Eine Woche vor Ostern rufen wir mit unserem Aufruf "Kriege stoppen - Frieden und Abrüstung jetzt!" in mehreren Zeitungen zur Teilnahme an den Ostermärschen 2025 auf. Hilf auch du mit bei der Mobiliserung!
Redebeitrag für die Antikriegstagsveranstaltung am 1. September 2023 in Salzgitter
- Es gilt das gesprochene Wort! -
- Sperrfrist: 1.9.2023, Redebeginn: 17 Uhr -
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Genossinnen und Genossen,
sehr geehrte Gäste und Unterstützende unserer Kundgebung,
dank für Eure Teilnahme, Dank für die Einladung der IGM Salzgitter und des DGB, die mir zum wiederholten Mal ermöglichen hier zu sprechen und vielleicht durch meine Worte, mögen sie auch einseitig erscheinen, zur Vielseitigkeit unseres gemeinsamen Anliegens beizutragen:
Gegen Aufrüstung und für Frieden!
Dank in diesem Sinn vor allem der IGM-Jugend, die entscheidend zum Programm der heutigen Veranstaltung beigetragen hat. Ich halte diesen Hinweis für unumgänglich, weil ohne die Einsichten und den Widerstand der uns Nachkommenden die derzeitige politische Entwicklung zu einer weltweiten Katastrophe führen kann.
Franz Josef Degenhardt, 25. März 1999:
Der Krieg hat begonnen,
Deutschland macht mit
Eigentlich unglaublich,
dass ihnen das immer wieder gelingt ...
Deinem Urgroßvater haben sie erzählt:
Gegen den Erbfeind.
Für das Vaterland.
Und er hat das tatsächlich geglaubt.
Was hat er gekriegt?
Granatsplitter in Beine und Kopp
vor Verdun.
Deinem Großvater sagten sie:
Gegen die slawischen Horden.
Für die abendländische Kultur.
Er hat das wirklich geglaubt.
Was hat er gekriegt?
Bauchschuss und einen verrückten Kopp
vor Stalingrad.
Deinem Vater erzählen sie jetzt:
Gegen die Völkermörder.
Für die Menschenrechte.
Für den Frieden.
Unglaublich - er glaubt's.
Was er wohl kriegt?
Und wo wird das sein - diesmal?
Degenhardts Lied, geschrieben am 25.03.1999, einen Tag nach Beginn des NATO-Angriff auf Jugoslawien, dem ein 70tägiges Bombardements folgte, begleitete uns, als wir wenige Wochen später mit einer Gewerkschaftsgruppe ins bombardierte Land fuhren – aus Protest gegen den von der US-Regierung begonnenen völkerrechtswidrigen Krieg, der durch die Beteiligung der ausschließlich zu Verteidigungszwecken bestimmten Bundeswehr zugleich zum ersten Angriffskrieg Deutschlands seit dem 1. September 1939, dem Beginn des 2. Weltkriegs wurde.
Heute befinden wir uns an der Schwelle zum 3. Weltkrieg. Vergeblich haben wir 1999 darauf hingewiesen, dass der Jugoslawien-Krieg im Zusammenhang mit dem Vorrücken der NATO an die russischen Grenzen Voraussetzung für die Einkreisung Russlands und Beginn eines Krieges der NATO gegen Russlands sei. Dieser Krieg hat begonnen – noch beschränkt auf die Ukraine. Noch…
Christa Wolf: „Wann Krieg beginnt, das kann man wissen, aber wann beginnt der Vorkrieg. Falls es da Regeln gibt, müsste man sie weitersagen. In Ton, in Stein eingraben, überliefern. Was stünde da? Da stünde, unter anderen Sätzen: Lasst euch nicht von den Eigenen täuschen.“
Werden wir von den Eigenen getäuscht? Wir wurden und werden getäuscht. Eine Propagandawelle, unvergleichbar in der bisherigen Geschichte der BRD, beschränkt sich bislang als Erklärung für den Ukraine-Krieg auf den zweifellos völkerrechtswidrigen Angriff der russischen Putin-Regierung.
Aber hat Putin denn Unrecht, wenn er auf den ebenfalls völkerrechtswidrigen Angriff der NATO auf Jugoslawien verweist?
Sogar in den wenigen kritischen Kommentaren bürgerlicher Medien wird an Machiavellis Hinweis aus der Zeit um 1500 erinnert: „Nicht wer zuerst nach den Waffen greift, ist Anstifter des Unheils, sondern wer die Ursache dafür geschaffen hat.“
Die vor einem Viertel-Jahrhundert begonnene Einkreisung Russlands ging und geht weiter: mit der fortgesetzten NATO-Ausdehnung und geplanten Verstärkung wie es heißt „militärischer Verteidigungskräfte“ der NATO an den Grenzen Russlands , dem Maidan-Putsch 2014 und der folgenden Auseinandersetzung um die Donbass-Region, dem Versuch die abgespaltene Krim wieder in die Ukraine zurück zu holen.
Auch die Erweiterung der Nato um Schweden und Finnland verdeutlicht, dass es sich nicht um einen lokalen Krieg zwischen Russland und der Ukraine handelt, sondern um einen geopolitischen Großmachtkonflikt – in dem die Regierung der USA die treibende Kraft ist.
Ein Kapitulationsfrieden kommt für Kiew ebenso wenig in Frage wie für Moskau ein völliger Rückzug aus dem Donbass und der Krim, die es als russisches Staatsgebiet betrachtet. Friedenslösungen, die auf Kompromissen und nicht auf Kapitulation beruhen, sind nur unterhalb der Maximalforderungen beider Seiten erreichbar.
Sollte sich der Krieg zwischen Russland und der Ukraine ausweiten über den bislang durch Sanktionen und Waffenlieferungen indirekt geführten Krieg der NATO-Staaten gegen Russland hinaus, würde Europa zum Kriegsschauplatz werden.
Der nach China ökonomisch größte Konkurrent der USA würde damit ausgeschaltet und Russland militärisch geschwächt – Vorbereitung zum seit langem geplanten Krieg gegen China: eine Möglichkeit, die in Washington geplant und inzwischen auch in Kreisen der deutschen Wirtschaftsführung besorgt mitgedacht werden dürfte. Wir sollten sie unbedingt in unsere Überlegungen einbeziehen.
Lassen wir uns nicht täuschen. Seit Jahrzenten verfolgen die USA ihr Ziel, Russland zu isolieren und als Machtfaktor in den internationalen Beziehungen auszuschalten, wie Zbigniew Brzezinski, bereits 1997 formulierte:
„schlicht und einfach, dass Westeuropa und zunehmend auch Mitteleuropa weitgehend ein amerikanisches Protektorat bleiben“.
Ende Oktober 2014 warnten Roman Herzog, Gerhard Schröder und mehr als 60 weitere Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien vor einem Krieg und riefen zum Dialog mit Russland auf:
„Wir, die Unterzeichner, appellieren an die Bundesregierung, ihrer Verantwortung für den Frieden in Europa gerecht zu werden. Wir brauchen eine neue Entspannungspolitik für Europa. Das geht nur auf der Grundlage gleicher Sicherheit für alle und mit gleichberechtigten Partnern. (…)
Das Sicherheitsbedürfnis der Russen ist so legitim und ausgeprägt wie das der Deutschen, der Polen, der Balten und der Ukrainer. Wir dürfen Russland nicht aus Europa hinausdrängen.“
Ein Jahr später schien sich ihr Anliegen zu bestätigen, als am 12. Februar 2015 das Minsker Friedensabkommen unterzeichnet wurde, auch von Angela Merkel, die zu Anfang dies Jahres erklärte, das sei nur geschehen, um der Ukraine Zeit zu verschaffen – Zeit für Vorbereitungen zu einem Krieg, der sich inzwischen zum Weltkrieg auszuweiten droht.
Zu unseren Einsichten sollte entsprechend gehören:
Keine Solidarität mit der ukrainischen Regierung Selensky, wohl aber Hilfe und Unterstützung der leidenden Bevölkerungen und uns sozial und gewerkschaftlich nahestehender Kolleginnen und Kollegen.
Entsprechend auch: Keine Unterstützung für den von Russland am 24. Februar begonnenen Krieg, dessen Ursachen wir versuchen zu nachzugehen und, soweit uns möglich, zu erklären bemühen, nicht zu rechtfertigen.
Wir bleiben Internationalisten auf Seiten der arbeitenden und leidenden Bevölkerungen – wo auch immer, auch hierzulande.
Bertolt Brecht: „Wenn wir zum Krieg rüsten, werden wir Krieg haben.“ Seine Warnung, der „moderne mechanisierte Krieg, der nichts anderes ist als eine Industrie der Vernichtung“ betrifft besonders diese Region der größten Truppenübungsplätze in Westeuropa und der Rheinmetall-Rüstungsindustrie im nahegelegenen Unterlüß. Dank an die Gewerkschafts-Kolleginnen und Kollegen und an Charlie Braun, die wieder und wieder darauf hinweisen, auch auf die mehr als 27 Millionen Kriegstoten in der Sowjetunion infolge des deutschen Überfalls und – auch das betrifft die unmittelbare Umgebung von Munster – auf die Gedenkstätten für ermordete sowjetische Kriegsgefangene, die hier gelitten haben, bevor sie starben – an Hunger, Kälte, Krankheiten, durch Misshandlung, Folter, Totschlag, Erschießen. 50 000 liegen da – ein Teil der „geschätzt“ 3,3 Millionen Ermordeten von 5,7 Millionen sowjetischen Gefangenen insgesamt – nur jeder Dritte von ihnen überlebte die Gefangenschaft.
Aus der Rede des damals 95jährigen Daniil Granin, einem Überlebenden der Belagerung Leningrads, am 27.Januar 2014 vor den Abgeordneten des Deutschen Bundestages: „An den Wänden des Reichstags waren noch die Inschriften unserer Soldaten zu lesen. Eine davon ist mir besonders im Gedächtnis geblieben: ‚Deutschland, wir sind zu dir gekommen, damit du nicht mehr zu uns kommst‘“.
Lasst uns NEIN sagen - NEIN zu den bereits vollzogenen und noch geplanten Einschnitten in unsere Lebensverhältnisse, NEIN zu Rüstung und weiterem Abbau sozialer Standards, von Löhnen, Gehältern, Renten, NEIN vor allem auch im Namen unserer Kinder, die um Bildung, Ausbildung, Arbeit und Perspektiven fürs Leben betrogen werden.
Schluss mit Konfrontationspolitik und Kriegsrhetorik. Verhandlungen statt Hochrüstung und Waffenlieferungen. Wieder und wieder mit Bertolt Brecht:
„Kampf um Frieden ist Kampf gegen den Kapitalismus.“
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AUSSER DIESEM STERN 1949
Außer diesem Stern, dachte ich, ist nichts und er
Ist so verwüstet.
Er allein ist unsere Zuflucht und die
Sieht so aus.
Bertolt Brecht: Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe,
Suhrkamp Verlag. Bd. XV Gedichte, Seite 209.
Rolf Becker ist Schauspieler und aktives Gewerkschaftsmitglied.