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Redebeitrag für die Antikriegstagsveranstaltung am 1. September 2023 in Ludwigsburg
- Es gilt das gesprochene Wort! -
- Sperrfrist: 1.9.2023, Redebeginn: 18 Uhr -
Liebe Freundinnen und Freunde,
wenn in den kommenden Wochen hier in den Weinanbaugebieten die Trauben reifen, dann werden in den Weinbergen Schussanlagen aufgebaut, welche die Vögel von den reifenden Beeren vertreiben sollen. Die mit Gasflaschen ausgerüsteten Apparate erzeugen regelmäßig einen lauten Knall, der jeden Spaziergänger in den Weinbergen, der harmlos die Ruhe genießen will, aufs heftigste erschrickt.
Auf den Schlachtfeldern im Krieg, derzeit vor allem in der Ukraine, da ist es nicht harmlos, wenn es knallt. Wenn es da knallt, dann bohrt sich eine Gewehrkugel in den Kopf eines Menschen, dann verteilen sich die Splitter einer Granate in den Körpern junger wehrpflichtiger Männer in einem Schützengraben. Da knallt es und die Explosion einer Panzerfaust lässt die Besatzung eines Panzers ohne Chance verbrennen und Menschenleben werden ausgelöscht. Ja, es knallt und eine Mine verwandelt einen jungen sportlichen Menschen in einen Invaliden auf blutigen Beinstümpfen.
Wir können nur erahnen, welche Angst, welche Gefühle, welche Verletzungen das Knallen der Explosionen auf dem Schlachtfeld bei den jungen Soldaten, die oft erst der Kindheit entwachsen sind, auslöst. Und doch fordern viele Politiker, Journalisten und Wortführer mit großem moralischen Pathos hier bei uns in Europa: Liefert Waffen auf die Schlachtfelder der Ukraine. Liefert Gewehrkugeln, Granaten, Panzerfäuste, ja, liefert Minen und Streumunition.
Das heißt, diese Menschen sagen: Ja, es ist richtig, junge Wehrpflichtige der russischen Armee zu töten, verstümmeln , zu zerfetzen und zu traumatisieren. Ja, es ist richtig, zur Rückeroberung besetzter Gebiete Familienväter, Handwerker, Studenten, welche die Wehrpflicht in die ukrainische Armee gezwungen hat, in ein russisches Minenfeld zu schicken - mit dem Wissen, dass nur wenige durchkommen. Ein höheres Ziel, die Verteidigung der Souveränität der Ukraine und der sogenannten westlichen Werte rechtfertigt angeblich das.
Auf der anderen Seite macht der russische Staat und seine Waffenlieferanten im Iran und in der Türkei es im Grundsatz nicht anders: Für ein politisches Ziel, nämlich für eine Ausweitung des Machtanspruchs des kapitalistischen Oligarchensystems Russlands auf die Ukraine verwüstet man ein Land und tötet seine Soldaten und nimmt auch die Opfer in der Zivilbevölkerung billigend in Kauf. Russland hat selbst die Wehrpflicht und ist nicht zimperlich, diese auch durchzusetzen. Auf einmal werden junge Menschen aus einem erfüllten Zivilleben in die Kaserne versetzt und finden sich in kurzer Zeit auf einem Schlachtfeld wieder, wo ein Menschenleben nichts gilt und die Angst, als Krüppel oder tot heimzukehren sich genauso in den Köpfen breitmacht, wie auf der ukrainischen Seite.
Natürlich, Russland ist der Angreifer, der Krieg ist völkerrechtswidrig und die russischen Truppen müssen sich zurückziehen. Ohne wenn und aber. - (Pause) .
Aber ist diese richtige Feststellung ein Freibrief, sich an dem massenhaften Töten zu beteiligen?
Rechtfertigt die Klärung der Schuldfrage, sich auf das moralische Niveau des Angreifers hinabzubegeben und das Töten als Mittel der Politik freizugeben?
Töten im Krieg geht z.B. mit Handgranaten. Handgranaten sind einfache, leicht einzusetzende und im Blick auf die Wirkung äußerst brutale Waffen. Die Splittergranate DM51 der Firma Diehl Defence setzt bei einer Explosion z. B. 6.500 Metallkugeln frei, die im Umkreis von 10 – 15 m Menschen zerfetzen und auch in 30 m Entfernung noch verletzen können.
Deutschland hat Handgranaten an die Ukraine geliefert. Es ist davon auszugehen, dass diese in den Schützengräben der Ostukraine auch tatsächlich eingesetzt werden.
Liebe Freundinnen und Freunde,
solche Lieferungen sind abzulehnen. Krieg ist ein Verbrechen. Ein Angriffskrieg wie Russland ihn führt, ist ein Verbrechen, aber auch ein Verteidigungskrieg wie die Ukraine ihn führt, ist ein Verbrechen. Und Waffenlieferungen sind Beihilfe zu einem Verbrechen.
Noch vor wenigen Jahren war es Konsens bis in konservative Kreise hinein: Keine Waffenlieferungen in Kriegsgebiete.
Im Bundestagswahlprogramm der Grünen 2017 heißt es noch :“Rüstungsverkäufe in Konfliktgebiete (...) müssen endlich ausnahmslos gesetzlich verboten werden.“
Wenn man sieht, wo die Grünen auf Bundesebene jetzt stehen, kann man nur unendlich traurig - oder zornig sein.
Der Ukrainekrieg ist keine Zeitenwende, wie empathisch unser Bundeskanzler beschworen hat. Er ist genauso schäbig und brutal, wie tausende anderer Kriege vorher. Der Krieg ist eine Kraft, die sich der menschlichen Kontrolle entzieht, eine Kraft, die unsere Rechtschaffenheit und Moral zerstört. Der Krieg in der Ukraine ist nicht einfach ein Krieg zwischen Gut und Böse.
Noch sind wir uns der Folgen dieses Krieges nicht bewusst. 1915 war man sich auch noch nicht bewusst, dass der Krieg noch drei weitere Jahre toben wird.
Wer auch immer in der Ostukraine "gewinnt", wird ein entvölkertes und von zerstörter Infrastruktur geprägtes Land gewinnen. Dieses Land wird über Generationen hinweg durch die militärischen Gifte des Krieges verseucht und mit Landminen und nicht explodierten Sprengkörpern übersät sein. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ukrainische Mütter genauso leiden werden wie irakische, afghanische und südostasiatische Mütter, die über Generationen hinweg tote, missgebildete und kranke Kinder zur Welt bringen werden, die auf das unauslöschliche toxische Erbe des modernen Krieges zurückzuführen sind. Die Kinder und ihre Familien werden noch Jahrzehnte später für diesen Wahnsinn in der Ukraine bestraft werden, so wie Kinder und ihre Familien in allen Ländern, in denen ein Krieg stattgefunden hat, bestraft wurden.
Es gibt – geschätzt – nach einem Jahr Krieg in der Ukraine 250.000 Tote. Wie viele sollen es noch werden? Wann ist Schluss mit dem Wahnsinn? Bei einer Million? Bei zwei Millionen? Ich denke: Jetzt sofort!
Es muss einen Waffenstillstand geben. es muss Verhandlungen geben. Ständig ist das Gegenargument: Putin will doch nicht verhandeln.
Aber sollen Verhandlungen nur durch noch mehr Tote möglich werden? Das wird nicht funktionieren.
Wir wollen nicht, dass die Eskalation weitergeht, noch mehr Waffen in das Kriegsgebiet geliefert werden.
Neben der Einstellung der Waffenlieferungen sind Kriegsdienstverweigerung und Desertion wichtige Instrumente gegen den Krieg. Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht.
Hunderttausende russische Männer im Alter zwischen18 und 65 Jahren haben sich den Rekrutierungen durch Flucht ins Ausland entzogen. Viele konnten in benachbarte Länder fliehen, wie Kasachstan, Georgien oder Armenien. Nur wenigen von ihnen gelang die Flucht nach Westeuropa. Auch in der Ukraine herrscht Wehrpflicht. Dort ist Männern zwischen 18 und 60 Jahren die Ausreise aus der Ukraine nur noch mit Sondergenehmigungen erlaubt. Es wird auf breiter Ebene rekrutiert. Mit der Generalmobilmachung wurde auch das ohnehin eingeschränkte Recht auf Kriegsdienstverweigerung ausgesetzt. Etliche Kriegsdienstverweigerer wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.
Wir können es uns kaum vorstellen, wie es ist, jeden Tag in der Angst zu leben, zum Militär einberufen zu werden. Da ist es doch nur ein normaler, guter und ziviler Reflex, rechtzeitig das Land zu verlassen. Oder wenn das nicht mehr geht, den Kriegsdienst zu verweigern.
Jeder Wehrpflichtige und jeder Soldat, der sich dem Krieg entzieht, rettet Menschenleben. Er tötet niemand anderes und und er rettet sein eigenes Leben. Ist das nicht das höchste, was man derzeit machen kann?
Wenn auch Russland schuld an diesem desaströsen Krieg ist, so lasst uns nicht jeden jungen russischen Soldaten dafür verantwortlich machen. Er soll weiter leben können und eine Zukunft haben. Respekt für jeden russischen Soldaten, der desertiert und sich nicht weiter schuldig machen will. Aber auch Respekt für jeden Ukrainer, der nicht zur Armee geht, der das Land verlässt, weil er nicht auf seine Alterskameraden schießen will, die ihm nichts getan haben.
Eine Verurteilung eines Angriffskrieges ist relativ banal, da bekomme ich schnell Beifall von allen Seiten. Deshalb möchte auch kein kriegsführender Staat als Angreifer dastehen. Deshalb ist die Realität des Aggressors immer eine andere als die seines Gegners und dessen Verbündeter. Das war bei den Kriegen der USA in den letzten Jahrzehnten seit 2001 so, dass ist auch beim Überfall von Russland auf die Ukraine so,
Für Pazifisten ist die Frage nach dem Aggressor zwar nicht unwichtig, aber auch nicht entscheidend. Radikaler Pazifismus verurteilt auch den Verteidigungskrieg. Er tut dies aus einer Wertentscheidung heraus, die den Wert des menschlichen Lebens über alles stellt, über alle menschlichen Ideologien und Regierungssysteme.
Ein Freund aus unserer Gruppe der DFG-VK hat mir einen Text zugeschickt, mit einer Rede des linken Schriftstellers und Publizisten Kurt Hiller, gehalten auf der Generalversammlung der Deutschen Friedensgesellschaft von 1920. Da geht es um den Verteidigungskrieg. Hochaktuell, ich will zum Schluss nur drei kurze Sätze daraus nennen:
- ERSTENS: „Es gibt kein Staatsinteresse, dessen Verletzung objektiv ein gleich großes Übel wäre wie die Verletzung des subjektiven Interesses irgendeines seiner Mitglieder am Lebenbleiben.“
- ZWEITENS: „ Es gibt keinen Verteidigungskrieg; denn Leben ist unter allen Umständen wertvoller als Besitz“
- DRITTENS: „Alle revolutionären Errungenschaften, so köstlich sie sein mögen, sind ein Stück Dreck, verglichen mit der kosmischen Errungenschaft, lebendes, atmendes Wesen, wundersam bewußtes Geschöpf zwischen Geburt und Grab sein.“
Ich glaube, diese Worte stehen für sich.
Lasst uns deshalb laut die Stimmen erheben:
Jeder Krieg ist ein Verbrechen
Keine Waffenlieferungen
Unterstützung für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure
Vielen Dank.
Wolfram Scheffbuch ist aktiv vei der DFG-VK in Ludwigsburg.