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Redebeitrag für die Antikriegstagsveranstaltung am 1. September 2024 in Stuttgart
- Es gilt das gesprochene Wort! -
Liebe Friedensfreundinnen, liebe Friedensfreunde,
im September vor 40 Jahren demonstrierten rund 30.000 Friedensbewegte in der Nähe des Hattenbacher Autobahndreiecks in Hessen, im sogenannten Fulda-Gap. Die USA hatten Mittelstreckenraketen in Westdeutschland stationiert. Sie sollten die Sowjetunion abschrecken, die ihrerseits Mittelstreckenraketen nach Westen richtete. Es war Kalter Krieg. Die US-Militärs hielten einen sowjetischen Durchbruch im Fulda-Gap für möglich. Sie planten, dort die Bevölkerung umzusiedeln und gar eine Atombombe zu zünden, nur um zu zeigen, dass es der Westen ernst meint mit seiner Abschreckung.
Solche Kriegsstrategien dachten wir, sind längst auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet. Doch sie kommen wieder in Form von neuen Kampfbombern, die die Bundeswehr anschafft, um auch Atombomben abschießen zu können, und sie kommen als neue Mittelstreckenraketen, als Marschflugkörper Tomahawk und als Hyperschallraketen. Ab 2026 sollen die drei US-amerikanischen Raketentypen in Deutschland stationiert werden. Die Bundesregierung versucht zu beruhigen. Das SPD-Präsidium erklärte: "Als SPD übernehmen wir Verantwortung dafür, dass kein Kind, das heute in Deutschland geboren wird, wieder Krieg erleben muss." Das beantwortet aber die Fragen der heute Lebenden nicht. Unsere Fragen sind: Wer befiehlt, wann und wo diese Raketen eingesetzt werden? Haben diese Raketen Atomsprengköpfe? Gegen wen sind sie gerichtet und wer richtet seinerseits seine Raketen auf uns? Wo sind sie stationiert oder werden sie ständig durch die Gegend gefahren? Wie wahrscheinlich ist ein Unfall oder ein versehentlicher Abschuss? Was kosten diese Waffen und wer bezahlt sie? Warum werden diese Waffen nur in Deutschland stationiert? – Danke an die SPD-Linke, die solche Fragen stellt und die Stationierung ablehnt. Sie gibt Orientierung.
Die größte Frage, die wir der Regierung stellen, lautet jedoch: Wo bleiben endlich Abrüstungsverhandlungen? Sehr aufschlussreich ist die Göttinger-Rede der Abrüstungsexpertin und UN-Diplomatin Angela Kane. Sie beschreibt wie 1985 die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und den USA auf dem Tiefpunkt waren. Die Sowjetunion galt als „Reich des Bösen“. Doch die Sowjetunion wollte Dialog und bat die Vereinten Nationen um Vermittlung. Nach und nach kam es zu Rüstungskontrollverträgen. Obergrenzen für Waffengattungen und gemeinsame Manöverbesuche konnten festgelegt werden.
Wir wissen, dass die heutige Welt eine andere ist. Es sind nicht mehr zwei Imperien, sondern mehr Länder, die in der Welt mitbestimmen wollen. Die Aufgabe der Abrüstung ist für die Vereinten Nationen komplexer geworden. Aber eines ist gleichgeblieben: Es braucht den Willen eines jeden Akteurs zur Abrüstung. Diesen fordern wir von der Bundesregierung aktiv ein! Startet Abrüstungsinitiativen in der UNO statt 100 Milliarden mehr fürs Militär! Tut euch mit anderen Regierungen zusammen und gebt jedes Jahr zehn Prozent weniger für Waffen aus!
Deutschland ist beim Aufrüsten nicht allein. Der Trend hat fast alle Länder erfasst. Im letzten Jahr sind die weltweiten Rüstungsausgaben um fast sieben Prozent gestiegen. 2,2 Billionen Euro wurden im Jahr 2023 weltweit für den Tod ausgegeben, statt für die Schöpfung, für die Armen, die Pflege, die Flüchtlinge, die Kinder und die Frauen. Dieser beginnende Rüstungswettlauf ist gefährlich. Dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit von Kriegen. Als hätten wir nicht schon genug davon.
Da ist der Krieg im Sudan. Das ist ein Land, das selber keine Waffen herstellt. Alle Waffen für diesen Krieg kommen von außen. Einer der Haupt-Lieferanten sind die Vereinigten Arabischen Emirate. Diese erhalten Waffen aus Deutschland. Auch in diesem Jahr genehmigte die Regierung wieder Rüstungsexporte an die Vereinigten Arabischen Emirate. Sagen wir der Bundesregierung: keine Waffen in Kriegsgebiete! Keine Waffen an die Vereinigten Arabischen Emirate!
Dann der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Sah es dort zunächst nach einem kurzen Krieg aus, den die Ukraine und Russland bereits Ende März 2022 durch Verhandlungen beenden wollten, sieht es derzeit so aus, als ob der Krieg erst dann zum Erliegen kommt, wenn die Ukraine mit Waffen und Soldaten nicht mehr mithalten kann. Das hätte Folgen für die Verhandlungsposition der Ukraine. Es wäre deshalb um Längen besser, jetzt mit Gesprächen zu beginnen. Die Bundesregierung muss sofort alle Anstrengungen in die Diplomatie setzen.
Wir blicken leider auf eine Ausweitung des Krieges. Derzeit sind beide Seiten am Siegen, die Ukraine, die russisches Gebiet erobert und Russland, das weiter in ukrainisches Gebiet eindringt. Erfahrungen aus der Geschichte zeigen, wer noch Chancen auf dem Schlachtfeld sieht, wird den Kampf fortsetzen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat erklärt, mit der Operation in Kursk Russland zum Frieden zu zwingen. Die Nato sieht sich schon genötigt zu erklären, sie sei an der Eroberung russischen Territoriums nicht beteiligt. Andererseits ist in Politico zu lesen, dass der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umerow und Andrij Jermak, ein Berater Selenskyjs, hochrangigen US-Sicherheitsbeamten eine Liste mit militärischen Zielen vorlegten, die mit westlichen Waffen angegriffen werden sollen. Die westlichen Staaten sollen endlich die Beschränkungen, die mit den Waffenlieferungen verbunden sind, aufheben, so die ukrainische Forderung. Großbritannien soll schon grünes Licht für Angriffe mit Storm-Shadow-Raketen in Russland gegeben haben, wie der Telegraph berichtete. Die Bundesregierung hat ihre Einschränkung zu den Waffenlieferungen, keine deutschen Waffen auf russisches Gebiet, Ende Mai bedingt aufgegeben. Derweil droht Russland weiter mit dem Einsatz von Atomwaffen. Wir sind einen Schritt näher an einem großen Krieg.
In Palästina und Israel hat sich der Kriegszustand ebenfalls verschärft. Die israelische Regierung hat eine neue Front im Westjordanland aufgemacht. Städtische Infrastruktur wird dort zerstört, Flüchtlingslager bombardiert während gewalttätige Siedler mit Hilfe der israelischen Armee Land besetzen, das Palästinensern gehört. Wieder einmal ist zu befürchten, dass nur eine neue Gewaltspirale in Gang gesetzt wird und die Wurzeln des Krieges nicht bearbeitet werden. Die Vereinten Nationen hatten entschieden, dass sowohl die Palästinenser als auch die Israelis ein Recht auf Selbstbestimmung haben. Während der Staat Israel existiert, tun die westlichen Staaten nichts dafür, dass Israel die Besetzung der palästinensischen Gebiete aufgibt, wie es der UN-Sicherheitsrat fordert. Ein Schritt wäre: Deutschland muss endlich den Staat Palästina anerkennen!
Derzeit versucht die Bundesregierung die Haftbefehle zu verhindern, die der internationale Strafgerichtshof wegen möglicher Kriegsverbrechen für Ministerpräsident Netanjahu und Verteidigungsminister Gallant ausstellen will. Sie nimmt in Kauf, dass sie durch diese selektive Einflussnahme Internationales Recht beschädigt. In anderen Ländern hat sich die Bundesregierung durchaus für die Aufklärung von Kriegsverbrechen eingesetzt. Doch sind erst einmal die internationalen Menschenrechtsstandards beschädigt, leiden alle darunter, auch jüdische Menschen.
Wir sind heute hier, um zu sagen: Hört endlich auf mit den Kriegen und hört auf, sie zu unterstützen. Nur die Reichen profitieren davon. Die Armen zahlen den Preis dafür. Was wir in unserem Land brauchen ist nicht „Kriegstüchtigkeit“, sondern soziale Gerechtigkeit. Sonst gefährden wir nicht nur den gesellschaftlichen Zusammenhalt, sondern auch die Demokratie. Danke, dass ihr heute zum Antikriegstag gekommen seid.
Vielen Dank.
Wiltrud Rösch-Metzler ist pax christi Diözesanvorsitzende Rottenburg-Stuttgart.