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Redebeitrag für die Antikriegstagsveranstaltung am 1. September 2023 in Wiesbaden
- Es gilt das gesprochene Wort! -
- Sperrfrist: 1.9.2023, Redebeginn: 17 Uhr -
#ObjectWarCampaign - Gemeinsam gegen das tägliche Sterben im Ukarainekrieg
Liebe Anwesende,
mein Name ist Thomas Stiefel und ich gehöre dem Offenbacher Verein Connection an.
Wir vom Verein Connection setzen uns seit mehr als drei Jahrzehnten für Deserteure und Kriegsdienstverweigerer*innen weltweit ein. Wir haben ein Netzwerk gebildet und kooperieren mit Gruppen, die in ihren Ländern, aber oftmals auch in der Diaspora, gegen Kriege und für die Kriegsdienstverweigerung arbeiten.
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
wir sind hier zusammengekommen, um an den Beginn des zweiten Weltkriegs zu erinnern, einem verheerenden Krieg, den der deutsche Faschismus über die Welt gebracht hatte. In diesem Krieg desertierten 30.000 Soldaten aus der Wehrmacht. Etwa 20.000 von ihnen wurden hingerichtet. Die Überlebenden mussten über Jahrzehnte darum kämpfen, dass diese Urteile aufgehoben und ihre Taten gewürdigt wurden.
Es herrscht nun seit fast eineinhalb Jahren wieder Krieg in Europa und ein Ende ist nicht abzusehen. Der Angriffskrieg des russischen Staates hat jetzt bereits zu mehr als Zehntausend Ermordeten geführt – und das Morden geht täglich weiter Die Waffenhändler haben Hochkonjunktur. Die Medien erwecken den Eindruck als könnten nur weitere Waffenlieferungen und effektivere Waffen für das ukrainische Militär uns dem Frieden nähe bringen. Das ist Grundfalsch!
Nur Verhandlungen werden einen Waffenstillstand und Frieden erreichen!
Aus den Beständen europäischer Staaten werden F16- Kampfjets geliefert, Marschflugkörper und auch international geächtete Streumunition. Das findet sogar die Zustimmung von Kanzler Olaf Scholz. Dabei droht die Ausweitung des Kriegs auf andere Länder und eine Eskalation bis hin zum Einsatz von nuklearen Waffen. Erschreckend ist die Zahl der bereits Getöteten und die vielen zivilen Opfer dieses sogenannten „Abnutzungskriegs“ in der Ukraine.
Wozu mussten diese Menschen sterben? Ich maße mir nicht an, jemanden vorzuschreiben, ob er seine Familie, sein Haus, sein Besitz mit Waffengewalt verteidigen darf oder nicht. Doch hat dieser Krieg, wie auch fast alle Kriege, nicht schon genug Leid über die Bewohner der der Ukraine als auch unter den russischen Soldaten gebracht?
„Die Ukraine muss siegen“- diese Parole hören wir von den meisten unserer Politiker*innen inklusive unseres bereits genannten Kanzlers. Nur ein solcher Sieg sei die Voraussetzung für Verhandlungen. Dabei wäre es so wichtig mit allen Mitteln – und auch allen Vermittlern – auf Diplomatie zu setzen!
Die Vermittlungsangebote von Ländern wie Brasilien und China wurden vom Westen aber schnell abgetan, als parteiisch oder „russlandfreundlich“ (ein Adjektiv, das mittlerweile zum Stigma oder Schimpfwort mutiert ist.)
Aber was für ein Sieg der Ukraine soll das sein? Und für welchen Preis?
Viele – und zwar auf beiden Seiten des Kriegsgeschehens – wollen kein Kanonenfutter sein.
Sie versuchen Russland, die Ukraine und auch Belarus intelligenterweise zu verlassen, bevor sie ins Militär eingezogen und zu einer Kriegsbeteiligung gezwungen werden. Sie verlassen ihre Heimatländer. Dies zum Teil unter großen Entbehrungen und großen Risiken. Nicht alle haben zu einer sofortigen Flucht die Möglichkeiten oder den Mut.
Allen, denen es gelingt sich diesem sinnlosen Morden und Sterben zu entziehen, sollte unser Mitgefühl, Respekt und Unterstützung gelten!
Die Regierung der Ukraine hat das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ausgesetzt, greift Militärdienstentzieher an den Grenzen ab, verfolgt und bestraft sie dafür, dass sie ein zuvor anerkanntes Grundrecht in Anspruch nehmen wollen. Meist schaffen es daher nur die Frauen und Kinder als Flüchtlinge nach Europa. Ukrainer*innen bekommen bei uns sofort einen Schutz und Unterstützung. Und das ist gut so, auch wenn dieser humanitäre Aufenthalt nur zeitlich befristet ist.
Unserer Schätzung nach sind aber auch mehr als 170.00 militärdienstpflichtige Männer aus der Ukraine in die EU gekommen. Sie halten sich eher bedeckt, um nicht als „vaterlandslose“ Feiglinge zu gelten. Es ist unklar, was mit Ihnen nach dem Ablauf des humanitären Aufenthalts in Deutschland und in Europa passieren wird.
Was Russland und Belarus angeht, gehen wir davon aus, dass weit mehr als 150.000 Russland und 22.000 Belarus verlassen haben, um nicht rekrutiert zu werden und am Krieg teilnehmen zu müssen
Insbesondere nach der Teilmobilmachung im September 2022 machten sich Tausende von Russen auf den Weg in Nachbarländern, wie Kasachstan, Georgien, Türkei oder Armenien. Manche suchten nach Möglichkeiten, ein Visum für Westeuropa zu erhalten. Nur wenige Tausend schafften es, in die Staaten der EU zu gelangen.
Hohe EU Politiker und Politikerinnen, wie Charles Michel, haben dazu aufgerufen, dass russische Soldaten desertieren und sich generell nicht an diesem Angriffskrieg ihres Staates beteiligen sollen. Auch deutsche Politiker und Politikerinnen haben dies auch mehrfach betont.
Zehntausende nahmen das ganz wörtlich. Sie wollen sich nicht am Krieg beteiligen, wo auch immer. Sie desertieren, verweigern den Dienst, verweigern die Befehle oder entziehen sich der Rekrutierung. Mit ihrer Verweigerung sagen sie auch: Stoppt den Krieg sofort!
Aber die ersten Entscheidungen in Asylverfahren zeigen, dass die Asylanträge der Verweigerer abgelehnt werden. Dort heißt es: Es sei nicht „beachtlich wahrscheinlich“, dass sie für den Krieg rekrutiert werden. Erneut wird ihre Tat in Zweifel gezogen. Das ist ein Skandal. Ihre Desertion, ihre Verweigerung muss als Asylgrund anerkannt werden!
Seit Anfang des Jahres haben wir von Connection e.V. gemeinsam mit mehr als 100 Gruppen aus Deutschland und Europa die #ObjectWarCampaign gestartet. Sie ist ein Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen. Am 15. Mai dieses Jahres übergaben wir in Berlin fast 50.000 Unterschriften an die Europäische Kommission, um zu sagen: Kriegsdienstverweigerer und Deserteure aus Russland, Belarus und der Ukraine brauchen Schutz und Asyl!
An diesem Tag in Berlin sprachen auch Maria Alexandrova von der russischen Bewegung für Kriegsdienstverweigerung sowie Olga Karatsch von der belarussischen Organisation Nash Dom (Unser Haus), zur Zeit im Exil in Litauen.
Bei der nachfolgenden Abendveranstaltung war dann auch Yuri Sheliashenko von der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung aus Kiew live zugeschaltet. Wir müssen feststellen, dass sich inzwischen alle drei genannten Organisationen schweren Repressionen gegenübersehen, die Ihre Arbeit immens erschweren
Was können Sie/ was könnt Ihr tun?
Beteiligt Euch an der europäischen #ObjectWar Campaign. Dazu gibt es jetzt eine neue eigene Website: https://objectwarcampaign.org/.
Wir haben auch einen Flyer mitgebracht, in dem Ihr weitere Infos dazu findet.
Ganz aktuell unterstützen wir zwei Aktivist*innen, die unter enormen Druck stehen:Der belarussischen Menschenrechtsverteidigerin Olga Karatch wurde in Litauen politisches Asyl verweigert. Olga Karatch kämpft in Belarus seit Jahren für die Menschenrechte, darunter das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, und wird daher in ihrem Herkunftsland, wo sie vom Regime als „Terroristin“ bezeichnet wurde, verfolgt und mit der Todesstrafe bedroht. Um sie zu schützen, haben wir eine Urgent Action gestartet.
Gemeinsam mit anderen Organisationen verurteilen wir auf das Schärfste die Verurteilung von Yurii Sheliazhenko, einem bekannten Kriegsdienstverweigerer, Pazifist und Geschäftsführer der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung. Der Menschenrechtsverteidiger und Anwalt wurde am 15. August 2023 vom Solomyanskyi Bezirksgericht in Kiew unter teilweisen Hausarrest gestellt. Zuvor brachen Staatsbedienstete in die Büroräume der Organisation ein und beschlagnahmten Computer und Unterlagen.
Auf unserer Website gibt es viele weitere Vorschläge für Aktionen. Diese findet Ihr unter der Rubrik „Mitmachen“. Ihr könnt dort auch Material bestellen, zum Beispiel für Informationsstände vor deutschen Supermärkten, die mit osteuropäischen Waren handeln oder für Protestaktionen vor Regierungsvertretungen.
Natürlich freuen wir uns von Connection e.V. auch über Spenden, mit ihnen können wir zum Beispiel Beratungsstellen in Finnland, Estland, Litauen, Ukraine oder auch Georgien unterstützen.
#ObjectWarCampaign: Das ist ein internationaler Zusammenschluss, der gemeinsam fordert:
Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht. Jeder und jede muss jederzeit di Möglichkeit haben, sich dem Krieg zu verweigern!
Verfolgte Kriegsdienstverweigerer und Deserteure brauchen Asyl!
Danke für Ihre /Eure Aufmerksamkeit!
Thomas Stiefel ist aktiv beim Offenbacher Verein Connection.