Redebeitrag für den Ostermarsch Büchel am 18. April 2022

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich bin als Ärztin aktiv in der IPPNW, der ärztlichen Friedensorganisation Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkriegs, und wurde deshalb gebeten, etwas zu den gesundheitlichen Auswirkungen der Produktion und des Einsatzes von Atomwaffen zu sagen.

Das war aber vor dem 24.02.22. Ich möchte und muss entgegen der Planung kurz etwas zum Ukrainekrieg sagen.

Der diesjährige Ostermarsch findet auf dem sehr, sehr traurigen Hintergrund eines neuen Krieges, diesmal in unserer Nähe, in der Ukraine, statt. Es ist ein Angriffskrieg, völkerrechtswidrig und nicht zu rechtfertigen. Ich war und bin entsetzt darüber und möchte mein Mitgefühl für alle betroffenen Menschen zum Ausdruck bringen.

Umso wichtiger ist unsere Friedensarbeit und sind unsere Friedensdemonstrationen! Danke, dass Sie/dass ihr heute hierher gekommen seid!

Im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg wird diskutiert, in wie weit - im Sinne nuklearer Abschreckung - mehr Sicherheit für die Ukraine durch eigene Atomwaffen hätte erreicht werden können.

Unsere Organisation - die IPPNW - wurde blockübergreifend gegründet, weil wir als Mediziner*innen wissen, dass die nukleare Abschreckung unser aller Leben riskiert und dass wir im Atomkrieg nicht helfen können.

Die bisherigen sieben Jahrzehnte der Abschreckung waren ja keine Jahrzehnte des Friedens , noch nicht einmal der Abwesenheit von Krieg. Es gab durchaus Kriege, viele davon Stellvertreterkriege gerade zwischen den Staaten, die versuchten, sich mit Atomwaffen gegenseitig in Schach zu halten.

Ich bin sogar davon überzeugt, dass die Abschreckungsideologie, die Rüstungsspirale und insbesondere die Rüstungsspirale bei den Atomwaffen zu den Faktoren gehören, die uns alle in diese schreckliche Situation heute hineingeführt haben. Die Chancen der 90er Jahre zu Abrüstung und für gemeinsame Sicherheit wurden nicht genutzt bzw. später wieder verspielt.

Die Chancen für friedliche Lösungen sind heute leider viel geringer als in den 90ern, aber es gibt sie und sie dürfen nicht durch weitere Eskalation zunichte gemacht werden!

Nun zu meinem Thema: Welche Gesundheitsgefahren gehen von Atomwaffen aus?

Fangen wir an beim Uranbergbau.

Unterirdisch geht vom Uranerz relativ wenig Gefahr aus. In dem Moment, wo man aber Uranerz an die Oberfläche bringt, dann die Uranoxide chemisch extrahiert und in den Umlauf bringt, beginnen die vielen Probleme. Es ist giftig und radioaktiv und hat eine Halbwertzeit von Millionen bis Milliarden Jahren.

Der Uranbergbau findet häufig in den Ländern des globalen Südens und bei indigenen Bevölkerungen statt. Die Arbeitsbedingungen, der Arbeitsschutz, die Entschädigungen bei Gesundheitsschäden sind meist sehr schlecht.

Es entsteht radioaktiver Abraum und bei der chemischen Extraktion radioaktive Flüssigkeit. Beides wird meist in der Umgebung verkippt oder in benachbarten Gewässern entsorgt oder auch als Baumaterial verwendet.

Die Aborigines in Australien, die Menschen in Kasachstan, Afrika, Indien, die Ureinwohner Nordamerikas – sie alle leiden unter den Folgen des Uranbergbaus.

Auch deutsche Uranbergleute, die in der Wismut in Thüringen und Sachsen bis 1990 gearbeitet haben, kämpfen teilweise noch heute um Entschädigungen.

In Anreicherungsanlagen wie in Gronau wird das Uran dann konzentriert für Sprengköpfe und Brennstäbe. Aus dem „Abfallprodukt“, dem abgereicherten Uran, kann Munition hergestellt werden, um Panzer und Bunker zu zerstören, bekannt als DU-Munition, depleted uranium. Dieses wurde bereits in mehreren Kriegen eingesetzt: Irak, Bosnien, Serbien, Kosovo. Nach dem Treffer entzündet sich ein Aerosol und das Uran verteilt sich als toxischer Feinstaub und kann u.a. zu Leukämien und kindlichen Fehlbildungen führen.

Ich komme zu den Atomwaffentests.

Auf ihr Konto geht eine immense Beeinträchtigung von Leben und Gesundheit. Insgesamt wurden weltweit mehr als 2.000 Atombomben zur Explosion gebracht – und Millionen von Menschen mit radioaktivem Niederschlag überzogen.

Der Rüstungswahn schien keine Grenzen zu kennen. Die größte gezündete Bombe war in den 60er Jahren eine der UdSSR, mit mehr als 50 Megatonnen, d.h. 50.000 kt 4000mal so stark war wie eine Hiroshima-Bombe.

Was ist mit der zivilen, sogenannten friedlichen Nutzung der Atomenergie?

Schnell wurde in den fünfziger Jahren klar, dass für ein Atomwaffen-Programm Atom-Reaktoren benötigt werden, in denen Uran zu waffenfähigem Plutonium verarbeitet werden kann.

In solchen Reaktoren werden große Mengen an Energie freigesetzt und mit dieser Möglichkeit der Energiegewinnung wurde argumentiert, um der ganzen Technologie einen positiven Anstrich zu geben. Angeblich würden die Energieprobleme der ganzen Menschheit gelöst werden. Dabei wurde einiges verschwiegen.

Verschwiegen wurde, dass der Aufbau einer zivilen Atomindustrie vor allem militärischen Zwecken dienen sollte.

Verschwiegen wurde auch, dass die Atomwirtschaft von Anfang an nur durch die Unterstützung des Militärs und durch massive finanzielle Unterstützung des Staates möglich war.

Verschwiegen wurde, dass zukünftige Generationen auf unabsehbare Zeit durch große Mengen radioaktiven Abfalls belastet werden.

Es wurde eine Infrastruktur geschaffen, die gleichermaßen der zivilen wie auch der militärischen Atomwirtschaft zuarbeitet.

Ein funktionierendes ziviles Atomprogramm trägt deutlich dazu bei, die technischen und logistischen Hürden einer militärischen Nutzung zu senken.

Die zivile Atomenergie produziert jährlich Zehntausende Tonnen strahlenden Atommüll. Es gibt weltweit kein vernünftiges Konzept, wie man mit diesen enormen Mengen zum Teil hoch-radioaktiven Materials umgehen kann.

Vielfach wurde Atommüll schlicht und einfach in der Umwelt verkippt. Die Kosten und Risiken der Hinterlassenschaften der Atomwirtschaft werden noch sehr viele Generationen beschäftigen.

Allein in der französischen Wiederaufbereitungsanlage in La Hague lagern mehr als 60 Tonnen pulverisiertes Plutonium – genug für mehr als 6.000 Atomsprengköpfe. (10 kg pro Sprengkopf).

Und spätestens im Kriegsfall stellen Atomanlagen ein großes Gefahrenpotential dar. In der Ukraine entsteht durch die Vielzahl von Atomreaktoren ein erhebliches zusätzliches Risiko, zusätzlich zu all den Risiken dieses furchtbaren Krieges.

Nun zum Einsatz von Atombomben gegen Menschen. Bisher wurden zwei Bomben auf Menschen abgeworfen, in Hiroshima und Nagasaki vor 77 Jahren. Danach ist das nicht wieder vorgekommen - und zwar weil wir bisher unverschämtes Glück hatten!

Zahlreiche „Zwischenfälle“ konnten im letzten Moment abgefangen werden, weil aufgrund der richtigen Entscheidung des Personals auf einen falschen Alarm hin nicht der Befehl zum Abfeuern gegeben wurde. Es hat zudem tausende von Unfällen mit Atomwaffen gegeben und mehr als 50 Atomsprengköpfe liegen auf dem Meeresboden.

Was wäre, wenn in der aktuell angespannten Lage versehentlich oder absichtlich Atomwaffen eingesetzt würden?

Die Menschen der Ukraine wären bei einem Atomwaffeneinsatz wohl die ersten Opfer.

Der Einsatz einer einzigen Atomwaffe über einer Großstadt kann über eine Million Menschen töten und schwer verletzen.

ICAN (International Campaign Against Nuclear Arms) hat Berechnungen angestellt und im Februar 2022 eine Studie herausgegeben: was würde passieren, wenn eine 100-kt-TNT-Äquivalent-Bombe auf Berlin fallen würde?

Dabei wurde nur ein Teil der Folgen abgeschätzt - die Folgen von Feuerstürmen und die Folgen des radioaktiven Fallouts sind noch nicht einmal dabei.

Die B61-12-Bombe, die ab 2023 oder 2024 hier in Büchel stationiert werden soll, wird mit flexibler Sprengkraft ausgestattet. Eine 100 kt Bestückung dürfte dabei sein.

Die Berechnungen für Berlin ergaben:

Im Radius von 400 m zum Zentrum der Detonation wäre aufgrund der Hitze alles tot, verbrannt, pulverisiert.

Im Radius von 1,5 km wäre die Strahlendosis tödlich.

Im Radius von 3 km käme es zu einer gewaltigen Druckwelle, Gebäude brächen zusammen.

Im Radius von 4,5 km erlitten die Menschen Verbrennungen 3. Grades.

Bis zu einem Radius von 9 km Radius reicht ein starker elektromagnetischer Impuls, der die elektronische Infrastruktur lahmlegt.

In Berlin würde es ca. 170.000 Tote geben und 600.000 Verletzte - zum Vergleich: in Deutschland gibt es aktuell 688.000 Krankenhausbetten, sie wäre also mit den Verletzten aus Berlin fast gefüllt. Auf jedes nach den Zerstörungen noch verbliebene Krankenhausbett in Berlin kämen auf einen Schlag 28 Verletzte, auf jede*n Ärzt*in 52 Patient*innen.

Das überlebende Personal müsste schwerste Verletzungen und Verbrennungen behandeln, die besondere Maßnahmen und besondere Materialien erfordern. Und das ohne die gewohnte Technologie, weil der elektromagnetische Impuls die digitale Infrastruktur ausknocken würde: Computer, Kommunikation, medizinisches Gerät, Röntgen, Labore, fließendes Wasser, Kanalisation...

Kein Gesundheitssystem ist in der Lage, mit einer Atombombe fertigzuwerden.

Deutschland kann aber einiges dafür tun, dass diese Gefahren geringer werden: es kann dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten!

Leider gehen die letzten Entscheidungen der Politik in eine andere Richtung.

Der Kauf der F35-Bomber leitet die Stationierung der aufgerüsteten US-amerikanischen B61-12 ein. Deutsche Pilot*innen sollen damit die Atombomben fliegen. Die Entscheidung ist ein gefährliches Signal nicht nur gegenüber Russland, sondern auch gegenüber anderen Ländern, die momentan über eine nukleare Aufrüstung nachdenken.

Es droht ein selbstmörderisches Wettrüsten in Europa: Putin hatte bereits 2015 angekündigt, auf die Aufrüstung in Büchel mit Gegenmaßnahmen zu reagieren. Belarus hat seinen Status als atomwaffenfreie Zone im Februar 2022 aufgegeben, um ggf. russische Atomwaffen zu stationieren, und aus Polen werden Forderungen nach NATO-Bomben laut.

Wenn wir es in Europa und global schaffen, die aktuelle Zuspitzung zu überleben, dürfen wir nicht in einer Welt aufwachen, wo viele Länder aus dem Nichtverbreitungsvertrag ausgestiegen sind und Atomwaffen bauen.

Wir brauchen umso mehr Maßnahmen wie das „De-Alerting“, das „aus der Alarmbereitschaft nehmen“, der ca. 2000 Sprengköpfe, die derzeit innerhalb von Minuten einsatzbereit sind. Übrigens reicht die Hälfte von ihnen, um den Planeten unbewohnbar zu machen. Wichtig ist auch die Aufnahme von „No first use“ Formulierungen in die Atomwaffendoktrinen von Russland und USA, also der explizite Verzicht auf den Erstschlag.

Büchel ist ein Ort, an dem trotz scheinbarer Idylle die atomare Gefahr quasi in der Luft liegt. Und wir haben in diesen Tagen ganz besonders dicke Luft.

Deshalb fordern wir von Russland, Ukraine, USA, Nato, EU und allen ernstgemeinte Verhandlungen im Ukrainekrieg!

Die von der deutschen Regierung geplante massive Aufrüstung zieht Kraft, Ressourcen und Intellekt ab von der großen Herausforderungen der Klimakatastrophe.

Statt Aufrüstung müssen wir einen Friedensprozess beginnen, inklusive Rüstungskontrolle und Abrüstung. Das juristische Instrument für die Eliminierung von Atomwaffen – der UN-Vertrag zum Verbot von Atomwaffen (AVV) – wird im Juni in Wien weiter entwickelt und Deutschland muss ihm beitreten. Deutschland muss einen mutigen Schritt für den Frieden und für eine atomwaffenfreie Welt tun, indem es keine Atombomber anschafft und das Sondervermögen für eine sozial-ökologische Transformation verwendet.

Es ist in dieser Zeit schwer, an der Hoffnung auf das friedliche Potential der Menschheit festzuhalten. Ich werde diese Hoffnung nicht aufgeben und Sie alle hier helfen mir dabei.

 

Susanne Grabenhorst ist aktiv bei der IPPNW. Bis 2020 war sie Vorsitzende der ärztlichen Friedensorganisation Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkriegs.