Redebeitrag für den Ostermarsch Würzburg am 16. April 2022

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Schon wieder!! Nur diesmal ganz nah, und der Aggressor ist keiner von uns ‚Guten‘.

Schon wieder ein Sapiens-Primat im Kampf um die Oberhand auf dem Pavianfelsen… Mittlerweile jedoch, ob in Ost oder West, leider ausgerüstet mit der vernichtenden Dreifaltigkeit von Hightech, Nuklearwaffen und IT. Irgendwo sind wir falsch abgebogen auf der Evolutionsleiter, soviel ist sicher.

Wir sind gerade Zeugen und Mitspieler im Rollback zu einer martialischen ideologischen und militärischen Aufrüstung samt entsprechender Propaganda auf beiden Seiten. Ende offen. Dabei geht es um altbekannte imperiale Interessen, na und? Putins Apparat will sich den Zugriff auf die gigantischen, noch unerschlossenen fossilen Reserven, Erze und seltenen Erden im Osten der Ukraine sichern, bevor die westlichen Konzerne es tun. „We have the oil“, tönte Trump, als sich die US-Armee in ihrer völkerrechtswidrigen Kriegsoperation der syrischen Ölfelder bemächtigte.

Wo diesmal der Bösewicht keiner von ‚uns‘ ist, erinnert man sich im Westen plötzlich des Völkerrechts, nach dem ein Kriegsverbrecher auch als ein solcher anzuklagen und zu sanktionieren ist. Moralintriefend tönt von der Leyen: „In Butscha ist die Menschlichkeit zerstört worden...“(*) Nicht etwa schon zigfach zuvor auch durch die ‚gerechten Kriege‘ des Wertewestens? Nicht durch dessen für die Zivilbevölkerungen verheerenden Sanktionen? Nicht durch die in die Tausende gehenden völkerrechtswidrigen Drohnenmorde der USA?

Den transatlantischen Supermitarbeiter des Monats gibt jedoch Alexander Graf Lambsdorff mit seiner primitiv-populistischen Hetze gegen die Friedensbewegung: „Die Ostermarschierer sind die fünfte Kolonne Wladimir Putins, politisch und militärisch.“ Faschisten also. Herr Lambsdorff, einen größeren Gefallen konnten Sie der Friedensbewegung nicht tun, als ihr so zu zeigen, wie elementar wichtig sie ist, gerade gegen dumpfe Brandstifter wie Sie!

Im Gegensatz zu Ihnen gibt es Personen von einer Größe, vor der ich mich hier heute verneige, weil ihre Schicksale die ganze bigotte Verlogenheit des Wertewestens bezeugen! Ob Snowden, ob McBride, Manning oder Julian Assange, dem vor den gleichgültigen Augen der ganzen Welt nun endgültig die psychische und physische Vernichtung droht, weil er die Gräueltaten der US-Truppen an afghanischen Zivilisten publik gemacht hat: An sie alle werden ganz andere Maßstäbe angelegt als an die Helden des Völkerrechts, die von den Kriegsverbrechen in der Ukraine berichten.

Sie, Herr Lambsdorff, werden sich auch zweifellos einreihen in den politischen Totengesang, in Zukunft könne Frieden und Sicherheit nicht mehr mit, sondern nur noch gegen Russland gesichert werden.

Sieht so eine politische Exitstrategie aus, die den Krieg in der Ukraine und die Zeit danach vom Ende her denkt? Oder geht es vor allem darum, wertewestlich zu verhindern, dass, Gott bewahre, eines fernen Tages doch noch eine Pax Europaea von Lissabon bis Wladiwostok denkbar sein könnte?

Es war übrigens schon immer, und egal von welcher Seite, nichts als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die eigenen Söhne, Väter, Ehemänner und Brüder dahin zu treiben, andere Söhne, Väter, Ehemänner und Brüder abzuschlachten oder als Krüppel an Leib und Seele zurückzulassen.

Es war schon immer nichts als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das Zuhause anderer Menschen zu vernichten, sie auszuhungern, sie auf Generationen hinaus zu entwurzeln und zu traumatisieren, ihres kulturellen Zusammenlebens und ihrer Identität zu berauben. Sie zu Flüchtlingen, Heimatlosen, Tagelöhnern oder Sklaven in der Fremde, zu Bittstellern zu machen. Ihre Kinder in Trümmern oder Flüchtlingslagern der Zukunft zu berauben.

All ihr breitbeinigen, selbstgerechten Möchtegernhelden in Ost und West mit eurer Hybris und euren Großmachtfantasien, lasst euch gesagt sein:

Zwischen Koronapandemie und Klimakatastrophe passen auf diesem von uns heruntergeranzten Planeten keine Kriege mehr, auch keine kalten!

Keine konfrontativen Weltbilder, keine Kernwaffen und Killerdrohnen!

Schluss damit, Menschen zu verheizen und zu traumatisieren, sie millionenfach zu Heimatlosen zu machen!

Schluss damit, Infrastruktur, in der soviel Material, Energie und menschliche Arbeit steckt, zu zerdeppern, um sie nachher – vielleicht – mit noch mehr Geld, Material, Energie und menschlicher Arbeit wieder aufzubauen. Mit Materialien und Energie, die wir dafür nicht mehr haben und mit Geld, von dem wir jeden Cent für eine globale Transformation gegen die Folgen der Klimakatastrophe, für den Kampf gegen Armut und Ungleichheit brauchen!

Was es zwischen Korona und Klimakatastrophe dringend braucht

sind ganz andere Heldinnen und Helden, denen ihr Machtjunkies nicht das Wasser reichen könnt! Es ist höchste Zeit, eine oder einer muss damit endlich anfangen, eine oder einer muss der Erste sein:

Neue Heldinnen und Helden in politischer Verantwortung,

die sich weigern, weiter Teil einer Kriegslogik, einer Herrschaft und Dominanz über andere zu sein, ob militärisch oder ökonomisch! Die Schluss machen mit der brachialen whatever it takes-Durchsetzung eigener Interessen gegen die Interessen anderer!

Neue Heldinnen und Helden mit Mut und Weitblick,

die sich, im Gegenteil, der einzigen Exitstrategie verpflichtet fühlen, die wir global überhaupt noch haben: So schnell wie möglich zu einer friedlichen, solidarischen und respektvollen Koexistenz miteinander und mit dem Planeten zu finden! Die Rutger Bregmans Buch ‚Im Grunde gut‘ zur Richtschnur ihres Handelns machen – und die klugen Gedanken anderer, die schon lange Alternativen zur zerstörerischen Herrschaftslogik anbieten, wenn man sie denn hören wollte.

Neue selbstbewusste Heldinnen und Helden, ob in Politik, Wirtschaft oder um die Ecke, die sich – dessen gewiss, dass sie nicht allein sind und dass sie noch viele mehr überzeugen und mitziehen können – jeden morgen im Bad vorsingen, worauf es wirklich ankommt:

John Lennons Imagine

Vielen Dank.

 

Eva Peteler ist aktiv beim „Florakreis Würzburg“

 

Anmerkung:

(*) EU-Kommissionspräsidentin U. v. d. Leyen am 08.04. in Kiew, Heute Journal 08.04.2022