Redebeitrag für den Ostermarsch Kaiserslauter am 16. April 2022

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

vor 3 Wochen standen wir ebenfalls hier und haben gemeinsam mit Detlev Besier für den Frieden demonstriert. Es ist unfassbar, dass einer der nettesten und aufrichtigsten Menschen nicht mehr bei uns ist. Seine Stimme für Frieden und Verständigung wird uns fehlen, gerade in diesen schwierigen Zeiten.

Seit über anderthalb Monaten tobt nun bereits der verbrecherische, völkerrechtswidrige, imperialistische Angriffskrieg der russischen Armee gegen die Ukraine. Jeden Tag werden weitere Menschen sterben. Deshalb bleibt unser Aufruf: Die Waffen nieder! Sofortiger Waffenstillstand, sofortige Friedensgespräche, sofortiger Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine!

Es ist gut, dass wir in Kaiserslautern ein frühes Zeichen der Solidarität setzen konnten: so unterstützten alle demokratischen Parteien im Stadtrat unseren Antrag zur sofortigen Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine (und natürlich ebenso aller anderen Geflüchteten). Und gleichzeitig den gemeinsamen Antrag auf Initiative der Kolleg*innen von der SPD, in dem wir uns gegen die Ausgrenzung, Diffamierung und Stigmatisierung unserer russischen und russischstämmigen Mitbürgerinnen und Mitbürger einsetzen.

Wie sinnlos Kriege sind, haben alle Kriege der letzten hundert Jahre gezeigt. In keinem wurden die ausgerufenen Kriegsziele erreicht. Dieser Krieg ist ebenso sinnlos. Umso schlimmer, wenn nur wenige Tage nach Kriegsbeginn Bundeskanzler Olaf Scholz ankündigt, ein Sondervermögen in Höhe von 100 Mrd. Euro für Militarisierung und Aufrüstung bereitzustellen und dies sogar im Grundgesetz festzuschreiben. Dies ist eine Pervertierung des Grundgesetzes und steht gegen alle Werte, die von den Vätern und Müttern des Grundgesetzes nach dem Faschismus und dem 2. Weltkrieg vertreten wurden.

Wir dürfen nicht vergessen, dass Deutschland nach dem 2. Weltkrieg überhaupt keine eigene Armee hatte. Heutzutage gibt es weltweit 24 Staaten ohne Armee, die sich entschieden haben, ihr Geld für wichtigere Dinge auszugeben: Soziales und Bildung. Und diese Staaten werden nicht von ihren Nachbarn überfallen, sondern insbesondere bei Konflikten als neutrale Berater und Mediatoren geschätzt. Dies zu wissen ist umso wichtiger, da unserer Friedensbewegung immer wieder Naivität vorgeworfen wird. Dabei sind wir es, die jedes Jahr auf die vielen bestehenden Kriege und Konflikte hinweisen – im Jahr 2021 waren es laut der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung der Uni Hamburg 20 Kriege weltweit und 355 Konflikte, von denen 204 gewaltsam waren. Während wir seit 2014 auch an den bestehenden Krieg in der Ostukraine erinnern, haben sich viele in Regierungsverantwortung nicht darum gekümmert, und wohin das führt, sehen wir jetzt schmerzlich.

Es ist nicht naiv, für den Frieden einzutreten, und das bestätigen ja gerade die vielen Friedensforschungsinstitute, die AG Kriegsursachenforschung der Uni Hamburg habe ich bereits genannt, in Heidelberg gibt es das Institut für Konfliktforschung, in Washington den Fund for Peace, an der Uni Maryland das Peace and Conflict Center um nur einige zu nennen. Diese Institute analysieren Kriege und Konflikte und entwickeln Konzepte für eine friedliche Konfliktbearbeitung. Dadurch konnten schon viele Konflikte beendet und Kriege verhindert, ja selbst bestehende Kriege beendet werden. Pazifismus ist kein ferner Traum, sondern die wahre Realpolitik!

Jeder weitere Tag Krieg wird nicht nur zu weiteren Toten führen, sondern auch zu einer wachsenden Militarisierung und Verrohung der Gesellschaft. Wie verroht ist unsere kapitalistische Gesellschaft, wenn sie schwere Waffen in Kriegsgebiete liefern will und weiß, dass damit morgen Menschen getötet werden? Wie verroht ist unsere Gesellschaft, wenn sie ein wunderbares Zeichen der Humanität gegenüber den Geflüchteten aus der Ukraine zeigt, aber gleichzeitig die Geflüchteten mit einer anderen Hautfarbe an der belorussisch-polnischen Grenze verrotten lässt und jeden Tag Geflüchtete im Mittelmeer ertrinken lässt, ja zur Flüchtlingsabwehr eine eigene Armee aufgestellt hat – Frontex, die fast täglich in Menschenrechtsverletzungen involviert ist?

Gestern haben wir noch über die Möglichkeiten einer inklusiven Sprache diskutiert, und heute sehen wir uns wieder mit fragwürdigsten Rollenklischees konfrontiert: hier die schutzwürdigen Frauen und Kinder, die als Geflüchtete zu uns kommen, auf der anderen Seite die heldenhaften Männer, die ihr Vaterland verteidigen. Was dabei vergessen wird: die heldenhaften Kämpfer, die heute in den sozialen Medien posieren, sind die durch den Krieg zerfetzten Leichen, die morgen am Straßentand liegen. Kein Vaterland ist es wert, dass junge Menschen dafür sterben. Deswegen setzen wir uns dafür ein, allen Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren unbürokratisch Asyl zu gewähren.

Auf zwei aktuelle Aussagen möchte ich näher eingehen, weil sie eine erschreckende Rhetorik abbilden. Zum einen erwähnte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell in einem Interview, in dem er sich für weitere Sanktionen und Waffenlieferungen einsetzte, dass dieser Krieg auf dem Schlachtfeld entschieden werde. Dieser sprachlichen Verrohung entspricht die derzeitige Politik des Friedensnobelpreisträgers EU: Eskalation durch Sanktionen und Waffenlieferungen, aber keine friedenspolitischen Akzente. Warum setzt die EU keinen Sonderbeauftragten für den Frieden in der Ukraine ein? Warum gibt es keine EU-Unterhändler, die sich jeden Tag für Diplomatie und Friedensgespräche einsetzen? Dies würde einem Friedensnobelpreisträger besser zu Gesicht stehen als die Eskalation, die momentan betrieben wird.

„Jetzt ist keine Zeit für Ausreden, sondern jetzt ist Zeit für Kreativität und Pragmatismus“, argumentierte Außenministerin Annalena Baerbock, um der Ukraine nun auch schwere Waffen zu liefern. Unter einer Ausrede versteht man übrigens per Definition „das Vorbringen eines nicht zutreffenden Grundes, um einen als verwerflich geltenden Sachverhalt zu verschweigen“. Wir sind jetzt also schon so weit, dass der Einsatz für eine friedliche Welt als verwerflich bezeichnet wird. Noch schlimmer ist, dass Krieg und Waffenlieferungen als „kreativ und pragmatisch“ benannt werden. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall: kreativ und pragmatisch ist der Einsatz für den Frieden.

Krieg ist irrational. Sobald man sich auf die Kriegslogik und Kriegsrhetorik einlässt, lässt man jegliche Logik und Vernunft hinter sich. Die einzige Vernunft heißt Frieden. Deswegen möchte ich nun die „Rede für den Frieden“ von Bertolt Brecht vorlesen, die er 1952 geschrieben hat und die leider immer noch erschreckend aktuell ist:

„Das Gedächtnis der Menschheit
für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz.
Ihre Vorstellungsgabe für kommende
Leiden ist fast noch geringer.

Die Beschreibungen,
die der New Yorker
von den Gräueln der Atombombe erhielt,
schreckten ihn anscheinend nur wenig.
Der Hamburger ist noch umringt von den Ruinen
und doch zögert er,
die Hand gegen einen neuen Krieg zu erheben.
Die weltweiten Schrecken der vierziger Jahre scheinen vergessen.
Der Regen von gestern macht uns nicht nass, sagen viele.

Diese Abgestumpftheit ist es,
die wir zu bekämpfen haben,
ihr äußerster Grad ist der Tod.
Allzu viele kommen uns schon heute vor wie Tote,
wie Leute, die schon hinter sich haben,
was sie vor sich haben, so wenig tun sie dagegen.

Und doch wird nichts mich davon überzeugen,
dass es aussichtslos ist,
der Vernunft gegen ihre Feinde beizustehen.
Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen,
damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde!
Lasst uns die Warnungen erneuern,
und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind!
Denn der Menschheit drohen Kriege,
gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind,
und sie werden kommen ohne jeden Zweifel,
wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten,
nicht die Hände zerschlagen werden.“

Deswegen lauten unsere Forderungen:

  • Die Waffen nieder!
  • Sofortiger Waffenstillstand, sofortige Friedensverhandlungen, sofortiger Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine!
  • Keine Aufrüstung ins Grundgesetz!
  • Frieden schaffen ohne Waffen: eine Sicherheitsarchitektur, die nicht auf Waffen und Abschreckung beruht!
  • Hoch die Internationale Solidarität!
  • Hoch die Solidarität mit allen Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren weltweit!“

 

Stefan Glander ist aktiv bei der Partei Die Linke Stadtverband Kaiserslautern.