht einfach nur die krude Sichtweise eines einzelnen französischen Generals, sondern eben genau die Sicht, die führende Politiker und Militärs in ganz Europa eingenommen haben. Natürlich nutzen alle
Regierungen und Superschurken der Welt die Möglichkeiten des Internets und der Sozialen Medien, um die öffentliche Meinung im eigenen Land und in anderen Ländern von Interesse zu manipulieren. Und wir selbst eröffnen mit der Masse an Daten, die wir im Netz hinterlassen, erst diese Möglichkeiten der Perfektion und Präzision, von denen Propagandisten früherer Jahrzehnte nur träumen konnten. Die Alliierten mussten noch Flugblätter aus Flugzeugen werfen, die Nationalsozialisten erstmal Radios in die Häuser bringen.

Aber das In-Frage-Stellen einer Regierung als Kriegsakt, den Kampf um öffentliche Meinungen als Kriegszustand anzusehen, und diesen zunehmend aus einer militaristischen Sicht anzugehen, ist eine gefährliche Entwicklung mit fatalen Folgen. Denn mit der Grundannahme, dass wir uns im kognitiven Krieg mit Russland, China, Nordkorea und anderen befänden, wird der Krieg zur neuen Normalität, zum Dauerzustand. Im Krieg aber gelten andere Regeln und Gesetze als zu Friedenszeiten. Im Krieg ist Gehorsamkeit gefragt, nicht Diskursfreude. Im Krieg sind Grundrechte abgewertet, staatliche Kontrolle hingegen verstärkt.

Im Krieg ist das eigene Volk vor den feindlichen Angriffen zu schützen, was nun bedeutet, dass der Staat den Bürger vor feindlichen Informationen schützen muss. Damit aber erhebt sich die Regierung zur finalen und höchsten, nichtkritisierbaren Instanz der – in Anführungszeichen – Wahrheit. Sie entscheidet, welche Informationen ungefährlich und zulässig sind und welche nicht. Gegen die Verbreiter von aus ihrer Sicht gefährlichen und unzulässigen Informationen darf, ja muss sie entsprechend rigoros vorgehen. Und damit ist die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu Grabe getragen, denn – wie es immer heißt: Die Wahrheit stirbt im Krieg zuerst.

Liberale Demokratien sehen das Volk als Souverän an, welches sich aus mündigen Bürgern bildet. Eben diese Mündigkeit legt die Verantwortung in die Hände des Einzelnen. Es ist der Bürger, der sich frei und offen  Informationen beschafft, diese prüft, diskutiert und so Meinungen und Positionen bildet, die dann die Grundlage der gesellschaftlichen Ordnung und der politischen Willensbildung werden. Genau das aber wird dem Bürger mit der kognitiven Kriegsperspektive abgesprochen. Er wird zum unbewusst manipulierbaren Objekt degradiert, das es niemals besser wissen kann, als weise Regierende und Generäle.

Also ja, wir befinden uns im Krieg. Nur befinden wir uns nicht im Krieg mit Russland oder so. Wir befinden uns im Krieg mit Politikern und Militärs, die wieder einmal nur dem Totalitarismus frönen und in unserer eigenen  Regierung sitzen. Die unser Geld lieber in Überwachungsapparate und eigene Manipulationskampagnen stecken als in die Bildung und damit den wahren Schutz, nämlich die Mündigkeit der Bürger. Anstatt den Diskurs zu ermöglichen und seine Kraft gegenüber FakeNews zu nutzen, diktieren sie, was richtig ist und was falsch. Und wir sollten uns nichts vormachen: Auch der kognitive Krieg kostet Menschenleben, die den Totalitarismusfreunden in unserer Regierung egal sind. Das haben die vergangenen Jahre deutlich gezeigt. Und es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis der kognitive Krieg auch hier zu einem physischen Krieg wird. Denn kriegerisches Denken kann nur zu Krieg führen. Es kennt nur die Eskalation.

Um so wichtiger ist es, dass wir, als wirklich Friedensbewegte, hier sind, präsent sind und uns nicht beugen. Denn auf den Frieden sollten wir uns konzentrieren, nicht auf den Krieg. Und dieser Frieden wächst mit jedem
kritischen Gedanken, jedem Einzelnen, der seine Mündigkeit nutzt und für sich beansprucht. Er wird größer mit jedem Diskurs, der an die Stelle von Gleichschaltung und Einheitsmeinung tritt. Er gedeiht dort, wo wir offen in
unseren Herzen sind und Menschen mit anderen Meinungen akzeptieren anstatt Feindbilder zu sehen. Er hat dort seinen Platz, wo Menschenleben noch mehr Wert sind als politische Posten und Panzer. Und in diesem Sinne wünsche ich uns allen Friedensbewegten Kraft, Mut und offene Herzen. Wir werden nicht weichen, denn Frieden ist das einzige, was wirklich alternativlos ist.

Vielen Danke.

 

Christian Dewanger ist ehem. Flensburger Stadtpräsident.