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Redebeitrag für die Antikriegstagsveranstaltung am 31. August 2024 in Kassel
- Es gilt das gesprochene Wort! -
- Sperrfrist: 31.8.2024, Redebeginn: 12 Uhr -
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
fassungslos erleben wir seit dem Februar 2022 eine schleichende Militarisierung unserer Gesellschaft. Das ist zum einen die Sprache. „Helden“, „Blutzoll“, „Tapferkeit“ – all das ist inzwischen Sprachgebrauch der Medien. Die Außenministerin erklärt, wir dürfen nicht „kriegsmüde“ werden. Der Verteidigungsminister meint gar, wir müssten „kriegstüchtig“ sein.
Zur schleichenden Militarisierung gehört zudem die Rolle der Bundeswehr. Die Zahl rekrutierter Minderjähriger nimmt stetig zu. Das Kinderhilfswerk terre des hommes nennt das ein „Armutszeugnis“ für die Bundesregierung. Bundesminister Pistorius wirbt inzwischen für „Schnupperpraktika“ und fordert ungehinderten Zugang für Jungoffiziere an Schulen, um den Dienst in der Bundeswehr Jugendlichen schmackhaft zu machen.
Bundesbildungsministerin Starck-Watzinger hat erklärt, an den Schulen solle für „ein unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr“ geworben werden. Zudem wirbt sie für Zivilschutzübungen an Schulen zur Vorbereitung auf Krisen wie Pandemien, Naturkatastrophen oder Krieg. Mit einem neuen Gesetz werden in Bayern seit diesem Jahr Schulen und Hochschulen sogar verpflichtet, mit der Bundeswehr zusammenzuarbeiten. Die aktuelle Debatte über die Wiedereinführung der Wehrpflicht ist da nur folgerichtig. Wäre es nicht so bitter, ließe sich darüber schmunzeln, dass ein CSU Minister ihre Aussetzung veranlasst hat und ein SPD Minister sie wieder einführen will.
Ich halte die schleichende Militarisierung für einen absolut falschen Kurs. Das Militär ist nicht die „Schule der Nation“. Wir brauchen Schulen, die Friedenserziehung und gewaltfreie Konfliktbewältigung auf dem Lehrplan haben.
Zu alledem passt die Entscheidung des Bundestags, für die bessere Sichtbarkeit von Soldaten in der Öffentlichkeit einen nationalen Veteranentag „für Respekt, Anerkennung und Würdigung unserer Soldatinnen und Soldaten“ ins Leben zu rufen. Ich frage mich, wo Respekt und Anerkennung für Lehrerinnen und Lehrer, Pflegekräfte, Polizeibedienstete, Ehrenamtliche ihre Würdigung finden. Und ich war stets froh, dass es nach 1945 keinen Heldengedenktag mehr gab, sondern stattdessen einen Volkstrauertag!
Zur Militarisierung gehört eine beispiellose Aufrüstung, an der vor allem die Rüstungsindustrie verdient, deren Aktien Rekordhöhen erreichen. Allein die Aktie von Rheinmetall ist seit Februar 2022 von 96€ auf 560€ gestiegen! Der Bundeskanzler selbst war eigens zum Spatenstich für eine neue Rüstungsfabrik in Unterlüß zugegen. Und jetzt wird auch noch eine staatliche Förderung der Rüstungsindustrie diskutiert.
Die weltweiten Rüstungsausgaben liegen mit 2,2 Billionen US-Dollar auf einem absoluten Rekordhoch. Und: Mit „Steadfast Defender“ fand in diesem Jahr das größte Nato-Manöver seit dem Ende des Kalten Krieges statt. 90.000 Soldatinnen und Soldaten aus 32 Ländern nahmen teil. Das erklärte Ziel: Abschreckung. Dazu passt, dass erstmals eine ganze Brigade der Bundeswehr, 5000 Soldatinnen und Soldaten mit ihren Familien im Ausland stationiert werden soll, in Litauen. Ohne öffentliche Debatte, ohne Bundestagsdebatte wurde zudem verkündet, dass die USA demnächst wieder landgestützte Raketen in Deutschland stationieren werden, mit denen Moskau erreicht werden kann. Damit werde eine „Fähigkeitslücke“ geschlossen, erklärt der Bundeskanzler. Damit wird aber auch Deutschland zum Angriffsziel.
Als sei das alles nicht genug, wird auch noch von Finanzminister Lindner und anderen eine Debatte über eine EU-Atombombe gefordert (SZ 14.2.24). Auch der ehemalige Außenminister Joschka Fischer fordert Atomwaffen für die EU und sagt „wir müssen unsere Abschreckungsfähigkeit wiederherstellen“. (Zeit online 3.12.23).
Zu all dem rufen wir als Friedensbewegung in der Tradition von Wolfgang Borchert unser Nein! Wir wollen nicht kriegstüchtig werden, sondern friedensfähig! Wir wollen keine weitere Aufrüstung, sondern endlich, endlich Abrüstung! Atomwaffen dürfen nicht neu legitimiert werden. Sie gehören verbannt! Wir brauchen keine Abschreckung. Dringend notwendig sind stattdessen Konzepte für friedliches Zusammenleben auf unserem Planeten, damit die Klimakatastrophe verhindert werden kann.
Ja, Wladimir Putin ist ein Kriegsverbrecher. Und ja, er könnte den Krieg sofort beenden. Der Friedensbewegung wird ständig unterstellt, sie ignoriere das. Das sehr wohl wissend bleibt aber trotzdem fatal, dass mit Blick auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine immer nur Waffenlieferungen im Wert von vielen Milliarden Euro, Waffensysteme, Militärstrategien diskutiert werden. Die Folge sind noch mehr Tote. Waffen sind nicht die Lösung, sondern das Problem! Viele Militärstrategen sagen, der Krieg in der Ukraine könne nicht militärisch entschieden werden. Deshalb brauchen wir Friedensstrategien, diplomatische Initiativen, Hoffnungszeichen, Milliardeninvestitionen in Frieden. Nur so wird dem Gemetzel ein Ende gesetzt.
Es braucht Friedenslogik statt Kriegslogik. Nur wenn wir friedenstüchtig werden, hat diese Welt Hoffnung auf Zukunft. Wer einmal das Beinhaus von Douaumont besucht hat, in dem die Knochen von 130.000 jungen Männern zusammenliegen, die auf den Schlachtfeldern von Verdun starben, sieht den ganzen Irrsinn des Krieges. Sie sollten darum kämpfen, ob das Land zu Frankreich oder Deutschland gehört. Mit Blick auf ihre Gebeine ist das vollkommen irrelevant…
Zudem: Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht. 300.000 junge Männer haben Russland verlassen. Sie werden zum Teil als Feiglinge diffamiert. Sie sollten als politisch Verfolgte bei uns Asyl erhalten. Männer in der Ukraine zwischen 18 und 60 Jahren dürfen das Land nicht verlassen. Fast eine Million von ihnen aber haben Zuflucht in Westeuropa gesucht. Sie bangen jetzt darum, ob sie bleiben können. Das widerspricht der stetigen Behauptung, alle Ukrainer wollten unbedingt zum Kämpfen an die Front. Zu den vielbeschworenen europäischen Werten gehört: Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht. Ich habe respektiere die Entscheidung eines Menschen, Soldat, oder Soldatin zu werden. Aber ich habe mich schon immer gefragt, warum eigentlich das Gewissen derjenigen offiziell geprüft wird, die den Kriegsdienst verweigern und nicht das Gewissen derjenigen, die Kriegsdienst leisten.
Und nicht zuletzt wird die Friedensbewegung diskreditiert. Von „selbsternannten Friedensfreunden“ ist die Rede. Wer Friedensverhandlungen fordert, wird sofort als Putinversteherin diffamiert. Volker Beck twittert, ich sei ethisch mit meinem „Teestubenpazifismus“ immer auf der falschen Seite (was impliziert, dass er auf der richtigen ist). Sasha Lobo nennt uns „Lumpenpazifisten“, Roderich Kiesewetter „wohlstandsverwöhnt“ und Ralph Hycks spricht von „Unterwerfungspazifisten“. Das weisen wir von uns. Auch all die begeisterten Befürworter von Waffenlieferungen werden selbst nicht in den Krieg ziehen, sondern bleiben bequem und wohlstandsverwöhnt auf ihren Sofas! Unser Land sollte aufhören, mit Waffenlieferungen schleichend zur Kriegspartei zu werden. Fangt endlich damit an, Teil der Lösung zu sein, indem ihr Diplomatie liefert, die zu Waffenstillstand und Verhandlungen führt!
Gleichzeitig mit den Milliarden, die für Rüstung ausgegeben werden, wird im sozialen Bereich gekürzt: An Freiwilligendiensten. An Entwicklungshilfe. An Flüchtlingsprogrammen. Am Bürgergeld. Das kann nicht unwidersprochen bleiben. Warum bleibt es so still angesichts dieser Entwicklung? Der Theologe Friedrich Siegmund-Schultze hat 1946 formuliert: „..die Menschheit läßt sich wie stets in die Verantwortungslosigkeit hineinschläfern…“ Ein guter Ansatzpunkt für Friedensethik: sich nicht in Verantwortungslosigkeit „hineinschläfern“ lassen!
Ich bin hier als Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft, die
in der Tradition Bertha von Suttners und anderer steht.
Wir werden wach bleiben als Deutsche Friedensbewegung. Es gibt im Krieg keine guten und schlechten Waffen. Außenministerin Baerbock erklärt, „unsere Waffen schützen Leben“. Das mag sein. Aber sie töten eben auch! Es gibt inzwischen hunderttausende Tote in der Ukraine. Der Stellungskrieg erinnert an Verdun. Wann ist Schluss mit diesem Wahnsinn? Bei einer Million? Wann ist eine angemessene Verhandlungsposition erreicht? Wir sagen: JETZT! SOFORT!
Ständig ist das Gegenargument: Putin will doch nicht verhandeln. Aber sollen Verhandlungen nur durch noch mehr Tote möglich werden? Verhandlungsbereitschaft kann auch herbeiverhandelt werden, so der Journalist Heribert Prantl. Mit Blick auf Gaza wird selbst mit Terroristen verhandelt. Waffenstillstand heißt nicht Kapitulation, sondern schafft die Möglichkeit zu sondieren, wie verhandelt werden kann. Wo sind denn neben all den Militärstrategen im öffentlichen Diskurs die kundigen Diplomatiestrategen? Wo bleibt die große internationale Friedensinitiative?
Das gilt auch für den Nahen Osten. Der entsetzliche Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober hat unendliches Leid über viele Menschen in Israel gebracht. Und die Gegenreaktion Israels bringt jetzt noch mehr Leid über die Menschen in Gaza. Das ist entsetzlich. Aber es hilft doch niemandem, jetzt Israel zu hassen für eine Regierung, die menschenverachtend handelt. Viele Israelis protestieren selbst im ganzen Land dagegen. Und Judenhass daraus abzuleiten ist absolut inakzeptabel. Das Leid der Opfer vom 7.Oktober und das Leid der Opfer in Gaza kann doch nicht gegeneinander ausgespielt werden. Es muss einen sofortigen Waffenstillstand auch dort geben, eine internationale Konferenz für Frieden und Sicherheit in Israel und einem zukünftigen palästinensischen Staat um der Menschen willen muss die Gewalt ein Ende finden!
Zudem: Huthirebellen beschießen in der Folge Frachtschiffe und europäische und amerikanische Marine greift ein. Die Hisbollah greift aus dem Libanon Israel an. Der ganze Nahe Osten könnte zum Kriegsgebiet werden. Und die Kriege, die im Jemen oder im Sudan toben, sind dabei noch gar nicht im Fokus unserer Aufmerksamkeit. Wir wollen nicht, dass die Eskalationsspirale weitergetrieben wird. Was notwendig ist, ist De-Eskalation!
Ich stehe hier auch als evangelische Christin.
Jahrhundertelang wurden Waffen durch Kirchenvertreter gesegnet. Und auch heute sehen wir wieder Bilder davon. Der russische Patriarch Kyrill rechtfertigt den russischen Angriff auf die Ukraine, als sei Russland angegriffen durch westliche Werte wie Freiheit, Gleichberechtigung, Anerkennung homosexueller Lebenspartnerschaften. Das ist für mich Gotteslästerung.
Die Kirchen der Welt sind immer in die Irre gegangen, wenn sie Gewalt legitimiert haben. Denn im Evangelium findet sich dafür keinerlei Grundlage. Jesus hat gesagt „Steck das Schwert an seinen Ort“ und noch mehr: „Liebet Eure Feinde“. Der Friedensnobelpreisträger Martin Luther King hat erklärt, das sei das Schwerste, was Jesus uns hinterlassen hat. Das stimmt. Zuallererst aber ist es eine bleibende Mahnung, sich nicht in Feindbilder hineintreiben zu lassen.
„Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein“, haben die Kirchen der Welt 1948 gemeinsam proklamiert. Darum geht es. Mir ist bewusst, dass wir schuldig werden können, wenn wir gegen Waffenlieferungen plädieren, die Menschen in der Ukraine zu ihrer Verteidigung anfordern. Es gehört zur Demut eines Menschen einzugestehen, dass das der Fall ist. Aber schuldig kann auch werden, wer für Waffen plädiert. Denn Waffen töten. Dafür werden sie produziert. Ich wünsche mir, dass die Kirchen der Welt sich energisch für ein sofortiges Schweigen der Waffen einsetzen.
Ich stehe hier zudem als Großmutter von sieben Enkelkindern.
Wenn ich an diese Kinder denke, an all die Kinder in der Ukraine, in Russland, in Israel, Gaza, dem Jemen und dem Sudan dann sind 100 Milliarden Euro für Rüstung zusätzlich zum Bundeswehretat von schon mehr als 50 Milliarden Euro allein in unserem Land doch keine Investition in ihre Zukunft. Was sie brauchen, ist eine Investition zur Verhinderung der Klimakatastrophe. Ihre Zukunft wird lebenswert durch Milliarden Euro, die in Bildung und Entwicklung investiert werden. Unsere Erde ist bedroht durch die rücksichtslose Ausbeutung aller Ressourcen. Und Krieg ist eine der schlimmsten Zerstörungskräfte.
Wer Waffenlieferungen ablehnt, wird als naiv, dumm und ahnungslos hingestellt. Das ist für einen demokratischem Diskurs unwürdig. In Verantwortung auch mit Blick auf die deutsche Geschichte und mit Blick auf die Zukunft unseres Landes halte ich es als Deutsche für richtig, keine Waffen in ein Kriegsgebiet zu liefern. Bis Februar 2022 war das politischer Konsens. Und in der Bevölkerung hält eine Mehrheit das noch immer für richtig…
Wer sich gegen Waffenlieferungen äußert, wird in letzter Zeit auch mit dem äußerst rechten politischen Spektrum in Verbindung gebracht. Dagegen verwahren wir uns! Wir lassen uns nicht instrumentalisieren. Wir treten ein für eine Überwindung von Nationalismus und Rassismus, die Menschlichkeit und Gemeinschaft möglich macht. Wer Unfrieden gegen andere Menschen sät oder von Zwangsdeportationen fantasiert, kann nicht glaubwürdig für Frieden eintreten.
Nein, wir lassen uns nicht in Verantwortungslosigkeit hineinschläfern. Wir bleiben hellwach und treten der Militarisierung entschlossen entgegen. Unsere tiefe Überzeugung bleibt: Nur Abrüstung und Frieden werden die Zukunft der Menschheit sichern. Die Hoffnung, dass das möglich ist, halten wir wach, auch in diesen Tagen!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Dr. Margot Käßmann ist Theologin und ehem. Ratsvorsitzende der EKD.