Rededisposition für den Ostermarsch Emden am 16. April 2022

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Diese leise Stimme zwischen Nacht und Tag.
Diese leise Stimme in uns, die so leicht zu übertönen ist.
Die leise Stimme, die so ganz bei uns ist.

Davon später.

Wir sind erschüttert und erschreckt von der Tatsache, dass es seit dem 24. Februar 2022 wieder einen Krieg in Europa gibt. Das ist schrecklich und wir fordern den sofortigen Stopp des völkerrechtswidrigen Angriffs der russischen Armee auf die Ukraine, den Rückzug aller Truppen und eine Rückkehr an die Verhandlungstische.

Aber es ist nicht der erste Krieg in Europa seit dem zweiten Weltkrieg.Deutschland ist spätestens seit dem Luftkrieg 1999 gegen Serbien – ohne UNO-Mandat!- in die Reihe der kriegsführenden Nationen zurückgekehrt. Die Bevölkerung wurde nicht gefragt, noch war sie sich darüber bewusst, dass die Bombardierungen illegal waren. Wie jetzt der russische Einmarsch in die Ukraine illegal ist.

Was könnte die Antwort sein auf die immerwährende Gewalt, die dauernde Aufrüstung und den beständigen Glauben daran, dass militärische Stärke „Sicherheit“ schafft?

Wo doch klar ist, dass - so wie im alltäglichen Miteinander – nicht das Recht des Stärkeren, sondern das Miteinander, das Verstehen , Fairness und Gerechtigkeit und ja, das Verzeihen Wege zum Frieden öffnen.

Ich denke, wir sollten darüber nachdenken: „Wie konnte es so weit kommen?“ und uns nicht mit einfachen Antworten zufriedengeben.

Für mich gehört dazu das Nachdenken über unser Verhältnis zu Gewalt.

Zu Militär. Zu Stärke.

Zum Miteinander.

Ja, ich bin unsicher.

Ich weiß auch keine Antworten.

Ich bin jetzt im Gespräch mit Anderen öfter mit der Ansicht konfrontiert: "Ja, vor 4 Wochen war ich auch noch der Meinung: Klar, keine Waffenlieferungen an die Ukraine. Aber jetzt sehe ich das anders.“

Die Menschen in der Ukraine haben Anrecht auf unsere Unterstützung und unsere Solidarität. Und vergessen wir nicht die Menschen im Jemen, in Äthiopien, in Syrien, im Kongo, in Mali, in den Ländern, in denen jetzt auch Krieg ist, die aber nicht so im Zentrum der medialen Berichterstattung stehen.

Für die jetzige Situation – wir werden ja seit 7 Wochen mit Nachrichten „bombardiert“ - möchte ich erinnern an die 10 Prinzipien der Kriegspropaganda, die Lord Ponsonby nach dem 1. Weltkrieg postulierte. Arthur Ponsonby (1871- 1946) war ein britischer Staatsbeamter, Politiker, Schriftsteller und Pazifist.In seinem Buch „ Falsehood in wartime“ (1928) untersuchte und beschrieb er die Methoden der Kriegspropaganda der Kriegsbeteiligten im ersten Weltkrieg. Auch der berühmte Satz „ Nach der Kriegserklärung ist die Wahrheit das erste Opfer“ ist von ihm.

Er benennt diese 10 Prinzipien:

  • 1) Wir wollen den Krieg nicht
  • 2) Das gegnerische Lager trägt die Verantwortung
  • 3) Der Führer des Gegners ist ein Teufel
  • 4) Wir kämpfen für eine gute Sache
  • 5) Der Gegner kämpft mit unerlaubten Waffen
  • 6) Der Gegner begeht mit Absicht Grausamkeiten, wir nur versehentlich
  • 7) Unsere Verluste sind gering, die des Gegners enorm
  • 8) Künstler und Intellektuelle unterstützen unsere Sache
  • 9) Unsere Mission ist heilig
  • 10) Wer unsere Berichterstattung in Zweifel zieht, ist ein Verräter.

Was davon zur Zeit – zu jeder Zeit - auf uns hereinprasselt mag jede, mag jeder für sich selbst entscheiden.

"Die Meinungsfreiheit ist eine Farce, wenn die Information über die Tatsachen nicht garantiert ist." So zitierte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Philosophin Hannah Arendt 2018.

Ich fordere hier, wie alle Rednerinnen vor mir in den vergangenen Jahren die sofortige Freilassung des Journalisten Julian Assange aus der britischen Haft.

Und schließe alle Journalistinnen und Journalisten mit ein, die aus politischen Gründen an ihrer Arbeit gehindert, zensiert, verfolgt werden.

Was also tun?

Wir treten für die Ächtung und das Verbot von Angriffskriegen weltweit ein.

Ich erinnere an Art. 2 Nr. 4 UN-Charta. Dieser verbietet den Gebrauch und die Androhung militärischer Gewalt gegen andere Staaten.

Kriege gehen einher mit Verbrechen an der Zivilbevölkerung, der Umwelt und befördern die Klimakatastrophe.

Militär ist der größte Umweltverschmutzer auf diesem Planeten.

Und nicht zufällig ist das Militär von allen Klimaverträgen ausgenommen.

Wir lehnen weiterhin Waffenlieferungen in Krisen- und Kriegsgebiete ab.

Waffenlieferungen sind kriegstreibend.

Forderungen nach militärischer Aufrüstung oder Beteiligung weisen wir entschieden zurück.

Wir sind sehr erschrocken über die Pläne zur Aufrüstung der Bundeswehr - mit z.B. bewaffneten Drohnen und Abschusssystemen für Atomwaffen -

sowie über die Rückkehr zu Militarismus und Abschreckungsdenken des „kalten Krieges".

Wir lehnen eine Wiedereinführung der Wehrpflicht entschieden ab.

Wir lehnen Grundgesetzänderungen ab, die zusätzliche Militärausgaben absichern sollen.

Wir rufen in dieser schwierigen Lage zur Besonnenheit auf, um eine weitere Eskalation des Krieges zu verhindern. Aktuelle Drohungen insbesondere mit Blick auf die Atomwaffenarsenale dieser Welt erfüllen uns mit großer Sorge. Die Lage verdeutlicht die Notwendigkeit des Atomwaffenverbotsvertrags und internationaler Vereinbarungen zu atomarer Abrüstung.

Wir fordern zum wiederholten Male den Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrags der UNO.

Die Vision einer gesamteuropäischen Friedensordnung rückt durch den Krieg in weite Ferne.

Sie bleibt trotzdem notwendig.Nur durch die Einstellung der Kampfhandlungen und die Erarbeitung nachhaltiger Lösungen können Perspektiven für ein friedliches Zusammenleben wiederhergestellt werden.

Wir unterstützen alle gewaltfreien Proteste in Russland, der Ukraine und anderen Teilen der Welt, die die Einstellung der Kriegshandlungen fordern und sich für friedliche Lösungen einsetzen.

Ich stehe jetzt zum vierten Mal auf dieser Bühne und jedes Jahr frage ich mich:

Warum sind wir hier?

Warum rufen wir auf zu einer öffentlichen Kundgebung?

Wir treten ein für die Vision von weniger Gewalt- nicht von mehr.

Und – die Politik, die Bundesregierung braucht unsere Unterstützung:

Unterstützung für diplomatische Aktivitäten. Wir sagen aber auch ein klares Nein zu weiterer Aufrüstung - durch viele Menschen, die sich an Ostern auf der Straße engagieren.

Durch uns.

Ich möchte schließen mit Albert Einstein:

Es gäbe genug Geld, genug Arbeit, genug zu essen, wenn wir die Reichtümer der Welt richtig verteilen würden, statt uns zu Sklaven starrer Wirtschaftsdoktrinen oder -traditionen zu machen. Vor allem aber dürfen wir nicht zulassen, dass unsere Gedanken und Bemühungen von konstruktiver Arbeit abgehalten und für die Vorbereitung eines neuen Krieges missbraucht werden. Ich bin der gleichen Meinung wie der große Amerikaner Benjamin Franklin, der sagte: es hat niemals einen guten Krieg und niemals einen schlechten Frieden gegeben.

Ich bin nicht nur Pazifist, ich bin militanter Pazifist. Ich will für den Frieden kämpfen. Nichts wird Kriege abschaffen, wenn nicht die Menschen selbst den Kriegsdienst verweigern.

Und deswegen möchte ich an die leise Stimme in uns erinnern.

Sie weiß, dass Gewalt nicht die Lösung sein kann. Auch nicht ausnahmsweise.

Sie weiß, dass es nicht dauerhaft Sicherheit gibt, wenn der Schwächere immerzu darauf sinnt, wie er seine Schwäche in Stärke verwandeln kann.

Und der gerade Stärkere genau davor Angst hat.

Deswegen:

"Sag Nein“ und „Die Waffen nieder!“

Danke.

 

Michael Schunk ist aktiv beim Aktionsbündnis Ostfriesischer Ostermarsch.