Redebeitrag für den Ostermarsch Fulda am 3. April 2021

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
liebe Passantinnen und Passanten,

schön, dass ihr heute da seid!

Schön, dass wir heute gemeinsam ein Zeichen setzen können.

Daher schon an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an alle, die den heutigen Ostermarsch geplant und vorbereitet haben. Und an alle, die für die corona-sichere Durchführung verantwortlich sind. Vielen Dank an Euch!

Das Thema, über das ich heute sprechen möchte, hat eine lange und bittere Vergangenheit. Ich möchte über Rüstungsexporte aus Deutschland sprechen, über ein Geschäft, mit dem seit Jahrzehnten Krisen und Kriege befeuert werden. Aber es zeigen sich auch neue und immer perfidere Facetten: Mehr und mehr ist auch die Abschottung Europas im Fokus der Rüstungsindustrie, der sogenannten „Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“. Zum „Schutz“ vor Schutzsuchenden werden Geschäfte gemacht, Geschäfte, die Grenzen unüberwindbar machen, Grenzen zu Land, zu Wasser oder virtuell.

Am 09. Oktober 2019 begann die Türkei eine Militäroffensive in Nordsyrien. Der Name der Operation, nämlich „Friedensquelle“, könnte zynischer kaum sein: Unter anderem mit Rüstungsexporten aus Deutschland, wie Leopard 2 Panzer, marschierte die Türkei in kurdische Gebiete ein, Hunderte von Menschen wurden getötet, Hunderttausende in die Flucht getrieben. Ja, auch die deutsche Bundesregierung hat die Offensive kritisiert, immerhin!

Aber: Die zunehmend aggressiven Außenpolitik der Türkei zeigt eben auch, dass sich die Verhältnisse in einem als „sicher“ geglaubten Land ändern können. Und es zeigt, dass Rüstungsexporte kein Geschäft sind, mit dem man tagesaktuelle Geschehnisse beeinflussen kann! Denn:

  • Selbst, wenn wir heute anfangen würden, keine Bomben oder Munition mehr zu exportieren, sind die bereits gelieferten Güter noch jahrelang im Einsatz.
  • Und selbst wenn wir heute weniger Gewehre aus Deutschland exportieren, dann werden mit den bisher exportierten immer noch Menschen getötet.
  • Und selbst wenn wir heute keine Schiffe mehr zum Beispiel nach Saudi-Arabien liefern, dann sind trotzdem schon genug im Einsatz, die jemenitische Häfen blockieren und mit dazu beitragen, dass Millionen von Menschen hungern.

Deshalb reicht es nicht, dass die Bundesregierung weiter nur Lippenbekenntnisse macht!

Und was die Rüstungsexporte in die Türkei angeht: Ja, die Türkei ist Mitglied der NATO. Aber kann und darf es sein, dass damit keine Fragen mehr gestellt werden dürfen? Dazu sagte Claus-Peter Willsch, CDU-Bundestagsabgeordneter, Ende Januar: „Den Grundsatz, dass wir uns innerhalb der NATO gegenseitig mit Waffen und Waffensystemen unterstützen, sollte man wirklich nicht infrage stellen, weil das unsere Bündnisfähigkeit infrage stellt.“

Die Bündnisfähigkeit steht also höher als das Verletzen von Menschenrechten? Aussagen wie diese sind zynisch und das muss auch endlich bei der Bundesregierung ankommen.

Und: Die Bundesregierung muss endlich auch eine Mitverantwortung an Konflikten wie im Jemen anerkennen. Wie kann es sein, dass dort nachweislich Raketen von Tochterfirmen  von Rheinmetall oder Eurofighter eingesetzt werden und die Verantwortung dafür abgeschoben wird? Ich meine, dass das nicht sein darf. Dass diese Forderung inzwischen auch von Institutionen wie der Stiftung für Wissenschaft und Politik vertreten werden, sollte endlich zu einem Umdenken führen. Die mantrahaft beschworene „restriktive Praxis“ bei der Genehmigung von Rüstungsexporten muss endlich Realität werden.

Und es muss die Möglichkeit eines Verbandsklagerechts geben, mit dem gegen Rüstungsexporte geklagt werden kann. Deutschland darf keine Rüstungsexporte in Krisen- und Kriegsgebiete genehmigen!

Aber die Problematik mit Rüstungsexporten endet nicht bei der Lieferung von Waffen in Krisen- und Kriegsgebiete. Und auch nicht dabei, dass Menschen durch Kriege und Gewalt, durch Hunger und ein Wegbrechen der Lebensmöglichkeiten auch durch den Klimawandel vertrieben werden und sich neue Lebensräume suchen.

Und hier sind wir bei den eingangs benannten neuen Facetten: Bei der bewusst und gewollt vorangetriebenen Abschottung der EU und der dafür notwendigen Aufrüstung der EU-Außengrenzen.

Das Mittelmeer ist die tödlichste Grenze der Welt. Tausende und Abertausende Menschen sterben dort. Und die, die nicht sterben, werden regelmäßig durch die griechische Küstenwache „gerettet“, in Lagerhäuser gesperrt, Tage später mit Booten in türkische Gewässer gefahren und dort in Seenotinseln ausgesetzt werden. Das, liebe Friedensfreund*innen, das ist eine menschenverachtende Praxis, die auf dem Rücken der Geflüchteten stattfindet. Dass die türkische Küstenwache diese Menschen dann ein zweites Mal „retten“ muss, sie zurückführt in die Türkei, obwohl sie es doch schon auf den Boden Europas geschafft haben, ist nur eine von vielen weiteren Menschenrechtsverletzungen. Diese müssen beklagt und endlich auch rechtlich verfolgt werden.

Nun kann man natürlich fragen: Was haben wir hier in Deutschland damit zu tun? Zu den Fluchtursachen oder zumindest der Verstärkung davon habe ich vorhin einiges gesagt. Aber wenn wir beispielhaft einen Blick werfen, mit welchen Schiffen diese Pushbacks durchgeführt werden und wenn wir einen Blick werfen, wer dort im Mittelmeer auf Patrouille ist, kann man eins und eins zusammenzählen:

Viele Boote der griechischen Küstenwache stammen entweder direkt aus Deutschland oder haben zumindest Komponenten von hier mit an Bord. Unter anderem stecken MTU-Motoren aus meiner Heimatstadt, Friedrichshafen am Bodensee, in den größten Schiffen, die im Mittelmeer im Einsatz sind. Aber damit nicht genug: Längst ist gut belegt, dass auch Frontex-Schiffe (auch aus Deutschland!) regelmäßig bei Einsätzen in der Ägäis oder im Mittelmeer mit vor Ort sind. Aber glaubt ihr, dass mit diesen Schiffen tatsächlich Menschen gerettet würden? In den seltensten Fällen greifen Einheiten von Frontex rettend ein, auch nicht die Schiffe der deutschen Bundespolizei! Durch Bilder und Aufnahmen ist inzwischen eindeutig belegt, dass Frontexschiffe Boote mit Geflüchteten zurück in türkische Gewässer drängen. Ein Spiel mit Schutzsuchenden. Ein Spiel mit vulnerablen Menschen. Ein tödliches Spiel, das endlich beendet werden muss, besser heute als morgen.

Und auch wenn es um die Frage nach der Politik der EU geht, spielt Deutschland eine zentrale Rolle. Nicht zuletzt treibt die EU-Ratspräsidentin von der Leyen die Militarisierung und Aufrüstung der Außengrenzen voran. 22,7 Milliarden Euro sind für den kommenden Haushalt von 2021 bis 2027 für den Bereich „Migration und Grenzmanagement“ eingeplant, dazu noch 13,2 Milliarden für „Sicherheit und Verteidigung“. Knapp 36 Milliarden Euro also, die verschwendet werden, nicht zuletzt für den Ausbau von Grenzzäunen, für die Überwachung von Grenzen mit Drohnen und für den Ausbau von Smart Border Programmen. 36 Milliarden, eine kaum vorstellbare Geldsumme, Geld, das viel besser gebraucht werden kann, um ein menschliches Europa zu fördern, um Menschen das Fuß fassen zu erleichtern und um auch bei uns hier eine menschenfreundliche Umgebung zu schaffen, in der Menschen im Miteinander leben können.

Ihr wisst hier vor Ort sicher auch genug Projekte und Möglichkeiten, in die sinnvoller investiert werden kann, um eine offene und humane Gesellschaft zu schaffen. 

Darum sage ich auch hier:

  • Es muss endlich Schluss sein mit einer immer weiteren und größeren Aufrüstung, mit höheren Mauern und Zäunen.
  • Es muss endlich Schluss sein mit mehr bewaffneten Einheiten und einer Abschottung durch zunehmende Militarisierung.

Und: Es muss endlich Schluss sein mit mehr und mehr Überwachung, die Menschen sogar schon in Ländern im Norden des afrikanischen Kontinents aufhält und dort in menschenunwürdigen Bedingungen einsperrt, vergewaltigt oder versklavt.

Nun fragt ihr Euch vielleicht, wie man, wie wir diesem System der Abschottung etwas entgegensetzen können. Und um ehrlich zu sein: Ich wünschte, Euch eine allgemeingültige Antwort darauf geben zu können.

Aber: Ich kann Euch, ich kann uns alle, zumindest ermutigen, weiter Schritte auf dem Weg zu einem Bekanntmachen von diesem System der Abschottung und Aufrüstung zu gehen. Wir müssen es schaffen, dass mehr Menschen von dieser Praxis erfahren. Dass mehr Menschen Hintergründe zu Schlagworten wie „Frontex“ oder „Hotspots“ kennen. Und dass endlich ein Zusammenhang zwischen Flucht und Migration wie auch der Aufrüstung der EU-Außengrenzen oder Abkommen mit Drittstaaten gesehen wird.

Lasst mich an dieser Stelle zum Abschluss auf eine Ausstellung hinweisen, die im Mai diesen Jahres veröffentlicht wird: Mit der Überschrift „Grenzerfahrungen. Wie Europa gegen Schutzsuchende aufrüstet“ machen wir mit pro asyl und pax christi eine Ausstellung genau. Wir versuchen, den Zusammenhang von Rüstungsexporten, der Aufrüstung an den Außengrenzen und dem Einschränken von Asylrechten herzustellen. Ihr findet in den nächsten Wochen auf den Homepages dieser Organisationen weitere Informationen oder könnt Stefanie Wahl oder mich später ansprechen.

Ich bitte Euch, leiht Euch die Ausstellung aus, ladet Freund*innen und Bekannte ein, fragt Asyl- oder kirchliche Gruppen an, macht Veranstaltungen in Kirchen oder sonstigen Einrichtungen.

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

was uns niemand nehmen kann, ist, dass wir uns gemeinsam empören. Und wir, das sind viele! Nicht nur heute hier in Fulda, sondern auf vielen Ostermärschen. Und: Wir sind die Mehrheit in Deutschland, die Rüstungsexporte ablehnen, das bestätigen Umfragen.

Es kann uns niemand nehmen, dass wir gemeinsam „Nein“ zu einem System der Abschottung sagen. Niemand kann uns nehmen, dass wir das gemeinsam einfordern. Und niemand kann uns nehmen, dass wir gemeinsam daran arbeiten, dass sich Politik verändert.

Vielen Dank für Euer Zuhören!

 

Max Weber arbeitet für die Ev. Arbeitsgemeindschaft zur Betreuung von Kriegsdienstverweigeren. (EAK) in Bonn.