Redebeitrag für den Ostermarsch Mainz-Wiesbaden in Wiesbaden am 16. April 2022

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Teilnehmende am Ostermarsch Mainz-Wiesbaden,
auch ich begrüße euch ganz herzlich.
Zunächst möchte ich mich bedanken bei den Organisatorinnen und Organisatoren des Ostermarsches Mainz-Wiesbaden, dass ich hier die Gelegenheit erhalte, zum Thema „aktuelle Aufrüstung in Wiesbaden“ zu sprechen.

Ich möchte an dieser Stelle allen danken, die diesen Ostermarsch haben möglich werden lassen, insbesondere denjenigen, die schon seit Jahren immer wieder den gemeinsamen Ostermarsch in den Landeshauptstädten von Rheinland-Pfalz und Hessen, Mainz und Wiesbaden, organisieren. Ich möchte auch betonen, dass die Organisation des Ostermarsches ein Gemeinschaftsprojekt von vielen ist - aus rund 40 lokalen Initiativen.

Zu meiner Person: Ich bin seit dem Jahr 2001 Stadtverordneter und seit der Kommunalwahl vor einem Jahr erneut Ortsvorsteher von Mainz-Kastel. Seit kurzem bin ich auch „Mayor for Peace“. Der Ortsbeirat Mainz-Kastel hat am 8. Februar beschlossen, dass ich dieser weltweiten Initiative von mittlerweile über 8000 Städten und Gemeinden aus über 160 Ländern beitreten möge. In unserer Nachbarstadt Mainz gibt es neben dem Oberbürgermeister bereits vier Ortsbeiratsvorsitzende uterschiedlicher Parteizugehörigkeit, die diesem Zusammenschluss angehören.

Ausgehend von der Stadt Hiroshima haben sich Repräsentantinnen und Repräsentanten von Gemeinden zusammengeschlossen, um für Frieden und Abrüstung und insbesondere die Abschaffung der Atomwaffen einzutreten. Als der Ortsbeirat am 8. Februar diesen Beschluss fasste, ahnte niemand, dass wir noch nicht einmal drei Wochen später erneut mit einem Krieg zwischen europäischen Staaten konfrontiert sind und wir befürchten müssen, dass dieser Krieg eskaliert - vielleicht bis zum Einsatz von Atomwaffen.

Diese Sorge wird dadurch besonders verstärkt, dass wir mit dem Hauptquartier der US-Armee für Europa und seit einiger Zeit auch für Afrika in Wiesbaden eine militärische Einrichtung von großer Bedeutung haben.

In engem Zusammenhang mit dem Hauptquartier der US-Armee stehen zwei Militärgelände in Mainz-Kastel.

Diese beiden Militärgelände mitten in Mainz-Kastel, umgeben von Wohnbebauung, Schulen und Kindertagesstätten, waren Gegenstand eines weiteren Beschlusses des Ortsbeirates von Mainz-Kastel am 8. Februar 2022. Der aktuelle Anlass waren Berichterstattungen in der Presse über zusätzliche Truppenstationierungen in unserem Stadtteil. Die Sprache war von der Reaktivierung eines 56th Artillerie-Kommandos und einer Second Multi-Domain Task Force, die im Zusammenhang mit der geplanten Stationierung neuer Mittelstreckenwaffen genannt worden waren. In einer Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage der LINKEN Landtagsfraktion wurde bestätigt, dass es sich bei dem Artilleriekommando um eine Einheit handelt, die Ende der 80er Jahre für die Steuerung des Einsatzes von atomaren Mittelstreckenraketen vom Typ Pershing und anderen zuständig war. Die Einheit war aufgrund der Abrüstungsverträge zwischen der Sowjetunion und der USA und deren Umsetzung deaktiviert worden. Nun aber wurde diese Einheit reaktiviert und zusammen mit der genannten Task Force im Herbst 2021 in Mainz-Kastel stationiert. Die Vorbereitungen der Stationierungen erfolgten noch in der Amtszeit des Präsidenten Trump und wurden unter  Präsident  Biden weitergeführt. Die im Jahr 2015 gegebene sowie 2017 und 2018 erneuerte Zusage der US-Armee, bis zum Jahresende 2022 die beiden Militärflächen in Mainz-Kastel zu räumen, wurdewiderrufen. Dabei handelt es sich bei der Fläche mit der Bezeichnung „Kastel Storage Station“ um eine Fläche im Zentrum des Stadtteils Mainz-Kastel in einer Größe von etwa 25 Hektar. Diese Fläche ist hochgradig versiegelt, der Boden weitläufig kontaminiert und dadurch das Grundwasser belastet.
Mit einer zivilen Nutzung könnten die Boden- und Grundwasserkontaminationen beseitigt werden und könnte preisgünstiger Wohnraum in öffentlicher Hand entstehen. Dies ist nun auf unbestimmte Zeit verschoben.

Für das zweite Gelände, bislang Kastel Housing genannt, mit einer Fläche von über 7 Hektar, gibt es bereits sehr konkrete Pläne für eine Bebauung mit etwa 800 Wohnungen und die Errichtung einer weiterführenden Schule. Auch damit wird es bis auf weiteres nichts.

Es ist vielmehr von einer weiteren Zunahme militärischer Aktivitäten in Wiesbaden auszugehen. So war der Antwort der Landesregierung vom 25. Februar 2022 an die LINKE Landtagsfraktion zu entnehmen, dass eine Luftlandeeinheit mit 300 Soldaten nach Wiesbaden verlegt wurde mit dem Ziel einer anschließenden Verlegung in osteuropäische NATO-Staaten.

Die Zunahme Aktivitäten um das Hauptquartier der US-Armee verschärft auch ein weiteres Risiko: Die An- und Abflugschneise zum Militärflugplatz Erbenheim führt über das Industriegelände Kalle-Albert. Auf diesem Gelände werden produktionsbedingt große Mengen von explosiven, leicht entzündlichen und hochgiftigen Stoffen in großen Mengen gelagert. 2013 gab die Stadt eine Risikoanalyse in Auftrag, um das Absturzrisiko über dem Industriegelände einzuschätzen. Das Ergebnis dieser Analyse war, dass Vorsorgemaßnahmen zu treffen sind und die Situation nicht einfach so belassen werden darf. Doch wurde die Situation vor kurzem noch dadurch verschärft, dass nun auch Militär-Helikopter Flugrouten über das Industriegelände absolvieren. Dies steht im Zusammenhang mit dem geplanten Neubaugebiet Ostfeld, für das eine Verlegung von Flugrouten erforderlich ist. Die Wahrscheinlichkeit eines Absturzes ist sehr gering, die Wahrscheinlichkeit aber für einen Unfall mit dramatischem Ausmaß wird mit der Anzahl der Überflüge gefährlich erhöht. Nicht umsonst gilt für den Industriepark Kalle-Albert die Seveso-Richtlinie, benannt nach dem Ort Seveso, in dem sich seinerzeit auf einem Industriegelände eine schwere Umweltkatastrophe
ereignete.

Weitere Informationen können zwei Interviews entnommen werden, die der Rosa Luxemburg Club Wiesbaden mit mir im April 2020 und im Februar 2022 auf Radio Rheinwelle durchführte und die im Internet als Podcast in der Mediathek noch angehört werden können.

In meinen Ausführungen wird ansatzweise deutlich, welche „Zusatzschäden" Aufrüstung und Militär verursachen, selbst wenn es nicht zu einem Einsatz in einem Krieg kommt – ganz abgesehen davon, was alles an Mitteln verbraucht wird und damit für soziale und ökologische Investitionen sowie für eine gute Ausstattung des Gesundheits- und Bildungswesen nicht eingesetzt wird. Auch deshalb treten wir ein für Abrüstung und die sofortige Beendigung aller Kriege in dieser globalisierten, gefährdeten Welt.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

 

Hartmut Bohrer ist Stadtverordneter und Ortsvorsteher des Stadtteils Mainz-Kastel de Landeshauptstadt Wiesbaden.