Eine Woche vor Ostern rufen wir mit unserem Aufruf "Kriege stoppen - Frieden und Abrüstung jetzt!" in mehreren Zeitungen zur Teilnahme an den Ostermärschen 2025 auf. Hilf auch du mit bei der Mobiliserung!
Redebeitrag für die Antikriegstagsveranstaltung am 1. September 2023 in Flensburg
- Es gilt das gesprochene Wort! -
- Sperrfrist: 1.9.2023, Redebeginn: 17 Uhr -
Gewaltfreiheit: wirksam und erfolgreich
Liebe Freundinnen und Freunde,
Sie erweisen sich empirisch sogar als die deutlich wirkungsvolleren!
Aber wer immer für Gewaltfreiheit eintritt, sieht sich oft der mutlos oder herausfordernd gestellten Frage gegenüber, wie denn in eskalierten Konflikten noch gewaltfrei gehandelt werden kann. Kann angesichts kriegerischer Gewalt wie z.B. durch den Angriffskrieg der russischen Armee in der Ukraine nur militärische Verteidigung und Unterstützung durch Waffenlieferungen helfen?
Ist die Forderung nach gewaltfreier Konfliktlösung nur moralisch, unrealistisch und unpolitisch?
Die Fragestellung ist erstens, ob gewaltfreie Methoden, von den Betroffenen selbst angewandt, in Großkonflikten eine Chance haben, und zweitens, ob und wenn ja, wie es möglich ist von außen „zur Rettung Fremder“ etwas zu bewirken. Wir sind bei der genannten Fragestellung nicht mehr auf Spekulationen und Glaubenssätze angewiesen, sondern es wurde wissenschaftlich untersucht und statistisch belegt.
Erfolge gewaltfreier und gewalttätiger Kämpfe
Erica Chenoweth hat die Ergebnisse ihrer Forschungen zur Wirkung des gewaltfreien Widerstands in ihrem Buch „Civil Resistance What everyone needs to know“ (Oxford University Press) veröffentlicht. Sie hat gewaltförmige und gewaltfreie Aufstände, die sich gegen Regierungen richteten, eine Besatzung beenden oder eine Sezession erreichen wollten, verglichen und ausgewertet. Untersucht wurden alle Aufstände, an denen sich mindestens 1.000 Menschen beteiligt haben, das waren zwischen 1900 und 2020 mehrere hundert. Die Autorin befasst sich nicht mit den prinzipiellen normativen Fragen von Gewaltfreiheit, sondern beurteilt Gewaltfreiheit und bewaffnete Widerstandsformen auf empirischer Grundlage allein im Hinblick auf die Erfolgsaussichten. Es wird kein Unterschied gemacht, ob eine Bewegung progressive Ziele verfolgte oder konterrevolutionär war. Diesbezüglich ist diese Statistik völlig neutral. Aber da sie ihre Methodik offenlegt, ist leicht nachzurechnen: Wenn man nur die sozialistischen Revolutionen, antifaschistischen Widerstandsbewegungen und antikoloniale Befreiungsbewegungen auszählt, fällt der Unterschied in der Erfolgsrate zugunsten der Gewaltfreiheit sogar noch deutlicher aus. Gewaltfreier Widerstand ist auch für unmoralische, konterrevolutionäre Ziele einsetzbar, so die Bewegungen gegen die sozialistischen Regierungen in Bolivien und Venezuela und die Monarchisten in Thailand. Chenoweth geht äußerst konservativ vor, was die Bestimmung von Erfolg angeht. Das Ergebnis ist für Gewaltbefürworter unerwartet!
Gewaltlose Bewegungen waren mit doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreich wie solche, die zur Gewalt griffen. Dieser Trend verstärkte sich in den letzten 50 Jahren. Gewaltfreie Bewegungen nahmen zu und wurden erfolgreicher während solche, die Gewalt anwendeten, seltener und weniger erfolgreich wurden.
Ursache für den Erfolg ist die Gewaltlosigkeit.
Der Erfolg gewaltfreier Bewegungen hängt nicht vom Bildungsstand der Bevölkerung ab,, auch nicht, ob sie ethnisch homogen oder zerstritten ist oder ob der Gegner brutal ist.
Chenoweth stellt klar, die britische Kolonialherrschaft in Indien führte Massenmorde durch, ebenso wie die Hitlerfaschisten. Die antikoloniale Befreiungsbewegung mit Gandhi blieb dennoch überwiegend gewaltfrei. Gewaltfreier Widerstand war auch dann erfolgreich, wenn er sich direkt gegen den Hitlerfaschismus richtete. Chenoweth hatte dazu die dänische antifaschistische Widerstandsbewegung ausgewertet, und die Proteste der Frauen in der Rosentraße in Berlin, bei denen die Nazis nachgeben mußten. Beispielhaft ist Liberia, wo ein unvorstellbar brutaler Bürgerkrieg von den Frauen in Weiß beendet wurde, die über die sonst üblichen Spaltungen hinweg (u.a. muslimisch-christlich) furchtlos für den Frieden eintraten. Demgegenüber sinkt die Erfolgsrate signifikant, wenn eine gewaltfreie Bewegung gewalttätige Unterstützer akzeptiert. Militante Gewalttäter werden nicht etwa gewaltfreie Demonstrationen vor Angriffen von Militär oder Polizei schützen können, sondern bewirken das genaue Gegenteil, nämlich,dass es noch viel mehr Tote und Verletzte gibt. Folglich sollten gewaltfreie Bewegungen sich besser von ihren gewalttätigen Rändern trennen, ihnen die Alternative anbieten, sich auf gewaltfreie Methoden zu beschränken oder die Bewegung zu verlassen.
Wie ist der Erfolg der Gewaltfreiheit zu erklären?
Für den Erfolg von Bewegungen – gewaltfreien sowie gewaltförmigen – gibt es eine ausschlaggebende Variable: die Anzahl der Beteiligten. Je mehr Menschen sich an einer gewaltfreien Aktion beteiligen, desto größer ist ihre Aussicht auf Erfolg. Vergleicht man nun gewaltförmige und gewaltfreie Bewegungen, so wird deutlich, dass Gewaltlosigkeit bei der Mobilisierung entscheidende Vorteile hat: Es gibt wesentlich mehr Formen der Beteiligung und das persönliche Risiko sowie die Anforderungen an das Individuum sind geringer und können besser dosiert werden. Dank des vielfältigen Mitmachangebots gelingt es gewaltlosen Bewegungen nicht nur leichter, viele Menschen zu mobilisieren, sondern sie sind auch besser geeignet, eine breite Beteiligung über gesellschaftliche Schichten hinweg zu erreichen. Zudem ist es eher möglich, Sympathien regimenaher Personen zu gewinnen und interne Regimedifferenzen auszunutzen und zu verstärken.
Für jede Bewegung ist es ein zentraler Erfolgsfaktor, Mitglieder des Regimes – vor allem der Sicherheitsdienste und der Armee – dazu zu motivieren, nicht auf Zivilisten zu schießen oder sogar die Seiten zu wechseln. Auch hier haben gewaltfreie Bewegungen einen deutlichen Vorteil. Dieser ist dann am größten, wenn Mitglieder des Gewaltapparats nicht angegriffen oder beleidigt, sondern zur Beteiligung eingeladen werden. Es geht also eher um eine Erosion der Machtbasis eines Regimes als um ein Bezwingen durch Gewalt. Die Sozialwissenschaft geht davon aus, dass es keinem Regime möglich ist an der Macht zu bleiben, wenn etwa 3,5 Prozent der Bevölkerung sich aktiv am Widerstand beteiligen. Oft sind Bewegungen auch bei einer geringeren Beteiligung erfolgreich, aber ab 3,5 Prozent aktiver Beteiligung ist der Erfolg gewissermaßen unausweichlich.
Interessanterweise zeigen die Wissenschaftlerinnen, dass die Erfolgsaussichten gewaltfreier Bewegungen weder durch Unterstützung von außen noch durch Sanktionen oder brutales Vorgehen des Regimes entscheidend beeinflusst werden. Vielmehr sind bei gewaltfreien Bewegungen die internen Mechanismen die entscheidenden Determinanten. Das ist auch insofern bemerkenswert als es bei militärisch bewaffneten Bewegungen anders ist: hier ist die Unterstützung durch einen externen staatlichen Sponsor der ausschlaggebende Faktor.
Gewaltfreie Bewegungen haben nicht nur größere Erfolgsaussichten, sondern auch weniger Opfer und geringeren materiellen Schaden. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich demokratische Strukturen stabilisieren und zukünftige Konflikte ebenfalls gewaltfrei ausgetragen werden, ist deutlich höher als wenn eine militärisch bewaffnete Bewegung Erfolg hatte. Das ist sowohl nach einem Jahr als auch nach fünf Jahren festgestellt worden.
Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die Erfolgswahrscheinlichkeit des Widerstands mit gewaltfreien Mitteln selbst dann immer höher ist, wenn es um umfassende Ziele wie Regimewechsel oder Befreiung von einer Besatzungsmacht geht.
Gewalt letztes Mittel zur Beendigung eines Konflikts?
In der Diskussion über die Notwendigkeit des Gewalteinsatzes ist die Gewaltfreiheit in der Regel in der Defensive. Die unterstellte Wirksamkeit militärischer Gewalt als Ultima Ratio wird als wahr vorausgesetzt. Wie die Feuerwehr gegen Feuer eingesetzt wird, so soll notfalls mit Gewalt der Gewalt Einhalt geboten werden. Doch während die Feuerwehr tatsächlich gut ausgerüstet ist, Feuer zu löschen – mit Wasser, CO2 oder Schaum, nicht mit Benzin oder Öl – und die Erlösung aus den Ohnmachtsgefühlen real ist, stellt sich die Frage, ob Ähnliches auch für militärische Gewalt zum Beenden von Gewalt gilt; ob Gewalt tatsächlich das letzte Mittel ist, für das sie gehalten wird und was sie überhaupt zur Rettung von Menschen vor Gewalt leisten kann.
Voraussetzung um Erfolg gewalttätiger Revolutionen ist, daß diese sich auf eine viel größere gewaltfreie Massenbewegung stützen konnten. Am Beispiel des irischen Unabhängigkeitskrieges (1919-1922) gegen die britische Besatzung zeigt Erica Chenoweth auf, dass die Bevölkerung schon seit 1870 gewaltfrei eine Selbstorganisation mit Parallelstrukturen aufgebaut hatte, ohne die der Krieg kaum erfolgreich gewesen wäre. John Reeds Buch über die russische Oktoberrevolution „Zehn Tage,die die Welt erschütterten“ enthält wenig über revolutionären Schußwaffengebrauch aber sehr viel von gewaltfreien offenen politischen Diskussionen in den Sowjets. Lenin nannte das bereits im April 1917 „Doppelherrschaft“, dass „neben der Regierung der Bourgeoisie, sich eine zwar noch schwache, erst in der Keimform vorhandene, aber dennoch unzweifelhaft existierende und erstarkende zweite Regierung herausgebildet hat: die Räte der Arbeiter- und Soldatendeputierten,“ und Millionen russischer Arbeiter und Bauern hatten sich schon lange vor der Oktoberrevolution in Konsum- und Produktionsgenossenschaften organisiert. Erfolgreiche gewalttätige Strukturen profitierten von den vorherigen gewaltfreien Aktionen. Es gab erfolgreiche gewalttätige Bewegungen, aber wenn gewaltfreie Strukturen etabliert sind, sind Gewaltaktionen für den kurzfristigen Erfolg nicht nötig und für den langfristigen Erfolg eher hinderlich.
Militärische Gewalt als ultima ratio ist ein Mythos
Es gibt keine wissenschaftliche Erkenntnis darüber, dass militärische Gewalt zur Rettung Unschuldiger erfolgreich war. Wenn es stimmt, dass die Gewaltoption uns von Ohnmachtsgefühlen entlasten soll, dann ist eine chronische Überschätzung ihres Potentials wahrscheinlich. so z. B. Peter Rudolf von der Stiftung Wissenschaft und Politik in der Zeitschrift Internationale Politik und Gesellschaft Thorsten Gromes und Matthias Dembinski von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung haben 2013 eine „Bestandsaufnahme der Humanitären militärischen Interventionen zwischen 1947 und 2005“ vorgelegt. „Lassen sich durch militärische Einsätze tatsächlich Fremde schützen?“ Sie stellen fest, dass jeder dritte Krieg oder Genozid innerhalb eines halben Jahres nach Beginn einer solchen Intervention endete (10 von 30). Die Vergleichsgruppen gewalthaltiger Konflikte
der Political Instability Task Force zeigen, dass auch ohne militärische Intervention jede dritte Gewaltlage in einem ähnlichen Zeitraum endete, bei der Untersuchung des Uppsala Conflict Data Program sogar jede zweite. In 10 Fällen mit „humanitären“ militärischen Interventionen, die über ein halbes Jahr dauerten, wurden viermal die Zahl der Toten reduziert, dreimal ist sie in etwa gleich (+/-10%) geblieben und dreimal hat sie sich deutlich erhöht, in Sierra Leone sogar verdreifacht. Für die mittelfristige Entwicklung der Gewaltlage ergaben sich deutliche Unterschiede: Fälle mit 30% Rückfall in die Gewalt nach „humanitären“ militärischen Interventionen. Ohne militärische
Interventionen lag der Rückfall in Gewalt bei 22%. Bei den „humanitären“ militärischen Interventionen ist also die Erfolgsaussicht von Gewaltanwendung gering. In Fällen anderer militärischer Interventionen zeigen die Erfahrungen der letzten Jahre eine noch schlechtere Bilanz. So schwer aushaltbar Ohnmacht angesichts von Gewalt und größter Not ist: Nichts spricht dafür, dass Gewalt das letzte Mittel ist, für das sie selbstverständlich gehalten wird. Vielmehr befreit sie die, die sie ausüben von Ohnmachtsgefühlen, indem sie Komplexität reduziert und sich selbst und anderen Handlungsfähigkeit demonstriert. Diese Motive spielen wahrscheinlich bei allen Konfliktparteien eine Rolle – aber sie beschreiben einen Mythos! Wenn es aber so ist, dass der Erfolg eines Aufstands von der internen Gewaltlosigkeit abhängt und nicht von externer Unterstützung, und dass eine militärische
Intervention nichts hilft – was soll man dann als Außenstehender tun? Einfach zugucken? Selbst das ist besser als Krieg führen oder durch Waffenlieferungen anfeuern.
Die Alternative ist gewaltfrei und zivil
- 1. Abbau von Feindbildern und sich nicht einzulassen auf ein vereinfachendes und alles verschlimmernde Gut-Böse-Schema, das uns immer so schnell vom Militär angedient wird. Wir müssen immer alle Konfliktbeteiligten und deren Interessen sehen.
- 2. Die eigene Beteiligung an der Gewalt abstellen: also z.B. keine Waffen und keine Soldaten liefern. Eigene Verwicklungen in die Entwicklung des Konfliktes wahrnehmen und ändern.
- 3. Flüchtende unterstützen und aufnehmen, Aufruf zur Kriegsdienstverweigerung und Desertion, Kriegsdienstverweigerer und Deserteure unterstützen und ihnen Fluchtwege und ein sicheres und dauerhaftes Bleiberecht bieten.
- 4. Beteiligung an Protest, Widerstand und gewaltfreie Aktion gegen Aufrüstung und Krieg, z. B. am Drohnen- und Tornadostandort Jagel oder vor Rheinmetall-Defence, bei den Mahnwachen gegen die Waffenlieferungen in den Ulrainekrieg.
- 5. Allgemeine und vollständige Abrüstung hier beginnen: Bundeswehr abschaffen!
Vielen Dank.
Dr. Ralf Cüppers ist aktiv bei der DFG-VK Flensburg.