Redebeitrag für den Ostermarsch BaWü in Stuttgart am 16. April 2022

 

- Sperrfrist: 16. April 2022, Redebeginn: 11 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Kolleg*innen,
liebe Friedens*freund*innen,

mit Bestürzung und großer Sorge sehen wir das große menschliche Leid in der Ukraine. Der am 24. Februar 2022 als Überfall begonnene Angriffskrieg Putin-Russlands gegen die Ukraine ist ein eklatanter Bruch des internationalen Völkerrechts, der territorialen Integrität und des Selbstbestimmungsrechts der Menschen in der Ukraine. Wir verurteilen diesen durch nichts zu rechtfertigenden Krieg. Grenzen dürfen nicht gewaltsam verschoben werden.

Unser Respekt und unsere Solidarität gehören den bedrohten Menschen in der Ukraine, die mutig ihre Freiheit verteidigen. Und unser Respekt und unsere Solidarität gehören auch den Menschen in Russland und Belarus, die sich mutig trotz Verhaftungen und fortgesetzter Repressionen gegen diesen Krieg stellen.

Dieser Krieg bringt unermessliches Leid über die Menschen und wird mit jedem Tag brutaler und zerstörerischer. Er ist eine humanitäre Katastrophe. Zivilist*innen und Soldat*innen sterben. Hunderttausende von Menschen sind eingekesselt und verletzt, sie leiden Hunger, können medizinisch nicht ausreichend versorgt werden, Millionen sind auf der Flucht. Der Angriff auf Nuklearanlagen und weitere Drohungen einer atomaren, chemischen oder biologischen Kriegsführung sind unverantwortlich, ihre Folgen nicht absehbar.

 

Liebe Kolleg*innen und Friedensfreud*innen,
die russische Regierung muss alle Angriffe unverzüglich einstellen, ihre Truppen aus der Ukraine zurückziehen und die territoriale Integrität der Ukraine auf der Grundlage des Abkommens von Minsk wiederherstellen. Wir fordern die internationale Staatengemeinschaft dazu auf, weiter mit Hochdruck an einer diplomatischen Lösung für einen sofortigen Waffenstillstand und zur Beendigung des Krieges zu arbeiten.

Wir begrüßen das bislang schnelle und unmissverständliche Handeln der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten im Umgang mit der Fluchtbewegung. Es ist dringend notwendig, die Grenzen für die Millionen Flüchtende ohne Unterschied offen zu halten und ihnen Schutz und Hilfe zu geben.

Und dies gilt für alle Flüchtende, egal mit welcher Hautfarbe und aus welchem Land sie kommen!

Die Not der Menschen muss handlungsleitend sein und nicht ihre Herkunft.

 

Liebe Friedensfreund*innen,
mit seinem Befehl, die Ukraine anzugreifen, hat Präsident Putin auch die Glaubwürdigkeit der russischen Regierung in der Außen- und Sicherheitspolitik zunichtegemacht. Aus der momentanen Perspektive können weder alle damit verbundenen Fragen gestellt noch abschließende Antworten gegeben werden.

In unserem Land ist die Debatte über die zukünftige Ausrichtung und Ausrüstung der Bundeswehr eröffnet. Wir treten für eine Bundeswehr ein, die ihrem Auftrag als Verteidigungsarmee gerecht werden kann. Das ist eine Bundeswehr, die sich als Arbeitgeber umfassend an Tarifverträge hält und bei der alle Beschäftigten, einschließlich der Soldat*innen so ausgestattet sind, dass sie ihre Aufgaben erfüllen können.

Aber wir treten als ver.di gleichzeitig dafür ein, die Diskussion um mehr Sicherheit in Europa nicht in erster Linie aus einer militärischen Perspektive heraus zu führen. Wir brauchen einen breiten zivilgesellschaftlichen Diskurs darüber, wie wir in Europa zukünftig in Frieden und Sicherheit zusammenleben wollen und rufen alle zivilgesellschaftlichen Akteur*innen dazu auf, sich in diesen Friedensdiskurs einzubringen.

Unser Ziel bleibt eine Welt mit weniger Waffen, insbesondere streben wir nachdrücklich eine dauerhafte atomare Abrüstung an. Wir wollen keinen neuen Rüstungswettlauf, der auch dazu führt, dass Gelder für die dringlichen Investitionen in den sozial-ökologischen Umbau fehlen oder dem Sozialstaat entzogen werden.

Die Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf einen dauerhaften Anteil von zwei Prozent am Bruttoinlandsprodukt, wie es das NATO-Ziel vorsieht, lehnen wir daher ab. Unsere Perspektive ist ein Europa mit einer erweiterten gemeinsamen Sicherheit aller Mitglieds- und Nachbarländer, die auch soziale und ökologische Nachhaltigkeit einschließt und damit auch unseren Kindern und Enkeln einen lebenswerten Planeten bewahrt! Die Bundesregierung plant im Rahmen einer Grundgesetzänderung den Aufbau eines Sondervermögens. Dieses soll ausschließlich für die Zwecke der Bundeswehr zweckgebunden sein. Insbesondere sollen zusätzliche Rüstungsgüter beschafft werden. Diese Pläne lehnen wir ab.

Sehr wohl notwendig ist in diesem Jahr angesichts der finanziellen Herausforderungen durch die russische Invasion in der Ukraine und ihre Folgen eine erhöhte Nettokreditaufnahme des Bundes. Darüber hinaus sind wir der festen Überzeugung, dass sich auch in den folgenden Jahren das Wiederinkrafttreten einer unveränderten Schuldenbremse verbietet.

Es bedarf erheblicher Summen, um für die Millionen Geflüchteter in Deutschland und Europa Unterbringung, Perspektive und Teilhabe zu schaffen. Nicht zuletzt gilt es, die wirtschaftlichen Folgen des Krieges und der Sanktionen für die Bevölkerung - insbesondere die stark steigenden Energiepreise - durch finanzielle Maßnahmen der Bundesregierung abzufedern. Und diese müssen sozial ausgestaltet sein, das heißt für uns, das niedrige und mittlere Einkommen, besonders im Fokus der Unterstützung sein müssen.

 

Liebe Friedensfreund*innen,
wir werben für eine umfassende Definition von Sicherheit. Diese umfasst die Versorgungssicherheit durch den Ausbau erneuerbarer Energien ebenso wie den Gesundheitsschutz, auszubauende öffentliche Infrastrukturen einschließlich der IT-Sicherheit sowie mehr Mittel für die internationale Entwicklungszusammenarbeit und den Zivil- und Katastrophenschutz.

All diese längst bekannten und teilweise neuen Herausforderungen und Aufgaben werden über eine erhöhte Nettokreditaufnahme und bestehende Steuereinnahmen allein nicht zu schultern sein.

Daher treten wir als ver.di für eine stärkere Besteuerung hoher Einkommen sowie großer Vermögen und Erbschaften ein. Wir fordern zudem eine Lastenausgleichsabgabe für besonders vermögende Privatpersonen und größere und mittlere Unternehmen. Reiche und Superreiche müssen gerade in dieser Zeit einen angemesseneren Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten. Ja, ein gutes Gemeinwohl ist ein wesentlicher Faktor von stabiler Demokratie.

Gemeinsam mit dem DGB und seinen anderen Mitgliedsgewerkschaften kämpfen wir dafür, dass die militärische Friedenssicherung nicht zulasten des sozialen Friedens erkauft werden darf.

Was wir erleben ist aber, dass Nationen hektisch aufrüsten! Meine Sorge ist: Indem sich die Länder auf das Schlimmste vorbereiten, sorgen sie am Ende des Tages dafür, dass das Schlimmste passieren wird! Wir treten weiterhin für eine allgemeine und weltweite kontrollierte Abrüstung, für die Verwirklichung und Erhaltung des Friedens und der Freiheit im Geiste der Völkerverständigung ein. Deutschland muss als wesentlicher Akteur an einer gemeinsamen europäischen Friedensarchitektur arbeiten.
Eine Welt, die bis auf die Zähne bewaffnet ist, wird auf Dauer keinen Frieden bringen, das ist meine feste Überzeugung –

Ich danke Euch für die Aufmerksamkeit!

 

Martin Gross ist ver.di Landesbezirksleiter Baden-Württemberg.