Redebeitrag für den Ostermarsch in Jagel am 29. März 2024

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Grenzen öffnen für Menschen. Grenzen schließen für Waffen

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

ein Plakat mit diesem Spruch ist bei jedem Infostand, an dem ich beteiligt bin, gut sichtbar platziert. Wenn Platz ist, auch ein Transparent mit derselben Aussage.

Grenzen schließen für Waffen, dazu muss ich hier nicht viel sagen. Es ist klar: Keine Rüstungsexporte und keine Rüstungslieferungen – weder in die Ukraine noch nach Israel oder irgendwo anders hin.

Grenzen öffnen für Menschen, dieser Satz ist mir wichtig und ich ergänze – für alle Menschen.

Die Regierenden wollen Grenzen für Menschen noch weiter schließen und Grenzen für Waffenlieferungen sowie für Waffenexporte noch weiter öffnen. Ein großer Teil der Opposition will dasselbe. – Bundestagsabgeordneten von AfD, CDU, FDP, SPD, Grünen und ehemaligen Linken nehmen dadurch hin, dass Menschen auf ihren Migrationswegen in der Wüste verdursten oder im Mittelmeer ertrinken, sexuell missbraucht werden usw. . Letztlich ist ein Schließen der Grenzen eine deutschnationale Politik mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.

Uns als Ureinwohnern wird als Märchen erzählt, es ginge uns im umgrenzten Deutschland besser, wenn andere ausgegrenzt werden – selbst wenn es deren Leben kostet.

Ich will, wir als DFG-VK wollen: Offene Grenzen für alle Menschen und ein Bleiberecht für alle. Ein Transparent mit der Forderung hängt hier in Jagel.

Was hat Migration mit Jagel zu tun? Was hat das Thema mit dem Ostermarsch zu tun, fragen sich vielleicht einige. Der Malikrieg war zu einem großen Teil Migrant*innenabwehr. Die Ausbildung von Armeeeinheiten in Niger durch die Kampfschwimmer aus Eckernförde diente auch der Abwehr durchziehender Zukunftssuchender. Mit der Kappung der Migrationsrouten bezahlte die malische Regierung die Militärunterstützung.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“. So lese ich im Grundgesetz. Dort steht nicht die Würde der Deutschen ist unantastbar.

„Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“, las ich in unserer Verfassung. Dort steht nicht, „alle Deutschen sind vor dem Gesetz gleich“. Diese wichtigen Grundsätze unserer Verfassung wurden zurechtgebogen – durch Gesetze und Durchführungsverordnungen. Sie sollen weiter verbogen werden – in unserem Namen. Das ist gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit durch Etabliertenvorrechte.

Ich bin gegen jeden Krieg. Wegen meines Menschenbildes bin ich gegen jeden Krieg. Meine Kriegsablehnung kann ich zwar rational begründen. Der Antrieb, der Ursprung für die Auseinandersetzung mit den Begründungen zur Kriegsablehnung kommt aber aus meinem Menschenbild, aus meiner inneren Haltung zum menschlichen Leben. Nur um klarzustellen, es geht mir hier nicht um Nabelschau, um neue Innerlichkeit, es geht mir um konkrete Politik, um konkretes Handeln im Lebensumfeld. Für mich ist klar: Ich unterscheide nicht zwischen roten, gelben, weißen, braunen, grünen Menschen. Migrant*innen sind Menschen und es ist egal ob sie aus Hessen kommen, aus Burkina Faso, aus der Ukraine, aus Russland, der Türkei – ich höre mit der Aufzählung auf. Alle Menschen sollen dort leben können, wo sie wollen, unabhängig von der Farbe ihres Passes, ihrer Religion, ihrer Sprache usw.

Das Thema Migration begleitet mich seit Jahrzehnten und uns seit Jahrhunderten. 1966 schrieb Franz Joseph Degenhardt ein Lied über Tonio Schiavo. Er war kein Flüchtling, er war ein Wirtschaftsmigrant, ein Gastarbeiter aus Süditalien. Er wollte eine Lebensperspektive im gelobten Deutschland, einen Weg aus dem Elend finden. In der Geschichte des Liedes von FJ Degenhardt wurde er kriminell, zückte sein Messer und stach dem Polier in den Bauch nachdem der ihn schwer beleidigt hatte. Itakersau hatte der Polier ihn genannt.

„Kriminelle Ausländer raus“ sagte die NPD seit Jahrzehnten. Etwas vergleichbares sagte Frau Wagenknecht vor wenigen Tagen. Sie benutzte nicht die NPD Worte, sie spricht geschliffen, transportiert aber den gleichen Inhalt. Ich will Kriminalität nicht verharmlosen, aber: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“. Unsere Justiz ist für kriminelle Handlungen in der BRD zuständig.

Ich könnte Euch jetzt mit Zahlen zutexten. Von den 83 Mio. Menschen in der BRD haben ca. 25 Mio. einen Migrationshintergrund. 12 Mio. davon sind Deutsch, 13 Mio. sind Ausländer. 1,4 Kinder werden in der BRD pro Frau geboren. Nicht die Zuzüge sind ausschlaggebend, sondern Zuzüge minus Wegzüge, der Wanderungssaldo. Demografische Entwicklung, Rentenkassen, Fachkräftemangel, Brain Drain, usw. Ik kun al dat up Pattdütsch vertelln üm to verklorn, welk en Wirkung de Nazis, de Anpassungsdruck und de Migranten up min Modersprok harn – Migranten heft in de föftiger Joor meest hochdütsch schnackt. Argumentativ könnte ich jetzt fortfahren, aber das nütz nichts bei national Gesinnten, in Nationen Denkenden. Könnte referieren über die Wirkung nationalen Denkens, des Denkens in Volks- und Sprachgruppen. Gerade in dieser Gegend nahe dem Dannewerk sollten wir auslösende Momente der deutsch-dänischen Kriege bedenken – nationales Denken auf beiden Seiten. „Nationalismus führt zu Krieg“, wieder ein kleiner Anknüpfungspunkt zum Ostermarsch nach Jagel.

Um die Bedeutung des Themas Migration zu erfassen schaut Euch einfach an Euren Wohnorten um. Zahlen sind teils nützlich für Argumente. Das Grundsätzliche aber ist die innere Haltung, das Menschbild. – Übrigens gibt es auch Menschen mit Migrationshintergrund, die rassistisch denken und keine neuen Zugezogenen tolerieren wollen.

1942 wurde in der Schweiz die Losung „Das Boot ist voll“ erfunden. Menschen, die aus Nazideutschland geflohen waren und die vermeintlich rettende Schweiz erreicht hatten, wurden zurückgewiesen oder abgeschoben. Das Boot ist voll plakatierten 1991 die Republikaner. Das war die AfD der frühen 90er. Heute wird bei uns suggeriert, die Wohnungsnot liege an den Migrant*innen und nicht an der jahrzehntelangen verfehlten Wohnungsbaupolitik. 1990 wurde das Dublin Abkommen erfunden. Schlaglichter dieser Entwicklungen könnte ich jetzt weiter aufzählen. Es ging immer um gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.

Immer wieder treffe ich Menschen, die sagen, sie seien gegen Krieg und gegen Waffenlieferungen. Für offene Grenzen seien sie aber nicht. Dann kann ich nur sagen, gegen Krieg sind sie nicht, denn sie sind für Krieg gegen Migrant*innen. Enttäuscht bin ich, wenn ehemalige Linke Menschen nicht nach Klassen einteilen, sondern nach Rassen oder Pässen.

Ich erschrecke, wenn Kriegsgegner*innen sagen: „Kriminelle Ausländer raus“ – Natürlich sagen sie das in eloquenter Sprache des Bildungsbürgertums. Diese Mitmenschen, die eigentlich eine Gated Community anstreben sind genauso meine politischen Gegner wie diejenigen, die Waffen an die Ukraine, an Israel oder sonst wohin liefern wollen.

Ich möchte diese politischen Gegner*innen nicht verdammen, nicht abschieben in ihre geschützten Inseln. Ich möchte mit ihnen im Gespräch bleiben auch über modernes, gebildetes, aber dennoch nationales Denken. Nationales Denken führt letztlich oft zu Krieg.

Vielen Dank für Eure Geduld.

 

Detlef Mielke ist aktiv bei der DFG-VK Bad Oldesloe.