Redebeitrag für den Ostermarsch Würzburg am 16. April 2022

 

- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

ich bin Jürgen Herberich von der Internationalen Katholischen Friedensbewegung pax christi. Aus dem Geist der Versöhnung unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg ist die pax christi-Bewegung entstanden: Feindesliebe statt Vergeltung boten französische Christ:innen nach dem Krieg den Deutschen an.

Russlands Krieg gegen die Ukraine bedrückt und entsetzt. Das Leid der Bevölkerung ist unermesslich; dieser völkerrechtswidrige Angriffskrieg zerstört und tötet, er ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Er ist durch nichts zu entschuldigen, durch nichts zu rechtfertigen.

Sieben Wochen Krieg! Das bedeutet zuvörderst tiefste Erschütterung über so viel Elend und tiefstes Mitgefühl für die Obdachlosen, Traumatisierten, Geschundenen, Sterbenden, Toten.

Was sollen wir tun?

Über Jahrtausende hat die Menschheit Gewalt als Konfliktlösung angewandt, als Mittel, Ziele welcher Art auch immer durchzusetzen. Wir alle wissen, dass heute die Menschheit Waffen besitzt, um sich selbst mehrfach vollkommen auszulöschen. Und doch: wir rüsten weiter und sind jetzt mitten drin in einer neuen Rüstungsspirale.

Dabei möchten wir doch nur in Sicherheit leben, Sie und ich. Die Menschen auf dieser Erde.

Aber was ist Sicherheit? Viele denken da zuerst in militärischen Kategorien. Aber gibt es nur militärische Sicherheit? Welche Sicherheit brauchen wir?

Wir gehen derzeit auf einem Weg, der Sicherheit durch militärische Stärke, Aufrüstung und Intervention versteht. Ich brauche das nicht weiter auszuführen. Es ist die Haltung: Ich bin nur dann sicher, wenn ich stärker bin. Wir sind als Land sicher, wenn wir stärker sind als die militärischen Gegner.

Wir als katholische Friedensbewegung pax christi denken Sicherheit zusammen mit vielen anderen friedensbewegten Organisationen nicht in militärischen Kategorien.

Vor vier Jahren ist ausgehend von der Evangelischen Badischen Landeskirche ein weitreichendes Friedens-Szenario entstanden, das den Zeitraum bis in das Jahr 2040 in den Blick nimmt. Es trägt den Titel: „Sicherheit NEU denken“.

Kurz zusammengefasst: Weg von einer Politik, die "Verantwortung" als militärische Stärke und Intervention missversteht. Hin zu einer zivilen Außen- und Sicherheitspolitik - und das ist das Entscheidende - der Gewaltprävention und Kooperation.

Ist es angesichts der gegenwärtigen Kriegssituation nicht zynisch, auf eine andere, nicht-militärische Art der Konfliktlösung zu setzen, werden Sie sich vielleicht fragen?

Es steht mir nicht zu, den Menschen in der Ukraine Ratschläge zu geben. Interessant ist aber für mich eine repräsentative landesweite Umfrage des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie (KIIS) aus dem Jahr 2015. [1] Eine Umfrage zur Option des aktiven zivilen Widerstands als möglicher Reaktion für den Widerstand im Falle einer ausländischen bewaffneten Invasion und Besetzung ihres Landes. Es zeigt die damaligen Präferenzen der Ukrainer:innen kurz nach der Euromaidan-Revolution und der Einnahme der Krim sowie der Unterstützung der Separatisten in der Donbass-Region durch russische Truppen. Man hätte erwarten können, dass die ukrainische Öffentlichkeit die Verteidigung des Mutterlandes mit Waffengewalt befürworten würde.

Die Ergebnisse zeigten jedoch eine überraschend starke Unterstützung für eine Alternative zur bewaffneten Verteidigung: die aktive gewaltfreie Verteidigung unter ziviler Führung.

Die Umfrage ergab, dass die beliebteste Widerstandsform unter den Ukrainern der gewaltlose Widerstand war: 29 % unterstützten diese Handlungsoption im Falle einer bewaffneten ausländischen Aggression und 26 % im Falle einer Besetzung.

Diese Ergebnisse stimmen interessanterweise eng mit der historischen Bilanz der Kämpfe gegen Besatzer im 20. Jahrhundert überein:

Wissenschaftliche Daten zu mehreren hundert Protestbewegungen des 20. Jahrhunderts mit maximalen Zielen (Ende einer Besatzung, Unabhängigkeit eines Territoriums oder Wechsel des Machthabers) zeigen, dass aktiver gewaltfreier Widerstand gegen militärische Besatzungen genauso oft vollen Erfolg verzeichnen wie gewaltsamer Widerstand.

Bewaffnete Widerstände dauern im Durchschnitt dreimal so lange wie ihre gewaltlosen Pendants, sind mit enormen menschlichen und infrastrukturellen Kosten für die Bevölkerung verbunden, und zerstören oder traumatisieren regelmäßig die Zivilgesellschaft.

Im Gegensatz dazu kann aktiver gewaltloser Widerstand historisch gesehen viel schneller zum Erfolg führen als der bewaffnete Kampf; selbst bei einem Scheitern des gewaltlosen Widerstands bleibt die Struktur der Zivilgesellschaft effektiver erhalten, um den Kampf an einem anderen Tag wieder aufzunehmen.

Zudem bewahrt aktiver gewaltfreier Widerstand erheblich nachhaltiger die persönliche Integrität der Beteiligten, die durch gewaltsamen Widerstand erheblich gefährdet ist.

Der Studie zufolge tragen folgende drei Faktoren entscheidend zu diesem Erfolgspotential gewaltfreien Widerstands bei:

  • 1. breite Beteiligung diverser Gruppen, also nicht nur von Militär,
  • 2. wechselnde Taktiken, die Druck aufbauen und gleichzeitig Repressionen minimieren,
  • 3. und auf Seiten des Gegners Loyalitätsverschiebungen innerhalb wichtiger Säulen der Macht des Gegners.

In der besagten wissenschaftlichen Untersuchung von 2015 wurden die Ukrainer:innen auch gebeten, bestimmte Arten von bewaffneten und gewaltfreien Widerstandsaktionen zu wählen, denen sie sich anschließen oder die sie selbst durchführen würden.

Deutliche Mehrheiten entschieden sich für verschiedene gewaltfreie Widerstandsmethoden – von symbolischen über störende bis hin zu konstruktiven Widerstandsaktionen gegen einen Besatzer - und nicht für gewaltsame aufständische Aktionen. Im Wesentlichen zeigten die Ergebnisse, dass das Humankapital der Ukrainer:innen für die zivile gewaltfreie Verteidigung mehr als dreimal so groß war wie das für den bewaffneten Widerstand.

Erfolgreiche Anti-Besatzungskämpfe waren schon immer ein gesamtnationales Unterfangen. Unbewaffneter Widerstand hat ein größeres Mobilisierungspotenzial für eine ganze Gesellschaft, die sich an verschiedenen Aktionen des Trotzes und der Nichtkooperation beteiligen kann als bewaffneter Widerstand.

Anders als vielfach behauptet, ist das Ziel gewaltfreien Widerstands nicht, das Mitgefühl von Diktatoren zu wecken oder Unterdrücker zur Umkehr zu bewegen. Aktiver gewaltfreier Widerstand zielt vielmehr darauf ab, die Macht des Gegners zu schwächen, sodass dieser keinen Schaden mehr anrichten kann.

Dazu analysiert man, auf welchen Säulen seine Macht ruht, identifiziert Schwachstellen und entwickelt Strategien, um diese auszunutzen und bestimmte Säulen zum Einsturz zu bringen.

Aktiver gewaltfreier Widerstand versucht gezielt, einzelne Gruppen zur offenen oder verdeckten Non-Kooperation zu bewegen.

Die Ukrainer:innen zeigten ein überraschendes Maß an Unterstützung für diese Art von Widerstand, die weder die ukrainischen Politiker noch ihre westlichen Unterstützer in ihrer Verteidigungsplanung in Betracht gezogen haben: gewaltlose Massenwiderstandsaktionen gegen einen gewaltigen militärischen Angreifer.

Und im Übrigen - und das sage ich als Mitglied einer christlichen Friedensorganisation – war Gewaltfreiheit die Haltung Jesu von Nazareth.

Mein Fazit: Mit der Sklaverei ist etwas gelungen. Die Menschheit betrachtet global gesehen Sklaverei als no go. Es wird Zeit, dass wir alle daran arbeiten, dass Krieg als nicht taugliches Mittel der Konfliktlösung betrachtet wird und dass wir der zivilen Konfliktbearbeitung Vorrang einräumen. Um der Menschen willen. Um unseres Planeten willen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

Jürgen Herberich ist aktiv bei der Internationalen Katholischen Friedensbewegung pax christi.

 

Anmerkung: